17.01.2024

Motorsportanlage im Außenbereich

Unwirksamkeit eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans

Motorsportanlage im Außenbereich

Unwirksamkeit eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans

Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV

Eine Gesellschaft betreibt seit 2006 auf einer in das Eigentum ihrer Geschäftsführerin übergegangenen ca. 11,5 ha großen Fläche im Außenbereich einer Ortschaft ein Motodrom mit Off-Road-Geländestrecken für Motorrad und Geländewagen. Das Areal wird im Flächennutzungsplan seit 1981 als Sondergebietsfläche mit der Zweckbestimmung „Motocross“ dargestellt. Die für den Betrieb grundlegende immissionsschutzrechtliche Genehmigung stammt aus dem Jahr 1982. Damals wurde einem Motorsportverein gestattet, auf dem Gelände eine der Übung und Ausübung des Motorsports dienende Anlage zu errichten und zu betreiben.

Durch eine Nebenbestimmung wurde der Trainingsbetrieb allerdings auf höchstens drei Tage in der Woche begrenzt. Ergänzend wurden 1987 die Errichtung einer BMXÜbungsbahn mit Kfz-Einstellplätzen sowie eines Nebengebäudes und zweier Container immissionsschutzrechtlich genehmigt. 1999, ein Jahr nach Aufgabe der vereinsmäßigen Nutzung der Motorsportanlage und deren Öffnung für jedermann gegen Entgelt, wurden zudem baurechtliche Genehmigungen für arrondierende Nutzungen erteilt.

Die jetzige Anlage verfügt daher auch über ein Bistro und einen Grillplatz, eine Tankzone und einen Waschplatz sowie eine Halle für Motorradpflege und einen Verkaufsshop für Motorradbedarf. Ein Industrieunternehmen für Schüttgüter, Baustoffrecycling, Gleisbaustoffe, Abbrucharbeiten und Transportleistungen nimmt seit Ende der 1990er Jahre auf einer in seinem Eigentum stehenden, etwa 11 ha großen Fläche im Außenbereich direkt westlich an die Motorsportanlage angrenzend großflächig Sandabbau vor. Der Bereich wurde bislang im Flächennutzungsplan als Wald dargestellt. Die zuletzt 2012 für den Bodenabbau erteilte Genehmigung beinhaltet Auflagen zur Wiederherstellung der Abbaustätte nach Beendigung der Maßnahmen und zur sonstigen Kompensation der Eingriffe in Natur und Landschaft.


Das Unternehmen betreibt darüber hinaus auf dem Gelände eine sehr lärmintensive Brecheranlage zum Recyceln von Bauschutt. Hierfür war ihr eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt worden, deren Geltung allerdings bis zum Ablauf des Jahres 2015 befristet war.

Industrieunternehmen hatte 2012 die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans zur industriellen Nachnutzung der Sandabbaufläche beantragt

Das Unternehmen hatte 2012 bei der Gemeinde die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans zur industriellen Nachnutzung der Sandabbaufläche beantragt. Geplant sei der Weiterbetrieb der Brecheranlage sowie die Errichtung eines kleineren Betonwerks zur Herstellung von Betonblocksteinen aus Recyclingmaterial, hierdurch gebe es auch einen Bedarf an teilweise überdachten Lagerflächen.

Durch die Entwicklung des Gebietes sei es möglich, die vorhandenen Arbeitsplätze zu erhalten und weitere zu schaffen. Bereits seit Herbst 2011 strebt auch die Gesellschaft des Motodroms eine Änderung und Erweiterung ihres Betriebs an. Hierfür wurde ihr 2015 ein immissionsschutzrechtlicher Vorbescheid erteilt, dessen Vollziehbarkeit aber in einem von der Gemeinde, die das gemeindliche Einvernehmen versagt hatte, angestrengten gerichtlichen Eilverfahren wegen Fehlens einer als erforderlich erachteten Umweltverträglichkeitsprüfung ausgesetzt wurde.

