25.07.2022

Übertragung der Corona-Kredite auf Klimafonds verfassungsgemäß? (1)

Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft – Teil 1

Übertragung der Corona-Kredite auf Klimafonds verfassungsgemäß? (1)

Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft – Teil 1

Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Nach dem eingebrachten Nachtrag für den Bundeshaushalt 20212 sollen aus dem Haushalt 2021 Mittel aus veranschlagten, aber nicht benötigten Kreditermächtigungen für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der deutschen Volkswirtschaft genutzt werden (Teil 1).

Dazu werden dem Energie- und Klimafonds, der künftig zu einem Klima- und Transformationsfonds weiterentwickelt werden soll, 60 Mrd. € zugeführt. Die Kreditaufnahmen der Bundeshaushalte 2020 und 2021 waren mit dem Ausnahmetatbestand der Art. 109 und 115 GG mit der vom Staat nicht zu beeinflussenden Corona-Krise begründet worden. Im Bundeshaushalt 2020 war eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 217,8 Mrd. € vorgesehen. Davon wurden 130,5 Mrd. € in Anspruch genommen, also 87,3 Mrd. € weniger als vorgesehen. Im Bundeshaushalt 2021 betrug die haushaltsrechtlich zulässige Nettokreditaufnahme 240,2 Mrd. €, das waren 216,4 Mrd. € mehr als 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP).3

1. Kreditfinanzierung von Staatsausgaben

Der Bund darf jährlich 0,35 % des BIP an Krediten aufnehmen. Das waren im Herbst 2021 rund 12 Mrd. €4, dazu erlaubt die „atmende“ Schuldenbremse5 eine Kreditaufnahme zum Ausgleich von Konjunkturschwankungen6. Das nutzbare Volumen betrug im Herbst 2021 rund 16 Mrd. €7. Darüber hinaus gibt es im Normalfall keine weiteren Kreditfinanzierungen im Bundeshaushalt.


Um die Handlungsfähigkeit des Staates in Ausnahmesituationen zu sichern, gibt es nach Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 2 GG eine eng begrenzte Ausnahme. Unstreitig ist die Corona-Krise ein solcher Ausnahmefall, den der Bundestag erstmals durch Beschluss von Ende März 2020 für ein Jahr8 festgestellt hat. Dafür hatte der Bund im 1. Nachtrag 20219 eine Erhöhung der Kreditaufnahme von 60,4 Mrd. € vorgesehen.

Nun zeigt sich, dass diese Mittel in einem Umfang von 60 Mrd. € nicht für die ursprünglich vorgesehenen Zwecke benötigt werden.

Angesichts der niedrigen Zinsen übt das „süße Gift“ der Schuldenfinanzierung wieder große Faszination aus. Warum nicht Wünschenswertes mit Schulden finanzieren? Es kostet doch nichts! Ja, der Staat bekommt teilweise noch Negativ-Zinsen und „verdient“ etwas an Krediten. Das bedarf einer vertieften Betrachtung: Kredite selbst sind weder gut noch böse. Sie sind wie das Feuer, dies kann wärmen, dann ist es gut. Es kann aber auch verbrennen, dann ist es böse. Sie sind wie Waffen: Wenn sie der Polizist zum Schutz bedrohter Bürger einsetzt, sind sie gut. Wenn sie der Bankräuber benutzt, um Geld zu erpressen, sind sie böse. Es kommt also immer darauf an, was man mit Schulden macht!

a) Kredite erweitern Investitionskraft nicht

Kredite selbst vergrößern die Wirtschaftskraft nicht. Möglich ist nur, den Zeitpunkt zu verändern, zu welchem man sie einsetzt. Wenn man anspart, d. h. für eine gewisse Zeit weniger ausgibt als an Kaufkraft zur Verfügung steht, kann man die über einen längeren Zeitraum zufließende Kaufkraft auf einen Zeitpunkt konzentrieren.

Leiht man seine Konsumkraft, auf deren Nutzung man in der Zeitspanne des Ansparens verzichtet, einem Dritten, bekommt man in der Regel für den eigenen Verzicht einen Preis, den Zins. Wenn man seine künftige Kaufkraft vorziehen will, muss man jemanden finden, der seine Kaufkraft derzeit selbst nicht einsetzen will und sie jemandem leiht. Dann muss man dem anderen für seinen vorläufigen Verzicht etwas geben, den Zins. Durch eine Schuldenfinanzierung wird also die einsetzbare Konsumkraft nicht mehr, sondern weniger, denn man muss sie künftig nicht nur zurückgeben, sondern auch noch verzinsen.

