15.11.2010

Vom Streifenbeamten zum Polizeichef

Interview mit dem Leiter der Thüringer Bereitschaftspolizei

Vom Streifenbeamten zum Polizeichef

Interview mit dem Leiter der Thüringer Bereitschaftspolizei

Wie darf man sich den Aufgabenbereich einer
Bereitschaftspolizei vorstellen? | © Gina Sanders - Fotolia
Wie darf man sich den Aufgabenbereich einer Bereitschaftspolizei vorstellen? | © Gina Sanders - Fotolia

Der Thüringer Innenminister, Prof. Dr. Peter M. Huber, hat am 1. Juli 2010 in Erfurt den Leitenden Polizeidirektor Kurt Schroth (55) in sein Amt als Leiter der Thüringer Bereitschaftspolizei eingeführt. Für PUBLICUS sprach Dr. Dr. Frank Ebert, Ministerialrat im Thüringer Innenministerium, mit dem neuen Polizeichef über seine Karriere und über die Aufgaben der Bereitschaftspolizei eines Landes.

Der amtierende Leiter der Thüringer Bereitschaftspolizei Kurt Schroth im Interview mit der PUBLICUS-Redaktion | © Thüringer Bereitschaftspolizei

PUBLICUS: Herr Schroth, zunächst herzlichen Glückwunsch zur neuen Aufgabe. Was befähigt Sie zu diesem Amt?


Schroth: Vielen Dank! In meiner bisherigen polizeilichen Laufbahn habe ich in den unterschiedlichsten Organisationseinheiten und Funktionen Erfahrungen sammeln dürfen. Zehn Jahre als Angehöriger der Bereitschaftspolizei, in der Landespolizei von der Ebene des Wechsel- und Streifendienstes bis zur Leitung von Polizeiinspektionen, Führungsstäben sowie Polizeidirektionen und dem Polizeiverwaltungsamt sowie dem Referat Polizeitechnik im Innenministerium Thüringens. Insoweit kann ich auf die verschiedensten ebenen- als auch fachspezifischen Erfahrungen innerhalb von fast vierzig Dienstjahren verweisen.

PUBLICUS: Wie darf man sich den Aufgabenbereich einer Bereitschaftspolizei vorstellen?

Schroth: Das Einsatzspektrum der Bereitschaftspolizeien der Länder ist breit gefächert. Prinzipiell erstreckt sich das Kerngeschäft auf besondere Einsatzanlässe, welche größere Polizeikontingente erfordert. Die Landespolizeien (Polizeipräsidien/ -direktionen/ -inspektionen oder -wachen) halten in den Zuständigkeitsbereichen grundsätzlich keine geschlossen geführten Polizeieinheiten vor. Solche Einheiten sind aber zur Bewältigung größerer Einsatzlagen erforderlich, etwa um die Sicherheit bei Fußballspielen zu garantieren, Ausschreitungen bei Demonstrationen zu verhindern oder bei Naturkatastrophen oder bei großen Schadensereignissen Hilfe zu leisten. Unser Grundgesetz enthält in Artikel 35 Vorgaben, nach denen die Polizeien der Länder und des Bundes auch auf solche Einsatzsituationen vorbereitet sind. Vom Notstands-, Spannungs- oder Verteidigungsfall möchte ich gar nicht reden, wenngleich auch hier Einsätze denkbar wären. Das Polizeiorganisationsgesetz erwähnt ferner den Schutz von Verfassungs- und obersten Landesorganen sowie von Behörden und lebenswichtigen Einrichtungen und Anlagen, wenn es dafür einen besonderen Anlass gibt. Auch dafür halten die Länder Polizeikräfte vor.

PUBLICUS: Wie ist die Bereitschaftspolizei in Thüringen organisiert?

Schroth: Die Thüringer Bereitschaftspolizei ist ein Polizeiverband, der dem Innenministerium unmittelbar untersteht. Ein mit erfahrenen Mitarbeitern ausgestatteter Stab unterstützt mich bei der Bewältigung der Kernaufgaben – dem Einsatzgeschehen – mit drei Polizeihundertschaften sowie einer Technischen Einheit und der Polizeihubschrauberstaffel. Darüber hinaus werden Dienstleistungen für die Polizei des Freistaates durch die Bereitschaftspolizei erbracht, dazu ist der Polizeiärztliche Dienst, das Polizeimusikkorps, das Fuhrparkmanagement, die Zentrale Verkehrsmesstechnik und die Zentrale Beschaffung angegliedert. Somit hat die Bereitschaftspolizei derzeit eine Personalstärke von ca. 750 Bediensteten.

