24.08.2022

Virtuelle Lehrangebote im Rechtsreferendariat

Erfahrungen mit der Online-Ausbildung

Virtuelle Lehrangebote im Rechtsreferendariat

Erfahrungen mit der Online-Ausbildung

Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörenden vor einem Bildschirm ist deutlich kürzer als bei Präsenzveranstaltungen. © Blue Planet Studio – stock.adobe.com
Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörenden vor einem Bildschirm ist deutlich kürzer als bei Präsenzveranstaltungen. © Blue Planet Studio – stock.adobe.com

Mit Beginn der Corona-Pandemie musste in der Ausbildung der Rechtsreferendare* kurzfristig die Stoffvermittlung von Präsenzarbeitsgemeinschaften auf digitalen Unterricht umgestellt werden. Dabei wurden in den drei bayerischen Oberlandesgerichtsbezirken München, Nürnberg und Bamberg verschiedene Ansätze und Ideen erprobt. Von der Kooperation auf Ausbilderseite zwischen den Standorten profitierten Referendare wie Dozenten.1

Der Startschuss

Am Freitag, den 13. März 2020, erreichte um 14.12 Uhr die Ausbildungsstellen der drei bayerischen Oberlandesgerichte eine E-Mail des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, mit der im Hinblick auf die Ausbreitung des Corona-Virus und der deshalb angeordneten Schulschließungen in Bayern ab dem kommenden Montag, den 16. März 2020, auch alle angebotenen Unterrichtsveranstaltungen für Rechtsreferendare abgesagt wurden.

Um die Stoffvermittlung ohne Präsenzveranstaltung zu gewährleisten, waren nun schnelle Lösungen gefragt. Zudem standen ein neuer Einstellungstermin zum 1. April 20202 und damit einhergehend mehrwöchige Einführungslehrgänge vor Ort unmittelbar bevor. Die Ausbildungsreferenten sowie die hauptamtlichen Arbeitsgemeinschaftsleiter3 gingen daher noch am selben Tag daran, nach neuen Wegen zu suchen. Dabei war ihnen von Anfang an die Vorgehensweise freigestellt. An Möglichkeiten standen neben Videokonferenzen über verschiedene Anbieter u. a. der Einsatz von Podcasts, vertonten PowerPoint-Folien etc. im Raum.


Ab Mitte März 2020 erfolgte die Stoffvermittlung bis zu einer ersten Rückkehr in den „Normalbetrieb“ Ende Mai 2020 ausschließlich in digitaler Form. Ab Herbst 2020 musste – je nach Standort und Inzidenzwerten – erneut schrittweise auf Online-Veranstaltungen umgestellt werden. Erst seit Juni 2021 können an allen Standorten wieder Präsenzeinheiten durchgeführt werden, wobei derzeit Präsenzunterricht mit digitalen Angeboten kombiniert wird. Dabei zeigt sich, dass der jüngste Einstellungsjahrgang (Einstellung zum 1. April 2021) durch die Erfahrungen an der Universität und im privaten Umfeld mit Konferenzplattformen und virtuellem Unterricht gut vertraut ist und keinerlei „Berührungsängste“ mehr mitbringt.

Auswahl geeigneter Videokonferenztechnik

Wie an Schulen und Universitäten bestand die erste Herausforderung darin, geeignete Videokonferenzsysteme zu finden. Entscheidende Auswahlkriterien waren Qualität, Benutzerfreundlichkeit, Stabilität und Datensicherheit. Was heute einfach und fast schon selbstverständlich klingt, war „damals“ noch echtes Neuland. Die Entscheidung für die verschiedenen Anbieter fiel an den jeweiligen Standorten durchaus unterschiedlich aus. Gleichwohl setzte man von Anfang an auf Kooperation und Austausch zwischen den Standorten und den Gerichtsbezirken. Gerade in der Anfangsphase wurde zudem aktiv das Feedback der Referendare eingefordert, um die Online-Unterrichtskonzepte im Dialog mit den Lernenden zu entwickeln und zu optimieren. Damals neue Erfahrungswerte (und jetzt schon fast „Binsenweisheiten“) sind:

  • Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörenden vor einem Bildschirm ist deutlich kürzer als bei Präsenzveranstaltungen,
  • die Hemmschwelle gerade der schwächeren Teilnehmer, sich online zu melden und Fragen zu stellen, ist deutlich höher und
  • die Tendenz mancher Zuhörer, sich durch Ausschalten der Kamera unsichtbar machen zu wollen.

