15.07.2022

Lageorientiertes Führen

Verwaltungsführung in komplexen und krisenhaften Lagen (Teil 2)

Lageorientiertes Führen

Verwaltungsführung in komplexen und krisenhaften Lagen (Teil 2)

Fortsetzung des ersten Teils:

Welche Kompetenzen erfordert Lageorientierte Führung?

Besondere Anforderungen an Führungskräfte

„Wir haben hierzulande eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Innovation und Risiko. Dabei mangelt es nicht an Potenzial,

sondern oft an Mut“ (Özlem Türeci, Mitgründerin von Biontech, DER SPIEGEL Nr. 39/25.09.2021)


Der beschriebene Umgang mit Komplexität ist anspruchsvoll, da er verschiedene Zielkonflikte provoziert. Komplexität als Ressource zu nutzen, bedeutet ja, sie nicht schnellstmöglich zu reduzieren, sondern sich auf eine Vielfalt an möglichen Gestaltungs- und Entscheidungsalternativen einzulassen. Andererseits entsteht je nach Lage der Zwang, Entscheidungen so gut wie möglich in angemessenen Zeiträumen zu treffen. Die beteiligten Fach- und Führungskräfte bedürfen in komplexen und krisenhaften Lagen einerseits einer besonders ausgeprägten Handlungsorientierung, die andererseits von einer erhöhten Reflexionsfähigkeit begleitet sein muss. Sie müssen in der Lage sein, auf ihre eigenen Ressourcen zuzugreifen, diese aber auch flexibel einsetzen und in der Dynamik der Lageveränderungen weiterentwickeln zu können. Dies übersteigt die üblichen Anforderungen in Routinelagen, in denen planbare Prozesse in klaren Strukturen mit bewährtem Ressourceneinsatz bewältigt werden.

Für eine detailliertere Beschreibung der besonderen Anforderungen an eine lageorientierte Führung stützte sich das Fachprojekt vor diesem Hintergrund auf das empirisch gut überprüfte Kompetenzmodell, das Volker Heyse und John Erpenbeck ihrem Kompetenzatlas und der auf dieser Basis entwickelten Kompetenzdiagnostik und -entwicklung KODE® zugrunde legen (Heyse/Erpenbeck 2009). Nach ihrer Definition werden „Kompetenzen von Wissen fundiert, durch Werte konstituiert, als Fähigkeiten disponiert, durch Erfahrungen konsolidiert und auf Grund von Willen realisiert“. Sie unterscheiden in ihrem Modell vier grundlegende persönliche Voraussetzungen („Dispositionen“) eines Menschen zur Selbstorganisation „in Bezug auf sich selbst, seine Umwelt und andere Menschen insbesondere bei der Bewältigung neuer, nicht routinemäßigen Anforderungen“.

Diese vier Kompetenzfelder sind:

  • Personale Kompetenzen, z.B. Selbstreflexion, Selbstkritik, produktive Einstellungen, Entwicklung von Werten und Idealen
  • Aktivitäts- und handlungsbezogene Kompetenzen, z.B. aktive und willensstarke Umsetzung der Werte, Ideale, Absichten und Ziele
  • Fach- und Methodenkompetenzen, z.B. fachliches und methodisches Wissen, schöpferische Kraft zur Bewältigung von offenen und unscharfen Sachproblemen
  • Sozial-kommunikative Kompetenz, z.B. kreative Kooperation und Kommunikation (Erpenbeck 2007).

Die vier Kompetenzfelder sind aufgeteilt in 64 einzelne Kompetenzen, aus denen je nach Fragestellung spezifische Kompetenzcluster gebildet werden können (Abb. 3).

Abbildung 3: Heyse & Erpenbeck, Kompetenzatlas

 

Besondere Kompetenzanforderungen an Führung:

Abbildung 4: Kompetenzcluster „lageorientierte Führung“

 

Eine Expertenbefragung nach den zwei wichtigsten Kompetenzen dieser Auswahl ergab die Entscheidung für die Kompetenzen „Entscheidungsfähigkeit“ und „Ganzheitliches Denken“. Diese beiden Kompetenzen wurden in der Umfrage, die unter den Stadt- und Landkreisen und ausgewählten Städten durchgeführt wurde, bestätigt. Die Auswertung der Umfrage zeigt ein identisches Ergebnis. Die Kompetenz „Entscheidungsfähigkeit“ wurde von allen als „sehr wichtig“ (79,3%) und „wichtig“ (20,7%) eingestuft. Das Gleiche gilt für die Kompetenz „Ganzheitliches Denken“, die ebenfalls von allen als „sehr wichtig“ (75,9%) und „wichtig“ (24,1%) gehalten wurde. Beide Kompetenzen nahmen die Spitzenplätze im Ranking der besonderen Kompetenzanforderungen ein. Dabei repräsentiert die Kompetenz „Ganzheitliches Denken“ das Kompetenzfeld der personalen Kompetenz und die Kompetenz „Entscheidungsfähigkeit“ das Kompetenzfeld der Aktivitäts- und Handlungskompetenz.

Auswertung der Umfrage zu Führungskompetenzen:

Abbildung 4: Umfrageergebnisse zu den Kompetenzen „lageorientierte Führung“

 

Im Kompetenzfeld sozial-kommunikative Kompetenz erhält die Kompetenz „Kommunikationsfähigkeit“ mit 58,6% für „sehr wichtig“ und 41,4% für „wichtig“ die höchste Zustimmung sowie die Kompetenz „systematisches methodisches Vorgehen“ mit 44,8% für „sehr wichtig“ und 55,2% für „wichtig“ im Kompetenzfeld „Fach- und Methodenkompetenz“.

Alle genannten Kompetenzen wurden von den befragten Kommunen zu 100% als „sehr wichtig“ bzw. „wichtig“ beurteilt. Sie bilden ein ausgewogenes Anforderungsprofil für die Führung in komplexen und krisenhaften Lagen im Rahmen der vier Kompetenzfelder des Kompetenzmodells von Heyse und Erpenbeck. Sie sind daher auch der Ausgangspunkt für die Gestaltung von Aus- und Weiterbildungskonzepten.

Schwerpunkte der Kompetenzentwicklung in der Aus- und Weiterbildung:

Abbildung 6: Kompetenzentwicklung „lageorientierte Führung“

 

Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

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Die Serie: Lageorientiertes Führen

 

1

Folge 1

Lageorientiertes Führen (Teil 1)

2

Folge 2

Lageorientiertes Führen (Teil 2)

3

Folge 3

Lageorientiertes Führen (Teil 3)

4

Folge 4

Lageorientiertes Führen (Teil 4)

 

 

 

Thomas Berg

Ehemals Generalsekretär der Führungsakademie Baden-Württemberg a. D.
Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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