Investitionen sind bilanziell ein Aktiv-Tausch; wenn ich Geld gegen ein anderes Wirtschaftsgut eintausche, dann ändert sich die Zusammensetzung des Vermögens, es bleibt aber in der Summe unverändert. Wenn ich kreditfinanziert einen Vermögenswert erwerbe, handelt es sich um eine Aktiv-Passiv-Mehrung. Damit ändert sich die Vermögenslage unter dem Strich auch nicht. Ich habe zwar mehr Vermögen, aber auch gleichzeitig mehr Schulden. Insofern hat dieser Vorgang isoliert betrachtet keine Auswirkungen auf die Vermögenslage.

b) „Investitionen“ sind Zwischenstufe auf dem Weg zum Wertverzehr

Der Unterschied zwischen einer Investition zu einer konsumtiven Ausgabe liegt darin, dass „konsumtive Ausgaben“ Beschaffungen sind, die im Jahr der Beschaffung verbraucht werden. Investitionen werden beschafft, um sie über einen längeren Zeitraum, der über eine Rechnungsperiode hinausgeht, nutzen zu können. An der Tatsache des Verbrauches ändert sich aber nichts. Der Unterschied liegt nur darin, dass einmal der Verbrauch im Beschaffungsjahr erfolgt und in der anderen Fallgruppe über mehrere Rechnungsperioden. Aber Verbrauch bleibt Verbrauch. Die Investition ist also nur ein Zwischenstadium auf dem Weg zum Vermögensverzehr.

Festzuhalten bleibt: Jede Investition wird zum Zeitpunkt ihrer Nutzung Aufwand, also konsumtiv, nämlich dann, wenn das damit beschaffte Wirtschaftsgut „gebraucht“ und damit „verbraucht“ wird. Dies wird in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen oder geflissentlich ausgeklammert. Investitionen sind immer nur eine Vorstufe, ein Durchgangsstadium auf dem Wege zum Verbrauch.

In der doppischen Rechnungslegung wird dies dadurch nachvollzogen, dass Abschreibungen über die Dauer der Nutzung des Wirtschaftsgutes als Aufwand abgebildet werden. In Form der Abschreibung werden dann die Investitionen zum „Aufwand“ oder Vermögensverzehr. Weil der Verbrauch mit laufenden Erträgen finanziert werden muss, wird gewährleistet, dass eine Generation nur das verbraucht, was sie auch erwirtschaftet.

c) Kreditfinanzierte Güter werden im kameralen Rechnungswesen nicht abgeschrieben

Leider verfahren Bund und Länder mit Ausnahme von Hamburg und Hessen10 nicht so. Sie verbuchen in ihren kameralistischen Rechnungen keine Abschreibungen als Aufwand und tilgen die Kredite nicht. Sie schulden nach Ablauf der Laufzeit des Kredites nur um. Sie nehmen also einen neuen Kredit auf und befriedigen mit der eingehenden Liquidität den Gläubiger des bisherigen Kredites. Nach der Verbuchung der Investition erscheint der Vorgang nicht mehr im Rechenwerk. In der Realität verliert das Investitionsgut aber durch seinen Gebrauch an Wert, bis dieser völlig verschwunden ist. Der Kredit bleibt aber auf Dauer als Passivposten in der Bilanz. Das bedeutet, dass für alle seit 1969 vorgenommenen Investitionen noch heute Zinsen zu zahlen sind, weil die Kredite noch in der Bilanz stehen, auch wenn die dafür beschafften Wirtschaftsgüter, wie z.B. Kraftfahrzeuge, längst verbraucht und untergegangen sind. Es ist keine Finanzierung aus ordentlichen Finanzmitteln, d.h. laufenden Einnahmen, erfolgt. Die Kosten werden in Form von ewigen Zinsen für die Finanzierung auf künftige Generationen verlagert. Ab 1969, weil zu diesem Zeitpunkt mit einer großen Haushaltsreform11 die Möglichkeit eingeräumt wurde, Investitionen mit Krediten zu finanzieren12.

