24.03.2022

Das Recht im Krieg (2)

Ein Überblick über das Humanitäre Völkerrecht – Teil 2

Das Recht im Krieg (2)

Ein Überblick über das Humanitäre Völkerrecht – Teil 2

Hauptanliegen des HVR ist es, im bewaffneten Konflikt ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu wahren. © ruslanshug – stock.adobe.com
Hauptanliegen des HVR ist es, im bewaffneten Konflikt ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu wahren. © ruslanshug – stock.adobe.com

Fortsetzung von Teil 1

Aktuell überschlagen sich die Meldungen zum Ukraine-Krieg stündlich. Es ist von Angriffen auf Krankenhäuser, Militärstützpunkte und Kinderheime die Rede. Das Rechtsgefühl sagt einem „Das dürfen die doch nicht!“, aber ist das tatsächlich so? Gibt es Regeln in einem Krieg? Dieser Beitrag soll einen Überblick über das Humanitäre Völkerrecht, seine Rechtsquellen und seine Durchsetzbarkeit vermitteln (Teil 2).

4. Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts – Zu was verpflichtet das HVR? Wer wird verpflichtet?

Hauptanliegen des HVR ist es, im bewaffneten Konflikt ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu wahren und einen Ausgleich zwischen der Berücksichtigung militärischer Interessen und der Bewahrung des Prinzips der Menschlichkeit zu schaffen.[1] Um diese Ziele zu erreichen, finden sich im HVR Bestimmungen sowohl zum Schutz von Zivilpersonen und ziviler Objekte als auch zu den Kriegsmitteln und -methoden.


Unterscheidungsprinzip

Das Unterscheidungsprinzip verpflichtet die Konfliktparteien dazu, bei allen Handlungen zwischen Zivilbevölkerung[2] und zivilen Objekten[3] einerseits und Militär und militärischen Einrichtungen andererseits zu unterscheiden. Dabei ist es den Konfliktparteien verboten, einzelne Zivilisten oder die ganze Zivilbevölkerung gezielt anzugreifen. Vielmehr muss die Zivilbevölkerung verschont werden. Angriffe müssen sich auf militärische Ziele und Kombattanten beschränken. Aus dem Unterscheidungsprinzip folgt zudem die Pflicht für die angegriffene Partei, ihre Zivilbevölkerung bestmöglich zu schützen und diese von militärischen Objekten fernzuhalten.

Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip

Kommen trotz Beachtung des Unterscheidungsprinzips Zivilpersonen zu Tode oder werden diese verletzt oder zivile Objekte beschädigt bzw. zerstört, so muss der eingetretene sog. „Kollateralschaden“ stets im Verhältnis zum militärischen Vorteil stehen, also notwendig gewesen sein und so klein wie möglich gehalten werden, also verhältnismäßig sein.

Dabei unterfällt nicht nur die Zivilbevölkerung dem Notwenigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern die Grundsätze verlangen auch, dass Kriegsmittel und -methoden so gewählt werden, dass die Verursachung von unnötigem Leid ausgeschlossen ist.

Grundsatz der Menschlichkeit

Mit den genannten Prinzipien geht auch der Grundsatz der Menschlichkeit[4] einher. Es gibt insbesondere kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel und Methoden der Kriegsführung.[5] So sind Mittel und Methoden, die aufgrund ihrer individuellen Ausgestaltung und der Art der Waffe die Unterscheidung zwischen beteiligten und unbeteiligten Personen unmöglich machen, verboten (z.B. Großflächenbombardements).

Ebenso verhält es sich mit Waffen, die unkalkulierbare und schwere Langzeitschäden, überflüssige Verletzungen, unnötiges Leiden oder nachhaltige Schäden der Umwelt verursachen, wie beispielsweise Atomwaffen. Der Grund für diese Regelung liegt in der Verhinderung des Eintritts von über den militärischen Zweck der Neutralisation gegnerischer Kräfte hinausgehenden Folgen.

Auch gebietet der Grundsatz der Menschlichkeit ein Verbot von unmenschlicher Behandlung von Kombattanten und Kriegsgefangenen. So müssen die Parteien allen Schutzbedürftigen (insbes. Verletzten, Kranken, Gefangen, Zivilpersonen, sich ergebende Kombattanten) umfassend und schnellstmöglich die erforderlichen medizinischen Behandlungen ermöglichen.

Verpflichtete aus dem HVR

Man unterscheidet drei Gruppen, die durch die Regelungen des HVR verpflichtet werden. Aus Art. 1 der GK sowie aus Art. 1 des ZP I folgt, dass Staaten als Verpflichtete des HVR in Anspruch genommen werden können. Weiter sind nach Art. 3 GK auch aufständische Gruppierungen verpflichtete im Sinne des HVR. Zuletzt können auch Einzelpersonen nach dem HVR verpflichtet zur Einhaltung der Regeln sein. Dies ist dann der Fall, wenn es sich hierbei um Mitglieder der Streitkräfte, Angehörige von Milizen und Freiwilligenkorps, Personen, die mit der Fürsorge der bewaffneten Kräfte betraut sind oder die Bevölkerung eines unbesetzten Gebiets, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antrieb die Waffen gegen die Invasionstruppen ergreift (sog. „levée en masse“), handelt.

