06.03.2023

Windkraftanlagen in Waldgebieten

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.09.2022 – 1 BvR 2661/21

Windkraftanlagen in Waldgebieten

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.09.2022 – 1 BvR 2661/21

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Waldgrundstücken. Ihr Waldbestand ist teilweise insbesondere durch Schädlingsbefall erheblich geschädigt und wurde deshalb gerodet. Beabsichtigt ist eine Nutzung der Grundstücke durch Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen (WEA). Sie haben ihre Grundstücke zu diesem Zweck an Projektentwickler verpachtet.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wandten sie sich gegen eine Bestimmung des Thüringer Waldgesetzes (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG), die jede Änderung der Nutzungsart von Waldgebieten zur Errichtung von WEA untersagte. Um in einem Waldgebiet eine Anlage – auch eine WEA – errichten zu können, mussten die dafür erforderliche Rodung und die Überführung des Waldbodens in die neue Nutzungsart als Umwandlung von Wald genehmigt werden.

Die Vorschrift begründete für jede Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von WEA ein striktes Verbot ohne Möglichkeit der Genehmigung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Vorschrift wegen Verstoßes gegen die Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für nichtig erklärt.


Windenergienutzung auf Waldflächen

Rund 34 % der Fläche des Freistaats Thüringen sind Waldflächen. Ein nennenswerter Teil des Waldes besteht allerdings aus sog. Kalamitätsflächen, bei denen eine forstwirtschaftliche Nutzung wegen Waldschäden, etwa aufgrund von Sturmfolgen oder Schädlingen, nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist. Nur etwa 20 % der Bäume im Thüringer Wald gelten als gesund, die übrigen weisen sog. Vitalitätsverluste auf.

Eine Windenergienutzung von Waldflächen war in Thüringen bis 2014 regionalplanerisch nicht vorgesehen. Der Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode von 2014 bis 2019 enthielt die Vereinbarung, die Voraussetzungen für den Bau von WEA im Wald zu schaffen.

Im sog. Windenergieerlass des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft vom 21.06.2016 wurden die Träger der Regionalplanung und die obere Landesplanungsbehörde angewiesen, Vorranggebiete für Windenergie auszuweisen. Schutz- und Erholungswälder sollten als sog. harte Tabuzonen gelten, bei denen eine Nutzung zur Windenergieerzeugung raumplanerisch ausnahmslos ausgeschlossen bleibt.

Andere Waldgebiete mit hervorgehobenen Funktionen sollten als sog. weiche Tabuflächen kategorisiert werden, bei denen eine Nutzung zur Windenergieerzeugung nach Abwägung zulässig sein kann. In der Planungsregion Ostthüringen wurden Genehmigungen für zwei Windräder im Wald erteilt, die 2017 in Betrieb gingen.

Zu weiteren Genehmigungen für WEA auf Waldflächen kam es nicht mehr. Seit dem 31.12.2020 steht die hier angegriffene Regelung der Erteilung der erforderlichen Umwandlungsgenehmigung für WEA entgegen; Anträge auf Erteilung von Umwandlungsgenehmigungen wurden unter Verweis auf § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG abgelehnt. Für Fragen der Nutzung von Waldflächen kommt es nicht auf deren tatsächliche Situation, sondern auf die rechtliche Einordnung als Wald an. Nach § 2 Abs. 2 Thür-WaldG und § 2 Abs. 1 Satz 2 Bundeswaldgesetz (BWaldG) gelten auch geschädigte Waldbestände und Kahlflächen als Wald, sofern der Waldstatus nicht durch behördliche Genehmigung (Umwandlung) zugunsten einer nicht-forstbezogenen Nutzungsart aufgehoben wurde.

Bundesrecht

Für die Genehmigungsentscheidung statuiert die bundesrechtliche Regelung ein Abwägungserfordernis bzgl. der Rechte, Pflichten und wirtschaftlichen Interessen der Waldbesitzer einerseits und der Belange der Allgemeinheit andererseits (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BWaldG).

Die Genehmigung soll nach § 9 Abs. 1 Satz 3 BWaldG versagt werden, wenn die Erhaltung des Waldes im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt. Auch § 10 Abs. 2 ThürWaldG statuiert ein ähnliches, umfassendes Abwägungserfordernis. Demgegenüber untersagte § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG die Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von WEA im Wald pauschal. Eine Abwägung fand insoweit nicht statt.

Dies hatte zur Folge, dass in Thüringen auf Waldflächen die Errichtung von WEA ausnahmslos unzulässig war.

Eingriff in das Eigentumsrecht

§ 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG greift als Inhalts- und Schrankenbestimmung in das Eigentumsrecht der Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer ein. Das Waldeigentum der Beschwerdeführer und dessen Nutzung sind durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Der Eigentumsgarantie kommt im Gefüge der Grundrechte insbesondere die Aufgabe zu, einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum ist durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis der Eigentümerin oder des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Es soll als Grundlage privater Initiative und in eigenverantwortlichem privatem Interesse von Nutzen sein. Zugleich soll der Gebrauch des Eigentums dem Wohl der Allgemeinheit dienen (Art. 14 Abs. 2 GG).

