04.03.2022

„Können“ Gemeinderäte qualifizierte Aufsichtsräte sein?

Fachwissen, Unabhängigkeit und zeitliche Verfügbarkeit als Elemente qualifizierter Aufsichtsratsbesetzung

„Können“ Gemeinderäte qualifizierte Aufsichtsräte sein?

Fachwissen, Unabhängigkeit und zeitliche Verfügbarkeit als Elemente qualifizierter Aufsichtsratsbesetzung

Aufsicht auf einem Zettel

Aufsichtsratsorgane kommunaler Unternehmen werden aus Gründen der demokratischen Legitimation in der Regel proporzorientiert durch Gemeinderatsmitglieder besetzt. Immer wieder stehen letztere jedoch in der Kritik, den Qualifikationsanforderungen an kommunale Aufsichtsratsmandate nicht zu entsprechen.

Wie der Aufsichtsratsforscher Donald C. Hambrick zusammen mit Kollegen schon im Jahr 2015 zeigt, gehören zur qualifizierten Aufsichtsratsbesetzung jedoch verschiedenste individuelle Anforderungskriterien, welche die Frage des „Könnens“ adressieren. Hierzu zählen seiner Ansicht nach drei Dimensionen:

  1. Fachwissen
  2. Unabhängigkeit
  3. zeitliche Verfügbarkeit

Ob und, wenn ja, inwieweit diese Kriterien bei der Auswahl kommunaler Mandatsträger durch die politischen Fraktionen als Entsendungsberechtigte berücksichtigt werden, soll im Rahmen dieses Beitrags näher untersucht werden. Grundlage hierfür bilden mehr als 30 Interviews mit Aufsichtsratsmitgliedern, Geschäftsleitungen und Beteiligungsmanagern, die im Zuge eines Forschungsprojekts der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer zur „Aufsichtsratsarbeit in kommunalen Unternehmen“ geführt wurden.


Fachwissen kommunaler Aufsichtsratsmitglieder

Fachwissen stellt ein zentrales Anforderungskriterium an Aufsichtsräte dar – wenngleich der Gesetzgeber diesbezüglich für die allermeisten kommunalen Aufsichtsratsorgane keine Forderungen ausspricht. Klar ist bei der Besetzung kommunaler Aufsichtsräte jedoch auch, dass die Auswahl kommunaler Aufsichtsratsmitglieder einer völlig anderen Logik folgt als in klassisch privatwirtschaftlichen Unternehmen. Während sich letztere grundsätzlich weltweit auf die Suche nach fachlich qualifizierten Personen begeben können, fällt der Kandidatenpool kommunaler Aufsichtsratsgremien wesentlich kleiner aus. Er speist sich in aller Regel aus der Gesamtzahl an Gemeinderatsmitgliedern – welche von Parteien und Wählergemeinschaften im Rahmen der Kommunalwahl aufgestellt und von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden. Oberstes Auswahlkriterium ist bei kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern folglich in der Regel nicht die Fachlichkeit einer Person, sondern ihre Parteizugehörigkeit. Dies führt natürlich nicht unbedingt dazu, dass kommunale Mandatsträger kein Fachwissen aufweisen. Ganz im Gegenteil, die politischen Fraktionen bemühen sich den Ergebnissen dieser Studie zufolge sehr, zumindest die wichtigen Unternehmen einer Kommune mit ihren fachlich qualifiziertesten Aufsichtsratskandidaten zu besetzen. Gleichwohl haben Parteien, mitunter aufgrund wachsender Politikverdrossenheit, oftmals aber ein Nachwuchsproblem. Erschwerend kommt hinzu, dass heutzutage auch zunehmend den Forderungen nach Gender-Diversität entsprochen werden muss. Außerdem werden die fachlichen Anforderungen an viele Mandate immer größer. Vor diesem Hintergrund nehmen selbst die politischen Fraktionen wahr, dass Mandatsträger zeitweise an Wissens- und Kompetenzgrenzen stoßen. Auch strukturell steht der Besetzungsprozess vor großen Herausforderungen. So gibt es im kommunalen Bereich keinerlei an fachlichen Kriterien orientierte Gesamtgremienzusammensetzung. Die Identifikation und Auswahl von Aufsichtsratskandidaten erfolgt stets fraktionsintern für alle einer Fraktion zustehenden Mandate.

Unabhängigkeit kommunaler Aufsichtsratsmitglieder

Aufsichtsräte müssen in der Lage sein, ihre Geschäftsleitung unabhängig beraten und kontrollieren zu können. Der Gesetzgeber schafft hierfür entsprechende Voraussetzungen. So sorgt das deutsche dualistische Corporate Governance-System dafür, dass kommunale Aufsichtsräte aufgrund der Trennung zwischen Kontroll- und Leitungsorgan eine wesentlich größere räumliche Distanz zur Geschäftsleitung haben, als dies im monistischen System anderer Länder möglich wäre. Neben diesen klaren gesetzlichen Regelungen wird von Aufsichtsräten aber auch erwartet, dass sie frei von Interessenskonflikten beispielsweise gegenüber Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern des kommunalen Unternehmens sind.

