15.09.2011

Spannungsfeld Vergabe- und Beihilferecht

Anforderungen an die Direktvergabe kommunaler ÖPNV-Leistungen

Spannungsfeld Vergabe- und Beihilferecht

Anforderungen an die Direktvergabe kommunaler ÖPNV-Leistungen

Rekommunalisierung – das OLG München hat die ÖPNV-Direktvergaben an interne Betreiber gestärkt. | © AstroBoi - Fotolia
Rekommunalisierung – das OLG München hat die ÖPNV-Direktvergaben an interne Betreiber gestärkt. | © AstroBoi - Fotolia

Das OLG München hat für die Direktvergabe des Stadtbusverkehrs in Lindau am Bodensee an eine stadteigene Busgesellschaft (OLG München, Beschl. v. 22.06.2011, Az. Verg 6/11) entschieden. Damit sorgte es für mehr Klarheit beim Umgang mit Inhouse-Vergaben an interne Betreiber nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (im folgenden „VO“).

Der Sachverhalt

Der Stadtrat der Stadt Lindau am Bodensee hatte nach intensiven Prüfungen und Beratungen im September 2009 beschlossen, den Stadtbusverkehr im Stadtgebiet zukünftig selbst zu betreiben. Hierfür hat er eine eigene Busgesellschaft – die Stadtbusverkehr Lindau (B) GmbH – gegründet. Diese Entscheidung stieß wegen ihres Pilotcharakters bei Kommunen und Verkehrsunternehmen auf große Resonanz: Lindau wollte damit als eine der ersten Kommunen in Deutschland die neuen Möglichkeiten der EU-Verordnung 1370/2007 zur Direktvergabe von Leistungen des Öffentlichen Personennahverkehrs nutzen. Die Stadt erließ eine Betrauungsanweisung, mit der sie die – zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründete – Stadtbusgesellschaft mit der Durchführung des ÖPNV-Omnibusverkehrs im Stadtgebiet im Wege der Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO beauftragte. Die Stadtbusgesellschaft wurde nach der Betrauung als hundertprozentige Tochter der stadteigenen Stadtwerke GmbH gegründet. Nach der Betrauungsanweisung sollte die Stadtbusgesellschaft Inhaberin der bisher von den Stadtwerken gehaltenen Liniengenehmigungen werden. Außerdem enthielt die Betrauungsanweisung für die Stadtbusgesellschaft das Recht, Aufgaben teilweise auch von Dritten ausführen zu lassen. Zudem regelte sie die Finanzierung im Wege von Ausgleichsleistungen. Mitte Oktober 2009 machte die Stadt ihre Absicht zur Direktvergabe zum 1. Oktober 2010 im EU-Amtsblatt bekannt. Tatsächlich wird der Busverkehr seit dem 1. Januar 2011 durch die stadteigene Busgesellschaft durchgeführt. Gegen diese Entscheidung des Stadtrates wendete sich die bisher mit der Durchführung des Stadtbusverkehrs beauftragte private Busgesellschaft mit einem Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer Südbayern hatte dem Nachprüfungsantrag noch weitgehend stattgegeben und angeordnet, dass die Stadt einen Betreiber im Wege eines europaweiten Vergabeverfahrens suchen müsse. Maßgeblich war aus Sicht der Vergabekammer, dass wegen der Möglichkeit zur Erbringung von Verkehrsleistungen durch Subunternehmer eine Direktvergabe im Inhouse-Weg nicht in Betracht komme. Das Wesentlichkeitskriterium sei nicht erfüllt. Die VO war nach Ansicht der Vergabekammer zeitlich nicht anwendbar.

Die Entscheidung des OLG München

Das OLG München hat den Beschluss aufgehoben und den Nachprüfungsantrag weitgehend zurückgewiesen. Der Vergabesenat bestätigt das Recht der Stadt, als Aufgabenträgerin im ÖPNV den Stadtbusverkehr mit eigenen sächlichen und personellen Mitteln durchzuführen. Dies gilt auch für den von der Stadt Lindau verfolgten Fall einer Inhouse-Vergabe im weiteren Sinne, bei der die Stadt sich einer Tochter- bzw. Enkelgesellschaft bedient. Art. 5 Abs. 2 VO ermöglicht diese Direktvergabe ausdrücklich.


