29.08.2022

Wasser und Abwasser in der Pandemie (2)

Die Rolle von Wasser und Abwasser im Infektionsschutz – Teil 2

Wasser und Abwasser in der Pandemie (2)

Die Rolle von Wasser und Abwasser im Infektionsschutz – Teil 2

Ein Beitrag aus »Sächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Fortsetzung des ersten Teils:

Perspektiven, insbesondere Frühwarnsystem durch Abwasserüberwachung

Wer angesichts dieses Befundes meint, dass das Wasser in unserer künftigen Pandemiebetrachtung keine Rolle spielt, irrt. Die EU-Kommission forderte in ihrer Empfehlung vom 17.03.2021 die Mitgliedstaaten auf, ergänzend und unabhängig von anderen Methoden die Abwasserüberwachung im Rahmen ihrer nationalen COVID-19 Überwachungs- und Teststrategie verstärkt einzusetzen.[1] Damit hat die EU-Kommission eine der aktuell wohl interessantesten Perspektive für den Infektionsschutz aufgegriffen, die sich aus der wissenschaftlichen Forschung zum Abwasser herleiten lässt. Denn dieser ist es gelungen, Coronaviren über ihr Erbgut im Abwasser nachzuweisen.[2] Anhand dieser Analysen, die auf der klassischen PCR-Technik basieren, sind Trendaussagen zur aktuellen Entwicklung der Pandemielage möglich.[3] Daneben ist über die Abwasserproben und entsprechende Genomsequenzierung nachweisbar, welche Virusvarianten auf der Grundlage ihrer Mutationen im Umlauf sind.[4] Unter der Schirmherrschaft der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission sowie der Generaldirektion der Europäischen Kommission für Umwelt und für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sollen die Ergebnisse verschiedener Studien in den Mitgliedstaaten gebündelt werden, um aus den Erkenntnissen ein Frühwarnsystem für die Pandemie zu entwickeln.[5]

Die Idee, Abwasser als Informationsquelle zu nutzen, ist jedoch keineswegs neu. Bei der Ausrottung der Poliomyelitis (Kinderlähmung) spielen Abwasseranalysen bis heute weltweit eine wichtige Rolle.[6] Das verwundert nicht, wurden doch auch schon vor Beginn der Corona-Pandemie beispielsweise Influenzaviren und multiresistente Keime systematisch im Abwasser nachgewiesen.[7]


Der Empfehlung der Kommission, „so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Oktober 2021“ ein nationales Abwasserüberwachungssystem einzurichten,[8] das auf die Erhebung von SARS-CoV-2-Daten und Virusvarianten im Abwasser abzielt, ist Deutschland bislang aber nicht flächendeckend nachgekommen.

Dabei sind sich die Forscher weitgehend einig, dass sich, selbst wenn noch nicht alle offenen Fragen geklärt seien,[9] eine groß angelegte Realisierung eines solchen Frühwarnsystems lohne[10] und die Technik reif sei für den Einsatz.[11] Das coronaspezifische Abwasserscreening würde es ermöglichen, auf ein sich entwickelndes Infektionsgeschehen früher – gesprochen wird von bis zu zehn Tagen[12] – und zielgenauer zu reagieren. Es wäre im Vergleich zu Testungen der Bevölkerung günstiger sowie insoweit genauer, als es nicht vom Testwillen der Bevölkerung abhängt und asymptomatische Fälle mitumfasst. Infektionsherde könnten auf diese Weise früh quantitativ, vor allem aber auch örtlich differenziert und unter Berücksichtigung des nachvollziehbaren zeitlichen Verlaufs erfasst werden.[13] Das Abwassermonitoring würde damit nicht die individuellen Tests, aktuelle Erfassungsmethoden und Parameter ersetzen, könnte diese aber sinnvoll – auch über die aktuelle Coronapandemie hinaus[14] – ergänzen. Das zeigt bereits der Blick in andere Länder und Regionen, die bei der praktischen Umsetzung deutlich weiter sind als Deutschland, beispielsweise die Niederlande, Dänemark, Schweden oder Katalonien.[15] Aus deutscher Perspektive wird es deshalb neben dem politischen Willen auch der Klärung bedürfen, wie Bund und Länder, Abwasser- und Gesundheitssektor zu diesem Zweck zusammenwirken können. Vorausschauend dafür lohnt sich ein Blick auf die aktuellen Regelungen zur Erfassung des Infektionsgeschehens und zu den Möglichkeiten, einem Abwassermonitoring als infektiologischem Frühwarnsystem jenseits der auf die ordnungsgemäße Entsorgung des Abwassers gerichteten bundes- und landeswasserrechtlichen Regelungen[16] einen rechtlichen Rahmen zu geben.

