13.08.2021

Zweispurige Strategie für die Mobilitätswende

Lösungsansätze für die kommunale Mobilitätswende der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

Zweispurige Strategie für die Mobilitätswende

Lösungsansätze für die kommunale Mobilitätswende der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

Für eine erfolgreiche Mobilitätswende braucht es eine zweispurige Strategie. ©RoseStudio - stock.adobe.com
Für eine erfolgreiche Mobilitätswende braucht es eine zweispurige Strategie. ©RoseStudio - stock.adobe.com

Großes Sorgenkind beim Klimaschutz ist der Verkehrssektor: Nach Angaben des Bundesumweltministeriums ist der Verkehr mit einem Anteil von 18,2 Prozent am Treibhausgasausstoß der drittgrößte Verursacher von Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland – und ein Bereich mit hohem Einsparpotenzial. Dem Verkehrssektor ist es bisher nicht gelungen, seine Gesamtemissionen gegenüber 1990 zu senken. Rund 96 Prozent der Emissionen werden im Straßenverkehr verursacht. Zudem erreichte die Anzahl der in der Bundesrepublik gemeldeten Pkw laut Statista Anfang dieses Jahres mit rund 48 Millionen Fahrzeugen den höchsten Wert aller Zeiten. Der Pkw-Bestand ist demnach seit dem Jahr 2008 kontinuierlich angestiegen. Mehr als 99 Prozent des Bestandes sind Fahrzeuge mit Verbrennungskraftmaschinen. Die hohe Zahl von Fahrzeugen besetzt zudem immer mehr öffentliche Flächen. Weniger private Fahrzeuge und mehr Alternativen wie Busse, Bahnen sowie Rad- und Fußgängerverkehr sind zwar erwünscht, aber die damit einhergehende Verkehrswende setzt Kommunen stark unter Druck. Denn im bestehenden Rechtsrahmen hat das Auto bisher Vorrang. Straßenrecht, -verkehrsrecht und -verkehrszulassung sind entstanden und entwickelt worden, um den Privat-Pkw zu stärken. Ein einfacher Umbau ist daher kaum möglich.

Neue Strategien und Anpassungen an die Mobilität sind gefragt

Dabei drängt die Zeit und es gibt bereits seit Jahren durch viele Forschungs- und Praxisprojekte eine Reihe von Erfahrungen und Ergebnissen, die bisher jedoch in den Kommunen noch nicht ausreichend aufgegriffen werden. Dies liegt an den bestehenden oben genannten politischen Rahmensetzungen, den unterschiedlichen Nutzungsansprüchen und -konkurrenzen um öffentliche Flächen, zum Beispiel Parken versus Radwege, und zum Teil auch am Mangel an Kapazität, Erfahrung und manchmal auch Mut in den Verwaltungen, im Sinne der Verkehrswende notwendige Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Hier setzt ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördertes Projekt des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) an. Über ein „Verkehrswendebüro“ wurden drei Kommunen verschiedener Größe dabei unterstützt, das dort jeweils notwendige Mobilitätsprojekt anzugehen.

Projektleiter und Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung des WZB ist Prof. Dr. Andreas Knie. Ausgewählt wurden drei unterschiedlich große Kommunen: eine ganz kleine, eine mittlere mit klassischem deutschen Zersiedlungsspektrum und eine Großstadt. Die Kommunen haben sich ihr Thema selbst ausgesucht: Die mit rund 1.500 Einwohnern vergleichsweise kleine Gemeinde Gingst auf Rügen wollte den Radverkehr stärken, in der mittelgroßen und weitläufigen Kommune Drolshagen stand die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Mittelpunkt und in Leipzig wurde die Siedlungsstruktur in den Blick genommen. Damit wurden drei strategische Elemente ausgewählt, in denen im vergangenen Jahr erste Schritte getan wurden.


Projekt Drolshagen

Am Beispiel Drolshagen, der mit rund 12.000 Einwohnern mittelgroßen Kommune des Projekts, soll modellhaft erläutert werden, welchen Gewinn und welche Inspiration die Zusammenarbeit mit einer wissenschaftlich arbeitenden Forschungsgruppe bedeuten kann. Durch Eigeninitiative von Bürgermeister Ulrich Berghof entstand der Kontakt zwischen ihm als kommunalem Entscheidungsträger und dem Leiter des Verkehrswendebüros. Begonnen hatte dies mit Berghofs Interesse für den Elektrobus SAM – die Abkürzung steht für Südwestfalen Autonom & Mobil. Es handelt sich um einen autonom fahrenden Shuttlebus, der im Rahmen des Projektes auf einer festgelegten Strecke von 1,2 Kilometern durch Drolshagen fuhr – Endpunkte waren etwa ein Altenzentrum und, am entgegengesetzten Ende, eine Schule. Anhand der Aufarbeitung der Ergebnisse aus etlichen Modellversuchen im Bereich der nachhaltigen Mobilität konnte das Verkehrswendebüro die Kommune mit Handlungsempfehlungen, die als „Werkzeugkasten“ aufbereitet wurden, unterstützen. Berghof schätzte die wissenschaftliche Begleitung durch das Verkehrswendebüro vor allem deshalb, weil die Zusammenarbeit den Horizont erweitere und die Fantasie anrege. Nach seinen Worten helfe dies, Lösungen zu finden, über die die Kommune allein nie nachgedacht hätte.

