17.08.2022

Mehr Respekt bitte!

Diskussionskultur in der Kommunalpolitik

Mehr Respekt bitte!

Diskussionskultur in der Kommunalpolitik

Dimensionen der Diskussionskultur: Beachtung von Grenzen, gegenseitiger Respekt, Fachlichkeit und Sachlichkeit, Offenheit und Kompromissbereitschaft sowie Parität. © Dilok – stock.adobe.com
Dimensionen der Diskussionskultur: Beachtung von Grenzen, gegenseitiger Respekt, Fachlichkeit und Sachlichkeit, Offenheit und Kompromissbereitschaft sowie Parität. © Dilok – stock.adobe.com

Unsere Gesellschaft, diagnostiziert der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, durchläuft einen kommunikativen Klimawandel. Eine Atmosphäre der großen Gereiztheit gefährdet Gespräche und Diskurse, macht sich breit in sozialen Medien oder auch auf der Straße. Häufiges Ziel des Unmuts sind „die Politiker“– Politikerinnen erst recht. Statistiken belegen: Kommunale Amts- und Mandatsträger werden von Jahr zu Jahr häufiger von ihren Bürgern angefeindet.

Eine quantitative Erhebung im Auftrag der Körber-Stiftung, an der 2021 mehr als 1600 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Deutschland teilnahmen, zeigte: Mehr als die Hälfte wurden schon mindestens einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen.

Online-Portal „Stark im Amt“

Hier als Körber-Stiftung zu reagieren, lag uns am Herzen – und so haben wir zusammen mit Deutschlands kommunalen Spitzenverbänden das Online-Portal „Stark im Amt“ entwickelt, das allen in der Kommunalpolitik Tätigen, unter ihnen viele Ehrenamtliche, ein Hilfsangebot macht. Neben viel Zuspruch erhielten wir auch Hinweise, dass in den politischen Gremien selbst ein rauer Ton eingezogen sei: in Gemeinderäten oder Stadtverordnetenversammlungen, in Ausschüssen und Fraktionssitzungen. Wie belastend dies von Mandatsträgern empfunden wird, hat uns aufhorchen lassen.


Wir wollten die Situation näher erforschen und haben beim Institut Pollytix Strategic Research eine Studie in Auftrag gegeben. Dafür wurden 30 leitfadengestützte Tiefeninterviews mit männlichen und weiblichen Ratsmitgliedern verschiedenster Parteizugehörigkeiten aus Ost- und Westdeutschland geführt: in kleinen Gemeinden (bis 10.000 Einwohner), mittleren Gemeinden (10.000 bis 100.000 Einwohner) und Städten (über 100.000 Einwohner). Viele Zitate aus diesen Interviews und deren Analyse sind erschienen in der Broschüre „Mehr Respekt bitte! Diskussionskultur in der deutschen Kommunalpolitik“, die hier nachfolgend mit einigen Beispielen im Wortlaut kurz vorgestellt werden soll.

Zu den Ergebnissen der Studie

In einem ersten Schritt wurde ausgelotet, was die befragten Ratsmitglieder unter Diskussionskultur verstehen. Dabei wurde deutlich, dass sie, unabhängig von der Parteizugehörigkeit (CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke, FDP, AfD, Freie Wähler, Sonstige), dem Geschlecht (w/m), der Lage in Deutschland oder der Gemeindegröße ein sehr ähnliches Grundverständnis von Diskussionskultur teilen.

Es ist wichtig, dass man seinem Gegenüber zuhört, dass man auf es eingeht, es aussprechen lässt, aber auch selbst zum Reden kommt – ein Geben und Nehmen! (SPD, w, west-mittel)

Fünf Dimensionen der Diskussionskultur kristallisierten sich bei den Befragungen heraus: Beachtung von Grenzen, gegenseitiger Respekt, Fachlichkeit und Sachlichkeit, Offenheit und Kompromissbereitschaft sowie Parität (gleiche Redeanteile). Insbesondere die Grenze, ab der das faire Miteinander verlassen wird, wurde von den Befragten einheitlich benannt. Diskussionen überschreiten dann die rote Linie, wenn Äußerungen persönlich ehrverletzend werden. Darunter fallen etwa das Streuen von Gerüchten, Beleidigungen, Drohungen oder ein aggressiver, angreifender Tonfall.

Es kommt vor, dass Gemeindevertreter sich anbrüllen und sich nicht ausreden lassen. Es ist nicht immer so, aber von zehn Tagesordnungspunkten ist es vielleicht einer, bei dem einige richtig aggressiv miteinander umgehen und vergessen, dass es um ein Ehrenamt geht. Das passiert häufig, sicher in zwei von vier Sitzungen im Jahr. (Sonstige, w, ost-klein)

Auch wenn im Gesamtkreis der Befragten massive Grenzüberschreitungen relativ selten vorkommen, zeigt sich in fast allen Räten ein großer Verbesserungsbedarf bezüglich der Diskussionskultur. Denn gerade wegen der hohen Anforderungen des Ehrenamts wirkt sich eine negative Diskussionskultur auch negativ auf die Motivation der Ratsmitglieder aus.