Gravierende Folge: Wenn das Wirtschaftsgut verbraucht ist, ist keine Refinanzierung erfolgt. Das bedeutet, dass der Staat weiterhin den Kredit verzinsen muss, davon aber keinerlei Nutzen mehr hat. Wird ein neues Wirtschaftsgut als Ersatz beschafft, wiederholt sich dieser Prozess und das Problem kumuliert sich.

Bei den Kommunen, die die Doppik anwenden müssen, wird der Werteverzehr durch Abschreibungen als Aufwand in die laufende Rechnungsperiode eingestellt und so gewährleistet, dass der Vermögensverzehr aus laufenden Erträgen finanziert wird. Damit wird gewährleistet, dass eine Generation nur das verbraucht, was sie auch erwirtschaftet13.

Daran ändert sich auch nichts, wenn ein solcher Kredit wegen Ablauf der Beleihungsfrist ausläuft. Durch die dann regelmäßig bei Bund und Ländern erfolgende Umschuldung fließt keine Liquidität zu, die für neue Investitionen genutzt werden könnte. Sie wird ausschließlich dafür verwendet, den bisherigen Gläubiger zu befriedigen. Es wird also nur der eine Kredit durch einen anderen ersetzt. Bilanzmäßig hat sich die Vermögenslage verschlechtert, weil der aktive Teil der Bilanz faktisch verbraucht wurde und der passive Teil, der Kredit, noch in vollem Umfange fortbesteht.

Die daraus resultierenden Probleme sind in der Vergangenheit durch große Wachstumsraten verdeckt worden. Der Zinsanteil im Haushalt ist ständig gestiegen, ohne dass damit Gegenleistungen für die Bevölkerung entstanden sind.

Solange eine Volkswirtschaft stärker wächst als der Staatsverbrauch, fällt dieser Prozess nicht auf, weil die sich auftürmenden Zinslasten aus den Wachstumsraten, die nicht vom Staatsverbrauch aufgezehrt werden, finanziert werden können. So war es lange in der Bundesrepublik.

d) Nullzins-Politik verdeckt Probleme und täuscht Haushaltsspielräume vor

Dazu kam die Vernachlässigung der Pflege der Infrastruktur. Weil hier zu wenig getan wurde – weil hier von der Substanz gelebt wurde –, wurde der Staatsverbrauch künstlich niedrig gehalten. Die Folgen erleben wir gegenwärtig, wo beispielsweise eine Unzahl von Brücken nicht mehr funktionsfähig sind und praktisch gleichzeitig erneuert werden müssten. Weil das nicht möglich ist, erleben wir teure Verkehrsbeschränkungen und Umleitungen.

Anders in Volkswirtschaften, in denen nur geringe Wachstumsraten zu verzeichnen sind. Immer wenn die Wachstumsrate – wie gegenwärtig in der Bundesrepublik – nur noch dazu ausreicht, die inflationsbedingten Steigerungen der vorhandenen konsumtiven Lasten des Staates zu finanzieren, bleibt kein finanzieller Spielraum für das Auffangen von Kreditfinanzierungen.

In der Bundesrepublik sind wir in den Jahren der „schwarzen Null“ einer Täuschung dahingehend erlegen, dass der Bundeshaushalt finanzielle Spielräume aufweist, weil durch die „Nullzinsen“ der Bund seine Etatansätze für Zinszahlungen in dem Maße reduzieren konnte, wie er vorhandene Schulden auf „Null-Zinsen“ umschulden konnte.

Durch diese Maßnahme sind zwar aktuell keine Zinsen fällig, aber da die Laufzeiten nicht unendlich sind, bleibt das Zinsrisiko in vollem Umfange erhalten. Der Bund hat keinerlei Einfluss darauf, wie lange dieser Zustand anhält. Er ist dem Risiko in voller Höhe ausgeliefert, weil er nicht die Möglichkeit hat, bei Auslaufen der Zinsbindung die Darlehen zu tilgen. Dazu fehlen die Mittel. Er hat das Risiko sogar noch dadurch erhöht, dass er die vermeintlichen „Haushaltsspielräume“ durch konsumtive Verpflichtungen ausgefüllt hat.

