15.11.2010

Das neue Bayerische Versammlungsgesetz

Liberaler als das Versammlungsgesetz des Bundes?

Das neue Bayerische Versammlungsgesetz

Liberaler als das Versammlungsgesetz des Bundes?

Die Versammlungsfreiheit erfährt im neuen Versammlungsgesetz eine neue Ausprägung | © Klaus Eppele - Fotolia
Die Versammlungsfreiheit erfährt im neuen Versammlungsgesetz eine neue Ausprägung | © Klaus Eppele - Fotolia

Im Rahmen der zum 01.09.2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform I ist die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder übergegangen. Im März 2008 hatte Bayern als erstes Bundesland einen eigenen vollständigen Entwurf eines Landesversammlungsgesetzes vorgelegt.

Der von der bayerischen Staatsregierung in den Landtag eingebrachte Gesetzentwurf hatte indes weniger die Bedürfnisse der Grundrechtsträger als die der Versammlungsbehörden im Blickwinkel. Unter dem Etikett der Bekämpfung rechtsextremer Versammlungen wurde jeder Veranstalter einer Versammlung zu der Abgabe zahlreicher persönlicher Daten verpflichtet und lief wegen Kleinigkeiten Gefahr, einen Bußgeldbescheid oder einen Strafbefehl zu erhalten. Hinzu kam die anlasslose Überwachung fast jeder Versammlung durch Bild- und Tonaufnahmen und die Unbestimmtheit vieler Regelungen, so dass für den Einzelnen nicht mehr erkennbar war, was von ihm verlangt wurde. Obwohl eine Vielzahl von Juristen erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit äußerten, kam es im Gesetzgebungsverfahren nur zu einzelnen, marginalen Korrekturen. So wurde das Gesetz von der CSU-Fraktion trotz vieler Proteste verschiedener Gruppen und unzähliger Petitionen an den Landtag im Juli 2008 verabschiedet.

BVerfG setzte Gesetz teilweise außer Kraft

Noch bevor das Gesetz zum 01.10.2008 in Kraft trat, legte im September 2008 ein breites Bündnis Verfassungsbeschwerde ein und schon am 17.02.2009 erließ das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung (Az.: 1 BvR 2492/08), die nicht zu Unrecht als „verfassungsrechtlicher Paukenschlag“ bezeichnet wurde. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigte dem Gesetz eine „einschüchternde Wirkung“, die dazu führe, dass Versammlungsteilnehmer davon abgehalten würden, das für die Demokratie so wich­tige Grundrecht der Versammlungsfreiheit wahrzunehmen und setzte zahlreiche Vorschriften des Gesetzes im Hinblick auf Art. 8 GG einstweilen außer Kraft. Gegen weitere Vorschriften wurden vom Gericht deutliche Vorbehalte geäußert, die Entscheidung jedoch bis zur Verhandlung über die Hauptsache zurückgestellt. Der Widerstand der Verfechter eines allein auf Sicherheitsbedenken statuierten Gesetzes war gebrochen und das Gesetz wurde in der Folgezeit von der CSU/FDP-Koalition von Grund auf erneuert. Der Generalüberholung fielen letztlich 14 Regelungen vollständig zum Opfer, 33 weitere wurden umgeschrieben. So ist seit dem 01.06.2010 in Bayern ein Gesetz in Kraft, das mit dem alten kaum mehr etwas gemeinsam hat.


Vergleich BayVersG – VersG

Das Bayerische Versammlungsgesetz setzt zunächst in vielen Bereichen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um und führt juristische Streitfragen einer Lösung zu. So wird der „enge Versammlungsbegriff“ in Art. 2 Abs. 1 BayVersG legaldefiniert und klargestellt, dass zwei Personen eine Versammlung bilden können. In Art. 4 Abs. 3 BayVersG wird bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Polizeibeamte ein Zugangsrecht zu Versammlungen haben. In Art. 13 BayVersG finden sich nicht nur Legaldefinitionen für Eil- und Spontanversammlungen, sondern es wird aufgeführt, welche Angaben der Veranstalter der Behörde bei der Anzeige mitteilen muss. Erweiterungen im Vergleich zum Versammlungsgesetz des Bundes sind auch die Kodifizierung des „Kooperationsgrundsatzes“ in Art. 14 BayVersG sowie die Aufnahme des Begriffs „Beschränkungen“ in den Maßnahmenkatalog des Art. 15 BayVersG, um nicht mehr mit dem sperrigen Institut der „Minusmaßnahmen“ arbeiten zu müssen.

