13.07.2022

Kommunale Amts- und Mandatsträger in privaten Unternehmen (1)

Weisungsrechte und Unterrichtungspflichten – Teil 1

Kommunale Amts- und Mandatsträger in privaten Unternehmen (1)

Weisungsrechte und Unterrichtungspflichten – Teil 1

Es müssen kommunale Einwirkungs-, Mitsprache- und Kontrollrechte in der Gesellschaft gewahrt sein. ©alotofpeople – stock.adobe.com
Es müssen kommunale Einwirkungs-, Mitsprache- und Kontrollrechte in der Gesellschaft gewahrt sein. ©alotofpeople – stock.adobe.com

Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen gehört zum Kernbereich der Selbstverwaltung. Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG schützt die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen auf der örtlichen Ebene (Teil 1).

I. Vorbemerkung*

Eine rein erwerbswirtschaftlich- fiskalische Tätigkeit ist Kommunen zwar untersagt,1 geht es aber darum, zur Erledigung kommunaler Aufgaben, also zu öffentlichen Zwecken tätig zu werden, ist es ihnen nicht nur erlaubt, sich wirtschaftlich zu betätigen, sondern hierdurch auch Gewinne zu erzielen.2 Welche Rechtsform hierfür genutzt wird, ist ohne Belang. Die Gemeinde kann kraft Formenwahlrechts bei wirtschaftlichen Betätigungen öffentlich-rechtlich und privatrechtlich handeln und für wirtschaftliche Unternehmen öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Organisationsformen wählen.3

Damit stehen der Kommune – im Folgenden soll vereinfachend nur von der Gemeinde die Rede sein – auch die Gestaltungsformen des Gesellschaftsrechts zur Verfügung. Gründet die Gemeinde eine Aktiengesellschaft4 oder GmbH, sehen die gesetzlichen Vorgaben in den Bundesländern vor, dass ausreichende kommunale Einwirkungs-, Mitsprache- und Kontrollrechte in der Gesellschaft gewahrt sein müssen, doch kann das Gesellschaftsrecht des Bundes durchaus zu Beschränkungen führen, die in der Praxis manchmal kommunalpolitische Enttäuschungen auslösen können. Mancher Gemeindevertreter verbindet mit der Beteiligung an einer privatrechtlich strukturierten Gesellschaft die Hoffnung auf weitreichende unbeschränkte Einflussmöglichkeiten, also vor allem die Möglichkeit, durch Weisungen oder Informationsverlangen gegenüber den gemeindlichen Vertretern – bildlich gesprochen –, die Gesellschaft zur verlängerten Werkbank für die Erfüllung kommunaler Aufgaben zu machen.


II. Rechtsformenwahl

Die Vorteile privatwirtschaftlicher Gesellschaftsformen sind hinreichend bekannt. Traditionelle Formen kommunaler Aufgabenerledigung wie der Eigen- und Regiebetrieb werden gegenüber privaten Rechtsformen, namentlich der GmbH, als starr und damit nachteilig empfunden, weil die GmbH ihnen gegenüber erhebliche Organisationsvorteile sowie steuerliche, haushaltsrechtliche, finanzielle und personalpolitische Vorzüge besitzt; sie ist nicht in die gemeindliche Organisation und den Gemeindehaushalt integriert. Das führt zugleich zu einem Gewinn an parteipolitischer Neutralität bei der Aufgabenerledigung,5 geht aber unter Umständen bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben möglicherweise mit einem – kommunalpolitisch unerwünschten – Kontroll-, Steuerungs- und Legitimationsdefizit einher.6 Da sich kommunalpolitische Entscheidungsträger darüber klar sein müssen, dass diese Defizite Folge des vorgegebenen gesellschaftsrechtlichen Rahmens sind, dieser Rahmen aber nicht an die politisch angestrebten Steuerungsbedürfnisse der Gemeinde angepasst werden kann, bedeutet das, dass die Gemeinde gut beraten ist, sich bei der Wahl der Rechtsform an den gewünschten und für erforderlich gehaltenen Einwirkungsmöglichkeiten zu orientieren.

Wenn die Gemeinde eine privatrechtlich strukturierte Organisationsform zum Marktauftritt nutzen will, müssen die Instrumente in die kommunalpolitische Analyse mit einbezogen werden, mit denen der kommunale Gesellschafter seine kommunalpolitische Steuerungsfähigkeit sichern kann. Hier stoßen Weisungsrechte und Unterrichtungspflichten aus den nachstehend darzulegenden Gründen an Grenzen, was in der Kommunalpolitik manchmal zu dem von Enttäuschung getragenen Hinweis von Gemeindevertretern führt, die kommunale Gesellschaft sei „immer noch unser Unternehmen!“. Auslöser für diesen Hinweis sind oft Sachverhalte, bei denen es zum Konflikt zwischen dem Interesse der kommunalen Eigengesellschaft und vermeintlichen Interessen des Bürgers kommt. Abwasserpreise haben in der Vergangenheit einen solchen Konflikt geschaffen: Gesellschaftervertreter und Aufsichtsratsmitglieder der kommunalen GmbH sind aus umweltrechtlichen Gründen verpflichtet, den Ausbau des Klärwerkes zu beschließen. Die damit verbundenen Kosten gehen aufgrund der Regelungen des Betriebsführungsvertrages zulasten der Kommune. Die Mitglieder der Gemeindevertretung sehen nicht ein, die Bürger mit höheren Abwasserpreisen zu konfrontieren: Diese Zurückhaltung seien sie ihrem Wähler schuldig. Die Beschränkungen, die derartige Weisungen an die kommunalen Vertreter im Unternehmen ausgesetzt sind, resultieren aus dem Gesellschaftsrecht. Sie führen dazu, dass das Bundesrecht oft nicht einlöst, was das Landesrecht verspricht.

