28.03.2022

Der europäische Green Deal (1)

Mögliche Folgen der strategischen Schwerpunktsetzung – Teil 1

Der europäische Green Deal (1)

Mögliche Folgen der strategischen Schwerpunktsetzung – Teil 1

Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 befindet sich die EU im Krisenmodus. Um die wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Folgen der Corona-Krise zu überwinden, haben sich die EU-Kommission, das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten Ende des Jahres 2020 auf einen Aufbauplan verständigt. Dafür wird der EU-Haushalt in der Periode 2021 bis 2027 auf ca. 1100 Mrd. € erhöht, und an den Finanzmärkten werden Kredite i. H. v. 750 Mrd. € für das Programm „Next Generation EU“ aufgenommen.1  (Teil 1)

1. Einleitung

Fast scheint es so, als seien die Prioritäten der EU-Kommission, die unter der Leitung von Ursula von der Leyen steht, die seit Ende 2019 im Amt ist, durch die Krisenbewältigung in den Hintergrund gedrängt worden.2 Aus Sicht der EU-Kommission ist allerdings das Gegenteil der Fall: Der EU-Haushalt soll nämlich gerade im Hinblick auf die Bewältigung der Corona-Krise für Investitionen in die grüne und digitale Wende genutzt werden.3

Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem europäischen Green Deal zu, zu dessen Umsetzung von der EU-Kommission bereits mehrere Gesetzesinitiativen in verschiedenen Politikbereichen angeregt und teilweise angestoßen worden sind. Jedoch wirkt die Programmatik der EU-Kommission zur Klimapolitik v. a. für kleinere und mittlere Kommunen häufig wenig greifbar und abstrakt. Allerdings zeichnet sich jetzt schon ab, dass einerseits europäische Verordnungen und Richtlinien tief in kommunale Aufgabenbereiche eingreifen werden. Andererseits könnten Kommunen auch von neu aufgelegten Förderprogrammen profitieren, um einen Beitrag zur Klimaneutralität und Ressourceneffizienz zu leisten. Es lohnt sich folglich, wenn sich Kommunen mit dem Green Deal und einzelnen Initiativen der EUKommission auseinandersetzen. Dadurch könnten sie sich frühzeitig auf Veränderungsprozesse vorbereiten und würden von diesen nicht erst nach der Inkraftsetzung von Verordnungen und Richtlinien „überrascht“. Dieser Beitrag soll dabei helfen, aus kommunaler Sicht die politische und rechtliche Relevanz des europäischen Green Deals zu bewerten. Da bis zu diesem Zeitpunkt noch in nur wenigen Bereichen konkrete Initiativen vorliegen, erfolgt hier eine Sensibilisierung, warum sich Kommunen mit dem Green Deal beschäftigen sollten. Für die Verfasser soll der Ansporn sein, in weiteren Beiträgen über einzelne Initiativen zu berichten.


2. Bedeutung und Ziele des europäischen Green Deals

Der Green Deal ist das zentrale politische Programm der EUKommission unter der Präsidentin von der Leyen. Er soll den Beitrag der EU sicherstellen, um die Klimaschutzziele der Vereinten Nationen bis 2030 zu erreichen. Wie inzwischen im Klimazielplan der EU für 2030 konkretisiert worden ist, sollen bis zum Jahr 2030 die Emissionen um 55 % gegenüber den Werten von 1990 gesenkt werden, woraus die EU sowohl einen wirtschaftlichen als auch einen sozialen Nutzen ziehen möchte.4 Für die nächsten Jahre wird der Green Deal damit zur wirtschaftspolitischen Zentralstrategie der EU-Kommission.5

