15.09.2011

Vorreiterrolle für andere Länder?

Das geplante Tariftreue- und Vergabegesetz in Nordrhein-Westfalen

Vorreiterrolle für andere Länder?

Das geplante Tariftreue- und Vergabegesetz in Nordrhein-Westfalen

Ziel verfehlt: Der Mittelstand profitiert nicht von der beabsichtigten Regelung des Vergaberechts in NRW. | © Gina Sanders - Fotolia
Ziel verfehlt: Der Mittelstand profitiert nicht von der beabsichtigten Regelung des Vergaberechts in NRW. | © Gina Sanders - Fotolia

NRW plant nunmehr – zwar nicht als erstes Bundesland, aber doch mit dem strengsten und umfangreichsten Gesetzentwurf – den Erlass eines Tariftreue- und Vergabegesetzes (TVgG). Das geplante TVgG wurde bereits am 22.07.2011 in erster Lesung im Landtag beraten und befindet sich nun im parlamentarischen Verfahren. Nach dem gegenwärtigen Stand der Zeitplanung ist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht vor Ende März / Anfang April 2012 zu rechnen (drei Monate nach Verkündung des Gesetzes). Wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfes:

1. Der Anwendungsbereich des Gesetzes bezieht sich auf alle öffentlichen Auftraggeber in NRW und damit auch auf die kommunalen Unternehmen. Diese waren bisher in NRW unterhalb der europaweiten Schwellenwerte von der Anwendung des Vergaberechts ausgenommen.
2. Der Gesetzentwurf sieht die Verpflichtung der öffentlichen Auftraggeber zur Beachtung von Umwelt-, Energieeffizienz- und Sozialkriterien, wie ILO-Kernarbeitsnormen (die acht Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation) oder Frauenförderung vor. Hinsichtlich der ILO-Kernarbeitsnormen sind erhebliche Nachweispflichten der Auftragnehmer geplant.

Danach sollen die Lieferleistungen nur an solche Auftragnehmer vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, den Auftrag ausschließlich mit Waren auszuführen, die nachweislich oder entsprechend einer Zusicherung unter Beachtung dieser Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt wurden.


Hierzu sind von den Bietern entsprechende Nachweise oder Erklärungen zu fordern.

Darüber hinaus sollen Aufträge nur an solche Unternehmen vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, bei der Ausführung des Auftrags Maßnahmen zur Frauenförderung und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im eigenen Unternehmen durchzuführen oder einzuleiten sowie das Gleichbehandlungsrecht zu beachten. Die Verpflichtung soll aber erst für Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten sowie bei einer Auftragssumme ab 50.000 € bei Liefer- und Dienstleistungen sowie ab 150.000 € bei Bauleistungen gelten.

3. Zudem soll ein Mindestlohn von 8,62 € vorgegeben werden. Dieser soll allerdings nur dann gelten, wenn weder das Arbeitnehmerentsendegesetz einschlägig ist – und damit die für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge – noch Leistungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) vergeben werden. In diesen Fällen ist einer der einschlägigen und repräsentativen, mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträgen zugrunde zu legen.
4. Darüber hinaus enthält der Entwurf im Unterschwellenbereich Grundsätze für die Vergabe, die bei Vorliegen der Binnenmarktrelevanz zu beachten sind.
5. Ebenfalls geplant ist – neben den Kontrollpflichten der öffentlichen Auftraggeber – auch die Einrichtung einer „Prüfbehörde“ beim Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes NRW. Diese soll u. a. die Einhaltung eines einschlägigen Tarifvertrages bei der Erbringung von ÖPNV-Leistungen oder des vorgegebenen Mindestlohns von 8,62 € bei Leistungen, die nicht unter das Arbeitnehmerentsendegesetz fallen, kontrollieren. Dazu sind umfangreiche Rechte zum Betreten von Geschäftsräumen, für Durchsuchungen und Inverwahrungnahme von Gegenständen oder geschäftlichen Unterlagen vorgesehen.

Wesentliche Kritikpunkte zum Gesetzentwurf

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werden unzweifelhaft wichtige gesellschaftspolitische Ziele in arbeitsmarktpolitischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht verfolgt, die auch im Interesse der Kommunen liegen. Allerdings handelt es sich bei diesen Aspekten um allgemeinpolitische, die in Fachgesetzen geregelt werden müssten, die alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen betreffen.

