10.11.2023

Zukunftsängste: Meine Erfahrungen im Jurastudium

Bericht einer Jura-Absolventin

Zukunftsängste: Meine Erfahrungen im Jurastudium

Bericht einer Jura-Absolventin

Prüfungen und Angst vor dem Versagen | © Olli – stock.adobe.com
Prüfungen und Angst vor dem Versagen | © Olli – stock.adobe.com

Menschen helfen und Gerechtigkeit schaffen – mein Grundgedanke, das Jurastudium zu beginnen. Geprägt durch Filme und Serien hatte ich jedoch ein sehr romantisiertes Bild davon, wie die juristische Arbeitswelt aussieht und wie das Studium verlaufen würde.

Während des Studiums Freundinnen fürs Leben kennenlernen, den Studienalltag mit einer ausgewogenen Balance aus Lernen und einmaligen Erfahrungen meistern bis hin zum Referendariat, wo man sich ausprobieren und schließlich den Traumjob entdecken kann. Das war der Plan.

Schnell wurde ich jedoch auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn das Studium ist eine mentale Belastungsprobe, die bereits vom ersten Semester an beginnt. „Werden sie keine Durchschnittsjuristinnen“ oder „Sie müssen sich bereits jetzt auf Ihr Examen vorbereiten.“ – Zitate aus meinem ersten Semester, die mich seitdem begleiten. Ich war damals noch voller Energie und Hoffnung, sodass ich diesen Worten kaum Beachtung schenkte. Im Verlauf des Studiums manifestierten sich diese Aussagen jedoch in meinem Unterbewusstsein.


„Bin ich wirklich geeignet für das Jura-Studium?“

Im zweiten Semester fiel ich durch meine ersten Klausuren und fragte mich, ob ich wirklich geeignet für dieses Studium sei. Doch Zweifel sind normal und aller Anfang ist schwer, also machte ich weiter. Die ersten Freundinnen verließen die Uni, weil sie die Zwischenprüfung nicht bestanden haben oder erkannten, dass ein anderer Studiengang doch der bessere Weg sein würde. Ich bestand die Zwischenprüfung und merkte, dass mir das juristische Denken gefiel, und stürzte mich ins Hauptstudium.

Mit einem System aus Scheinen, bei denen man zwar durchfallen, aber diese ohne Letztversuch wiederholen konnte, wirkte der Weg zum Examen schon fast entspannt. Bis hierhin war mein Studium vermutlich so durchschnittlich wie das der meisten. Ohne besonders gute Noten, mit ein paar wenigen wiederholten Klausuren vergingen die Semester.

Da ich die staatliche Pflichtfachprüfung vor dem Schwerpunkt absolvieren wollte, war meine letzte Hürde vor der Examensvorbereitung der Zivilrechtsschein. Also ging ich zu den Vorlesungen, lernte mit Kommilitoninnen und fiel trotzdem durch alle Klausuren in diesem Semester durch. Auch wenn ich bereits zuvor Klausuren nicht erfolgreich absolviert hatte, traf es mich sehr, dass ich den Schein nicht bestehen konnte.

Examensvorbereitung und Zivilrechtsschein parallel

Meine Freundinnen wollten zu diesem Zeitpunkt bereits das Repetitorium beginnen und so entschied ich mich dazu, dieses ebenfalls zu beginnen und währenddessen den Zivilrechtsschein zu schreiben. Die Inhalte musste ich sowieso wiederholen und von Kommilitoninnen wusste ich, dass es einige so machten, um etwas Zeit für BAföG und den Freischuss wieder hereinzuholen. Also ging ich zu einem kommerziellen Repetitorium, versuchte mich in der Examensvorbereitung und schrieb die Scheinklausuren in der Uni mit.

Und es kam, wie es kommen musste: Ich bin wieder durch alle Klausuren durchgefallen. Die Doppelbelastung schürte einen enormen Druck, dem ich nicht gewachsen war, mir aber auch nicht eingestehen wollte. Ich vertraute mich kaum jemandem an, weil ich das Gefühl hatte, versagt zu haben und damit allein zurechtkommen zu müssen. Trotzdem suchte ich die psychosoziale Beratungsstelle (PSB) der Universität auf in der Hoffnung, möglicherweise Unterstützung zu erhalten.

Zur selben Zeit begann auch die Pandemie und das Leben veränderte sich durch Lockdown und geschlossene Bibliotheken sehr. Nichtsdestotrotz war ich mir sicher, dass ich jetzt den perfekten Lernplan zum Bestehen der Klausuren gefunden hatte. Also entschied ich mich nach zwei Terminen bei der PSB, dass ich keine Unterstützung brauche. Heute weiß ich, dass ich diese sehr wohl gebraucht hätte.

Klausur bestanden, zum Examen gemeldet

Ich stellte mich erneut dem Zivilrechtsschein, diesmal im Format der Online-Klausur. Im eigenen Wohnzimmer Klausuren schreiben zu können, kam mir sehr zugute. Kein zusätzlicher Druck durch gestresste Kommilitoninnen, mit denen man sich vergleichen könnte. Trotz hoher Durchfallquoten konnte ich diese Klausuren bestehen und mich endlich zum Examen anmelden.

Leider lag das Repetitorium bereits ein Semester zurück und durch den Stress und die Doppelbelastung hatte ich kaum etwas daraus mitgenommen. Also musste ich die Examensvorbereitung nochmal neu beginnen. Währenddessen schlossen viele meiner Freundinnen ihr Studium ab und die Selbstzweifel kamen wieder. Warum bin ich die Letzte von allen? Kann ich es überhaupt schaffen? Ich studiere schon so lange und bin vermutlich nicht gut genug, um das Examen überhaupt zu bestehen.