  1. Die aktuelle Erfassung des Infektionsgeschehens

Das Infektionsgeschehen ist zentraler Orientierungspunkt für die Eindämmungsmaßnahmen der Pandemie. Auch wenn die Hospitalisierungsrate mittlerweile den Inzidenzwert als zentralen Indikator abgelöst hat (vgl. § 28 a Abs. 3 Satz 4 IfSG), bleibt nach wie vor in der öffentlichen Wahrnehmung der Inzidenzwert der bedeutendste Indikator für die Darstellung des Infektionsgeschehens und seiner Dynamik. § 28 a Abs. 3 Satz 7 IfSG weist dem Robert Koch-Institut die Aufgabe zu, werktäglich nach Altersgruppen differenzierte und mindestens auf einzelne Länder und das Bundesgebiet bezogene Daten zu den Indikatoren, zu denen auch der Inzidenzwert gehört, im Internet unter https://www.rki.de/covid-19-trends zu veröffentlichen. Der Inzidenzwert ist Ergebnis der infektionsepidemiologischen Überwachung und Auswertung der Daten zu COVID-19 als einer meldepflichtigen Krankheit, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t IfSG, bzw. zu SARS-CoV-2 als meldepflichtigem Nachweis von Krankheitserregern, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44 a IfSG. § 11 IfSG beschreibt die Meldekette der meldepflichtigen Krankheit bzw. des meldepflichtigen Nachweises von Krankheitserregern ausgehend von den meldepflichtigen Personen über die lokalen Gesundheitsämter und die zuständige Landesbehörde an das Robert Koch-Institut. Nicht zuletzt, weil diese Prozesse (noch) nicht ausschließlich digital ausgeführt werden und es an Wochenenden und Feiertagen immer wieder zu Verzögerungen kommt, zeichnet die Sieben-Tage-Inzidenz auch aufgrund der Inkubationszeit und der Nichtberücksichtigung asymptomatischer Fälle ein nur lückenhaftes Bild des Infektionsgeschehens aus der Vergangenheit. Schon aus praktischer Sicht, aber auch, weil es eine wesentliche Aufgabe des Staates und der Verwaltung ist, das notwendige Wissen für ein verantwortungsvolles Entscheiden zu generieren,[17] umso mehr, wenn wie in der aktuellen Pandemie einschneidende Grundrechtseingriffe vorgenommen werden, drängt sich die Frage nach schnelleren und genaueren Methoden zur Überwachung des Infektionsgeschehens auf. Die Überwachung des Abwassers wäre eine solche Methode, die neben der Sieben-Tage-Inzidenz wertvolle Erkenntnisse über die Entwicklung des Infektionsgeschehens geben kann.

  1. Rechtlicher Rahmen für das Monitoring von Abwasser

Grundsätzlich bietet das Infektionsschutzgesetz verschiedene Anknüpfungspunkte: Einzelfallbezogene Maßnahmen, die auch das Abwasser betreffen, können auf § 16 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden, soweit die dort genannten Voraussetzungen im konkreten Fall zu begründen sind.[18] Für die einzelne Fallstudie mag das ein sinnvolles Instrumentarium sein. Um das flächendeckende Abwasserscreening zu regeln, für das einheitliche Standards in Bezug auf den Ort, die Art der Probenahme, die für die Auswertung zu verwendende Analytik und die Art und Weise der Datenübermittlung festzulegen sind, um landesweit eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherstellen zu können, sind abstrakt-generelle Regelungen erforderlich.