PUBLICUS: Über welche besonderen Einsatzmittel verfügen Sie?

Schroth: Bei der Bereitschaftspolizei sind Führungs- und Einsatzmittel vorhanden, die in der Landespolizei im Alltag nicht vorgehalten werden, allerdings zur Einsatzbewältigung und vor allem bei besonderen Lagen benötigt werden. Dazu gehören Spezialfahrzeuge wie Taucherbasisfahrzeug, Räumgeräte, Transportmittel sowie Funk-/ Übertragungsmedien so z. B. Bildübertragung, Relaisstellen, Beweis-/ Dokumentationsfahrzeuge. Darüber hinaus haben wir die so genannten Hilfsmittel der körperlichen Gewalt, wie beispielsweise Reiz- und Betäubungsmittel, Absperrgitter und Wasserwerfer sowie für außergewöhnliche Einsatzfälle sogar Sprengmittel. Unsere Polizeivollzugsbeamten sind mit den üblichen Polizeiwaffen – Schlagstock und Pistole – persönlich ausgestattet, wir verfügen aber auch über Maschinenpistolen und Gewehre. Es muss sicherlich nicht ausdrücklich betont werden, dass der Einsatz all dieser Mittel den strengen Anforderungen des Polizeiaufgabengesetzes und zahlreichen Dienstvorschriften unterliegt. Die Polizeihubschrauber werden ausschließlich auf Weisung des Innenministeriums eingesetzt.

PUBLICUS: Sind Sie auch für die Ausbildung des Nachwuchses zuständig?

Schroth: Früher war auch das eine Aufgabe der Bereitschaftspolizei. In Thüringen kümmern sich darum aber seit mehreren Jahren andere Einrichtungen. Die Kommissar­anwärter studieren an der Fachhochschule in Meiningen. Ebenfalls in Meiningen, im Bildungszentrum, werden die Nachwuchsbeamten des mittleren Polizeidienstes ausgebildet. Themen- und modulbezogen unterstützen wir mit Fachpersonal bzw. mit Einsatzmitteln. Für uns hier in Erfurt besteht der Vorteil darin, dass wir uns grundsätzlich auf unsere Einsatz- und Dienstleistungsaufgaben konzentrieren können und nicht an mehreren Standorten präsent sein müssen.

PUBLICUS: …obwohl Sie für das gesamte Landesgebiet zuständig sind.

Schroth: Das ist richtig. Wir unterstützen die Polizeidienststellen bei besonderen Anlässen, z. B. wenn bei Staatsbesuchen, bei der Suche nach Vermissten oder bei Großveranstaltungen personelle Verstärkung oder spezielle Technik gefragt ist. Selbstverständlich unterstützen wir nicht nur die Thüringer Polizei, sondern auch in anderen Bundesländern, wenn wir von dort angefordert werden – so wie auch Thüringen auf deren Hilfe zurückgreifen kann, wenn unsere eigenen Kräfte nicht ausreichen, wir aber geschlossene Polizeieinheiten unter einheitlicher Führung benötigen.

PUBLICUS: Wenn Sie von „geschlossenen Polizeieinheiten“ sprechen – wie grenzen Sie die Bereitschaftspolizeien der Länder von der Bundespolizei ab?

Schroth: Die Bundespolizei – der frühere Bundesgrenzschutz – hat zum Teil ähnliche, in Wirklichkeit aber doch ganz andere Aufgaben: Ich nenne nur den Grenzkontrolldienst und die Luftsicherheit, die Bahnpolizei oder den Schutz von Bundesministerien. Wenn es darauf ankommt, sind wir natürlich mit den Kollegen von der Bundespolizei gemeinsam im Einsatz, z. B. bei Castor-Transporten, bei Demonstrationen oder bei der Katastrophenhilfe.

PUBLICUS: Mit den Europäischen Gendarmeriekräften EUROGENDFOR hält auch die Europäische Union ein internationales Polizeikontingent vor …

Schroth: Nach meinem Kenntnisstand ist die Bundesrepublik Deutschland den insoweit einschlägigen überstaatlichen Abkommen bisher nicht beigetreten. Eigene Erfahrungen über dieses Kontingent habe ich nicht. Ich kann daher dazu und zu Polizeieinheiten in anderen europäischen Staaten nichts sagen.