Für die Bundes- und Landeshaushalte bleibt das Zinsrisiko, denn nach allgemeiner Auffassung kann die Nullzinspolitik nur ein Ausnahmezustand sein und mit zunehmender Inflation werden auch wieder Realzinsen kommen. In den USA und dem Vereinigten Königreich ist diese Entwicklung schon sichtbar und wird auch in absehbarer Zeit in den Euroraum überschwappen.

Eine nachhaltige Finanzpolitik muss Vorsorge treffen und in der mittelfristigen Finanzplanung dieses Zinsrisiko abbilden. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Nachhaltigkeit bei den Umweltfragen vom März 202114, dessen Grundsätze der Generationengerechtigkeit auch im Finanzbereich gelten, erhöht den Handlungsdruck.

 e) Andere Verschuldungsquoten ändern nichts

Die Verschuldungsquoten durch den Maastricht-Vertrag15 oder durch den Stabilitätspakt16 setzen diese Grundsätze nicht außer Kraft. Diese Regelwerke stehen ebenso wie die innerstaatliche Schuldengrenze neben den finanzwirtschaftlichen Grundfragen und der Generationengerechtigkeit. Selbst wenn man die Quoten verändern würde, bleiben die aufgezeigten Grenzen wegen der notwendigen Beachtung der Generationengerechtigkeit und der durch die Legislaturperiode begrenzten Entscheidungsbefugnis bestehen.

f) Bundesverfassungsgericht: „intertemporalen Freiheitssicherung“ –Generationengerechtigkeit

Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer „intertemporalen Freiheitssicherung17“ und von einer Verwirkung der Grundrechte18 im Hinblick auf sich verengende Entscheidungsmöglichkeiten, die im Hinblick auf sich verengende (hier Grundrechtseinschränkungen) Handlungsmöglichkeiten zu deren Verhinderung jetzt eine staatliche Handlungspflicht bewirken. Aus diesem Gesichtspunkt muss der Bund alles unterlassen, was unverhältnismäßige Vorbelastungen künftiger Generationen bewirkt.

Der Bund und die Länder müssen also für potentielle Zinszahlungen mindestens in der Finanzplanung Deckungsmittel für die Zinsen der aufgenommenen Kredite einstellen.

Wenn diese im aktuellen Haushalt nicht gebraucht werden, würde eine nachhaltige Finanzpolitik diese zur Sondertilgung einsetzen. Keinesfalls darf dieser Spielraum durch konsumtive Dauerverpflichtungen belegt werden, wie es die Bundesrepublik unter der großen Koalition getan hat. Das führt unweigerlich zu Haushaltsnöten.

Bei der Kreditaufnahme gilt insbesondere der Grundsatz der „Generationengerechtigkeit“. Dieser besagt, dass keine Generation mehr verbrauchen darf, als sie selbst erarbeitet.

Alles was sie mehr verbraucht, muss von den künftigen Generationen wieder abgetragen werden und geht ihnen von der von ihr erarbeiteten Konsumkraft verloren.

Erstmalig wurde der Grundsatz der „Nachhaltigkeit“ vom Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz im Jahre 1713 in seinem für die Forstwirtschaft und Kameralistik grundlegenden Werk „Sylvicultura oeconomica oder Hauswirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baumzucht“ (übersetzt von Harald Thomasius, Bernd Bendix Verlag Kessel, 2013) anlässlich der großen Nachfrage nach Holz für die Flottenbauprogramme formuliert. Er hat nachgewiesen, dass der Wald verschwindet und überhaupt kein Holz mehr zur Verfügung steht, wenn mehr Holz geerntet wird als nachwächst.

Das Verbot der Kreditaufnahme hat eine ähnliche Schutzfunktion wie das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG)19. Durch das KSG wird die Möglichkeit der Erzeugung von CO2, die auf Dauer ganz verboten werden soll, bewirtschaftet. Weil Kredite künftige Ressourcen binden, soll die Möglichkeit der Nutzung begrenzt werden, um die Leistungsfähigkeit des Staates auf Dauer zu sichern. Insofern lassen sich die Maßstäbe und Grundüberlegungen der Entscheidung des BVerfG durchaus auf den Finanzsektor übertragen.

g) Bund und Länder finanzieren Verbrauch mit Krediten

Bund und Länder, die ohne Abschreibungen und ohne Tilgung wirtschaften, finanzieren konsumtive Ausgaben mit Krediten20. Das widerspricht dem Grundgesetz.