III. Weisungsrechte nach dem Kommunalrecht der Länder und das Gesellschaftsrecht des Bundes

Mit der vorstehenden Bemerkung ist der Gang der Darlegung vorgezeichnet. Nachdem überblicksartig Inhalt und Umfang kommunalrechtlicher Weisungsrechte dargestellt worden sind, soll erläutert werden, in welchem Verhältnis das kommunale Wirtschaftsrecht der Länder zum Gesellschaftsrecht des Bundes steht. Bei Darstellung der bundesrechtlichen Maßgaben wird im Folgenden vor allem zwischen kommunaler Aktiengesellschaft und kommunaler GmbH differenziert.

1. Überblick über kommunalrechtliche Weisungsbefugnisse

Vergleicht man die kommunalwirtschaftlichen Vorschriften der Bundesländer in Bezug auf Inhalt und Umfang von Weisungsrechten zeigt sich, dass das Kommunalrecht zwar im Kern gemeinsame Regelungsgehalte aufweist, aber in einzelnen Ausprägungen deutliche – nachstehend nur stichwortartig wiedergegebene – Unterschiede auffallen. Während in Bayern Art. 93 GO schon dem Wortlaut nach zu erkennen gibt, dass Weisungsrechte begrenzt sein können („Soweit zulässig, soll sich die Gemeinde ihnen gegenüber Weisungsrechte im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung vorbehalten“), legt in Niedersachsen § 138 NKomVG apodiktisch fest, dass die Gesellschaftervertreter nach § 138 NKomVG die Interessen der Kommune zu verfolgen haben und an Beschlüsse des Rates und des Hauptausschusses gebunden sind.7 Für diese Bindung verwendet der Gesetzgeber in Brandenburg in § 97 Abs. 1 Satz 6 BbgKVerf ausdrücklich den Begriff der Weisung. Für diese Weisungsrechte wird zwischen den Vertretern der Gemeinde in der Gesellschafterversammlung und im Überwachungsorgan nicht unterschieden. Das Weisungsrecht besteht auch gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern.8 Dabei begrenzt der Grundsatz des freien Mandats das Weisungsrecht der Kommune in beiden Fällen nicht. Die Vertreter des kommunalen Gesellschafters werden in die Organe der Gesellschaft nicht als gewählte Mandatsinhaber gesandt, sondern durch Wahl in der Gemeindevertretung zum kommunalen Vertreter bestimmt.9

Der Begriff der „Weisung“ ist weit auszulegen. Er umfasst alle verbindlichen Meinungsäußerungen der Gemeinde, mit denen auf die Entscheidung in der juristischen Person Einfluss genommen werden soll. Das können Grundsatzbeschlüsse der Gemeindevertretung, auch gemeindliche Richtlinien sein, die Weisung kann auch konkrete Handlungsanordnungen zu einzelnen Fragen betreffen. Einzelanordnungen sollten allerdings mit Vorsicht gehandhabt werden. Sie können Vertreter in nicht unerhebliche Zwänge bringen. Der Repräsentant der Gemeinde ist Vertreter und nicht Bote. Er braucht zur Erörterung und Entscheidung in der Gesellschafterversammlung oder im Aufsichtsrat einen eigenen Handlungsspielraum, denn er ist kein Überbringer gemeindlicher Erklärungen, sondern auf eigenen Gestaltungsspielraum angewiesen, immerhin muss er in der Lage sein, situationsbezogen zu reagieren, indem er Kompromisse anbietet oder akzeptiert, die mit den gemeindlichen Interessen noch im Einklang stehen.10 Die Weisung der Gemeinde als Rechtsakt kann nur verbindlich sein, wenn sie selbst rechtmäßig ist. Eine rechtswidrige Weisung braucht nicht befolgt zu werden. Außerdem gebietet es die Fürsorgepflicht der Gemeinde dem ehrenamtlich Tätigen gegenüber, ihn nicht zu rechtswidrigen Handlungen anzuweisen. Im Übrigen muss die Gemeinde bei ihren Entscheidungen, die letztlich in eine Weisung einmünden, den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung beachten. Sie darf also, auch wenn sie formal dazu berechtigt ist, von dem Vertreter nichts verlangen, womit dieser gegen die Rechtsordnung verstößt. Eine Gemeinde darf daher von einem Aufsichtsratsmitglied kein gesellschaftswidriges Verhalten verlangen.11 Setzt das Organmitglied eine derart rechtswidrige Weisung um und kommt es zu einem insoweit weisungswidrigen Beschluss, ist er gleichwohl wirksam. Kommunalrechtliche Regelungen können nicht in die allein maßgeblichen Wirksamkeitsbestimmungen des Bundes eingreifen. 12

