17.03.2023

Vorsorgeaufwendungen bei grenzüberschreitender Tätigkeit im Inland abzugsfähig?

Entscheidungen des Bundesfinanzhofes

Vorsorgeaufwendungen bei grenzüberschreitender Tätigkeit im Inland abzugsfähig?

Entscheidungen des Bundesfinanzhofes

Abzugsverbot bei Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen. | © Kiattisak - stock.adobe.com
Abzugsverbot bei Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen. | © Kiattisak - stock.adobe.com

In zwei Entscheidungen hatte der Bundesfinanzhof (BFH) vom 27.10.2021[1] zu entscheiden. In beiden Fällen war ein Arbeitnehmer sowohl in Deutschland als auch in einem EU-Staat (Luxemburg) tätig und zahlte Pflichtbeiträge in die Sozialversicherung.

A und B sind Ehegatten und wohnen im Inland. Für das Streitjahr 2016 wurden sie zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. A war 2016 als Arbeitnehmer in Luxemburg beschäftigt und dort sozialversicherungspflichtig. Er zahlte in Luxemburg Beiträge zur Rentenversicherung (6.696 €), Krankenversicherung (2.514,60 €) und Pflegeversicherung (1.091,04 €). Luxemburg behielt vom Arbeitslohn Lohnsteuer ein. Die luxemburgische Pflegeversicherung („l’as-surance dépendance“) ist eine im Jahr 1999 eingeführte Pflichtversicherung. Sie ist Teil der dort obligatorischen Sozialversicherungen. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung beträgt 1,4 % des Gesamteinkommens. Nach luxemburgischem Einkommensteuerrecht sind zwar Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung als Sonderausgaben abziehbar (Art. 110 Nr. 1 loi concernant l’impot sur le revenu – L.I.R. –), nicht aber solche zur Pflegeversicherung. Das deutsche Finanzamt stellte den Arbeitslohn des A bei der Einkommensteuerfestsetzung unter Progressionsvorbehalt steuerfrei[2].

Die Beiträge zur luxemburgischen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung erkannte das Finanzamt (FA) nicht als Sonderausgaben an und begründete dies damit, dass die Aufwendungen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden. Die Vorinstanz ließ die in Luxemburg geleisteten Beiträge zur Pflegeversicherung als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG zu. Das Sonderausgabenabzugsverbot nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG setze voraus, dass der „Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen“ zulasse. Dabei sei auf die Beiträge zur jeweiligen Versicherungssparte abzustellen. Beiträge zur Pflegeversicherung seien in Luxemburg nicht als Sonderausgaben abziehbar, sodass der Wohnsitzstaat hierfür die steuerliche Entlastung zu gewähren habe.


Die Entscheidung

Der BFH bestätigt mit seinem Urteil die Auffassung des FG.

Die Beiträge des A zur luxemburgischen Pflegeversicherung sind nach Auffassung des BFH Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG. Es handele sich um Aufwendungen zu einer verpflichtenden und damit gesetzlichen Pflegeversicherung. Da die Beiträge an einen Sozialversicherungsträger im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG geleistet wurden, komme es nicht darauf an, dass dieser im Ausland ansässig ist.

Grundsatz: Abzugsverbot bei Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen

Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG ist der Abzug von Vorsorgeaufwendungen ausgeschlossen, wenn diese in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Hierdurch soll ein doppelter steuerlicher Vorteil vermieden werden. Dieses Abzugsverbot ist im vorliegenden Fall grundsätzlich anwendbar. A bezog als in Luxemburg tätiger Angestellter Arbeitslohn, der nach Art. 14 Abs. 1 DBA Luxemburg dem dortigen Besteuerungsrecht unterlag und im Inland, wenn auch unter Progressionsvorbehalt, steuerfrei gestellt wurde. Die Beitragslast zur luxemburgischen Pflegeversicherung orientiert sich am Einkommen des Versicherten, sodass ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zu den steuerfreien Einnahmen besteht.

Ausnahme: Abzug, da im Beschäftigungsstaat keine Berücksichtigung erfolgt

Allerdings findet hinsichtlich der Beiträge zur luxemburgischen Pflegeversicherung die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG geregelte Ausnahme vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugsverbots Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind Vorsorgeaufwendungen ungeachtet des vorgenannten Abzugsverbots als Sonderausgaben zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a der Vorschrift), diese Einnahmen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c).

Im vorliegenden Fall stehen die Beiträge des A zur luxemburgischen Pflegeversicherung in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit in Luxemburg, einem EU-Mitgliedstaat, erzielten Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Diese Einnahmen sind zudem nach einem DBA im Inland steuerfrei.

Schließlich werden auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG erfüllt. Ein steuerlicher Abzug von Beiträgen zur Pflegeversicherung ist in Luxemburg ausgeschlossen.

Die von der Vorinstanz vertretene Auffassung, für die Beurteilung einer steuerlichen (Nicht-) Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Beschäftigungsstaat sei isoliert auf die jeweilige Versicherungssparte abzustellen, lässt sich nach Auffassung des BFH nicht klar aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG ableiten. Das Zahlwort „keinerlei“ beziehe sich auf den im Plural verwendeten Begriff „Vorsorgeaufwendungen“; eine Differenzierung zwischen den einzelnen in § 10 EStG genannten Vorsorgeaufwendungen fehle insoweit. Der Wortlaut der Norm könne somit auch dahingehend gedeutet werden, dass ein Sonderausgabenabzugs-verbot nur dann entfallen soll, wenn der Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen für keine der nach nationalem Recht steuerlich anzuerkennenden Vorsorgeaufwendungen irgendeinen Abzug zulässt. Das wäre nach den Feststellungen des FG nicht der Fall. Denn das luxemburgische Einkommensteuerrecht gewährt für Beiträge zu Kranken- und Rentenversicherungen einen Sonderausgabenabzug (Art. 110 Nr. 1 L.I.R.). Lediglich eine steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen zu einer Pflegeversicherung sieht das Gesetz nicht vor. Demnach bietet das dortige Recht zumindest für zwei der in § 10 Abs. 2 Satz 1 EStG legal definierten Arten von Vorsorgeaufwendungen eine steuerliche Entlastung.

Ob der Gesetzgeber für das Merkmal „keinerlei Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen“ eine versicherungsspartenspezifische Beurteilung oder aber eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Vorsorgeaufwendungen erwogen hat, lässt sich seiner Begründung weder in die eine noch in die andere Richtung entnehmen.

Der BFH lässt aus diesem Grund solche Vorsorgeaufwendungen, die nach nationaler Rechtslage grundsätzlich steuermindernd zu berücksichtigen wären und im Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen von Gesetzes wegen nicht („keinerlei“) zum Abzug zugelassen sind, zum Sonderausgabenabzug zu. Nur mit dieser, isoliert auf die jeweilige Art von Vorsorgeaufwendungen bezogenen Betrachtung sei sichergestellt, dass der Wohnsitzstaat die grundsätzlich ihn treffende Pflicht, die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen „vollständig“ bzw. „umfassend“ zu berücksichtigen, erfülle.

Besprochen im RdW 15/2022, S. 692.

[1] BFH, Urteile vom 27.10.2021 – X R 28/20 und X R 11/20.

[2] Art. 14 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 1 Buchst. d des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 23.04.2012 -DBA Luxemburg- (BGBl II 2014, 728, BStBl I 2015, 21).

 

Christian Kubik

Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg
 

Birgit Reindl

Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg
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