Zu unterscheiden sind die erste Phase von 1949 bis zur Haushaltsreform im Jahre 1969, die Phase von 1969 bis 2009 bis zum in Kraft treten der Schuldenbremse und die jetzt gültige Konstellation mit der Schuldenbremse.

– Ursprünglich sah das Grundgesetz grundsätzlich keine Kreditfinanzierung vor. Sie war nur ausnahmsweise bei außerordentlichem Bedarf zur Finanzierung von „werbenden Ausgaben“ zulässig21. Hier konnten im Rahmen des außerordentlichen Haushaltes Kredite für ganz konkrete Vorhaben aufgenommen werden. Weil die Rückführung der Kredite an gleicher Stelle ebenfalls im Rahmen des „außerordentlichen Haushaltes“ erfolgte, war sichergestellt, dass die dauerhafte Finanzierung der damit verbundenen Aufwendungen aus ordentlichen Haushaltsmitteln und damit aus ordentlichen Einnahmen von Bund und Ländern erfolgte.

Bei den Kommunen trat der gleiche Effekt dadurch ein, dass diese durch die Kommunalaufsicht zur Tilgung verpflichtet waren, und die Tilgung musste durch ordentliche Haushaltsmittel finanziert werden.

– Nach der Haushaltsreform von 1969 waren Kreditaufnahmen zur Finanzierung von Investitionen und zur Konjunktursteuerung erlaubt22. Da Bund und Länder Kredite nicht getilgt haben, führte das zur Finanzierung von konsumtiven Ausgaben durch Kredite23.

– Nach Einführung der Schuldenbremse als Ergebnis der Föderalismuskommission24 sind Kredite bei den Ländern nicht mehr erlaubt und beim Bund nur bis zur maximalen Höhe von 0,35 % des BIP. Außerdem in Notlagen25, hier ist allerdings vorgeschrieben, dass diese Kredite getilgt werden müssen26. Damit ist zumindest unter Einschluss des Tilgungszeitraumes sichergestellt, dass die Finanzierung nachträglich mit ordentlichen Haushaltsmitteln erfolgt. Hier hat also der Gesetzgeber erlaubt, dass ausnahmsweise ein Vorgriff auf künftige Haushaltsperioden gemacht werden darf.

Durch Kreditfinanzierung ohne Tilgung und Abschreibungen verlagern Bund und Länder damit zwangsweise Lasten von heutigen Verbrauchern auf zukünftige Generationen, denn diese müssen für die Schulden der in der Vergangenheit verbrauchten Wirtschaftsgüter künftig noch Zinsen zahlen, weil die dafür aufgenommenen Kredite noch in der Bilanz vorhanden sind. Dies schränkt ihre Konsummöglichkeiten ein, weil sie Zinsen für Kredite aufzubringen haben, obwohl dafür keine Gegenleistungen mehr vorhanden sind, weil die mit den zugrunde liegenden Kreditmitteln beschafften Güter bereits verbraucht sind. Damit liegt eine Lastenverlagerung auf künftige Generationen vor.

Unter demokratischen Gesichtspunkten ist dieses Verfahren problematisch, weil zum jetzigen Zeitpunkt über die Kaufkraft von künftigen Wahlperioden disponiert wird, für die es den gegenwärtigen Entscheidungsträgern an einer demokratischen Legitimation fehlt.

h) Wesensunterschied von Wirtschaftskrediten und Staatskrediten

Es wird immer betont, dass zwischen Staatskrediten und Privatkrediten ein großer Unterschied besteht. Das ist richtig. Aber dieser Unterschied besteht nicht darin, dass man Staatskredite unbedenklich aufnehmen kann. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Wirtschaftlich aufgenommene Kredite sorgen dafür, neue Produktionsmöglichkeiten zu schaffen. Über diese zusätzlichen Produktionsmöglichkeiten werden dann bisher nicht vorhandene Erträge in Form von Veräußerungserlösen generiert. Privatwirtschaftliche Investitionen machen nur dann Sinn, wenn durch die zusätzlich zur Verfügung stehende Wertschöpfung mehr erzielt wird, als durch die Abschreibungen und die Verzinsung an Aufwand entsteht. Sie erwirtschaften also netto zusätzliche Einnahmen.

