15.09.2011

Parlamentarischer Informationsanspruch

Reichweite und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts

Parlamentarischer Informationsanspruch

Reichweite und Grenzen des parlamentarischen Fragerechts

Dem Informationsrecht des Abgeordneten sind nur ausnahmsweise Grenzen gesetzt. | © einstein - Fotolia
Dem Informationsrecht des Abgeordneten sind nur ausnahmsweise Grenzen gesetzt. | © einstein - Fotolia

Die Frage nach Reichweite und Grenzen des Fragerechts von Abgeordneten spielt in der parlamentarischen Praxis in Bund und Ländern eine wachsende Rolle. Es ist ein Trend hin zu immer mehr Schriftlichen Anfragen zu verzeichnen.

Exemplarisch die Angaben des Landtagsamtes des Bayerischen Landtags zur Entwicklung der Anzahl Schriftlicher Anfragen im Bayerischen Landtag (absolute Zahlen und Durchschnitt je Abgeordneter pro Jahr):

12. Wahlperiode: 2.013 (ca. 2,5);
13. Wahlperiode: 2.015 (ca. 2,5);
14. Wahlperiode: 1.612 (ca. 1,6);
15. Wahlperiode: 2.981 (ca. 3,3);
16. Wahlperiode: 2.855 (ca. 5,6 bis 11.07.2011).


Zunehmende Stärkung des Fragerechts

Hinzu kommt, dass die Anfragen tendenziell immer umfangreicher werden. Nicht selten liegen die Vorgänge, um die es geht, lange Zeit zurück, was die Aufklärungsarbeit in der Verwaltung zusätzlich erschwert. Diese Entwicklung wird von einer Tendenz in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung begleitet, das Fragerecht zunehmend zu stärken und die (teilweise) Nichtbeantwortung von Anfragen engeren Grenzen zu unterwerfen (zuletzt BayVerfGH v. 06.06.2011, Az. Vf. 49-IVa-10). Dies erscheint Anlass genug, die wesentlichen Aspekte zu diesem Thema zusammenzufassen.

Weitere wichtige Rechtsprechung in diesem Zusammenhang: BVerfG: v. 01.07.2009 (Az. 2 BvE 5/06, Anfrage bzgl. geheimdienstlicher Informationsbeschaffung über Abgeordnete), v. 17.06.2009 (Az. 2 BvE 3/07, BND-Untersuchungsausschuss), v. 30.03.2004 (Az. 2 BvK 1/01, zur Verfassung des Landes SH); grundlegend: BVerfG v. 17.07.1984 (2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, Flick-Untersuchungsausschuss); BayVerfGH: v. 17.07.2001 (Az. Vf. 56-IVa-00, Benutzung von Fluggerät durch Kabinettsmitglieder), v. 26.07.2006 (Az. Vf. 11-IVa-05, zu staatlichen Beteiligungen).

Rechtsgrundlagen des Informationsanspruchs

Die Abgeordneten im Bundestag und in den Landtagen haben ein verfassungsmäßiges Recht auf Beantwortung ihrer an die Regierung gerichteten Fragen. Teilweise ist dies in den Landesverfassungen explizit geregelt. Soweit dies nicht der Fall ist, wird dieses Recht aus dem Status der Abgeordneten (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und die entsprechenden Regelungen in den Landesverfassungen) sowie allgemein aus den Aufgaben der Parlamente im demokratischen Rechtsstaat – insbesondere Mitwirkung an der Gesetzgebung, Ausübung der Kontrolle über die Exekutive – abgeleitet. Das Fragerecht erstreckt sich auf alle Bereiche, für die eine Regierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist.

Grenzen der Antwortpflicht

Grenzen der Antwortpflicht ergeben sich, wenn verfassungsrechtlich verankerte Interessen einer Beantwortung entgegenstehen und wenn eine Abwägung zum Ergebnis kommt, dass diese das Auskunftsinteresse überwiegen. Zur Bestimmung dieser Grenzen ist danach zu differenzieren, ob eine Antwort gegeben werden muss und – ggf. – in welcher Art und Weise diese zu erfolgen hat.

