15.11.2010

Never ending Story „Bürokratieabbau“

Neues Kapitel: Das Gesetz über den Normenkontrollrat

Never ending Story „Bürokratieabbau“

Neues Kapitel: Das Gesetz über den Normenkontrollrat

Bürokratieabbau: Altes muss weichen, damit 
Neues entstehen kann. | © jomare - Fotolia
Bürokratieabbau: Altes muss weichen, damit Neues entstehen kann. | © jomare - Fotolia

So erschreckend es klingen mag, der Bürokratieabbau ist tatsächlich eine unendliche Geschichte. Solange es eine Gesellschaft gibt, wird es auch Bürokratie geben. Das gilt insbesondere dann, wenn man nicht nur die Tätigkeit öffentlicher Verwaltungen, sondern auch jene von privaten Betrieben und Organisationen ins Auge fasst. Aus dem – in Deutschland geschichtlich bedingten – Unbehagen der Bürger gegenüber staatlicher Verwaltung resultiert das Interesse der Öffentlichkeit an Versuchen, dort überflüssige Bürokratie abzubauen.

Schon in der Vergangenheit hat es in diesem Zusammenhang immer wieder Anläufe gegeben, wenngleich man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass zuweilen nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt wurde. Ist nun das Kapitel „Normenkontrollrat“(NKR) wirklich ein „neues“ Kapitel oder nur ein weiteres, das an die Reihe der bisherigen noch hinzugefügt wird?

Selbst wenn manche es nicht wahrhaben wollen – das Gesetz über den NKR vom 14.08.2006 (BGBl S. 1866) enthält in der Tat einen neuen Ansatz in dem Bestreben, Bürokratie zu verringern.


Verpflichtung des Gesetzgebers

Neu ist zunächst, dass im Vergleich zu den bisherigen Anläufen – die vorwiegend von dem Gedanken der Selbsterkenntnis und der Selbstheilung der Verwaltung ausgingen – nun der Gesetzgeber in die Pflicht genommen wird oder, besser gesagt, sich selbst verpflichtet hat.

Bürokratie wird als Folge gesetzgeberischer Tätigkeit verifiziert. Für sich betrachtet ist das, vor allem in Bezug auf die klassische sogenannte Eingriffsverwaltung, eine Selbstverständlichkeit. Es ist auch nichts grundlegend Neues, dass der Gesetzgeber beim Erlass von Gesetzen nicht nur sein politisches Regelungsziel, sondern aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ebenso die Folgen einer Regelung im Auge behalten sollte.

Aber eine solche Gesetzesfolgenabschätzung wurde als Teil der – ihrerseits noch nicht sehr alten – Gesetzgebungslehre erst im letzten Jahrzehnt wissenschaftlich und methodisch erfasst. Als Folge davon wurden sogenannte Normprüfungsstellen (meist als eigene Abteilungen in den Staatskanzleien) eingerichtet, deren Tätigkeit sich nicht selten darin zu erschöpfen schien, politisch vorgegebene oder angestrebte Ziele mehr oder weniger lyrisch zu umschreiben.

Das NKRG bringt insoweit einen Paradigmenwechsel, als es jedenfalls für Bundesgesetze zwingend vorschreibt, dass in den Gesetzbegründungen zusätzlich zu verbalen Umschreibungen eine konkrete nachvollziehbare Berechnung der Kosten darzulegen ist. Diese Bürokratiekostenberechnung ist zur Tätigkeit der Normprüfungsstellen kein aliud, sondern in Wahrheit Teil derselben. Die Berechnung erfolgt nach einem bestimmten Berechnungsschema, nämlich dem sogenannten Standardkostenmodell. Nach der noch geltenden Fassung des NKRG ist die Berechnung beschränkt auf die Kosten, die aus sogenannten Informationspflichten für Wirtschaft, Bürger und Verwaltung resultieren.

Informationspflichten sind nach § 2 Abs.1 S. 2 NKRG „auf Grund von Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung oder Verwaltungsvorschrift bestehende Verpflichtungen, Daten und sonstige Informationen für Behörden oder Dritte zu beschaffen, verfügbar zu halten oder zu übermitteln“ – z. B. also Statistik und Dokumentations- und Kennzeichnungspflichten oder Antrags-Anzeige und Genehmigungspflichten.

Öffentliche Wahrnehmung des Normenkontrollrats

Wenn man bedenkt, dass in der ersten Zeit nach dem Inkrafttreten des NKRG im Wesentlichen nur die Kostenbelastung für die Wirtschaft und erst ab Januar 2009 auch solche die Bürger betreffenden Belastungen gemessen wurden, dann ist es beachtlich, dass nach dem Jahresbericht 2010 des NKR (unter dem Titel „Qualität durch Transparenz“) bis heute rund 1300 Normen geprüft und dabei rund 10 Mrd. Euro (6,6 Mrd. in verabschiedeten / ca. 4 Mrd. in bereits geprüften, aber noch nicht in Kraft getretenen Gesetzen) eingespart wurden.

Es überrascht aber andererseits nicht, dass die betroffenen Unternehmen und noch weniger die Bürger die Entlastung als wirksam wahrnahmen, dass sich das Interesse der Öffentlichkeit an der Tätigkeit des NKR in Grenzen hielt und der NKR als Institution selbst in der Verwaltung manchen verborgen blieb.

