15.11.2010

Flashmobs – virtuell organisiert

Neue Interaktionsformen: Wie reagieren Polizei- und Ordnungsbehörden?

Flashmobs – virtuell organisiert

Neue Interaktionsformen: Wie reagieren Polizei- und Ordnungsbehörden?

Die virtuelle Kommunikation kann ungeahnte Folgen haben. | © Patrick Hermans - Fotolia
Die virtuelle Kommunikation kann ungeahnte Folgen haben. | © Patrick Hermans - Fotolia

„Flashmob randaliert auf S-Bahnhof“ oder „Auf Sylt – 5000 feierten Massenparty“ oder „Polizei beendet Flashmob-Party in München“ – solche Schlagzeilen künden von neuen Interaktionsformen, die Polizei und Ordnungsbehörden vor neue Herausforderungen stellen.

Entscheidende Grundlage für die Prüfung von Interventionsmöglichkeiten ist die rechtliche Einordnung von Flashmobs, Smartmobs und Massenpartys. In der öffentlichen Wahrnehmung weisen sie Ähnlichkeiten auf.

Worum es geht: zwei Lagebeispiele

Betroffen macht ein Bericht des Tagesspiegels (www.tagesspiegel.de) über via Internet organisierte Alkoholexzesse:


„Gegen 20.20 Uhr alarmierten S-Bahn-Angestellte die Polizei, weil über 100 Betrunkene in einem Zug auf der Ringbahn unterwegs waren. Auf dem S-Bahnhof Heidelberger Platz in Wilmersdorf stoppte eine Hundertschaft der Polizei den Zug und damit das sogenannte ‚Ringbahnsaufen’. Daraufhin flogen Flaschen und Feuerwerkskörper auf die Beamten, viele flüchteten zum benachbarten U-Bahnhof. Von 67 Personen wurden die Personalien festgestellt, sie erhielten Platzverweise. Drei Rädelsführer wurden festgenommen, gegen 22.30 Uhr war der Einsatz beendet. Ein S-Bahn-Zug wurde stark beschädigt, nach Polizeiangaben wurden die Waggons innen komplett beschmiert und Türen gewaltsam geöffnet.

Die Polizei ermittelt wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und Landfriedensbruch. Dem Vernehmen hatten sich die Teilnehmer über das Internetportal ,Jappy’ verabredet. Bereits vor einigen Wochen war eine derartige Runde auf dem Bahnhof Westkreuz in Krawall umgeschlagen. Begonnen hatte das per Internet verabredete gemeinschaftliche Biertrinken in der S-Bahn vor etwa zwei Jahren, die Internetseite „ringsaufen.de“ ist mittlerweile jedoch abgeschaltet.“

Für größeres bundesweites Aufsehen sorgte eine Massenparty auf Sylt am 13. 6. 2009. Die Berliner Zeitung berichtete:

„Der Schleswig-Holsteiner Christoph S. (26) wollte mit ein paar Bier die Trennung von seiner Freundin überwinden. Über einen Aufruf auf einer Internet-Seite wollte er ein paar Freunde zusammentrommeln, doch statt zunächst 100 geplanter Gäste stürmten am Samstag 5000 junge Leute den Strand von Westerland auf der Nordsee-Insel Sylt. Und die hielten die Polizei tüchtig auf Trab: 350 Beamte waren im Einsatz, ein Polizist wurde leicht verletzt und 14 Party-Gänger wurden zur Feststellung ihrer Personalien in Gewahrsam genommen. ‚Das große Problem war der Alkoholkonsum’, sagte ein Beamter am Sonntag. Besonders erschreckend sei die hohe Anzahl von ‚erheblich alkoholisierten’ und aggressiven Teilnehmern gewesen. Es habe eine Reihe von Körperverletzungen und Sachbeschädigungen gegeben. Sechs Partygäste wurden zur Ausnüchterung in polizeilichen Gewahrsam genommen. Lange dauerte die nach Polizeiangaben bislang größte unorganisierte Beachparty der Westküste aber nicht. Weil es keine Musik gab und es auch am Getränke-Nachschub haperte, machten sich die ersten Gäste bereits gegen 22 Uhr auf den Rückweg. Die meisten Besucher fuhren dann mit den letzten Zügen zurück auf das Festland.“

Beide Beispiele sind von dem Prinzip des Flashmob inspirierte Massenpartys. Doch was unterscheidet das eine von dem anderen? Was sind charakteristische Merkmale von Flashmob, Smartmob und Massenparty?