Die VO ist nach Ansicht des OLG München auf die Beauftragung der Stadtbusgesellschaft anwendbar, obwohl sie nach ihrem Art. 12 erst nach Durchführung der Betrauung und Veröffentlichung der EU-Bekanntmachung in Kraft getreten war. Das Gericht sieht in der Betrauungsanweisung noch nicht die eigentliche Direktvergabe. Diese sei wegen der Jahresfrist in Art. 7 Abs. 2 VO erst mit der faktischen Aufnahme des Stadtbusverkehrs zum Jahresbeginn 2011 zu den Bedingungen der Betrauungsanweisung erfolgt. Das Gericht erkennt damit den unbedingten und veröffentlichten Willen der Stadt an, eine Direktvergabe durchführen zu wollen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anwendbarkeit der VO ist der Zeitpunkt der Direktvergabe und nicht die vorherige Bekanntmachung, obwohl diese bereits Bestandteil des (Direkt-)Vergabeverfahrens ist.

Zur Rechtsform der „Betrauungsanweisung“ führt das OLG München aus, dass diese kein Verwaltungsakt sein könne. Es fehle schon an einer Ermächtigungsgrundlage für einen derartig belastenden Verwaltungsakt, der eine juristische Person des Privatrechts zur Übernahme einer Aufgabe der Daseinsvorsorge verpflichten könne. Die „Betrauungsanweisung“ stelle somit einen Vertrag dar.

Auf die Frage des Vorliegens eines Dienstleistungsauftrags oder einer Dienstleistungskonzession kommt es nach Auffassung des OLG Münchens nicht an, wenn vom Auftraggeber eine Inhouse-Vergabe (in der Diktion der VO „Direktvergabe“) geplant ist. Bemerkenswert ist die klare Aussage des Vergabesenats, wonach die Regelungen in Art. 5 Abs. 2 VO als lex specialis für Inhouse-Vergaben von ÖPNV-Leistungen den vom EuGH entwickelten Anforderungen an Inhouse-Vergaben auch im Falle eines Dienstleistungsauftrags vorgehen. Der Vorrang des allgemeinen Vergaberechts nach Art. 5 Abs. 1 VO gilt in diesem Fall nicht, da Inhouse-Vergaben, ebenso wie Dienstleistungskonzessionen, keine Dienstleistungsaufträge im Sinne der Richtlinien 2004/18/EG bzw. 2004/17/EG darstellen. Diese rechtliche Einordnung vermeidet schwierige tatsächliche Abgrenzungsfragen zum Vorliegen einer Dienstleistungskonzession. Inhouse-Vergaben sind damit ausschließlich an den Vorgaben der VO 1370/2007 zu messen.

Das Gericht bemängelte allerdings das Fehlen einer vertraglichen Regelung, die den internen Betreiber verpflichtet, den überwiegenden Teil des ÖPNV selbst zu erbringen. Nur aus diesem Grund erklärte das OLG die Direktvergabe für unwirksam. Die Entscheidung statuiert damit eine Pflicht zur vertraglichen Festschreibung des Selbsterbringungsgebots in Art. 5 Abs. 2 Buchst. e) VO. Rein gesellschaftsrechtliche Regelungen, beispielsweise im Gesellschaftsvertrag, reichen nicht aus. Auch eine entsprechende Verpflichtung zur überwiegenden Selbsterbringung in den Bayerischen Leitlinien zur Anwendung der VO genügt als allgemeine Verwaltungsvorschrift ohne rechtliche Bindungswirkung nicht. Zu erwähnen ist schließlich, dass nach Auffassung des OLG in Bayern – anders als dies das OLG Düsseldorf noch im März 2011 für Nordrhein-Westfalen befand – keine Vorschriften existieren, die eine Direktvergabe untersagen.

Der Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung greift die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.03.2011, Az. VII Verg 48/10 – „ÖPNV Münsterland“) auf und entwickelt diese fort.

Zunächst wird mit dem OLG Düsseldorf die Anwendbarkeit der VO 1370/2007 bejaht. Noch wenige Tage vor der Entscheidung des OLG Düsseldorf hatte die EU-Kommission ausgeführt, dass die Regelungen zur Vergabe von ÖPNV-Dienstleistungen in Art. 5 VO erst ab dem 3. Dezember 2019 unmittelbar anwendbar sind, sofern nicht vorher der Mitgliedstaat Maßnahmen zur schrittweisen Umsetzung getroffen hat (K(2011)632 endg., Beschl. v. 23.02.2011, C 58/2006, Rn. 243 f.). Entgegen der Meinung der EU-Kommission dürfte die Anwendung der VO 1370/2007 nunmehr gefestigte Rechtsprechung sein.