Man ist sehr aufgewühlt, sehr emotional, weil man ja auch persönlich angegriffen wird. Und man geht, weil das häufiger vorkommt, manchmal schon mit einem mulmigen Gefühl zu den Sitzungen und ist froh, wenn es vorbei ist. (Sonstige, w, ost-klein)

Wenn das eigene politische Engagement zur Belastung wird, sind die daraus resultierenden Konsequenzen für die ganze Kommune nicht zu unterschätzen: Die Bereitschaft zur Teilhabe von politisch Engagierten sinkt. Hier zeigt sich eine große Divergenz zwischen der Bedeutung des Ehrenamts für die Demokratie und den Arbeitsbedingungen der ehrenamtlichen Ratsmitglieder.

Zur Lösung bestehender Konflikte werden zwar häufig individuelle Strategien herangezogen, ein gemeinsames und strukturelles Vorgehen im Rat fehlt jedoch. Damit wird eine systematische Verbesserung verhindert und der Umgang mit Problemen in die Verantwortung Einzelner übergeben.

Aber ich denke, es fängt beim Bürgermeister mit der Veränderung an. Und ich denke, dass man da schon auch ein bisschen anders miteinander diskutiert. Der alte Bürgermeister war 18 Jahre Bürgermeister, der kannte alles aus dem Effeff. Und mit den Neuen, den Neulingen, braucht es Zeit, bis man sich da ein bisschen eingeschworen hat. (CDU, w, west-klein)

Keiner der Befragten berichtete von fraktionsübergreifenden Initiativen zur Verbesserung der Diskussionskultur. Es scheint, dass auch das Miterleben von Angriffen und Grenzüberschreitungen nur zu sporadischer Zurückweisung durch die Ratsmitglieder führt. In dieser Situation kommt der Versammlungsleitung (in manchen Bundesländern die Bürgermeisterin/der Bürgermeister, in anderen ein gewähltes Ratsmitglied) in positiver wie negativer Hinsicht eine zentrale Rolle zu – je nachdem, wie hoch ihre Kompetenz in deeskalativer Gesprächsführung ausgeprägt ist. Aber auch andere Aspekte, wie die Anwesenheit konfliktsuchender Einzelpersonen oder populistischer Fraktionen im Rat, die Behandlung emotional aufgeladener oder stark polarisierender Themen sind bedeutsame Variablen.

Fazit

Die geschilderten Probleme sind offensichtlich: Die Befragten bestätigen eine Verschlechterung der Diskussionskultur. Gerade für Frauen wird die Situation in manchen Räten schwieriger. Und Versammlungsleiter ringen damit, ihr Ratskollegium, das sich in immer mehr Fraktionen zerlegt, von denen jede das Wort führen will, zum Beschluss zu führen. Nicht nur für Neulinge im politischen Betrieb ist das demotivierend. Aggressive oder auch unnötig lange Auseinandersetzungen nehmen vielen die Lust an der politischen Arbeit, manche überlegen, ihr Amt deswegen niederzulegen.  Diese Entwicklung ist bedenklich, da insbesondere die Kommunalpolitik als Bindeglied zwischen Bürgern und Politik, als Basis unserer Demokratie gelten kann.

Ein zentrales Ziel der Studie ist deshalb die Formulierung und Bewertung konkreter Lösungsansätze. So bieten sich Schulungen zur Verbesserung der Kommunikationskompetenz der Versammlungsleitungen an. Aber auch die gesamte Ratsversammlung sollte ihr Diskussionsverhalten reflektieren. Ziel könnte die Entwicklung eines Kodex für gute Diskussionskultur sein, in dem ein gemeinsames Verständnis und gemeinschaftlich verabredete Verpflichtungen festgehalten werden. Solche Ansätze in der Praxis zu erproben hat sich die Körber-Stiftung zusammen mit Partnern zum Ziel gesetzt. Wir sind gegenwärtig dabei entsprechende Maßnahmen zu entwickeln.

So möchten wir dazu beitragen, die vielen Mitglieder kommunaler Räte in Deutschland in ihrer zumeist ehrenamtlichen politischen Arbeit zu unterstützen. Wir möchten, dass sie diese nicht als emotionale Last erleben, sondern sie mit Freude am gemeinwohl-orientierten Engagement ausführen können. Wir meinen: Es darf nicht zur Voraussetzung erklärt werden, über ein »dickes Fell« zu verfügen, wenn man in die Kommunalpolitik will. Vielmehr muss auch in kommunalpolitischen Arenen Raum bleiben für Menschen, die Wert legen auf Höflichkeit und Nachdenklichkeit und die nicht einfach alles an sich abperlen lassen, sondern die Übergriffe benennen und klar zurückweisen.  Nicht nur für diese Menschen gilt, was unsere Broschüre im Titel formuliert: „Mehr Respekt bitte!“

Anmerkungen der Redaktion:

Zur Studie siehe https://koerber-stiftung.de/projekte/stark-im-amt/respekt/

Anfeindungen und Gewalt speziell gegen Bürgermeister hat Prof. Paul Witt am Beispiel Südbaden dargestellt unter:

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Die Serie: Einführung eines Nullsteuersatzes für Photovoltaikanlagen

 

 

 

 

 

Martin Meister

Programmleiter Engagement der Körber-Stiftung
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