Das erklärt sich auch aus der Stellung des NKR, der beim Bundeskanzleramt gebildet ist und seine rein gutachtliche Entscheidung lediglich intern innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens ohne Außenwirkung trifft. Er entscheidet unabhängig von jeglicher Weisung; mit der dadurch garantierten Neutralität korrespondiert, dass er kein eigenes politisches Mandat hat und haben darf. Hinzu kommt, dass die „handwerklich technische“ Grundlage der Prüfung, das in den Niederlanden entwickelte Standardkostenmodell, von vorneherein wegen der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen – vor allem föderalen – Voraussetzungen in der Bundesrepublik als entwicklungsbedürftig angesehen und erst praxisbezogen (unterstützt durch die Erfahrung des Statistischen Bundesamts) methodengerecht konkretisiert werden musste.

Der Entwurf zur Änderung des NKRG

Der Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode vom 26.10.2009 führte unter der Überschrift „1.3. Investitionsbremsen lösen“ zum Bürokratieabbau u.a. aus: „Bisher werden die durch die gesetzlichen Informationspflichten der Wirtschaft verursachten Kosten gemessen. Um die Bürokratiekosten weiter einzudämmen, (…) wollen wir eine Plausibilitätsprüfung der so genannten sonstigen Bürokratiekosten in den Aufgabenbereich des NKR übertragen“. Diese Absichtserklärung findet ihren Niederschlag in einem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vom 08.06.2010 (BT Drs. 17/1954) zur Änderung des NKRG.

Neben anderen, z. T. noch umstrittenen (etwa bezüglich der Gesetzentwürfe von Bundestag und Bundesrat ) Änderungen, enthält der Gesetzesvorschlag vor allem eine sachliche Erweiterung des NKR-Mandats: Zukünftig prüft er „insbesondere die Darstellung des Erfüllungsaufwandes neuer Regelungen für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung auf ihre Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit, sowie die Darstellung der sonstigen Kosten der Wirtschaft, insbesondere für die mittelständischen Unternehmen“ (§ 1 Abs. 3 Entw). Der Begriff des „Erfüllungsaufwandes“ wird in der Neufassung des § 2 Abs. 1 definiert. Er „umfasst den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen“. Die bisherigen „Bürokratiekosten“ sind nach der Klarstellung in § 2 Abs.2 Entw Teil des Erfüllungsaufwandes.

Prüfung des „Erfüllungsaufwandes“

Es ist zu erwarten, dass das Gesetz wohl noch in diesem Jahr Bundestag und Bundesrat durchlaufen wird und zum Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten kann.

Die Arbeit des NKR erhält damit qualitativ und quantitativ eine neue Dimension. Das wird sich in einer konkreteren Darstellung in den Gesetzesbegründungen nach einer entsprechenden Anpassung der GGO niederschlagen. In Ausarbeitung ist ferner ein Leitfaden, der als technische Handreichung für die mit der ex-ante-Schätzung des Erfüllungsaufwandes befassten Stellen unverzichtbar ist.

Mit der abstrakten Definition des Begriffs „Erfüllungsaufwand“ ist es ja noch nicht getan. Viele Detailfragen bedürfen noch der Klärung. Weil Bundesgesetze in aller Regel nicht von Bundesbehörden, sondern von den Ländern (Art. 83 GG) – und selbst in diesen in unterschiedlichem Maß in unmittelbarer Staatsverwaltung oder durch Kommunen –, vollzogen werden, ist z. B. zu klären, wie insoweit die Kosten ermittelt werden sollen.

Verfehlt wäre die Forderung, die in den Bundesländern abzuschätzenden Kosten einfach aufzuaddieren. Das müsste nicht nur für die betroffenen Verwaltungsträger abschreckend wirken. Es widerspräche auch der Erkenntnis, dass einer ex-ante-Abschätzung niemals ein „Wirklichkeitsmaßstab“ zu Grunde gelegt werden kann, sondern allenfalls eine mit allen Ungenauigkeiten einer Prognose behaftete und einen Prognosespielraum einschließende Berechnung. Ebenso wirft die Abschätzung der Kosten für Handlungspflichten der Wirtschaft sowohl hinsichtlich der Personal- wie der Sachkosten im Einzelnen (wegen der unterschiedlichen Betriebsstrukturen selbst innerhalb eines Industriezweiges) erhebliche Probleme auf.

Ausblick

Der entscheidende Fortschritt ist nicht darin zu sehen, dass ein kleinkrämerisches Rechensystem aufgebaut wird, sondern dass durch ein nachvollziehbares Zahlenwerk Vergleichbarkeit und Transparenz gefördert werden. Wie notwendig das ist, dokumentiert der am 28.09.2010 veröffentlichte Sonderbericht Nr. 3/2010 des Europäischen Rechnungshofes zu „Folgenabschätzungen in den EU-Organen“.

Das NKRG und seine jetzt anstehende Novellierung schaffen für die Bundesrepublik erstmalig in Europa eine gesetzliche Grundlage. Das ist nicht etwa Ausfluss deutscher Gründlichkeit und Regelungswut, sondern vielmehr Einsicht in die Zukunftsfähigkeit solchen Denkens.

Niemand zweifelt daran, dass selbst Gesetze in ihrer Wirkung nur endlich sein können, aber gleichzeitig wird niemand in Frage stellen, dass der Bürokratieabbau eine nicht endende Aufgabe bleibt.

Hinweis der Redaktion: Vgl. auch die Beiträge von Prof. Dr. Joachim Jahn (FAZ) im Online-Magazin Deutscher Anwaltspiegel: „Aufräumen im juristischen Unterholz“ (Ausgabe 2/2009) sowie „Kampf dem Gesetzesgestrüpp – über Rechtsvereinfachung in einer komplexen Welt“. Die Artikel sind abrufbar unter www.deutscher-anwaltspiegel.de.

 

Prof. Dr. Johann Wittmann

Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs a.D., Mitglied des Nationalen Normenkontrollrats, München
n/a