Neben diesen Klarstellungen gibt es zahlreiche inhaltliche Änderungen. Bemerkenswert ist insofern die Abschaffung der Leiterpflicht (vgl. § 7 Abs. 1 VersG), die sich bei Kleinversammlungen schon immer verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt sah. Hingegen geht das neue Gesetz durch die Einführung eines sogenannten „Militanzverbots“ in Art. 7 Satz 1 Nr. 2 BayVersG über das Bundesrecht hinaus. Da in der Neufassung des Gesetzes jedoch nur noch das paramilitärische Auftreten verboten ist, dürfte der „normale“ Versammlungsteilnehmer hierdurch kaum beschwert sein.

Bild- und Tonaufzeichnungen

Große Unterschiede bestehen im Bereich der Bild- und Tonaufzeichnungen. Hier hat sich der bayerische Gesetzgeber genau an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Eilentscheidung vom 17.02.2009 (BVerfG, 1 BvR 2492/08 ) gehalten. Art. 9 BayVersG stellt damit im Vergleich zu §§ 12 a, 19 a VersG eine Verbesserung in Sachen Normenklarheit und Datenschutz für die Teilnehmer dar. So wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Livebilder und Übersichtsaufzeichnungen angefertigt werden dürfen. Eingeführt wurde das ausnahmslose Prinzip der „offenen Datenerhebung“ und eine Dokumentationspflicht der Polizei, aus welchen Gründen eine Aufzeichnung notwendig und gerechtfertigt war. Hinzu kommt eine erhebliche Verkürzung der Löschungsfristen im Vergleich zum Bundesrecht.

Kernstück der Neuschaffung des Bayerischen Versammlungsrechts sollte das leichtere Vorgehen gegen rechtsextremistische Versammlungen sein. Daher zielt Art. 15 Abs. 2 BayVersG im Gegensatz zu § 15 Abs. 2 VersG nicht nur darauf ab, die Würde der Opfer des Nationalsozialismus an bestimmten Orten zu schützen, sondern erstreckt diesen Schutz auch auf symbolträchtige Orte und darüber hinaus (in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise) auch gegen Meinungen, die auf Versammlungen geäußert werden und die die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft in ein positives Licht rücken. Erste von den Versammlungsbehörden erlassene Präventivverbote hielten gerichtlicher Überprüfung allerdings nicht stand, so dass das Anliegen des bayerischen Gesetzgebers letztlich wohl erfolglos war.

Bescheide sind rechtzeitig zu erlassen

Als sinnvoller zu beurteilen ist hingegen das Festschreiben einer Rechtspflicht der Behörde, Bescheide nach Art. 15 Abs. 1 und 2 BayVersG rechtzeitig vor Versammlungsbeginn zu erlassen. In der Vergangenheit hatte manche Behörde „Auflagen- oder Verbotsbescheide“ erst in letzter Sekunde an die Veranstalter geschickt, was im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG eine rechtsstaatlich bedenkliche Praxis darstellte. Diese Handhabung ist nunmehr wegen des nichtrechtzeitigen Erlasses des Bescheides rechtswidrig. Letztlich erwähnenswert ist, dass sich in Bayern Veranstalter und Leiter einer nicht angezeigten Versammlung zukünftig genauso wenig strafbar machen wie Teilnehmer, die gegen das Schutzwaffen- oder Vermummungsverbot verstoßen. Diese Tatbestände sind nur noch Ordnungswidrigkeiten, was im Hinblick auf das dort geltende Opportunitätsprinzip positiv zu beurteilen ist.

Fazit

Mit der Überarbeitung ist es dem bayerischen Gesetzgeber gelungen, die grundrechtsfeindlichen Tendenzen des Ursprungsgesetzes zu beseitigen. Erfreulich ist, dass es das Gesetz hierbei nicht belassen hat, sondern darüber hinaus einige versammlungsfreundliche Regelungen geschaffen hat, die dem Geiste der Brokdorf-Entscheidung (BVerfGE 69, 315 ff., Beschluss des Ersten Senats v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233, 341/81) nahekommen. Dies dürfte vor allem auf die seit Herbst 2008 in München mitregierende FDP zurückzuführen sein. So bleibt festzustellen, dass derzeit in Bayern das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit seine höchste Ausprägung erfährt. Indes besteht im legislatorischen Bereich in liberaler Hinsicht durchaus noch „Spielraum nach oben“, so dass man auf die Versammlungsgesetze der anderen Bundesländer gespannt sein kann.

 

Rolf Merk

Rechtsanwalt, Rechts- und Grundsatzreferent der FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag, München
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