So wird der Gesetzentwurf auch vom Städtetag NRW abgelehnt, obgleich er die Berücksichtigung sozialer Kriterien im Vergaberecht durchaus positiv bewertet, dies allerdings mit der Einschränkung, dass es sich dabei nicht um eine Verpflichtung wie in dem geplanten TVgG NRW handelt. Die Verpflichtung verstößt nach Auffassung des Städtetages NRW ebenso gegen das geltende EU-Recht – ganz zu schweigen von der Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung – wie die geplante Einführung eines flächendeckenden vergabespezifischen Mindestlohns. Dieser dürfte nämlich nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im sog. Rüffert-Urteil vom 03.04.2008 – C-346/06 – zu vereinbaren sein. Dort hatte der EuGH in verpflichtenden Tariftreueklauseln des niedersächsischen Vergaberechts, die die Zahlung von Tariflöhnen oberhalb von allgemein verbindlichen Mindestlöhnen vorsahen, einen Verstoß gegen das Europarecht (genauer: die Entsenderichtlinie und die Dienstleistungsfreiheit) gesehen. Nicht zuletzt werden Auftragnehmer in Bezug auf die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen der vorgesehenen Nachweispflicht der Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen im Hinblick auf die gesamte Produktionskette auch nicht nachkommen können. Damit sind keine Angebote zu erwarten, die den Voraussetzungen des Gesetzes entsprechen.

Auch die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Vergabevorschriften auf kommunale Unternehmen begegnet rechtlichen Bedenken und stellt zudem einen Wettbewerbsnachteil für diese im Vergleich zur Privatwirtschaft dar. Darüber hinaus ist das Verhältnis der Vergabegrundsätze bei Vorliegen von Binnenmarktrelevanz zu den Regelungen der VOB/A und VOL/A unklar.

Vorreiterrolle des Gesetzentwurfs für die übrigen Länder

NRW hat mit diesem Gesetzentwurf – wie bereits erwähnt – wieder einmal die Vorreiterrolle für die Bundesländer übernommen. Viele der bestehenden Tariftreuegesetze sehen keinen vergabespezifischen Mindestlohn vor. Dieses wird zu Recht mit dem Hinweis auf das o. g. Rüffert-Urteil des EuGH begründet.

Einige der geltenden Gesetze sehen in der Regel keine Pflicht zur Anwendung sozialer Kriterien vor, sondern fordern den öffentlichen Auftraggeber lediglich auf, für deren Beachtung Sorge zu tragen. Der nach dem EU-Recht geforderte sachliche Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand fehlt im geplanten TVgG NRW ebenfalls (siehe bei der Frauenförderung). Um das Stichwort „Frauenförderung“ aufzugreifen: Nur Berlin als Bundesland sieht derartig detaillierte Regelungen zur Frauenförderung vor. Mit der Schwelle von 20 Beschäftigten werden kleinere und mittlere Unternehmen nicht entlastet. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass es beispielsweise in der Baubranche Unternehmen gibt, in denen der Frauenanteil weniger aufgrund bestehender Diskriminierung als vielmehr aufgrund der Härte der gestellten körperlichen Anforderungen gegen null tendiert.

Auch die zukünftigen Kontrollpflichten der Einhaltung der Produktionskette bei den ILO-Kernarbeitsnormen sind in keinem anderen Landesrecht – und dies aus gutem Grund – vorzufinden (s. o.).

Zudem ist die geplante Kontrollbehörde beim Wirtschaftsministerium ein völliges Novum. Ihre Ausstattung mit derart umfangreichen Befugnissen lässt schon aufhorchen und dürfte auf manchen Marktteilnehmer abschreckend wirken.

Hervorzuheben ist zudem die Regelung zur Binnenmarktrelevanz, die nicht nur neu ist, sondern auch keine wirkliche Hilfe für den Vergabepraktiker darstellt.

Die Liste ließe sich noch beliebig verlängern.

Bewertung

Der Blick auf die geplanten und geltenden Tariftreue- und/oder Vergabegesetze in den einzelnen Bundesländern lässt befürchten, dass das Vergaberecht bürokratielastiger und unübersichtlicher wird. Eigentlich war die Politik angetreten, das Vergaberecht insbesondere für den Mittelstand einfacher zu gestalten. Dieses Ziel wird allerdings deutlich verfehlt. Bewerben sich Unternehmen z. B. in Hamburg oder im Saarland, haben sie keine vergabespezifischen Mindestlöhne zu beachten. Anders z. B. in Berlin (7,50 €) oder in Bremen (8,50 €). Es ist davon auszugehen, dass derartige Regelungen, aber auch die im Ganzen zunehmende Komplexität des Vergaberechts, viele, insbesondere kleine Betriebe davon abhalten wird, sich an kommunalen Ausschreibungen zu beteiligen. Sollte das geplante TVgG NRW im nächsten Jahr in Kraft treten, wird man abwarten müssen, ob es sich bewährt – oder auch nicht. Eines steht mit Sicherheit fest: Es bleibt spannend an der Vergabefront in NRW.

 

Barbara Meißner

Hauptreferentin Deutscher Städtetag/ Städtetag NRW, Berlin, Köln
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