Naheliegend scheint es, dafür an die in der Abwassernorm befindliche Verordnungsermächtigung des § 41 Abs. 2 IfSG zu denken. Hier ruht eine materiell noch ungenutzte Verordnungsermächtigung, für die es in zahlreichen Bundesländern bislang lediglich Zuständigkeitsdelegationen gibt.[19] §41 Abs.2 Satz1 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, bezüglich des Abwassers durch Rechtsverordnung entsprechende Ge- und Verbote zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Damit sollen Standards für den landeseinheitlichen Vollzug der gesetzlichen Vorgabe des § 41 Abs. 1 Satz 1 IfSG gesetzt werden können. Das könnten Regelungen sein, die die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates gem. § 57 Abs. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 3 WHG erlassene AbwV (vgl. BT-Drs. 16/12275, S. 146) bzw. weitere Verordnungen auf der Basis des § 23 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 WHG ergänzen, insbesondere der Entwicklung und Anwendung spezifischer Qualitätsanforderungen dienen, ggf. auch die Aufbereitung und Übermittlung von Daten zum Gegenstand haben oder Qualitätsanforderungen an die mit der Abwasserbeseitigung Beschäftigten stellen (vgl. z. B. auch § 22 Abs. 3 Hessisches Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst – HGöGD).[20] Die Beispiele machen deutlich, dass die Verordnungsermächtigung nicht von vornherein auf die Fälle beschränkt ist, in denen eine Krankheitsgefahr unmittelbar vom Abwasser ausgeht. Das ist bei SARS-CoV-2 – anders als vielleicht bei anderen im Abwasser aufspürbaren Erregern – nach bisherigen Erkenntnissen eher nicht gegeben.[21] Die Identifizierung von Corona-Hot-Spots über das Abwasser dient aber zumindest mittelbar der Verhütung von Krankheiten. Insoweit ließe sich durchaus vertreten, die Verordnungsermächtigung des § 41 Abs. 2 IfSG heranzuziehen, um die für ein effektives Abwassermonitoring notwendigen Regelungen zu Ort, Umfang, Art und Häufigkeit solcher Abwassertests einschließlich der Datenübermittlung an die zuständigen Gesundheitsbehörden und der Kostentragung[22] zumindest auf Länderebene zu treffen.[23] Eine bundeseinheitliche Regelung ist über § 41 Abs. 2 IfSG allerdings nicht möglich. Will man eine inhaltliche Angleichung der in der Landesverordnung zu regelnden Standards erreichen, müssten diese vom Bundesgesetzgeber vorgegeben oder es müsste eine Rechtsgrundlage für eine entsprechende Rechtsverordnung des Bundes geschaffen werden.

Inhaltliche Impulse hierfür können aus der Ermächtigung in § 13 IfSG gewonnen werden. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 IfSG können Bund und Länder zur Überwachung übertragbarer Krankheiten weitere Formen der epidemiologischen Überwachung durchführen. Die Krankheiten und Krankheitserreger, die durch solche Erhebungen zu überwachen sind, können durch das Bundesministerium der Gesundheit im Benehmen mit der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde festgelegt werden.[24] Auf Bundesebene lassen sich die erhobenen Daten dann vom Robert Koch-Institut zusammenführen, im elektronischen Melde- und Informationssystem nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 IfSG verarbeiten, analysieren und bewerten.[25] Befugt zu den Erhebungen sind die jeweils zuständigen Behörden des Bundes und der Länder.[26] Damit diese entsprechende Untersuchungen durchführen können, brauchen sie allerdings Testmaterial. Absatz 3 Satz 8 dieser Vorschrift enthält deshalb eine im Rahmen der Corona-Gesetzgebung erweiterte Ermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen, dass die Träger der in § 8 Abs. 1 Nr. 2 und 3 IfSG genannten Einrichtungen verpflichtet sind, Untersuchungsmaterial, aus dem meldepflichtige Nachweise von bestimmten Krankheitserregern gewonnen wurden, sowie Isolate der entsprechenden Erreger zum Zwecke weiterer Untersuchungen und der Verwahrung (molekulare Surveillance)[27] an bestimmte Einrichtungen der Spezialdiagnostik (z. B. nationale Referenzzentren, Konsiliarlaboratorien, das Robert Koch-Institut und fachlich unabhängige Landeslaboratorien) zu liefern.[28] Bislang ist auch von dieser Verordnungsermächtigung kein Gebrauch gemacht worden; die Verfahren werden häufig auf freiwilliger Ebene realisiert.[29]