Mit Hilfe von Prof. Dr. Knie wird in der hügeligen Stadt im südlichen Sauerland jetzt beispielsweise über ein Neubauquartier nachgedacht, bei dem die Verwaltung unter Bürgerbeteiligung auf nachhaltige Mobilitätslösungen abzielt. Ideen, die das Verkehrswendebüro laut Berghof da hineingebracht hat, sind etwa Stellplätze zu Beginn des Quartiers und Carsharing mit E-Autos, sodass zum Beispiel der Bedarf an Zweitfahrzeugen entfallen könnte.

Projekt „Nachhaltige Mobilität im Quartier“ (Bochum)

In einem weiteren von der DBU geförderten Projekt erforscht die Ruhr-Universität Bochum „Nachhaltige Mobilität im Quartier“, also wie Mobilität in die Quartiersgestaltung und -entwicklung integriert und nachhaltiger gestaltet werden kann. Dafür wurden drei Stadtviertel in Bochum ausgewählt. Ziel ist es, durch die Verlagerung des Autoverkehrs auf andere, energieeffizientere Verkehrsmittel wie ÖPNV und Elektromobilität Energie und Ressourcen im Verkehrssektor einzusparen. Neben Radverkehr soll künftig auch der Fußverkehr stärker im Vordergrund stehen, die Innenstädte könnten so attraktiver werden. Und: So soll auch die Lebensqualität erhöht werden. Da eine gute Infrastruktur im direkten Wohnumfeld das Mobilitätsverhalten bestimmt, wird die Planung im Kontext des jeweiligen Quartiers untersucht. Multimodales Verkehrsverhalten, also der Wechsel zwischen Verkehrsmitteln, als ein mögliches Szenario für eine nachhaltige Mobilität, wird dabei vertiefend analysiert. Als Ergebnis werden Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen für Quartiere entwickelt, die nachhaltige Mobilität fördern.

Grüne Innovationen aus der Gründerszene sind gefragt; Unterstützung durch das „Green Start-up Sonderprogramm“

Neben konkreten Ansätzen in unterschiedlich großen Kommunen setzt die DBU auf grüne Innovationen, die vermehrt auch aus der Gründerszene kommen. Mit dem von der Stiftung vor zwei Jahren entwickelten Green Start-up Sonderprogramm werden vielversprechende Ansätze gefördert. Denn für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit wie Agrar-, Energie- und Verkehrswende brauchen wir junge Pioniere, die die Zukunft nachhaltig gestalten wollen und dabei auch die digitalen Chancen für den Schutz der Umwelt nutzen. Beispielsweise wird das Start-up DroidDrive aus Aachen im Rahmen des Sonderprogramms gefördert. Es arbeitet an einem innovativen Lösungsansatz für die innerstädtische Logistik auf der sogenannten letzten Meile und entwickelt dafür smarte E-Fahrzeuge (Ducks), die etwa Pakete transportieren und einem Führungsfahrrad oder einer Führungsperson folgen. Die Idee dahinter muss man sich vorstellen wie Entenküken, die ihrer Mama hinterherwatscheln. Das virtuelle Koppeln von fünf einzelnen Ducks in einen Ducktrain ermöglicht die gleiche Nutzlast wie bei einem normalen Lieferwagen. Große Lieferfahrzeuge müssen dann nicht mehr in die Innenstädte fahren. So umgeht man die bekannten Probleme wie schlechte Parkmöglichkeiten, Stau und hohe Umweltbelastungen. Auch Leasing- oder Sharingangebote für Einzelpersonen sind auf diesem Wege möglich, um zum Beispiel größere Einkäufe ohne Auto zur Wohnung zu transportieren. Mit der DBU-Förderung wollen die Gründer einen Prototyp entwickeln, der selbstständig Führungsobjekten folgen kann. In einem späteren Entwicklungsschritt sollen die kleinen Transportfahrzeuge alleine ihre Ware ausliefern können.

Mobilitätswende – wie gelingt sie?

Für eine erfolgreiche Mobilitätswende braucht es aus unserer Sicht eine zweispurige Strategie. Einerseits eine Antriebswende, also den Umstieg auf alternative Antriebstechnologien, die ohne fossile Energieträger auskommen und damit die Emissionen im Verkehrssektor senken. Andererseits ein multimodales Mobilitätsangebot, das von einem individuellen und gesellschaftlichen Umdenken hin zu weniger Autos in den Städten als Beitrag zur Steigerung von Lebens- und Aufenthaltsqualität getragen wird. Dabei können wir uns nicht allein auf technische und bauliche Umrüstung verlassen, sondern müssen die Mobilitätswende als eine Zukunftsaufgabe ansehen, bei der Stadtplanung, Klimaschutz und sozialer Ausgleich in eine gute Balance zu bringen sind.

 

Felix Gruber

Abteilungsleiter Umwelttechnik der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU)
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