Die Definitionen

Flashmob (spaßorientierte Blitzmeute) bezeichnet einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen, bei denen sich die Teilnehmer üblicherweise persönlich nicht kennen und ungewöhnliche Dinge tun. Flashmobs werden über Online-Communitys, Weblogs, Newsgroups, E-Mail-Kettenbriefe oder per Mobiltelefon organisiert. Sie gelten als spezielle Ausprägungsform der virtuellen Gesellschaft, die neue Medien wie Mobiltelefone und Internet benutzt, um kollektive Aktionen zu organisieren. Durch das Zusammenkommen wird ein bestimmtes Lebensgefühl, eine Spaßorientierung zur Schau gestellt. So kam es beispielsweise im Jahr 2009 zu einem „Pillow Fight Day“. Weltweit kamen an verschiedenen Orten hunderte von Menschen zusammen und veranstalteten Kissenschlachten. In Deutschland fanden die „Kämpfe“ auf so exponierten Plätzen wie der Kölner Domplatte oder dem Hamburger Rathausmarkt statt.

Der Ursprung des Flashmobs geht auf den Dadaismus ( = internationale revolutionäre Kunst- und Literaturrichtung um 1920) zurück, liegt aber der Kunst der 60er Jahre wie dem Fluxus, dem Wiener Aktionismus oder dem Happening näher. Hier lassen sich erste konkretere Gemeinsamkeiten wie die Unwiederholbarkeit, die Destabilisierung von Leben und Kunst oder die Teilhabe des Publikums an der Aktion aufzeigen.

Der Begriff „Flashmob“ taucht erstmals im Jahr 2003 in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Im Jahr 2003 wurden erste Flashmobs auch in europäischen Städten durchgeführt. Nach intensiver öffentlicher Berichterstattung ging das Medieninteresse jedoch deutlich zurück. Erst im Jahr 2007 wurde die Idee der „zweckfreien Aktion“ wiederbelebt. Während die Motive in den Eingangsbeispielen noch relativ deutlich sind, drängt sich bei sinnfreien Formen des Flashmob die Frage nach dem Motiv geradezu auf. Offenbar finden es die Teilnehmer reizvoll, etwas Außergewöhnliches zu tun und dabei in einer „grauen Masse“ nicht erkannt zu werden. Es entsteht eine Gruppendynamik, die dafür sorgt, dass die Beteiligten ihre Hemmungen fallen lassen.

Abzugrenzen ist die Erscheinungsform des Flashmob vom sog. Smartmob (schlaue Meute).

Smartmob-Aktionen funktionieren zwar nach dem gleichen Prinzip, dienen im Gegensatz zum Flashmob aber der Meinungsäußerung. Als Protestform wird sie z. B. von Globalisierungskritikern verwandt. Im Bundestagswahlkampf 2009 wurden bei öffentlichen Parteiveranstaltungen mit dieser Ausdrucksform Gegenpositionen vertreten.

Abzugrenzen von den „Flash- und Smartmobs“ wiederum sind Massenpartys mit gemeinsamen Trinken und Grillen etc., die i.d.R. auf eine längere Zeit angelegt sind (z. B. Massenparty auf Sylt).

Die rechtliche Einordnung

Flashmob-Aktionen sind wegen ihres gewollten Charakters als Blödsinntheater auf Unterhaltung angelegt und deshalb wegen ihrer unpolitischen Ausrichtung keine Versammlungen (Dietel /Gintzel/Kniesel, Versammlungsrecht, Kommentar zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 15. Auflage, Rn 54).

Ähnlich wie bei Massenpartys handelt es sich bei einem Flashmob um den Ausdruck eines Lebensgefühls, das der reinen Unterhaltung dient. Flashmob kann allerdings, wie z. B. Straßentheater, Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. GG darstellen. Die Kunstfreiheit gewährleistet einen weitgehenden Schutz, indem sie auch den prozesshaften Vorgang der künstlerischen Schöpfung, der Gestaltung und allgemeinen Präsentation des Geschaffenen mit einbezieht.

Derartige Zusammenkünfte unterliegen keinem versammlungsspezifischen Sondernutzungsrecht. Ob es sich allerdings um eine erlaubnispflichtige Sondernutzung des öffentlichen Verkehrsraums handelt, ist danach zu beurteilen, ob durch die Zusammenkunft der Widmungszweck des öffentlichen Straßenlandes in nicht unerheblicher Weise der Allgemeinheit entzogen ist. Führt die Aktion beispielsweise dazu, dass wesentliche Teile des Gehweges oder der Fahrbahn über eine nicht gänzlich unerhebliche Dauer blockiert sind, liegt durchaus eine Sondernutzung vor (Steckmann, aus der Reihe ,Schriften zur Fortbildung’, Der Polizeipräsident in Berlin). Diese Sondernutzung ist wiederum erlaubnispflichtig.

Smartmobs zielen auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ab und sind eine neue Form des politischen Protests. Aktionen von Smartmobs fallen insbesondere wegen dieser Zielrichtung unter den engen Versammlungsbegriff. Hierunter wird das Zusammenfinden mehrerer Personen zur gemeinsamen Bildung/Äußerung einer Meinung im Zusammenhang mit der öffentlichen (politischen) Meinungsbildung verstanden (BVerfG, DVBl. 2002, 256, 258. Zum spezifischen Versammlungszweck auch Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts (2007), Kapitel J, Rn. 47 ff.). Damit unterliegen Smartmobs dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den Regelungen des Versammlungsrechts.