Bei Staatskrediten ist in der Regel genau das Gegenteil der Fall: Sie führen dazu, dass neue Einrichtungen mit Betriebskosten geschaffen werden. Dadurch entstehen zusätzliche konsumtive Ausgaben in Form von Verbrauchsmaterialien, Personalkosten für das Bedienungspersonal, Bauunterhaltungs- und Heizkosten usw., bei mit Krediten finanzierten Einrichtungen zusätzlich Zinskosten. Der Gesamthaushalt wird also netto nicht entlastet, sondern belastet.

Das Problem lässt sich auch nicht durch Übertragung auf selbstständige oder  unselbstständige Sonderorganisationen lösen. Unter dem Strich sind die Folgekosten für alle staatlichen Angebote auch aus dem Staatshaushalt zu finanzieren, wenn ihnen nicht eigene kostendeckende Einnahmen, wie bei vielen Leistungen der Daseinsvorsorge, z. B. Wasser, Abwasser, Telekommunikation oder Energie, gegenüberstehen. Wenn das nicht der Fall ist, wie bei Verkehrseinrichtungen, kulturellen Leistungen usw., dann ist auch Drittorganisationen nur eine Leistungserstellung und Finanzierung möglich, wenn öffentliche Haushalte, die der Schuldenbremse unterliegen, diese Finanzierung sicherstellen.

Der Neuregelung der Art. 109, 115 GG würde es widersprechen, Kreditaufnahmen und Tilgungsverpflichtungen – wie in der Vergangenheit – auch weiterhin anzusammeln und die staatliche Gesamtverschuldung damit kontinuierlich zu erhöhen27. Das gilt unabhängig davon, an welcher Stelle diese staatlichen Verpflichtungen entstehen.

Selbstständige Sondervermögen wie die Bahn oder Post verfügen über eigene Einnahmen und sind in diesem Rahmen frei von der Schuldenbremse. Allerdings können sie nur im Rahmen ihrer Investitionskraft investieren. Zuschüsse des Bundes unterliegen den Beihilfevorschriften und müssten im Bundeshaushalt etatisiert werden.

i) Inflation löst das Problem nicht

Dem kann man auch nicht entgegenhalten, dass die Geldentwertung auf Dauer das Problem des Kredites erledigen würde. Geht man von einer Inflationsrate von 2 % aus, wie sie die EZB anstrebt und wie wir sie in der Zeit von der Finanzkrise bis heute auch faktisch gehabt haben, dauert es mehr als 300 Jahre, bis sich ein heute aufgenommener Kredit durch Inflation kaufkraftmäßig „verflüchtigt“ hat. In dieser Zeit hat man real mit 2 %inflationsbereinigt das 1,76-fache des Nutzwertes für Zinsen aufgewandt, wenn man von einem Zinssatz von 3,5 % – wie er überwiegend für Staatskredite in Deutschland aufzuwenden war – ausgeht. Real wäre allein für die Finanzierung somit fast das Dreifache des nominalen Preises für die Leistungen durch die Gesellschaft aufzuwenden. Es ist also genau das Gegenteil von dem angeblich günstigen Nullzins gegeben.

Nominal wäre der Zinsaufwand das 10,5-fache des Investitionswertes. Damit zeigt sich, dass kreditfinanzierte zusätzliche Investitionen gegenwärtig unverantwortlich wären.

j) Tilgungsaufschub vergrößert Probleme

Auch ein Tilgungsaufschub28, wie er in der politischen Diskussion erörtert wird, löst das Problem nicht. Durch eine solche Maßnahme würde man das Zinsrisiko und die Zinskosten für die Gesellschaft deutlich erhöhen. Es zeigt sich, dass die Inflationsrate mit 5 bis 6 % in Deutschland und noch mehr in den Vereinigten Staaten die Notenbanken über kurz oder lang zu einem Einschreiten verpflichten wird. Die Null-Zins-Politik wird sich nicht auf Dauer halten lassen. Kehren wir wieder zu „normalen Verhältnissen“ zurück, was aus vielerlei volkswirtschaftlichen Gründen notwendig ist, ich denke nur an die fehlende Lenkungsfunktion des Zinses und die Probleme der Altersversorgungssysteme und Lebensversicherungen, ist wieder mit einen Zinsniveau von 3 bis 3,5 % für Staatskredite zu rechnen. Bei einer gegenwärtigen Staatsverschuldung allein beim Bund mit 1 478 Mrd. €29 bedeutet dies mittelfristig einen Zinsaufwand von 44 bis 52 Mrd. € per anno. Ein solches Volumen von zusätzlich rund 13 % des gegenwärtigen Bundeshaushaltes sprengt den Haushalt und kann nicht erwirtschaftet werden. Jede Verlängerung der Zeit bis zur Tilgung erhöht den von der Gesellschaft zu finanzierenden Zinsaufwand und ist nicht zu verantworten.