5. Durchsetzung des HVRs

Grundsätzlich ist das HVR nur in bewaffneten Konflikten anwendbar. Jedoch müssen einige Regeln des HVR auch in Friedenszeiten beachtet werden. Diese umfassen sowohl präventive Maßnahmen (z.B. die Verbreitung der Kenntnis des HVR in der Bevölkerung, der Erlass von innerstaatlichen Ausführungsgesetzen zur Sicherung des HVR und die Übersetzung der Abkommen in die Landessprache) als auch repressive Maßnahmen (z.B. die Bestrafung von Kriegsverbrechern vor nationalen Gerichten, die Rechts- und Amtshilfe zwischen Staaten in Strafsachen).

Das IKRK

Die wesentliche Rolle in der Umsetzung und Förderung des HVR spielt jedoch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das 1863 als Verein nach Schweizer Recht mit Sitz in Genf gegründet worden ist und partielle Völkerrechtsfähigkeit besitzt. Das IKRK nimmt auf Grundlage der GK IV und des ZP I insbesondere die Stellung einer Schutzmacht für Betroffene bewaffneter Konflikte ein und ist grundlegend für die Entwicklung des HVR mit all seinen Konventionen und Abkommen verantwortlich.

Zu Beginn seiner Tätigkeit kümmerte sich das IKRK um die Koordination. Jedoch hielt das nicht lange an, sodass sich das IKRK zunehmend vor Ort als neutraler Vermittler zwischen den Kriegsparteien engagierte. Seit 1945 erinnert es die Regierungen regelmäßig an die Einhaltung und Stärkung des HVR.[6]

Internationales Völkerstrafrecht

Für die Durchsetzung des HVR spielt auch das internationale Völkerstrafrecht eine zentrale Rolle. Es trägt entscheiden dazu bei, Lücken in der Umsetzung des HVR zu schließen. Durch dieses Rechtsgebiet wird es ermöglicht, Personen, die schwere internationale Verbrechen begangen haben, zur Verantwortung vor nationale oder internationale Gerichte zu ziehen. Einen solchen Fall gab es erst kürzlich vor dem OLG Koblenz, als im Januar 2022 ein höherrangiger Ex-Mitarbeiter der Assad-Regierung wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Syrien zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden ist.

Ebenso spielt seit 2002 der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eine wichtige Rolle für die Durchsetzung des HVRs, da er die Kompetenz besitzt, über schwere Verstöße gegen das HVR (sog. Kriegsverbrechen) zu urteilen.

Im aktuellen Ukraine-Krieg hat der IstGH bereits offizielle Ermittlungen gegen Russland wegen des Verdachts der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet. Zudem begann am 7. März 2022 ein Verfahren der Ukraine gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH/ICJ).

6. Verhältnis zwischen Menschenrechten und HVR im bewaffneten Konflikt

Nach den Grundsätzen des HVR haben gefangengenommene Kombattanten und Zivilisten, die sich in der Gewalt einer feindlichen Konfliktpartei befinden, einen Anspruch auf Achtung ihres Lebens, ihrer Würde, ihrer persönlichen Rechte und ihrer politischen, religiösen und anderweitigen Überzeugungen. Hier wird deutlich, dass es eine Überschneidung der Menschenrechte und des HVR gibt.

Um die Frage klären zu können, welche Rechte nun den Vorrang im bewaffneten Konflikt genießen und Anwendung finden, muss man die Anwendungsbereiche vergleichen. Das HVR ist hauptsächlich in Kriegszeiten anwendbar, schützt nur bestimmte Personengruppen und verpflichtet alle regulären und irregulären Streitkräfte (vgl. oben).

Die Menschenrechte dagegen schützen alle Menschen gleich welcher Gruppierung sie im bewaffneten Konflikt angehören. Denn bei den Menschenrechten handelt es sich um subjektive, angeborene, unverletzliche und unveräußerliche, von der Staatsangehörigkeit unabhängige Rechte. Für die Wahrung der Menschenrechte sind somit nicht die Streitkräfte, sondern die Staaten verantwortlich. Dabei sind die Menschenrechte sowohl in Friedenszeiten als auch in bewaffneten Konflikten grundsätzlich anwendbar[7] und nur sehr eingeschränkt derogierbar.

Somit finden beide Rechtsgebiete im bewaffneten Konflikt Anwendung und ergänzen sich gegenseitig. Jedoch soll im Kollisionsfall einer Regelung das HVR als speziellere Regelung (sog. lex specialis) den Menschenrechten vorgehen.[8]

 

[1] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/internationales-recht/humanitaeres-voelkerrecht/213012, zuletzt abgerufen am 04.03.2022.

[2] Wer zur Zivilbevölkerung zählt, regelt Art. 50 ZP I.

[3] Vgl. Art. 51 ff. ZP I.

[4] Vgl. Art.l 4 Abs. 1 und 2 GK III, Art. 12 GK I, Art. 13 GK III, Art. 41 ZP I, Art. 43 Abs. 1 ZP I, Art. 44 Abs. 3 ZP I.

[5] Art. 35 I ZP I, Art. 22 HLKO, Art. 36 ff. ZP I.

[6] https://www.icrc.org/de/wer-wir-sind/geschichte-des-ikrk, zuletzt abgerufen am 04.03.2022.

[7] Vgl. Art. 75 ZP I und Art. 4 ZP II, in welche der Menschenrechtskatalog aufgenommen worden ist.

[8] ICJ, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, 09. Juli 2004, Para. 106.

 

– ANZEIGE –

Die Serie: Das Recht im Krieg

 

 

 

Ref. jur. Julia Florence Turek

Referendarin, Stuttgart
n/a