2.1 Rolle innerhalb der Programmatik der EU-Kommission

Neben dem Green Deal verfolgt die EU-Kommission in der Amtsperiode 2019–2024 weitere Schwerpunkte, die sich mit der digitalen Wende, einer Wirtschaft im Dienste der Menschen, einer stärkeren Rolle Europas in der Welt sowie den europäischen Werten und der Demokratie beschäftigen.6 Die einzelnen Schwerpunkte sind aber nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Vielmehr besitzen aus Sicht der EU-Kommission Investitionen in Klimaneutralität und Energie- und Ressourceneffizienz das Potenzial, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und damit auch die Wohlfahrt der Menschen zu stärken.7 Dazu soll der Green Deal Bestandteil einer Wirtschaftsprozesspolitik werden, die im Wesentlichen auf der Verknüpfung zu den Strukturfonds und der Stärkung der Aufsichtsrolle der EU-Kommission bei der Unterstützung der nationalen Reformagenden basieren soll.8

Der Green Deal folgt dem bereits etablierten klimapolitischen Paradigma, Emissionsreduktionen mit einer Modernisierung der Volkswirtschaft zu verknüpfen.9 Der ökologische Wandel soll folglich v. a. dazu beitragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft aufrechterhalten bzw. gestärkt wird und neue Arbeitsplätze entstehen.10 Eine starke Wirtschaft wird von der EU-Kommission als Voraussetzung für ein hohes Beschäftigungsniveau betrachtet, was wiederum wichtig ist, um einerseits soziale Schieflagen zu vermeiden und andererseits öffentliche Mittel der Mitgliedstaaten für Sozialleistungen gering zu halten.11 Der Green Deal nimmt daher eine wichtige Funktion in der auf wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpolitische Zieldimensionen ausgerichteten Förderlogik der EU-Kommission ein.12

2.2 Ziele des europäischen Green Deals

Der Anspruch des Green Deals ist es, in allen Wirtschaftssektoren den erforderlichen Übergang zu einem nachhaltigen und integrativen Wachstum zu beschleunigen.13 Dies erfordert aus Sicht der EUKommission massive öffentliche Investitionen und verstärkte Bemühungen, um privates und öffentliches Kapital in Klima- und Umweltmaßnahmen zu lenken. Inhaltlich betrifft der Green Deal die Themen Umwelt, Klimaschutz, Energie, Industrie, Kreislaufwirtschaft, Bauen und Gebäuderenovierung, Ökosysteme und Biodiversität, Ernährung und nachhaltige Mobilität.14

3. Politische Bindungskraft der Kommissionsprogrammatik

Die Programmatik löst zunächst eine politische Bindungskraft für die EU-Kommission selbst aus.15 Ziel ist es, dass während der Amtsperiode 2019–2024 eine auf gemeinsame Ziele ausgerichtete Politik durchgeführt werden soll. Damit knüpft die neue EUKommission an den strategischen Steuerungsansatz an, der ab dem Jahr 2010 mit der Strategie Europa 2020 eingeläutet wurde und eng an die wachstums- und beschäftigungspolitische Agenda geknüpft ist.16 Das inhaltliche Ziel dieser Strategie bestand darin, die europäische Wirtschaft auf intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum auszurichten.17 Politisch sollte sie durch einen klar definierten Strategieansatz kohärente politische Entscheidungen ermöglichen, die dann nach ihrer Verabschiedung möglichst genau so umgesetzt werden.18 Auch die aktuelle Programmatik der EU-Kommission folgt diesem strategischen Steuerungsansatz, was sich Anfang des Jahres 2020 in der Veröffentlichung von mehreren Mitteilungen zur Klimaneutralität, zur Digitalisierung, zur Industriepolitik und zur Sozialpolitik gezeigt hat.