Einsatz von Lernplattformen

An einem Ausbildungsstandort wurde zudem die E-Learning-Plattform Moodle genutzt, die eine Universität im Wege der „Amtshilfe“ bereitstellte. Die Software bietet die Möglichkeit, Arbeitsmaterialien digital zur Verfügung zu stellen, erlaubt die Einrichtung virtueller Kursräume, beinhaltet ein Kursmanagement-System von der Stellung der Aufgaben bis zur Überprüfung der termingerechten Bearbeitung und ermöglicht die Kontaktaufnahme über Chats und Foren.

Auf der Plattform wurden vertonte und für den Online-Unterricht angepasste PowerPoint-Präsentationen eingestellt. Dies erlaubt ein erneutes Anhören im weiteren Verlauf der Ausbildung, etwa zu Wiederholungszwecken. Da sich herausgestellt hat, dass der Face-to-Face-Kontakt wichtig ist, entschloss man sich aber auch hier, die ursprünglich eingerichteten Frage-und-Antwort-Foren durch Videokonferenzen in unmittelbarem Zusammenhang mit der jeweiligen Einheit zu ersetzen.

Experimentieren mit verschiedenen Gruppengrößen

Neben den technischen Herausforderungen gab es praktische Fragen, wie die nach der idealen Gruppengröße. Es wurde mit verschiedenen Gruppengrößen experimentiert, z. B. einer größeren Gruppe mit einem Dozententeam. Dabei zeigte sich, dass bei kleinerer Gruppenstärke die Kamera seltener ausgeschaltet wird und die Mitarbeit aktiver ist. Je nach Unterrichtsinhalt eignet sich damit die eine Gruppengröße besser als die andere: Für Klausurbesprechungen in reinen Klausurenkursen kann die Gruppe größer sein, für die Vermittlung der Grundlagen gerade zu Beginn des Referendariats empfiehlt sich hingegen der Unterricht in kleineren Gruppen.

Experimentieren mit verschiedenen Didaktik-Instrumenten

Um der schnelleren Erschöpfung beim virtuellen Unterricht vorzubeugen, kamen verschiedene Instrumente zur Erprobung: So wurden PowerPoint-Foliensätze verdichtet und mit relevanten Normen, Rechtsprechungsseiten, Klausurtexten etc. angereichert. Fragen an die Runde wurden eingeblendet und es gab Abstimmungsfragen oder ein kleines Quiz, um den Dialog mit den Zuhörern aufrecht zu erhalten und zum Mitmachen und „Dranbleiben“ zu ermuntern. Die Whiteboard-Funktion wurde als Tafelersatz für graphische Darstellungen oder zur Ideensammlung in den virtuellen Unterricht eingebunden. Gruppenarbeit war über elektronische Breakout Rooms möglich, Gruppenergebnisse konnten erstellt und die Dokumente für alle Teilnehmer eingeblendet und vorgestellt werden. Insoweit bleibt der digitale Unterricht nicht hinter den Möglichkeiten des Präsenzunterrichts zurück.

Großer Beliebtheit bei den Zuhörenden erfreuten sich auch die Fragerunden vor oder nach Unterrichtspausen. Insbesondere schwächere Teilnehmer nutzten diese Möglichkeit gerne. Als hilfreich erwiesen sich häufige Pausen. Allein durch ein kurzes Aufstehen am Schreibtisch, ein Durchlüften oder eine Tasse Kaffee fiel das anschließende Zuhören wieder leichter. Teilweise wurden die Unterrichtszeiten etwas gekürzt und dafür zusätzliche digitale Unterrichtseinheiten, v. a. zur Wiederholung, angeboten.