Unter dem 15.10.2018 verzichtete die Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage vom 15.10.2018 auf die weitere Durchführung des Bauvorbescheidsverfahrens und beantragte stattdessen die Änderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aus dem Jahr 1982. Nach der dazu vorgelegten Betriebsbeschreibung umfasst der Antrag u. a. die Ausweitung des Fahrbetriebs auf fünf statt bisher drei Tage in der Woche (frei wählbar einschl. Sonn- und Feiertagen).

Ebenfalls eingereicht wurde ein von der Gesellschaft eingeholtes schalltechnisches Gutachten aus August 2018, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass der erweiterte Betrieb der Motorsportanlage auch unter Berücksichtigung einer Vorbelastung durch den Sandabbaubetrieb einschließlich einer Sieb- sowie der Brecheranlage mit der im Hinblick auf Lärmimmissionen nach Vorgaben des Landkreises als schutzwürdig anzusehenden Bebauung in der näheren Umgebung vereinbar sei.

Normenkontrollantrag wandte sich gegen die einseitige Bevorzugung des Industrieunternehmens

Gegen den zwischenzeitlich beschlossenen vorhabenbezogenen Bebauungsplan hatte die Gesellschaft der Motorsportanlage bereits am 23.01.2020 beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) einen Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung der Unwirksamkeit der Planung vertritt sie insbesondere die Auffassung, dass die Gemeinde in Bezug auf die festgelegten Lärmemissionskontingente gegen ihre Ermittlungspflicht aus § 2 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) verstoßen habe.

Der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage werde im vorhabenbezogenen Bebauungsplan auferlegt, auf die geplante betriebliche Erweiterung zu verzichten, auf die im Auslegungsverfahren sowohl von ihr, als auch von anderer Seite ausdrücklich hingewiesen worden sei. Zudem seien der Gemeinde Abwägungsfehler in Gestalt eines Abwägungsdefizites und einer Abwägungsfehleinschätzung unterlaufen. Die völlig einseitige Berücksichtigung des Industrieunternehmens bei der Festlegung der Lärmemissionskontingente sei ein Abwägungsmangel. Nicht beachtet worden sei auch, dass das Industrieunternehmen seit Ende 2015 über keine Genehmigung mehr für die Brecheranlage verfüge, sodass sich ihre Schutzwürdigkeit reduziere.

Auch werde im Hinblick auf ihr eigenes Schallgutachten aus August 2018 angezweifelt, dass die Festsetzung der Lärmemissionskontingente abwägungsfehlerfrei gelungen sei. Darüber hinaus habe das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt darauf hingewiesen, dass es nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) nicht möglich sei, eine Anlagenutzung auf bestimmte Wochentage zu begrenzen bzw. davon abhängig zu machen, inwieweit eine andere Anlage zu einem bestimmten Zeitpunkt genutzt werde. Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB liege ebenfalls vor, weil die Grenzen des zulässigen „Konflikttransfers“ überschritten seien.

Es sei absehbar, dass sich der Interessenkonflikt zwischen ihrer Motorsportanlage und dem seit mehreren Jahren ohne Genehmigung betriebenen Betrieb des Industrieunternehmens in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht lösen lasse.

 Vorhabenbezogener Bebauungsplan weist Fehler auf, die zu seiner Unwirksamkeit führen

Der Normenkontrollantrag hatte Erfolg. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan weist nach im Hinblick auf das in dem Änderungsantrag der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage vom 15.10.2018 dokumentierte betriebliche Erweiterungsinteresse Fehler auf, die zu seiner Unwirksamkeit führen. Hiernach kann dahinstehen, ob auch die sonstigen Rügen des Normenkontrollantrags, insbesondere im Hinblick auf raumordnungsrechtliche Vorgaben, die Belange desWaldschutzes, die Bestimmtheit der planerischen Festsetzungen oder die nach Satzungsbeschluss erfolgte Änderung des städtebaulichen Vertrags und Durchführungsvertrags, durchgegriffen hätten.