In diesen Mitteilungen hat sie ihre Prioritäten bereits konkretisiert und einzelne Maßnahmen vorgeschlagen. Aus Sicht der EU-Kommission sollen die europäischen Haushaltsmittel des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) 2021–2027 dazu verwendet werden, um Investitionen für die grüne Wende zu tätigen. Wie sich aber gerade an den Haushaltsverhandlungen des MFR gezeigt hat, hängt die politische Bedeutung der Programmatik der EU-Kommission auch davon ab, inwiefern die an Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozessen beteiligten EU-Organe, namentlich das EU-Parlament und der Rat der EU, die strategischen Prioritäten mittragen und unterstützen. Das EU-Parlament hat sich bereits frühzeitig dazu ausgesprochen, den Green Deal zu unterstützen.19 Umstritten sind die Vorhaben des Green Deals eher in einem Teil der Mitgliedstaaten, wenn es z. B. um Fragen fossiler Energiequellen und europäischen Sozialstandards geht. Bei der Verabschiedung einzelner Maßnahmen ist die EU-Kommission daher v. a. auf die Unterstützungsbereitschaft der Mitgliedstaaten angewiesen.

4. Rechtliche Bindungskraft der Kommissionsprogrammatik

Für die Frage, inwieweit die politischen Prioritäten der EU-Kommission auch eine Relevanz für Akteure der kommunalen Ebene aufweisen, ist die rechtliche Bindungskraft von Bedeutung. Dabei muss zunächst anerkannt werden, dass der Green Deal die politische Agenda konkretisiert, ohne allerdings verbindlich zu sein. Allerdings können Mitteilungen der EU-Kommission dem europäischen Soft Law zugeordnet werden, und zwar genauer gesagt dem Soft Law mit normsetzungsvorbereitender Wirkung.20 Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass bestimmte Ziele in solchen Strategiepapieren bereits angelegt sind, die dann in einem nächsten Schritt Eingang in Verordnungen und Richtlinien finden.21 So beinhaltet gerade auch der Green Deal konkrete Maßnahmenpakete, die durch einzelne Rechtsakte konkretisiert werden sollen.22 Das verleiht seinen Zielen eine mittelbare Verbindlichkeit, sobald sie in Rechtsakten konkretisiert worden sind. Daher ist es wichtig, dass sich Akteure aus kommunalen Verwaltungen mit den Inhalten des Green Deals schon jetzt auseinandersetzen, um zu erkennen, mit welchen Gesetzesinitiativen in den nächsten Jahren gerechnet werden muss und wie sich dies auf das kommunale Handeln auswirken könnte.23

Nur auf diese Weise können sich Kommunen einerseits auf geplante Änderungen einstellen und andererseits ihre Interessen in Verhandlungsprozessen auf europäischer und nationaler Ebene einbringen.24 Aber auch wenn Richtlinien und Verordnungen verabschiedet worden sind, muss von den Gesetzesanwendern in Kommunen erkannt werden, dass sie dem Zweck der Verwirklichung einer übergeordneten Strategie dienen sollen.25 Das Ziel der Gesetzesanwendung und -auslegung bemisst sich folglich an der Zielerreichung des Green Deals. Daher sollte schon jetzt alles unterlassen werden, was auch vor der Gesetzesverabschiedung dazu führen könnte, die maßgeblichen europäischen Politikziele, die dann noch in Recht konkretisiert werden und damit geltungsvorbereitet sind, offensichtlich zu beeinträchtigen oder sogar zu konterkarieren.

Die folgenden Fragen sollten sich Kommunen daher jetzt schon stellen: – Ist hier mit Einschränkungen des kommunalen Handlungsspielraums zu rechnen? – In welchen kommunalen Aufgabenfeldern ist mit Neuerungen durch den Green Deal zu rechnen? – Können Kommunen von einzelnen Maßnahmen profitieren und, wenn ja, inwiefern? – Werden künftig Fördermittel bereitgestellt, die für kommunale Projekte genutzt werden könnten?

 

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Besprochen in apf Gesamtausgabe, Heft 7-8/2021.

 

1 Europäische Kommission, Der EU-Haushalt als Triebfeder für den Europäischen Aufbauplan, Factsheet vom 27.05.2020, S. 1; abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/factsheet_1_de_v2.pdf (Stand: 14.12.2020).