Für das Abwassermonitoring ist diese Regelung mithin ein gutes Vorbild. Wie das Monitoring des Abwassers konkret zu erfolgen hat, könnte in Anlehnung an § 13 Abs. 2 bis 5 IfSG näher ausgestaltet werden. Den Abwasserbeseitigungspflichtigen im Sinne des § 41 Abs. 1 IfSG[30] müssten insoweit näher bestimmte zeitliche und inhaltliche Testpflichten bezogen auf das Abwasser bzw. Duldungspflichten zur Ermöglichung solcher Tests durch Dritte auferlegt werden. Ob das über eine direkte gesetzliche Ausgestaltung der Pflichten (ähnlich des § 13 Abs. 5 Satz 1 IfSG) erfolgt oder eine Ermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung (ähnlich des § 13 Abs. 3 Satz 8; Abs. 4 Satz 2; Abs. 5 Satz 2 IfSG) eingeführt wird, über die dann eine Konkretisierung erfolgt, kann zunächst dahinstehen. Eine Ermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung hätte jedoch den Vorteil, dass die Rechtsverordnung bei der konkreten Ausgestaltung der Pflichten deutlich mehr ins Detail gehen könnte als eine dann ggf. unübersichtlich werdende gesetzliche Ausgestaltung.

Regelungsbedarf besteht auch in Bezug auf eine entsprechende Meldepflicht der Abwasserbeseitigungspflichtigen bzw. testenden Stellen hinsichtlich der Ergebnisse des Monitorings des Abwassers. Meldepflichten bestehen im Infektionsschutzgesetz bislang nur für die in § 6 IfSG aufgeführten Krankheiten oder die in § 7 IfSG aufgeführten Krankheitserreger. § 6 IfSG sieht dem Wortlaut und der Überschrift nach die Meldepflicht von Krankheiten vor. Bei der Untersuchung von Abwasser wird jedoch keine Krankheit im Sinne des § 6 IfSG gemeldet. Nach § 7 IfSG sind Nachweise von Krankheitserregern zu melden, „soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen“. Auch dieses Tatbestandsmerkmal kann hinsichtlich der Monitoringergebnisse des Abwassers nicht erfüllt werden, da keine akute Infektion nachgewiesen, sondern das Bild eines (insoweit nicht bestimmten Personen zuzuordnenden) Infektionsgeschehens gezeichnet wird. Zu regeln wäre mithin eine Meldepflicht, soweit das Abwassermonitoring auf eine akute Infektion oder auf ein allgemeines Infektionsgeschehen hinweist, ergänzt durch Vorgaben zur Häufigkeit und zum Inhalt/Umfang der erforderlichen Meldungen.

Mit der Einführung eines weiteren Überwachungssystems allein ist es allerdings nicht getan. Wenn das Abwasserscreening nach seiner flächendeckenden Einführung das verspricht, was die bisherigen Fallstudien exemplarisch belegt haben, könnte es auch zu einem weiteren Indikator für die Bewertung des Infektionsgeschehens i. S. d. § 28 a Abs. 3 IfSG werden.

Fazit

„Even, actually, if we have a vaccine or very good treatments, humanitywillstillbelivingwiththisvirusforverymany,many years … decades to come.“[31] Das sollte Ansporn sein, jenseits der bekannten Pfade flächendeckender bundes-, landes- oder kreisweiter Maßnahmen, die teilweise nach dem Gießkannenprinzip angeordnet und angewendet werden, nach neuen, spezifischen Lösungswegen an ausgemachten neuralgischen Punkten zu suchen, um die erheblichen Gefahren der Pandemie für Einzelne, aber auch die Gesellschaft, für staatliche und private Institutionen und das gesamtgesellschaftliche Zusammenwirken einzudämmen.