2. Am Beispiel kommunaler Weisungsrechte: das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht

Kommunalrechtlich zeigt sich also ein aus Sicht gestaltungsfreudiger Gemeindevertreter erfreulicher Befund. Das Landesrecht will ersichtlich den politischen Einfluss des kommunalen Gesellschafters auf die Geschäftspolitik des Unternehmens sichern. Das Bundesrecht hält allerdings Einschränkungen bereit. Worauf sich diese Einschränkungen gründen, wird in der Rechtsprechung nicht immer begründet. Die Rechtsprechung geht vielfach ohne nähere Begründung davon aus, dass bundesrechtliches Gesellschaftsrecht kommunalrechtlichen Vorschriften vorgeht.13 Die Literatur folgt dieser Auffassung14 und begründet den Vorrang des Gesellschaftsrechts mit Art. 31 GG. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge knüpft Art. 31 GG den Geltungsvorrang des Bundesrechts an eine Normenkollision. Die Vorschrift regelt „die Lösung von Widersprüchen zwischen Bundes- und Landesrecht. […] Art. 31 GG löst die Kollision von Normen und setzt daher zunächst voraus, dass die Regelungen des Bundes- und Landesrechts auf denselben Sachverhalt anwendbar sind.15 Geht es um die wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde in privatrechtlicher Rechtsform, ist zu beachten, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG dem Bund die Befugnis zur konkurrierenden Gesetzgebung für das „Recht der Wirtschaft“ zuweist, und damit einen Regelungsspielraum statuiert, der nach zutreffender Bewertung in der Kommentarliteratur als einer der „wirkmächtigsten im Katalog der konkurrierenden Bundeskompetenzen“ aufzufassen ist.16

Die Kompetenz des Bundes erfasst das öffentliche wie das private Wirtschaftsrecht sowie die wirtschaftliche Betätigung Privater und der öffentlichen Hand.17 Von dieser Kompetenz getragen sind auch die Regelungen des AktG und des GmbHG. Soweit diese auch Aussagen in Bezug auf Weisungsrechte zulasten von Aufsichtsratsmitgliedern und Gesellschaftervertretern enthalten, gehen sie den jeweiligen Bestimmungen des kommunalen Wirtschaftsrechts vor.

 

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Entnommen aus VBlNds 5/2022.

 

* Dem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, den der Verfasser auf den 32. Bad Iburger Gesprächen am 17.11.2021 in Osnabrück gehalten hat.

1 BVerfG, NJW 1982, 2173, 2175; mwN statt vieler Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 983.

2 Pagenkopf, GewArch 2000, 177.

3 Gern/Brüning, a. a. O.., Rn. 1006.

4 Der Weg in die AG ist der Gemeinde nur in Mecklenburg-Vorpommern versperrt, vgl. § 68 Abs. 4 S. 2 GO MV.

5 Wie hier Altmeppen, NJW 2003, 2561.

6 So zutreffend Dünchheim/Gräler NVwZ 2019, 1225, 1230 unter Verweis auf BVerfG NVwZ 2018, 51, 56.

7 BeckOK KommunalR Nds/Klaß-Dingeldey, 19. Ed. 01.10.2021, NKomVG § 138 Rn. 10.

8 §§ 138 Abs. 8 NKomVG, 97 Abs. 2 S. 1 BbgKVerf.

9 PdK-Nds/Wefelmeier NKomVG § 138 Rn. 14; BeckOK KommunalR Nds/Klaß-Dingeldey, 19. Ed. 01.10.2021, NKomVG § 138 Rn. 13.

10 PdK SH/Borchert, GO § 25 Rn. 8.

11 BGH, NJW 1963, 862, 867.

12 Schwintowski, NJW 1995, 1316, m. w. N. beispielhaft nur Müller, in: BeckOK, Kommunalrecht Baden-Württemberg, § 104 GO, Rn. 12.

13 Vgl. z. B. OVG NRW, NVwZ 2007 S. 609, HessVGH, NVwZ-RR 2012, S. 566 unter Bezugnahme auf BGHZ 36, 296, 306, SächsOVG, NVwZ-RR 2013 S. 63.

14 Vgl. z. B. Strobel, DVBl 2005 S. 77, 80 m. w. N.

15 BVerfGE 96, 345, 364, zusammenfassend m. w. N. Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, 95. EL Juli 2021, GG Art. 31 Rn. 8.

16 Dreier GG/Wittreck, 3. Aufl. 2015, GG Art. 74 Rn. 50.

17 Dreier GG/Wittreck, ebd.; s. auch BVerfG (K), JZ 1982, 288.

 

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Prof. Dr. Matthias Dombert

Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Potsdam
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