17.03.2022

Das Recht im Krieg (1)

Ein Überblick über das Humanitäre Völkerrecht – Teil 1

Das Recht im Krieg (1)

Ein Überblick über das Humanitäre Völkerrecht – Teil 1

Hauptanliegen des HVR ist es, im bewaffneten Konflikt ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu wahren. © ruslanshug – stock.adobe.com
Hauptanliegen des HVR ist es, im bewaffneten Konflikt ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu wahren. © ruslanshug – stock.adobe.com

Aktuell überschlagen sich die Meldungen zum Ukraine-Krieg stündlich. Es ist von Angriffen auf Krankenhäuser, Militärstützpunkte und Kinderheime die Rede. Das Rechtsgefühl sagt einem „Das dürfen die doch nicht!“, aber ist das tatsächlich so? Gibt es Regeln in einem Krieg? Dieser Beitrag soll einen Überblick über das Humanitäre Völkerrecht, seine Rechtsquellen und seine Durchsetzbarkeit vermitteln (Teil 1).

1. Was ist das Humanitäre Völkerrecht und wann findet es Anwendung?

Das Humanitäre Völkerrecht (HVR) stellt einen Teilbereich des internationalen Rechts dar. Es legt Prinzipien und Regeln für die Beteiligten eines bewaffneten Konflikts fest.

Der Hauptzweck des HVR besteht in der Begrenzung des Leidens, das durch Kriege verursacht wird (sog. Martens‘sche Klausel). Dazu verpflichtet es die Kriegsparteien zum Schutz der Zivilpersonen und steht diesen bei. Es knüpft an die durch bewaffnete Konflikte geschaffene Realität an und fragt nicht nach dessen Gründen oder Rechtfertigung.


Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich dieses Rechtsgebiet ist auf Zeiten bewaffneter Konflikte beschränkt. Dabei unterscheidet das HVR zwischen internationalen bewaffneten Konflikten und nicht internationalen bewaffneten Konflikten sowie internen Konflikten.

Das HVR fand ursprünglich nur in bewaffnete Konflikte Anwendung, hingegen wurden internen Konflikten über viele Jahre lediglich als nationale Angelegenheiten angesehen, weshalb auf diese Konflikte nur das nationale Recht Anwendung finden sollte. Inzwischen hat sich diese Ansicht gewandelt und es finden auf den internen Konflikt auch der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen (GK) und das zweite Zusatzprotokoll (ZP II) Anwendung. Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor viel mehr Regeln, die in einem bewaffneten Konflikt gelten. Denn in bewaffneten Konflikten finden neben dem gemeinsamen Art. 3 der GK[1] auch alle Vorschriften der GK I-IV und das ZP I Anwendung.

Internationaler vs. nicht internationaler bewaffneter Konflikt vs. interner Konflikt

Unter einem internationalen bewaffneten Konflikt versteht man eine militärische Auseinandersetzung zwischen mindestens zwei Staaten.[2] Dieser Zustand ist den meisten Menschen unter dem Begriff „Krieg“ bekannt. Dabei ist für diesen Zustand die Besetzung fremden Territoriums,[3] Gefechte zwischen den Streitkräften und/oder die Abgabe einer Kriegserklärung prägend. So sind die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine ein Beispiel für einen internationalen bewaffneten Konflikt.

Ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt kann dagegen als bewaffnete Auseinandersetzung zwischen einer bestehenden Staatsgewalt und hierarchisch organisierten, bewaffneten Gruppen oder zwischen derlei nichtstaatlichen Organisationen untereinander ohne jegliche Staatsgewalt (sog. Failed States) innerhalb eines Staatsgebiets definiert werden, soweit die Konfliktparteien länger anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen vornehmen.[4] Umgangssprachlich ist die Rede von einem „Bürgerkrieg“ oder „bewaffneten Aufruhr“.

Der Hauptunterschied des nicht internationalen bewaffneten Konflikts zum internen Konflikt liegt in der Intensität und Dauer der Kampfhandlungen. Denn nach Art. 1 Abs. 2 ZP II wird eine Auseinandersetzung, die durch innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die keine bewaffneten Konflikte darstellen, als interner Konflikt beschrieben.

2. Rechtsquellen des HVR und Geltungsumfang

Die Geburtsstunde des HVRs stellt die Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuzes (IKRK) durch Henry Dunant im Jahr 1863 sowie die Annahme der Erklärung von Sankt Petersburg im Jahr 1864 dar. Inhalt dieser Erklärung war die Verpflichtung, dass Gewalt nur gegen militärische Ziele und keine Waffen, die unnötige Leiden verursachen, in bewaffneten Konflikten verwendet werden. Seit dieser Erklärung hat sich das HVR stetig weiterentwickelt und es wurden weitere völkerrechtliche Verträge geschlossen. Zu den wichtigsten geschlossenen Abkommen zählen dabei die Haager Abkommen von 1899 und 1978, die vier Genfer Konventionen von 1949 (GK I-IV) sowie die 1977 und 2005 verabschiedeten drei Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen (ZP I-III). Wichtig zu wissen ist, dass diese Abkommen nur für die Staaten bindend sind, die die Abkommen selbst unterzeichnet haben.

Eine Vielzahl der durch die Konventionen und Abkommen kodifizierten Regelungen sind mittlerweile auch Teil des internationalen Gewohnheitsrechts. Das bedeutet, dass diese Regelungen auch für diejenigen Staaten gelten, die das entsprechende Abkommen und die entsprechende Konvention nicht unterschrieben haben. Dabei ist durch gefestigte Rechtsprechung der internationalen Gerichtshöfe mittlerweile eindeutig geregelt, welche Regeln zum internationalen Völkergewohnheitsrecht zählen.

Unser heutiges HVR ist somit eine Mischung aus Haager Recht, das vor allem Regeln zur Kriegsführung aufstellt, Genfer Recht, das Vorschriften zum Schutz von Verwundeten, Kriegsgefangenen und Zivilisten in bewaffneten Konflikten kodifiziert und internationalem Völkergewohnheitsrecht.

3. Die wichtigsten Abkommen des HVRs

Die wichtigsten Abkommen des HVRs sind sicherlich:

  • Haager Landkriegsordnung von 1907 zur Regelung der Mittel und Methoden der Kampfführung (HLKO)
  • Haager Abkommen von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten
  • Genfer Konventionen I – IV (GK I-IV) von 1949 und deren drei Zusatzprotokolle (ZP) von 1977 und 2005 zum Schutz der Verwundeten, Kriegsgefangenen und Zivilisten in bewaffneten Konflikten

Daneben gibt es zahlreiche weitere wichtige Abkommen, die die Regelungen der Haager Abkommen und Genfer Konventionen ergänzen. Beispielsweise seien hier die Biowaffenkonvention von 1972, die Chemiewaffenkonvention von 1993 und die Streubomben-Konvention von 2008 aufgezählt.

 

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

[1] IGH, Corfu Channel, UK/ Albanien, Merits, 09. April 1949, ICJ- Reports 1949, Para. 215.

[2] Art. 2 Abs. 1 der Genfer Konventionen.

[3] Zur Definition der Besetzung fremden Territoriums vgl. § 42 Abs. 1 HLKO.

[4] ICTY, Prosecutor/Tadić, IT-94-1-AR72, Decision on the Defence Motion of Interlocutory Appeal on Jurisdiction. 02. Oktober 1995, Para.70.

 

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Ref. jur. Julia Florence Turek

Referendarin, Stuttgart
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