 

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Entnommen aus GK, 3/2022, Rn. 19.

 

1 entfällt

2 Bundeskabinett, Beschluss vom 13.12.2021, Entwurf eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan 2021, BT-Drucks. 20/300 vom 13.12.2021.

3 BMF, Monatsbericht Juni 2021.

4 Lt. Henneke, FAZ vom 05.01.2022.

5 Begriff von Henneke, FAZ vom 05.01.2022.

6 Art. 115 Abs. 2 Sätze 3 bis 5 GG i. d. F. von 2009 (FÖKO II – Schuldenbremse).

7 Lt. Henneke, FAZ vom 05.01.2022.

8 am 25.03.2020 mit Wirkung zum 28.03.2020.

9 RegE BT-Drucks. 19/27800 vom 25.03.2021.

10 Ausgenommen Hamburg und Hessen, die ein doppisches Rechnungssystem anwenden.

11 Haushaltsreform RegE, BT-Drucks. V/3040 vom 21.06.1968, in Kraft getreten zum 01.01.1969.

12 Art. 115: I. d. F. d. Art. I Nr. 6 G v. 12.05.1969, I 357, geändert durch G vom 29.07.2009 (BGBl I S. 2248).

13 Auch schon vor der Einführung war das bei den Kommunen faktisch so, weil sie durch die Kommunalaufsicht gezwungen waren, ihre Kredite zu tilgen und die Tilgung aus laufenden Einnahmen zu finanzieren (Mindestzuführung aus dem Verwaltungshaushalt an den Vermögenshauhalt).

14 BVerfG vom 24.03.2021 – 1 BvR 265618 –, Rn. 1–270, https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rs20210324_1bvr265618.html.

15 Amtsblatt Nr. C 191 vom 29/07/1992, S. 001 – 0110 vom 07.02.1992, in Kraft getreten zum 01.11.1993.

16 Stabilitäts- und Wachstumspakt von 2005, geändert mit Wirkung vom 01.12.2010, derzeit suspendiert; zur Reformdebatte vgl.: EU-Kommissar Paolo Gentlioni, Wir können nicht alle Länder über einen Kamm scheren, in: FAZ vom 29.12.2021.

17 a. a. O. Leitsatz 4 und Rn. 116 f und 183.

18 Vgl. dazu auch di Fabio: Freiheit und Pflicht, in: FAZ vom 30.12.2021 und Henneke: Missachtung intertemporaler Freiheitssicherung, in: FAZ 05.01.2022.

19 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) vom 12.12.2019 (BGBL. I S. 2513).

20 Siehe oben 1b.

21 Art. 115 GG i. d. F. von 1949, BGBl. S. 1 ff.

22 Art. 115 GG i. d. F. von 1969.

23 Vgl. dazu die Ausführungen unter 1.

24 Art. 115 i. d. F. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) (GGÄndG) vom 29.07.2009, BGBl. I S. 2248 (Nr. 48); Geltung ab 01.08.2009 – Schuldenbremse der II. Föderalismuskommission.

25 Z.B. zur Finanzierung der Coronafolgen in den Jahren 2020 bis 2022.

26 Art. 115 GG Abs. 2 Sätze 7 und 8 i. d. F. der Schuldenbremse von 2009.

27 Urteil des Hess. Staatsgerichtshofes vom 27.10.2021 – P.St. 2783, P.St. 2827 Rn. 294.

28 Zu den Grenzen vgl. Urteil des Hess. Staatsgerichtshofes vom 27.10.2021 – P.St. 2783, P.St. 2827 – LS 15 und Rn. 290 ff.

29 Statista, https://de.statista.com/themen/90/staatsverschuldung/.

 

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Die Serie: Übertragung der Corona-Kredite auf Klimafonds verfassungsgemäß?

 

 

 

Jochen-Konrad Fromme

Rechtsanwalt, Mitglied des Deutschen Bundestags a. D., Haverlah
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