§ 1 Abs. 7 BauGB bestimmt, dass bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. § 2 Abs. 3 BauGB ergänzt dieses materiell-rechtliche Abwägungsgebot um die Verfahrensanforderung, dass die abwägungserheblichen Belange zu ermitteln und zu bewerten sind. Hiernach zu ermitteln, zu bewerten und gegeneinander sowie untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen. Bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan tritt noch eine sich aus § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergebende Verpflichtung hinzu.

Denn die Gemeinde muss sich im Wege einer Prognoseentscheidung vergewissern, dass der Vorhabenträger zur Durchführung des Vorhabens in der Lage ist. Diesen Anforderungen wird die hier zu beurteilende Planung nicht gerecht. Zwar hat der Gemeinderat, wie sich sowohl der Abwägungstabelle als auch der Planbegründung entnehmen lässt, den immissionsschutzrechtlichen Änderungsantrag der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage zur Kenntnis genommen.

Gemeinderat hat nicht berücksichtigt, dass im Immissionsschutzrecht das sog. „Prioritätsprinzip“ gilt

Weder aus dem Planaufstellungsvorgang noch sonst ergibt sich jedoch, dass zu dem nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB maßgebenden, fast elf Monate später liegenden Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 05.09.2019 der konkrete Stand des Genehmigungsverfahrens festgestellt worden wäre, obgleich der Landkreis in seiner Stellungnahme vom 16.11.2018 ausdrücklich mitgeteilt hatte, der immissionsschutzrechtliche Antrag vom 15.10.2018 werde „derzeit“ geprüft.

Eine solche Ermittlung wäre nach § 2 Abs. 3 BauGB geboten gewesen, weil die Frage der Entscheidungsreife des Änderungsantrags zum Abwägungsmaterial gehörte. Dies hat der Gemeinderat offensichtlich deswegen verkannt, weil er, wie seine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Änderungsantrag zeigt, mindestens von der Gleichwertigkeit des Antrags der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage vom 15.10.2018 und des Antrags der Industriegesellschaft auf Verlängerung der Genehmigung für die Brecheranlage aus Ende 2015 ausgegangen ist.

Diese Sichtweise berücksichtigt allerdings nicht, dass im Immissionsschutzrecht das sog. Prioritätsprinzip gilt, nach dem regelmäßig dem Vorhaben Vorrang gebührt, für das der Antrag früher gestellt bzw. das früher zur Entscheidungsreife gelangt ist. Demgemäß hätte der Gemeinderat in den Blick nehmen müssen, dass der für die Fortsetzung des Betriebs der Brecheranlage gestellte immissionsschutzrechtliche Antrag der Industriegesellschaft frühestens mit der von dem Inkrafttreten des vorhabenbezogenen Bebauungsplans abhängigen Ausweisung des Standorts als Industriegebiet genehmigungsfähig werden konnte, während einer positiven Bescheidung des Änderungsantrags der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage vom 15.10.2018 auf Ausweitung der Fahrzeiten auf fünf Tage Bauplanungsrecht nichts entgegenstand. Mit dem Eintritt der Entscheidungsreife noch vor dem Satzungsbeschluss und der Erteilung der beantragten Änderungsgenehmigung musste daher gerechnet werden.

Von der Industriegesellschaft im gerichtlichen Verfahren vertretene Auffassung zum Vorrang des eigenen Vorhabens trifft gerade nicht zu

Daraus folgt zugleich, dass die von der Industriegesellschaft im gerichtlichen Verfahren vertretene Auffassung, in einer Konkurrenzsituation zwischen dem Antrag der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage vom 15.10.2018 und ihrem Antrag wäre letzterer vorrangig, weil er Jahre davor gestellt worden sei und das Genehmigungsverfahren sowohl immissionsschutzrechtlich, als auch planungsrechtlich weiter fortgeschritten sei, gerade nicht zutrifft.