Hierin liegt die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse von Eigentümerinnen und Eigentümern den unbedingten Vorrang vor Interessen der Allgemeinheit hat. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass sie die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zum privaten Nutzen ausüben dürfen. Vom Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG umfasst ist das zivilrechtliche Sacheigentum, dessen Besitz und die Möglichkeit, es zu nutzen.

Für den grundrechtlichen Schutz der Eigentumsnutzungsbefugnis kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob Eigentümer den Nutzen unmittelbar selbst ziehen wollen, oder ihr Eigentum in der Weise nutzen wollen, dass sie anderen die Nutzenziehung überlassen. Verfassungsrechtlichen Schutz genießen auch das Eigentum Privater an Waldgrundstücken und dessen Nutzung.

Das Verbot der Änderung der Nutzungsart von Waldflächen zur Errichtung von WEA ist ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Eigentumsposition der Waldeigentümerin oder des Waldeigentümers. § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG schließt vorbehaltlos aus, Waldeigentum zur Erzeugung von Strom aus WEA zu nutzen. Dass andere Nutzungen möglich bleiben, ändert nichts am Grundrechtseingriff. Eine Nutzungsbeschränkung greift in das Eigentum grundsätzlich auch dann ein, wenn nur eine von verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten ausgeschlossen wird. Dabei handelt es sich nicht um eine Enteignung, sondern um eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Gesetzgebungskompetenz des Bundes

Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil das Gesetz formell verfassungswidrig ist, da dem Freistaat Thüringen für die angegriffene Regelung die Gesetzgebungskompetenz fehlt. § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG ist der Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) zuzuordnen, von der der Bund insoweit, insbesondere durch die bauplanungsrechtliche Privilegierung von WEA im Außenbereich, abschließend Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG).

Dabei kann der Thüringer Gesetzgeber Waldgebiete aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) grundsätzlich durchaus unter Schutz stellen, wenn diese aufgrund ihrer ökologischen Funktion, ihrer Lage oder auch wegen ihrer Schönheit schutzwürdig und -bedürftig sind, und er könnte insoweit auch die Errichtung von WEA bei einem überwiegenden Schutzbedürfnis des Waldes ausschließen.

In Thüringen hat der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit naturschutz- und landschaftspflegerechtlichen Waldschutzes gebietsbezogen insbesondere durch die Verordnungsermächtigungen in § 9 Abs. 2 und 3 ThürWaldG Gebrauch gemacht. In den danach zu schützenden Waldgebieten ist die Umwandlung von Waldflächen in eine andere Nutzungsart verboten; auch die Errichtung von WEA kann insoweit ausgeschlossen werden.

Für naturschutzrechtliche Regelungen i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG prägend ist aber ein über den generellen Bedarf nach unbebauter Natur und Landschaft hinaus gehender spezifischerer Bedarf, konkrete Teile von Natur und Landschaft wegen ihrer besonderen Funktion, Lage oder Schönheit zu erhalten oder auch zu entwickeln. Diese Voraussetzung erfüllt § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG im Ergebnis nicht. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das GG nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist.

Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich v. a. in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 und Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 und Art. 105 Abs. 2 GG). Daneben werden dem Bund in zahlreichen Einzelbestimmungen weitere Gesetzgebungsbefugnisse zugewiesen. Das Grundgesetz enthält – von der Ausnahme des Art. 109 Abs. 4 GG abgesehen – eine vollständige Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten entweder auf den Bund oder die Länder. Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar.

Mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge grenzt das Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern durchweg alternativ voneinander ab. Weist die Materie eines Gesetzes Bezug zu verschiedenen Sachgebieten auf, die teils dem Bund, teils den Ländern zugewiesen sind, besteht die Notwendigkeit, sie dem einen oder anderen Kompetenzbereich zuzuordnen. Ist eine Landesregelung dem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zuzuordnen, richtet sich die Zuständigkeit nach Art. 72 Abs. 1 GG. Danach haben die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat.

Ein die Länder von der Gesetzgebung ausschließendes Gebrauchmachen liegt vor, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Frage erschöpfend regelt. Eine Gesetzgebungszuständigkeit für das Waldrecht als eigene Rechtsmaterie regelt das Grundgesetz nicht. In Betracht kommt aber eine Zuordnung der angegriffenen Regelung zu in Art. 74 Abs. 1 GG aufgeführten Regelungsmaterien der konkurrierenden Gesetzgebung, insbesondere zu Nr. 18 (Bodenrecht) und zu Nr. 29 (Naturschutz und Landschaftspflege). Die Auslegung der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG genannten Materie des „Bodenrechts“ kann nicht an einen vorgefundenen Normbereich als zu regelnde Materie anknüpfen, sondern muss eigenständig in Abgrenzung zu verwandten Materien erfolgen.

(…)

 

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Fundstelle Baden-Württemberg, 2/2023, Rn. 26.

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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