2 Siehe dazu u. a. Blume, Neue Pläne, alte Blockaden, in: DIE ZEIT Nr. 48 vom 19.11.2020, S. 27.

3 Blume (Fn. 2).

4 Europäische Kommission, Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030. In eine klimaneutrale Zukunft zum Wohl der Menschen investieren, COM(2020) 562 fin., S. 2; im Folgenden zitiert als COM(2020) 562.

5 Becker, Eine europäische Wirtschaftspolitik im Werden, Erfolge mit bescheidenden Mitteln, SWP-Studie, 2020, S. 24; abrufbar unter: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S16_EuropaeischeWirtschaftspolitik.pdf (Stand: 14.12.2020).

6 Siehe https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024_de.

7 Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal, Mitteilung vom 11.12.2019, COM (2019) 640 fin., S. 3; im Folgenden zitiert als COM (2019) 640.

8 Becker (Fn. 5), S. 30.

9 Ålander/Bendiek/Bossong/Geden/von Ondarza/Tokarski, Neue Initiativen für eine gelähmte Union, in: SWP-Aktuell Nr. 7 2020, S. 3; abrufbar unter: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A07_alm_etal.pdf (Stand: 14.12.2020).

10 Mennert/Reichert, EU-Klimapolitik angesichts der Corona-Krise. Welche klimapolitischen Instrumente sind krisenresistent, welche nicht? in: cepInput 18/2020, S. 6; abrufbar unter: https://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Studien/cepInput_Klima_und_Corona/cepInput_EU-Klimapolitik_angesichts_der_Corona-Krise_01.pdf (Stand: 14.12.2020).

11 Siehe zu diesem wirtschaftspolitischen Verständnis Schorer/Zimmermann, Die soziale Dimension im europäischen Binnenmarkt – Herausforderungen, Bedeutung und Instrumente, in: apf 7·8/2020, S. 41.

12 Siehe dazu Zimmermann/Kese, Das Kohäsionsziel des Art. 174 AEUV im Kontext seiner ordnungs- und prozesspolitischen Einordnung in den EUV/AEUV, erscheint voraussichtlich in: EuR 2/2020.

13 COM (2019) 640, S. 2.

14 COM (2020) 562, S. 1.

15 Zimmermann, Europafähigkeit durch strategische Steuerung, Anforderungen an eine effektive und effiziente Implementation, 2018, S. 108.

16 Zimmermann/Kese (Fn. 12), passim.

17 Europäische Kommission, Europa 2020, Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, COM(2010) 2020, S. 3.

18 Zimmermann (Fn. 15), S. 92.

19 Siehe dazu https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20200109IPR69902/ep-unterstutzt-europaischen-green-deal-unddrangt-auf-noch-ehrgeizigere-ziele (Stand: 14.12.2020).

20 Zimmermann (Fn. 15), S. 110.

21 Cannizzaro/Rebasti, Soft Law in the EU legal order, in: Iliopoulos-Strangas/Flauss (Hrsg.), Das soft law der europäischen Organisationen, 2012, S. 225.

22 Becker (Fn. 5), S. 24 f.

23 Zimmermann (Fn. 15), S. 115.

24 Zimmermann, Regieren im europäischen Mehrebenensystem in zwölf Lektionen – Steuerungsinstrumente der EU (Lektion V), in: apf 8/2015, S. 255.

25 Zimmermann (Fn. 15), S. 110.

 

– ANZEIGE –

Die Serie: Der europäische Green Deal

 

 

 

Prof. Dr. Volkmar Kese

Professor für Europawissenschaften und Rechtswissenschaften
 

Dr. Daniel Zimmermann

Leitender Studienmanager der Master-Studiengänge Europäisches Verwaltungsmanagement und Public Management für Führungskräfte an der Hochschule Ludwigsburg
n/a