Der Druck wurde immer größer, das Studium immer teurer, das BAföG würde nicht mehr lange gezahlt werden und mein Selbstwert litt unter den ständigen Niederlagen. Nach außen versuchte ich immer den Anschein zu wahren, dass alles in Ordnung sei. Aber eigentlich ging es mir so schlecht wie noch nie.

Freischuss nach Freisemestern

Durch Freisemester für hochschulpolitisches Engagement konnte ich den Freischuss schreiben, den ich für mich als „Probeversuch“ wahrnahm. Ich wartete auf die Ergebnisse, überlegte mir, ob ein Bachelor vielleicht die bessere Alternative sei. Dann kam der Brief, der mir sagte, ich sei durch die schriftlichen Prüfungen gefallen. Meine Noten waren nicht gut, aber sie waren doch knapper an der Bestehensgrenze als erwartet. So schöpfte ich ein bisschen neue Hoffnung für einen zweiten Versuch.

Ich besuchte das Uni-Repetitorium und Crashkurse, um mich besser vorzubereiten. Ich gab mir größte Mühe, Probeklausuren zu schreiben und richtig zu lernen. Auch vertraute ich mich endlich Freundinnen an, die mir eine große Stütze in dieser Zeit waren. Jedoch blieben Stress, Druck und Angst meine ständigen Begleiter und hinderten mich immer wieder an meinen Plänen. Je näher der zweite Versuch rückte, desto schlechter ging es mir. Ich zog mich sehr zurück und verbrachte kaum einen Tag ohne Zukunftsängste oder Panikattacken.

Ich schrieb Versuch Nummer zwei unter so großem Stress, dass ich nicht schlafen konnte und extreme Schmerzen im ganzen Körper bekam. Als ich durch war, war ich unendlich glücklich. Aber die Zweifel, dass ich wieder nicht bestanden haben könnte, waren extrem groß.

Nach dem zweiten Versuch erneut zur PSB

Während ich erneut auf die Ergebnisse der schriftlichen Prüfungen wartete, bekam ich zum ersten Mal mit, wie schlecht es auch anderen Kommilitoninnen in der Examensvorbereitung und danach ging und dass sich einige von ihnen Hilfe suchten.

Nach langem Überlegen ging ich erneut zur PSB. Das war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können. Ich nahm einige Termine wahr und realisierte, dass ich längerfristige Hilfe benötigte. Trotz Zukunftsängsten bezüglich Verbeamtung und Ähnlichem beschloss ich, dass nichts wichtiger sei als meine mentale Gesundheit, und entschied mich, nach einem Therapieplatz zu suchen.

Bestanden!

Parallel dazu bekam ich die Ergebnisse meiner schriftlichen Prüfungen. Ich hatte – wenn auch nur knapp – bestanden! Ich konnte es kaum fassen und freute mich sehr. Jedoch war dieses Gefühl nur von kurzer Dauer, da der Schwerpunkt, den ich während der beiden schriftlichen Examensversuche begonnen hatte, noch abgeschlossen werden musste und auch die mündliche Prüfung noch anstand.

Meinen Abschluss habe ich letztendlich bekommen und darf mich jetzt Diplom-Juristin nennen. Aber zu welchem Preis? Ich habe all meine Energie und Ausdauer in mein Studium gesteckt. Aber der Abschluss, obwohl er Anerkennung findet, scheint dennoch nicht ausreichend zu sein. Schließlich handelt es sich nur um das erste Staatsexamen und meine Noten liegen deutlich unter dem Durchschnittsniveau.

Trotzdem bin ich froh, nach sieben Jahren Studium überhaupt einen Abschluss und damit Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben. Dieser bleibt allen verwehrt, die ihr Examen nicht bestehen, weil der Druck für sie zu groß geworden ist. Sie haben damit nach vielen Jahren des Studiums keine Perspektive.

Genau deswegen sind Reformen dringend notwendig. Druck in diesem Studium wird von Anfang an an jeglichen Ecken geschürt; einer der größten Faktoren ist die Zukunftsangst, die überall mitschwingt.

Studienverlauf voller Probleme ist kein Einzelfall

Meiner Meinung nach würde ein System mit integriertem Bachelor den Studierenden eine große (mentale) Stütze bieten. Ich habe mir ein solches System sehr gewünscht. Es hätte Druck aus dem Studium genommen und mir die Möglichkeit gegeben, einen Masterstudiengang zu studieren. Stattdessen verlor ich mich zusehends in einem Strudel der psychischen Belastung, während ich mich auf den zweiten Anlauf des Examens vorbereitete. Leider stand mir dieser Weg nicht offen und ich habe mich für diesen Abschluss weit über meine psychischen Grenzen hinausbegeben.

Mein Studienverlauf und die daraus resultierenden Probleme sind kein Einzelfall. Wenn ein großer Anteil der Jurastudierenden das Studium, insbesondere aufgrund der psychischen Belastung, nicht weiterempfiehlt, ist es unumgänglich, dass schnellstmöglich Veränderungen herbeigeführt werden.

 Anmerkung: Der Name der Autorin wurde redaktionell geändert.

 

Entnommen aus Recht reloaded 1/2023, S. 23.

 

Maria Meier

Studium der Rechtswissenschaften, Universität Göttingen
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