Auch hinsichtlich der Zuständigkeit für die Überprüfung von Direktvergaben nach der VO mit einer Analogie zu § 102 GWB folgt das OLG München dem OLG Düsseldorf. Dieser Weg ist vor dem Hintergrund der Umsetzungsregelungen in Art. 5 Abs. 7 und Art. 8 Abs. 2 VO zumindest zweifelhaft. Bei unbefangenem Lesen dieser Vorschriften und unter Zugrundelegung der Entstehungsgeschichte der VO liegt es näher – mangels bisher entsprechender gesetzgeberischer Umsetzungsmaßnahmen in das nationale Recht –, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu bejahen. Die OLG München und Düsseldorf hingegen bejahen ihre Zuständigkeit vor allem mit dem Argument, eine Zersplitterung der Nachprüfung von ÖPNV-Vergabeentscheidungen verhindern zu wollen. Dieses Ansinnen ist de lege ferenda zu begrüßen und wird auch vom Entwurf der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) verfolgt. Ob der Weg über die Analogie aber bereits jetzt zur Zuständigkeit der Vergabekammern führen kann, ist dogmatisch fragwürdig.

Der Beschluss des OLG München geht über die Entscheidung des OLG Düsseldorf insofern hinaus, als er ausdrücklich klarstellt, dass für jegliche Form von Inhouse-Konstellationen im ÖPNV-Sektor ausschließlich die Vorgaben der VO anzuwenden sind. Auf die vom OLG Düsseldorf noch vorgenommene Prüfung der allgemeinen Inhouse-Kriterien entsprechend der EuGH-Rechtsprechung seit Teckal (Urt. v. 18.11.1999, Rs. C-107/98) kann daher nach Auffassung des OLG München bei Inhouse-Vergaben im Verkehrsbereich zukünftig verzichtet werden. Maßgeblich für die Zulässigkeit der Direktvergabe ist allein die Einhaltung der Anforderungen der VO. Auf die Frage, ob die Möglichkeit zur Subunternehmerbeauftragung mit dem Wesentlichkeitskriterium vereinbar ist, kommt es daher in derartigen Konstellationen dem OLG München folgend nicht mehr an.

Die Folgen für Direktvergaben in der Praxis

Die Entscheidung stärkt das Recht der ÖPNV-Aufgabenträger, Leistungen selbst zu erbringen oder – im Wege der Direktvergabe – interne Betreiber zu beauftragen. Sorgfalt ist jedoch bei der vertraglichen Gestaltung der Leistungsbeziehungen anzuwenden. Insbesondere die Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 VO sind detailliert umzusetzen. Die darin enthaltenen vergaberechtlichen Vorgaben können zusammen mit den beihilferechtlichen Regelungsbestandteilen einer Direktvergabe (vgl. dazu vor allem Art. 4 und 6 VO) in einer einheitlichen Betrauungsanweisung geregelt werden. Bereits bestehende Betrauungen sollten entsprechend überprüft und gegebenenfalls unter Beachtung der Vorgaben der VO ergänzt werden.

Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Vorgaben zur Durchführung von Verkehrsleistungen nach Auffassung des OLG München einem privaten Dritten nicht einseitig durch Verwaltungsakt auferlegt werden können. Für derart belastende Regelungen wäre nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes eine Rechtsgrundlage erforderlich. Diese existiert zumindest nach derzeitigem Recht nicht.

Als Betrauungsmöglichkeiten bleiben die Wege eines Vertrags oder ein mehrstufiges Vorgehen mit einer Beschlussfassung im Gemeinderat und einer anschließenden „Weisungskette“ bis zu dem Verkehrsunternehmen.

 

Christoph Donhauser

Rechtsanwalt, Manager, PricewaterhouseCoopers Legal AG Rechtsanwaltsgesellschaft, München
 

Dr. Oliver Wittig

Rechtsanwalt, Senior Manager, PricewaterhouseCoopers Legal AG Rechtsanwaltsgesellschaft, Mannheim
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