15.09.2011

Das Leistungsbestimmungsrecht

Wie der Auftraggeber das Vergaberecht beeinflussen kann

Das Leistungsbestimmungsrecht

Wie der Auftraggeber das Vergaberecht beeinflussen kann

Die Spielregeln des Vergaberechts sollten durch Leistungsbestimmungsrechte des Auftraggebers nicht entwertet werden. | © WoGi - Fotolia
Die Spielregeln des Vergaberechts sollten durch Leistungsbestimmungsrechte des Auftraggebers nicht entwertet werden. | © WoGi - Fotolia

Die Entscheidung, welcher Gegenstand oder welche Leistung mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften im Vergabeweg beschafft werden soll, obliegt dem öffentlichen Auftraggeber. Diese auf die Entscheidung „Smallworld“ des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 14.04.2005 – Verg 93/04) zurückgehende Klarstellung zum Recht des Auftraggebers, die von ihm nachgefragte Leistung selbst bestimmen zu dürfen, ist vom Gericht mit seinen Beschlüssen v. 17.02.2010 (ndash; Verg 42/09) und v. 03.03.2010 (– Verg 46/09) ausgeweitet worden. Seither wird das OLG selbst und seine Rechtsprechung – zum Teil berechtigt – scharf kritisiert (z. B. Antweiler, VergabeR 2011, 306).

Ausgangspunkt

Am 14.04.2005 – Verg 93/04 entschied das OLG Düsseldorf im Zusammenhang mit dem Erwerb von Unternehmenslizenzen zur Nutzung des geografischen Informationssystems „Smallworld“ durch zwei kooperierende Stadtwerke, dass die Entscheidung, welcher Gegenstand oder welche Leistung mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften im Vergabewege beschafft werden soll, allein Sache des öffentlichen Auftraggebers ist. Die an einer Auftragsvergabe interessierten Unternehmen sind im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens insbesondere nicht dazu berufen, dem Auftraggeber eine von seinen Vorstellungen abweichende Beschaffung von Waren oder Leistungen, d. h. von solchen mit anderen Beschaffenheitsmerkmalen und Eigenschaften oder anderer Art und Individualität, vorzuschreiben oder gar aufzudrängen. Vielmehr sind die diesbezüglichen Anforderungen, die der Auftraggeber stellt, als zulässige Vergabebedingungen von den am Auftrag interessierten Unternehmen grundsätzlich hinzunehmen. Es obliegt mithin dem öffentlichen Auftraggeber als beschaffende Stelle die (auch kaufmännische) Entscheidung zu treffen, welche Leistung mit welchen Merkmalen beschafft werden soll. So weit, so gut!

Leistungsbestimmungsrecht in der jüngeren Rechtsprechung

In der Folge wurde diese Entscheidung bestätigt und die das Leistungsbestimmungsrecht ausmachenden Einzelheiten präzisiert. Das OLG Düsseldorf betonte beispielsweise selber, dass ein Bieter nicht mit Erfolg beanspruchen kann, dem Auftraggeber eine andere Leistung mit anderen Merkmalen und Eigenschaften, als von diesem festgelegt worden ist, anzudienen (Beschl. v. 22.10.2009 – Verg 25/09).


Der Auftraggeber hat bei der Bestimmung der von ihm nachgefragten Leistungen mithin einen erheblichen Gestaltungsspielraum, der sich beispielsweise auch auf die Festlegung der für die Leistung zu verwendenden Geräte bezieht. In den Grenzen sachlich und objektiv nachvollziehbarer Erwägungen kann der Auftraggeber entweder genaue Festlegungen treffen oder den Bietern die Mittel zur Erfüllung eines definierten Ziels freistellen (so VK Lüneburg, Beschl. v. 27.08.2010 – VgK-38/2010).

Über diese anerkannten Grundsätze des Vergaberechts hinaus entschied das OLG Düsseldorf in seinen Beschlüssen von Februar und März 2010 (a.a.O.) dann allerdings in systemwidriger Art und Weise, dass die Vorschriften des Vergaberechts „im Lichte des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers auszulegen und anzuwenden“ seien.

Das Bestimmungsrecht sei eine freie und nicht überprüfbare Entscheidung des Auftraggebers, die dem Vergabeverfahren „sachlich und zeitlich vorgelagert“ ist (Beschl. v. 15.06.2010 – Verg 10/10). Dies bedeutet im Ergebnis zugleich, dass der Auftraggeber die Bestimmungen des Vergaberechts nur und insoweit zu beachten hat, wie es sein Bestimmungsrecht zulässt. Die sich aus dieser – von der Rechtsprechung vorgenommenen – Ausweitung des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers ergebenden möglichen Konsequenzen sind abschließend noch nicht absehbar, sollen an zwei Beispielen jedoch veranschaulicht werden.

Vorrang der Losvergabe

Nach § 97 Abs. 3 GWB sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen und Leistungen deshalb in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben.

Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen nur dann zusammen vergeben werden, „wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern“. Nach dieser im April 2009 verabschiedeten Neufassung wird der Losvergabe insofern ein Vorrang („vornehmlich“) eingeräumt.

Zwar haben die Bieter weiterhin keinen Anspruch auf Losaufteilung, sondern können nur verlangen, dass der Auftraggeber von den ihm aufgrund der allgemeinen Grundsätze des § 97 GWB eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielraum in ermessensfehlerfreier Weise Gebrauch macht (VK Saarland, Beschl. v. 07.09.2009 – 3 VK 01/2009). Die extensive Interpretation des Leistungsbestimmungsrechts durch das OLG Düsseldorf (und anderer Gerichte, siehe z. B. OLG Celle, Beschl. v. 26.04.2010 – 13 Verg 4/10) führt nun aber dazu, dass dieses Vorrangprinzip in weiten Teilen wieder aufgegeben wird.

Denn entscheidet sich der Auftraggeber aus (auch vermeintlich) sachlichen Gründen (Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen, Marktüblichkeit, Schnittstellenrisiko etc.) gegen eine Aufteilung eines Auftrages in mehrere Teil- und/oder Fachlose, wird es ihm künftig häufig möglich sein, unter Berufung auf sein Bestimmungsrecht eine rechtlich kaum zu beanstandende Entscheidung zu treffen.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass das Leistungsbestimmungsrecht den politisch und nicht zuletzt vom Gesetzgeber propagierten Vorrang der Losvergabe weitgehend aushebeln kann.

Zulässigkeit der Produktvorgabe

Die Vorgabe von bestimmten Produkten, Produktbezeichnungen, Firmennamen etc. ist grundsätzlich verboten. Produktvorgaben sind – man möchte sagen „waren“ – als klassischer Feind des Wettbewerbes nur in ganz engen Grenzen zulässig. Das OLG Düsseldorf hatte in seiner „Smallworld“-Entscheidung (a.a.O.) bereits relativierend entschieden, dass die Vorschriften der VOL/A die Festlegung auf ein bestimmtes Produkt nur dahingehend einschränken, dass es dafür einer sachlichen Rechtfertigung durch die Art der zu vergebenden Leistung bedarf.

Der Gesetzgeber hat gleichlautend für den Bau- und Liefer-/Dienstleistungsbereich (§ 8 EG Abs. 7 VOL/A und § 7 Abs. 8 VOB/A) geregelt: „Soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auch Marken, Patente, Typen eines bestimmten Ursprungs oder einer bestimmten Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden.

Solche Verweise sind jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann. Solche Verweise sind mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen.

Die Formulierung „soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist“ zielt direkt auf das Bestimmungsrecht des Auftraggebers ab, wie das OLG Düsseldorf beispielsweise in seinem Beschl. v. 15.06.2010 – Verg 10/10 klargestellt hat. Wenn es also durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, kann sehr wohl auf bestimmte Produkte bzw. Produktbezeichnungen im vorstehenden Sinne Bezug genommen werden.

Nur wenn es „nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist“, sind solche Verweise nur „ausnahmsweise zulässig“. Das Recht zur Leistungsbestimmung im Sinne der neueren Rechtsprechung des OLG Düsseldorf hat damit enorme Auswirkungen auf das grundsätzliche Verbot der Produktvorgabe und auch schon den Gesetzgeber beeinflusst: Bei auftrags- und sachbezogenen Erwägungen können damit vom Auftraggeber weitgehend frei, außerhalb der Überprüfbarkeit durch Nachprüfungsinstanzen, im Rahmen seiner Leistungsbestimmung bestimmte Produkte bzw. Produktbezeichnungen dahingehend „eingesetzt“ werden, dass eine Vorgabe von Produkten (auch ohne den Zusatz „oder gleichwertige Art“) zulässig sein kann.

Fazit

Das Bestimmungsrecht des Auftraggebers ist ein ganz zentraler Bestandteil eines jeden Vergabeverfahrens. Der Auftraggeber sollte von seinem Recht umfassend Gebrauch machen und dieses Recht ausnutzen. Seine Grenzen findet das Bestimmungsrecht allerdings in den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Vergaberechts. Eine Interpretation aller Vergabebestimmungen „im Lichte des Bestimmungsrechts“ kann und darf es nicht geben. Eine solche Herangehensweise wäre auch systemwidrig. Die trotz ihrer Komplexität weitgehend anerkannten Spielregeln des Vergaberechts würden entwertet und das Vertrauen der Bieterseite in deren Einhaltung (weiter) belastet. Einer solchen Sichtweise bedarf es nicht. Ein sich den Grundprinzipien des Vergaberechts (Gleichbehandlung, Transparenz und Wettbewerb) verbunden fühlender Auftraggeber wird im Rahmen seines Bestimmungsrechts – auch ohne dessen systemwidrige Ausweitung – die Entscheidungen und Verfahrensfestlegungen treffen, die erforderlich sind, um das wirtschaftlichste Angebot im Vergabewettbewerb zu erhalten.

 

Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, LEXTON Rechtsanwälte, Berlin
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