Zum „Ob“ der Antwortpflicht

Es besteht nur ein enger Entscheidungsspielraum über das „Ob“ einer Antwort. Die Ablehnung, eine Frage überhaupt (materiell) zu beantworten, muss die Ausnahme sein. Eine Antwortpflicht kann in folgenden Fällen ausgeschlossen sein:

  • Eine Frage zielt auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ab. Hierzu gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen. Die Kontrollkompetenz des Parlaments umfasst grds. nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Daher muss nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung parlamentarischen Informationswünschen in der Regel nicht entsprochen werden, wenn die Information zu einem Mitregieren Dritter bei Entscheidungen führen kann, die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegen. Bei abgeschlossenen Vorgängen hingegen ist der Kernbereichsschutz – auch wenn es sich um Akte aus dem Bereich der Willensbildung der Regierung handelt – im Interesse einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle eingeschränkt: In jedem Einzelfall ist eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse und den Belangen der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung notwendig. Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen sind umso schutzwürdiger, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen (alternativ: je enger sie mit dem Willensbildungsprozess der Regierung verbunden sind). Die der eigentlichen Willensbildung vorgelagerten Beratungs- und Entscheidungsabläufe sind dagegen in geringerem Maße geschützt. Der Kernbereichsschutz nimmt stärker ab, je länger die getroffene Entscheidung zurückliegt. In seiner Entscheidung vom 06. 06. 2011 führt der BayVerfGH aus, Meinungsumfragen unterfielen nicht dem Kernbereichsschutz, da sie nur Entscheidungsgrundlagen, nicht die Entscheidungsfindung beträfen. Deshalb könnten sie autonome Entscheidungsprozesse der Regierung nicht beeinträchtigen.
  • Die Beantwortung würde berechtigte Geheimhaltungsinteressen oder Grundrechte (z. B. personenbezogene Daten, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, Persönlichkeitsrechte) verletzen. Hier ist eine einzelfallbezogene Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz vorzunehmen.
  • Eine Regierung ist für den Bereich, auf den sich eine Frage bezieht, nicht zuständig. Ausnahme: Eine Frage betrifft unzuständiges Handeln der Regierung.
  • Die Regierung darf sich aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit nicht in laufende Gerichtsverfahren einmischen.
  • Die Regierung müsste bei einer Beantwortung ihre sonstigen Aufgaben in unvertretbarem Umfang vernachlässigen, oder es wäre gar ein Zustand der Funktionsunfähigkeit in diesen Bereichen zu besorgen.
  • Es liegt ein Missbrauch des Fragerechts vor. Ein Missbrauchsverdacht muss aber durch greifbare Tatsachen belegt sein.

Verweigert eine Regierung erbetene Auskünfte ganz oder teilweise, muss sie hierfür eine plausible Begründung geben. Die Verweigerung muss der jeweiligen Problemlage angemessen ausführlich und unter fallbezogener Abwägung der betroffenen Belange begründet werden. Nur so wird dem Fragensteller ermöglicht, die Entscheidung auf ihre Plausibilität zu überprüfen.

Zum „Wie“ der Antwortpflicht

Soweit eine Antwortpflicht besteht, muss die Antwort dem Informationsverlangen gerecht werden und wahrheitsgemäß sein. Indes gebührt der Regierung beim „Wie“ der Antwort eine gewisse Einschätzungsprärogative. Die Art und Weise ihrer Antwort und in welchem Umfang die Regierung auf Einzelheiten eingeht, darf sie im Wege einer Gesamtabwägung beurteilen.

In die Abwägung können z. B. das öffentliche Aufklärungsinteresse, die Belastung der Ministerialverwaltung durch andere Aufgaben (keine Gefährdung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Regierung durch Beantwortung), praktische Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung, Dringlichkeit und Aktualität sowie der mit der Frage verfolgte Zweck einfließen. Die Regierung genügt ihrer Antwortpflicht, soweit sie den wesentlichen Inhalt der Fragen aufgreift und den Kern des Informationsverlangens erfüllt.

In geeigneten Fällen kann auf andere öffentlich zugängliche Informationsquellen verwiesen werden, z. B. auf Erörterungen im Parlament oder frühere Antworten auf parlamentarische Anfragen. Die Antwort kann von geringerem Umfang, geringerer Intensität, Tiefe und Detailliertheit sein, je weniger aktuelle Bezüge die Thematik aufweist.

Konsequenzen für die Praxis

Ein starkes parlamentarisches Fragerecht ist in einem demokratischen Rechtsstaat zwingend erforderlich. Die Rechtsprechung fasst die Voraussetzungen an eine Nichtbeantwortung tendenziell immer strenger. Daher müssen die Regierungen auch künftig in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob sie die Beantwortung einer Anfrage (teilweise) verweigern und ggf. welche rechtfertigende und für den Fragensteller nachvollziehbare Begründung sie hierfür anführen können.

Die Gerichte haben aber auch Wege aufgezeigt, wie der Aufwand bei der Beantwortung in einem vertretbaren Rahmen gehalten werden kann. So kann in geeigneten Fällen auf bestehende Veröffentlichungen verwiesen werden. Auch können Fragen zusammengefasst beantwortet oder den Antworten Vorbemerkungen vorangestellt werden.

 

Dr. Michael Koch-Schulte

Dr. Michael Koch-Schulte, Oberregierungsrat, Bayerische Staatskanzlei, München
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