Dass Wasser und Abwasser bislang keine Rolle als mögliche Überträger von SARS-CoV-2 spielten, was vor allem an den vom Siebten Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes, der Trinkwasserverordnung und den dahinterstehenden europäischen Vorschriften vorgegebenen hohen Standards liegt, ist positiv und eröffnet jenseits einiger noch zu schließender „Baustellen“, die es im Infektionsschutzrecht auch in Bezug auf das Wasser gibt, die Chance, die Erkenntnisse zu diesen Medien verstärkt im Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie einzusetzen. Selbst wenn die Einschränkung des Spaßbadens zu den Maßnahmen gehört, die der Verordnungsgeber aus Gründen der infektionsmedizinisch notwendigen Kontaktbeschränkung anordnen darf, gibt es mithin dafür, dass der Schwimmunterricht in Schwimmbädern ausfällt, während der Unterricht in den Klassenzimmern uneingeschränkt fortgeführt wird, aus infektionsschutzrechtlicher Sicht keine Rechtfertigung. Die Etablierung eines abwasserbasierten Frühwarnsystems ist sowohl in Vorbereitung auf künftige infektionsmedizinische Herausforderungen als auch in der andauernden SARS-CoV-2-Pandemie eine vergleichsweise kostengünstige Möglichkeit, im Vorlauf zu individuellen Testungen zu Trendaussagen hinsichtlich des all-gemeinen Infektionsgeschehens und der grassierenden Virusvarianten zu gelangen: Warum gibt es gerade in Betrieben, in denen viele Menschen am selben Ort zusammenarbeiten, Alten- und Pflegeheimen, Studentenunterkünften, Internaten, Schulen u. a. vergleichbaren Einrichtungen noch keine engmaschige, regelmäßige „Coronavirus-Indirekteinleiterkontrolle“ und damit kein Frühwarnsystem,[32] das signalisiert, wann bestimmte dem Infektionsschutz dienende Ge- und Verbote tatsächlich erforderlich sind? Neue Ideen liegen auf dem Tisch, sie müssen jetzt ergriffen und umgesetzt werden.

Mit der SARS-CoV-2-Pandemie so umzugehen, dass das gesellschaftliche Miteinander so wenig wie möglich Schaden nimmt, ist keine bloße Aufgabe der Gesundheitsministerien und Infektionsschutzbehörden; der Gesetzgeber, die gesamte staatliche Verwaltung und die Gesellschaft sind dazu aufgefordert, kreative Ansätze aufzugreifen, zu entwickeln und neue Lösungswege möglichst unbürokratisch zu beschreiten.

[1] Empfehlung (EU) 2021/472 der Kommission vom 17.03.2021 über einen gemeinsamen Ansatz zur Einführung einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU, Erwägungsgrund 5.

[2] Westhaus et al. (Fn. 21).

[3] So wurden in Abwasserproben in Mailand und Turin aus dem Dezember 2019 bereits Erreger des Coronavirus festgestellt, obwohl die ersten offiziell bestätigten Fälle infizierter Personen in Italien erst Mitte Februar 2020 bekannt geworden sind, https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-schon-im-dezember-in-abwaessern-von-turin-und-mailand-gefunden-a-56c600b2-1802-4d68-9197-3901e13694c7, abgerufen am 17.12.2021.

[4] Vgl. das Forschungsprojekt „SARS-CoV-2 Genom im Abwasser – Monitoring der Pandemieentwicklung mittels Sequenzierung“ unter der Leitung von Prof. Susanne Lackner an der TU Darmstadt.

[5] Mitteilung der Kommission vom 15.07.2020, COM (2020) 318 final, S. 4, https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/communication_-_shortterm_eu_ health_preparedness.pdf, abgerufen am 17.12.2021; EU-Kommission, Kommunales Abwasser: 10. Umsetzungsbericht vom 10.09.2020, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/QANDA_20_1562, abgerufen am 17.12.2021.

[6] KA Korrespondenz Abwasser, Abfall, 2021 (68) Nr. 10, S. 801 ff. Die Ausrottung von WPV1, dem letzten verbliebenen Wildtyp des Poliovirus, wird von der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) bis 2023 angestrebt, dazu Diop auf der Online-Konferenz „Wastewaterbased Epidemiology – Polio, Pest und Pandemie“, (Fn. 5).

[7] Seeger (Fn. 22), S. 5.

[8] Empfehlung (EU) 2021/472 (Fn. 28), Empfehlung 4.

[9] Zu klären ist z. B., wie die Abwasserdaten für die Gesundheitsbehörden verständlich dargestellt werden können, welche anderen Quellen (Wetterdaten, klinische und sonstige Forschungsdaten) in die Auswertung einbezogen werden sollen etc.

[10] Überblick zu den nationalen und internationalen Forschungsaktivitäten bei Seeger (Fn. 22), S. 8 ff.

[11] Dazu Gawlik, auf der Onlinekonferenz „Wastewaterbased Epidemiology – Polio, Pest und Pandemie“ (Fn. 5); Praxisbeispiele dazu Lackner, auf derselben Online-Konferenz „Wastewaterbased Epidemiology – Polio, Pest und Pandemie“ (Fn. 5).

[12] Krämer-Hoppe (Fn. 5), § 41 Rn. 7.