PUBLICUS: Im Bundesinnenministerium gibt es einen Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder. Die Polizeihoheit liegt aber bis auf ganz wenige Ausnahmen primär bei den Ländern. Welche Rolle spielt der Bund hier?

Schroth: Der Begriff Polizeihoheit besagt, dass die Länder für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in ihren Bereichen selbständig verantwortlich sind. Es ist ihnen überlassen, wie sie diesen Auftrag erfüllen. In jedem Bundesland herrschen unterschiedliche rechtliche und gesellschaftliche Verhältnisse, so dass sich Vereinheitlichungen verbieten und Vergleiche nur schwer ziehen lassen. Und doch gibt es übergeordnete Gründe, aus denen der Bund wie auch die Länder ein Interesse daran haben müssen, dass die unterschiedlichen Polizeiorganisationen gut miteinander arbeiten können und harmonieren. Besonders gilt dies bei länder­übergreifenden Einsätzen, wie sie nun einmal in erster Linie die Bereitschaftspolizeien treffen.

Stellen Sie sich vor, alle eingesetzten Polizeikräfte wären unterschiedlich strukturiert oder ausgerüstet. Wenn jedes Land seine eigenen Funkgeräte hätte, wäre nicht einmal die Kommunikation untereinander gewährleistet. An dieser Stelle nimmt der Bund Einfluss. Er stellt entsprechende Technik als Bundesausstattung für die miteinander vereinbarten Organisationseinheiten zur Verfügung. Dies basiert auf den vorhandenen Personalstärken aufgrund eines Bund-Länder-Verwaltungsabkommens. Hierbei handelt es sich um die verschiedensten Führungs- und Einsatzmittel, wie Gruppen-/ Halbgruppen-/ Führungsfahrzeuge, Wasserwerfer, Tauchausstattung, Funkgeräte, Beweis- und Dokumentationsausrüstung, um nur einige Beispiele zu nennen. Und sein Beauftragter, der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien, achtet darauf, dass die Einsatzbereitschaft auf hohem Niveau erhalten bleibt, die Haushaltsmittel des Bundes zielgerichtet ausgegeben und von den Ländern zweckgebunden eingesetzt werden. Die Personalkosten für die vereinbarten Einsatzkräfte tragen hingegen die Länder. Somit ist ein gemeinsames Handeln von Bund und Ländern auf ein breites Fundament gesetzt.

PUBLICUS: Ein paar abschließende Worte zur Zukunft?

Schroth: Die Thüringer Polizei und damit selbstverständlich auch die Bereitschaftspolizei stehen vor einigen Veränderungen. Das Innenministerium arbeitet an einer Struktur­reform, deren erste Konturen sichtbar werden. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Organisation aussehen wird und was sich für die Bereitschaftspolizei konkret ändern wird. Erfreulich kann bereits heute konstatiert werden, dass unser Standort in Erfurt bis 2016 die dringend erforder­lichen Neubauten erhält.

Für alle Bereitschaftspolizeien lässt sich für die kommenden Jahre eine erhebliche Einsatzbelastung prognostizieren. Unsere Einsatzkräfte haben bereits in den letzten beiden Jahren lediglich ein Wochenende im Durchschnitt in zwei Monaten als Freizeit verbuchen können. Die Mehrarbeitszeit konnte zwar durch flexible Dienstgestaltung erheblich reduziert werden, dennoch bleibt in der Regel die Einsatzzeit grundsätzlich zu sogenannten Familien-unfreundlichen-Zeiten, wie Wochenenden und Nachtzeiten.

Die aktuelle Diskussion zeigt als zusätzliche Belastung, dass Polizeibeamte generell einer zunehmenden Aggressivität von außen ausgesetzt sind. Eine vom Thüringer Innenminister, Herrn Prof. Dr. Huber, angestoßene Diskussion wurde durch die Innenministerkonferenz und die Berufsvertretungen aufgegriffen und ein stärkerer Schutz der Polizeibeamten in materieller, aber auch rechtlicher Sicht gefordert. Mit der Diskussion wird keine Drohkulisse aufgebaut, auch dürfen keine Feindbilder entstehen. Wir als Polizei sind an die Rechtsstaatlichkeit gebunden, das allerdings mit aller Konsequenz, auch gegenüber Rechtsbrechern. Insoweit benötigen wir bei unserem Einschreiten und der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung das Vertrauen der Bürger. Wir erwarten aber auch den Respekt, um die persönliche Integrität und Gesundheit der Mitarbeiter erhalten zu können.

Die PUBLICUS-Redaktion

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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