Das Prinzip des Smartmobs wird auch als Arbeitskampfmaßnahme eingesetzt. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung (BAG 1 AZR 972/08) zu einer streikbegleitenden Aktion in einer REWE-Filiale im Berliner Ostbahnhof wie folgt entschieden:

Eine streikbegleitende Aktion, mit der eine Gewerkschaft in einem öffentlich zugänglichen Betrieb kurzfristig und überraschend eine Störung betrieblicher Abläufe hervorrufen will, um zur Durchsetzung tariflicher Ziele Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, ist nicht generell unzulässig. Der damit verbundene Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des betroffenen Arbeitgebers kann aus Gründen des Arbeitskampfrechts gerechtfertigt sein, wenn dem Arbeitgeber wirksame Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (…)

In den Entscheidungsgründen heißt es u.a. wie folgt:

(…) eine gewerkschaftliche Aktion, bei der die Teilnehmer durch den Kauf geringwertiger Waren oder das Befüllen und Stehenlassen von Einkaufswagen in einem Einzelhandelsgeschäft kurzfristig und überraschend eine Störung betrieblicher Abläufe hervorrufen, ist im Arbeitskampf nicht generell unzulässig. Zwar greift eine derartige Aktion in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Betriebsinhabers ein. Der Eingriff kann aber aus Gründen des Arbeitskampfes gerechtfertigt sein. Gewerkschaftliche Maßnahmen, die in einem laufenden Arbeitskampf zur Durchsetzung tariflicher Ziele auf eine Störung betrieblicher Abläufe gerichtet sind, unterfallen grundsätzlich der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften.

Folglich sind derartige Smartmob-Aktionen noch von der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt und erfüllen im Übrigen auch nicht das Merkmal der Sittenwidrigkeit gem. § 826 BGB.

Massenpartys sind reine Freizeitveranstaltungen, die Unterhaltungszwecken dienen. Hier können Ordnungs- und Polizeibehörden mit ihren allgemein zur Verfügung stehenden verwaltungsrechtlichen Instrumentarien reagieren. Letztlich unterscheiden sich die hier vorgestellten Massenpartys nicht von anderen Vergnügungsveranstaltungen. Nur durch die Form der Aktivierung möglicher Teilnehmer und der Möglichkeit als Initiator unerkannt zu bleiben, werden Gefahren abwehrende Reaktionsmöglichkeiten hinsichtlich potenzieller Adressaten eingeschränkt.

Polizeipraktische Herausforderungen

In der Praxis unterbleibt bei diesen Veranstaltungsformen meist ein Antrag auf Sondernutzung oder eine offizielle Anmeldung. Insofern ist durch die Polizei zumindest im Vorfeld kaum keine Gefährdungseinschätzung bzw. Beurteilung der Lage möglich.

Problematisch ist weiterhin, dass es bei dieser Mobilisierungsform sehr schwierig ist, einen verantwortlichen Initiator zu ermitteln. Flash- und Smartmobs sind von ihrer Idee her auf eine kurze Dauer angelegt. Mögliche Beeinträchtigungen dürften daher regelmäßig auch von kurzer Dauer sein. Schwierig kann im konkreten Einzelfall auch die Abgrenzung zwischen Smart- und Flashmob werden. Die rich­tige Einordnung ist jedoch von grundsätzlicher Bedeutung, weil für Smartmobs die Vorschriften des Versammlungsrechts gelten. Mitwirkende an einem Flashmob könnten Sondernutzungsansprüche des öffentlichen Raumes aus der Kunstfreiheit ableiten.

Bei Massenpartys sind hinsichtlich möglicher Interventionen keine speziellen Beschränkungen zu prüfen oder zu beachten. Wie die Eingangsbeispiele zeigen, beinhalten Massenpartys das vergleichsweise größte Gefährdungspotenzial. Auflagen, Verbote, Platzverweise usw. sind hier nach Maßgabe des Gefahrenabwehrrechts möglich. Sind die Veranstalter bekannt, kommen Sie als Adressaten von Maßnahmen in Betracht. Bei geplanten Veranstaltungen ohne identifizierte Initiatoren, kann die Rechtslage durch öffentliche Aufrufe publiziert und potenziellen Teilnehmern bekannt gegeben werden.

Fazit

Da sich die virtuelle Welt sehr dynamisch entwickelt, dürften sich auch die Mobilisierungsformen und -anlässe kreativ weiter entwickeln. Mit überraschenden Interaktionen muss nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Polizei zukünftig rechnen.

 

Jürgen Kepura

M.A., Polizeioberrat, Rostock,
 

Frank Niechziol

Polizeioberrat, Potsdam
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