Dass ihr Vorhaben, das neben dem Brecher weitere Anlagen, insbesondere den noch lärmintensiveren Rüttler, umfasst, auch im Außenbereich genehmigungsfähig gewesen wäre, hat die Industriegesellschaft selbst nicht geltend gemacht, dafür ist mit Blick auf § 9 Baunutzungsverordnung (BauNVO) auch nichts ersichtlich. Anderenfalls hätte die Industriegesellschaft angesichts der Illegalität des Betriebs der Brecheranlage über das Jahr 2015 hinaus wohl auch auf die Erteilung der Genehmigung schon vor Inkrafttreten des vorhabenbezogenen Bebauungsplans am 05.09.2019 gedrungen.

Mit der positiven Bescheidung des Änderungsantrags der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage vom 15.10.2018 wäre die für die Festsetzung der Lärmemissionskontingente des Plans maßgebliche Annahme, dass der Betrieb der Motorsportanlage auf drei Tage die Woche beschränkt sei, hinfällig geworden. In der Folge wäre der Plan vollzugsunfähig und damit wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB unwirksam geworden. Auch wäre die Industriegesellschaft nicht mehr, wie von § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB gefordert, zur Durchführung ihres Vorhabens in der Lage gewesen.

Gemeinderat hat die sich aus dem Prioritätsprinzip ergebende Rechtsposition der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage zu Unrecht nicht gewürdigt

Insofern fällt der Gemeinde ein Verstoß gegen ihre Pflicht zur Last, eine begründete Prognoseentscheidung zu treffen und sich so eine gewisse Sicherheit zu verschaffen, dass der Vorhabenträger die im Durchführungsvertrag übernommenen Verpflichtungen erfüllen und das geplante Vorhaben zu Ende führen kann.

Das sich hiernach aus der Stellung des immissionsschutzrechtlichen Änderungsantrags vom 15.10.2018 ergebende Risiko des Scheiterns der Planung und die sich aus dem Prioritätsprinzip ergebende Rechtsposition der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage hat der Gemeinderat zu Unrecht nicht gewürdigt. Hiervon war er entgegen der im Rahmen der Erörterung in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Gemeinde auch nicht deswegen entbunden, weil zu dem Änderungsantrag aufgrund der Lage der Motorsportanlage im Außenbereich das gemeindliche Einvernehmen einzuholen war. Denn die Gemeinde wäre wegen § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht berechtigt, das Einvernehmen aufgrund gegenläufiger Planungsabsichten zu verweigern. Insoweit ist sie auf die Sicherungsinstrumente der §§ 14, 15 BauGB verwiesen.

Neben dem oben festgestellten Verstoß gegen die Ermittlungspflicht nach § 2 Abs. 3 BauGB liegt daher auch ein Fehler in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB in der Form eines Abwägungsdefizites vor. Beide jedenfalls in der Sache in der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 3 BauGB von der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage geltend gemachten Mängel sind nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB auch beachtlich und führen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.

Die Offensichtlichkeit beider Mängel liegt nach den oben zitierten Ausführungen aus der Planbegründung auf der Hand. Sie sind auch auf das Ergebnis des Verfahrens bzw. das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Denn es besteht die konkrete Möglichkeit, dass bei Feststellung des genauen Standes des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens und ordnungsgemäßer Würdigung der sich aus dem Prioritätsprinzip ergebenden Rechtsposition der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage die Planung in der Weise anders ausgefallen wäre, dass dem betrieblichen Erweiterungsinteresse der Betriebsgesellschaft der Motorsportanlage ein höheres Gewicht beigemessen worden wäre. Hinzu kommt der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB, der bereits für sich genommen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt.

Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Urteil vom 10.02.2022 – 1 KN 11/20 –.

Entnommen aus GVRP 09/2023 Rn.89.

 
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