Klausuren

Die mindestens einmal monatlich angebotenen Übungsklausuren wurden ab März 2020 in der Regel zu Hause geschrieben. Der Klausursachverhalt wurde morgens per E-Mail versandt, in fünf Stunden eigenverantwortlich zu Hause bearbeitet und die Lösung anschließend in elektronischer Form (abfotografiert und in ein PDF-Dokument umgewandelt) zurückgeschickt. Teilweise konnten die Klausuren mit einem Textverarbeitungsprogramm geschrieben werden, auch wenn dies noch nicht dem Vorgehen im Examen entspricht (das E-Examen wird in Bayern für 2023 bzw. 2024 angestrebt).

Zusatzveranstaltungen

Veranstaltungen wie das beliebte Planspiel zur Simulation einer Gerichtsverhandlung wurden in eine virtuelle Form überführt (angelehnt an § 128a ZPO). Diese vor der Pandemie in einem Sitzungssaal durchgeführte Veranstaltung soll an manchen Standorten auch künftig ein virtuelles Planspiel bleiben. Außerdem gab es in ganz Bayern weitere freiwillige digitale Zusatzangebote wie Rhetorikkurse oder Workshops zum Verhandlungsmanagement. Schließlich konnten sogar die einwöchigen Mediationsseminare in (zumindest teilweiser) digitaler Form angeboten werden, um den Erwerb dieser wichtigen Schlüsselqualifikation in Pandemiezeiten zu ermöglichen. Die Veranstaltungen nahmen die Referendare sehr gut an und gaben nahezu ausschließlich positives Feedback.

Fazit

Bei allen Herausforderungen, die die virtuellen Lehrangebote besonders anfangs mit sich brachten, konnte nicht nur der gesamte Prüfungsstoff vermittelt werden, sondern auch der Erwerb der Schlüsselqualifikationen war trotz Lockdowns nahezu unvermindert möglich. Dabei bewährte sich, dass es keine bayernweiten Vorgaben zur Gestaltung der Umstellung auf Online-Veranstaltungen gab, sondern alle nach den besten Umsetzungsmöglichkeiten suchten und sich dabei gegenseitig unterstützten.

 

Der Beitrag stammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«, Heft 2/2021.

 

*) Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich nach geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt alle anderen Formen gleichberechtigt ein.

1) Wir danken RinOLG Tina Haase, RinOLG Christine Haumer und RiLG Bernd Wätzold für ihre Unterstützung zu diesem Beitrag.

2) Im Freistaat Bayern werden zweimal im Jahr, jeweils zum 1. April und zum 1. Oktober, Rechtsreferendare eingestellt.

3) In Bayern werden die Arbeitsgemeinschaften im ersten Jahr des Referendariats von besonders qualifizierten und erfahrenen Richtern geleitet. Sie sind während ihrer Tätigkeit als Arbeitsgemeinschaftsleiter von Rechtsprechungsaufgaben freigestellt und damit hauptamtlich in der Ausbildung tätig. Daneben gibt es nebenamtlich Unterrichtende, die ihre Dozententätigkeit neben ihrer Haupttätigkeit bei Gericht, Staatsanwaltschaft oder als Rechtsanwälte, Notare etc. ausüben.

 

Silke Gloßner LL.M

Richterin, OLG München, hauptamtliche Arbeitsgemeinschaftsleiterin, München
 

Dr. Bettina Mielke

Vors. Richterin, OLG Nürnberg, Leiterin der Abteilung für Rechtsreferendare und juristische Staatsprüfungen
 

Dr. Thomas Strauß

Richter OLG Nürnberg, hauptamtlicher Arbeitsgemeinschaftsleiter, Regensburg
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