Wie die Studienergebnisse der Forschungsarbeit zeigen, scheint dies nicht immer zu gelingen. So ist Voraussetzung für die Wahl zum Gemeinderat – und damit einhergehend indirekt auch für die Wahl zum Aufsichtsrat – ein sogenanntes Wohnortsprinzip. Das heißt, in den kommunalen Aufsichtsräten sitzen nur Gemeinderäte, die auch ihren Wohnsitz innerhalb einer Kommune haben. Hierdurch bleibt es oft nicht aus, dass Aufsichtsratsmitglieder ihrem Hauptberuf bei einem Kunden, Lieferanten oder Wettbewerber des kommunalen Unternehmens nachgehen. Den politischen Fraktionen sind diese Gefahren bewusst. Letzten Endes scheint ihre Besetzung jedoch oftmals eine Abwägungsentscheidung zwischen möglichst großer Fachlichkeit und möglichst großer Unabhängigkeit zu sein. Beispielhaft hierfür kann ein Aufsichtsratsmitglied eines kommunalen Stadtwerks genannt werden, welches zugleich bei einem regional benachbarten Konkurrenten seiner hautberuflichen Tätigkeit nachgeht. Aus Sicht der Fraktion bringt solch eine Person einen ausgeprägten branchenspezifischen Wissensschatz mit. Bei gewissen Entscheidungsfindungen im Aufsichtsratsgremium können jedoch Interessenskonflikte entstehen.

Zeitliche Verfügbarkeit kommunaler Aufsichtsratsmitglieder

Die zeitliche Verfügbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern wird seitens des Gesetzgebers durch Regelungen zu Mandatsobergrenzen adressiert, welche jedoch auf die allermeisten kommunalen Unternehmen keine Anwendung finden. Gleichwohl zeigen die Studienergebnisse aber, dass hinsichtlich der zeitlichen Belastung von Mandatsträgern – auch aus Sicht der Fraktionen – eine große Herausforderung besteht. So führen die Zersplitterung der Parteienlandschaft im Gemeinderat, die wachsende Anzahl an Unternehmen innerhalb einer Kommune sowie „aufgeblähte“ Aufsichtsratsgremien, um so möglichst alle Fraktionen im Kontrollgremium berücksichtigen zu können, bei gleichbleibender Gemeinderatsgröße dazu, dass entweder „unwichtigere“ Aufsichtsratsgremien mit weniger qualifizierteren Personen besetzt werden oder die besonders qualifizierten Fraktionsmitglieder noch mehr Mandate übernehmen müssen. Hinzu kommt, dass Aufsichtsratsunterlagen der Geschäftsleitungen aus Sicht vieler befragter Aufsichtsratsmitglieder oft als überaus umfangreich und schwer verständlich wahrgenommen werden.

Dies hat zur Folge, dass neben einem Hauptberuf und anderen Fraktionsaufgaben nicht immer hinreichend Zeit für ein umfassendes Studium aller für die Vorbereitung nötigen Unterlagen möglich ist – oder darauf vertraut wird, dass andere Gremienmitglieder besser vorbereitet sind. So schildern zwar viele Befragte, dass die Zeiten, in denen Aufsichtsratsmitglieder erst zu Beginn der Sitzung ihren Umschlag mit den Aufsichtsratsunterlagen öffneten, lange vorbei seien. Ganz im Gegenteil bestehe bei vielen kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern das Bewusstsein für die Notwendigkeit, Aufsichtsratssitzungen angemessen vorzubereiten. Dies ändert jedoch nichts an deren grundlegend hoher zeitlicher Belastung, die gepaart mit etwaigen Wissensgrenzen Sitzungsvorbereitungen erschwert.

Festgehalten werden kann, dass Fachwissen, Unabhängigkeit und zeitliche Verfügbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder wichtige Aspekte einer qualifizierten Aufsichtsratsbesetzung darstellen. Auch die politischen Fraktionen sind hierfür sensibilisiert. Gleichwohl stehen kommunale Aufsichtsratsorgane aufgrund ihrer proporzorientierten Aufsichtsratsbesetzung diesbezüglich vor besonderen Herausforderungen. So ist es richtig und wichtig, dass demokratisch gewählte Gemeinderäte die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in kommunalen Aufsichtsratsgremien vertreten. Angesichts der besonderen Umstände empfiehlt es sich jedoch, die Mandatsträger noch besser bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Sei es durch Onboarding, Fort- und Weiterbildungsangebote, eine noch angemessenere Informationsversorgung oder durch einen noch etwas stärker an Qualifikationskriterien ausgerichteten Besetzungsprozess.

Die Speyerer Public Corporate Governance-Tagungsreihe, welche sich als maßgebliches Forum für Aspekte der Leitung, Kontrolle und Steuerung öffentlicher Unternehmen etabliert hat, wird sich in diesem Jahr, neben vielen anderen Themen, den besonderen Herausforderungen von Aufsichtsratsorganen widmen. Sie findet vom 4. bis 5. April 2022 als Online-Veranstaltung statt. Anmeldungen sind unter folgendem Link möglich: https://www.uni-speyer.de/weiterbildung/weiterbildungsprogramm-/-online-anmeldung

 

Dipl.-Hdl. Bettina Klimke-Stripf

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer
 

Univ.-Prof. Dr. Michèle Morner

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer Wissenschaftliches Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance (wifucg), Berlin
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