[13] Seeger (Fn. 22), S. 14.

[14] Multiresistente Keime, unzählige virale und bakterielle Erreger, aber auch Wurmeier und einzellige Parasiten, die verschiedenste Krankheiten von Durchfall über Herzerkrankungen bis zu neurologischen Problemen auslösen, könnten in Fäkalien und Abwasser gefunden werden und insoweit auch für die Nutzung der Oberflächengewässer und die gefahrlose Trink-wasserversorgung von Bedeutung sein, dazu Rose auf der Onlinekonferenz „Wastewaterbased Epidemiology – Polio, Pest und Pandemie“ (Fn. 5); Bettge-Weller/Harpel sprechen auf derselben Onlinekonferenz in Bezug auf multiresistente Keime von einer „stillen Pandemie“.

[15] So ist das Abwassermonitoring z. B. in den Niederlanden als „früher Indikator“ Teil des nationalen Coronavirus-Dashboards.

[16] Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass eine Verankerung der europaweiten Verpflichtung zum Abwassermonitoring in der EU-Kommunalabwasserrichtlinie (91/ 271/EWG) deplatziert sei, https://www.vku.de/themen/europa/umsetzung-des-abwassermonitorings-auf-corona-in-deutschland/,abgerufen am 17.12.2021.

[17] Köck (Fn. 5), Kap. 7, Rn. 68.

[18] Gerhardt, IfSG, 5. Aufl. 2021, § 41 Rn. 5.

[19] Pommer (Fn. 8), IfSG § 41 Rn. 36 f.; Köck (Fn. 5), Kap. 7 Rn. 59.

[20] Pommer (Fn. 8), IfSG § 41 Rn. 38.

[21] Vgl. dazu oben unter Abschnitt II.

[22] Eine Refinanzierung der Kosten für das infektionsschutzrechtlich begründete Abwassermonitoring, die primär bei den abwasserbeseitigungspflichtigen Aufgabenträgern entstehen, über Abwassergebühren oder -entgelte ist mangels Betriebsbezogenheit zur Aufgabe der Abwasserbeseitigung – jedenfalls derzeit – nicht möglich.

[23] Pommer (Fn. 8), IfSG § 41 Rn. 39; ebenso Krämer-Hoppe (Fn. 5), § 41 Rn. 19.

[24] Gerhardt (Fn. 45), § 13 Rn. 6.

[25] Putzer, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK InfSchR, 10. Ed. (Stand 15.01.2022), IfSG § 13 Rn. 4.

[26] Putzer, (Fn. 52), IfSG § 13 Rn. 4.

[27] Eine Übersicht von Surveillancemaßnahmen und Studien am Robert Koch-Institut zu COVID-19: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/Projekte.html, abgerufen am 17.12.2021.

[28] Instruktiv dazu Putzer (Fn. 52), IfSG § 13 Rn. 13.

[29] Gerhardt (Fn. 45), § 13 Rn. 17.

[30] Zur Bestimmung der Abwasserbeseitigungspflichtigen vgl. Pommer (Fn. 8), IfSG § 41 Rn. 24.

[31] So der britische Seuchenforscher Prof. Sir Jeremy Farrar im ersten Pandemiejahr, zit. nach Evening Standard vom 21.07.2020, https://www.standard.co.uk/news/health/coronavirus-vaccine-cases-lockdown-jeremy-farrar-a4504696.html, abgerufen am 17.12.2021.

[32] Laut Prof. Susanne Lackner, TU Darmstadt, ist das System ausgereift und könnte jederzeit etabliert werden, es fehle schlicht am politischen Willen, https://www.rnd.de/gesundheit/es-fehlt-am-politischen-willen-expertin-draengt-auf-abwasseranalysen-im-kampf-gegen-pandemie-7MRVYUOG 6I6ZWZMBIAQYV6PCTE.html, abgerufen am 17.12.2021. In Oberösterreich nutzt das Bildungsministerium die in mehr als 100 Kläranlagen gezogenen Abwasserproben bereits als „Frühwarnsystem“ für Schulstandorte, Kronenzeitung 07.11.2021, https://www.krone.at/2549144, abgerufen am 17.12.2021.

 

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Paul Lieber

Rechtsanwalt bei Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB in Leipzig.
 

Dr. Sophia Pommer

Rechtsanwältin bei Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB in Leipzig
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