15.11.2010

Vergaberecht in neuen Bahnen

Vereinfachungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe?

Vergaberecht in neuen Bahnen

Vereinfachungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe?

Die Vergabeverordnung: Bindeglied im Kaskadensystem | © El Gaucho - Fotolia
Die Vergabeverordnung: Bindeglied im Kaskadensystem | © El Gaucho - Fotolia

Da haben sich der Gesetzgeber, der Verordnungsgeber und der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss im Jahr 2009 und bis zur Mitte des Jahres 2010 gewaltig angestrengt, das Vergabeverfahren (wieder einmal) zu vereinfachen und zu verschlanken: Im Abschnitt 1 der VOB/A sind aus 32 Paragrafen 22 geworden, im Abschnitt 2 geht es noch um 23 Regelungen statt um 33. Gott sei Dank erschöpft sich die ganze Kunst nicht darin, „den Regelungsumfang zu reduzieren und die Transparenz zu erhöhen.“

Denn was ist eigentlich gewonnen, wenn der neue § 9 VOB/A mit fünf Zwischenüberschriften die bisher in fünf Paragrafen enthaltenen Regelungen zusammenfasst? Der Anwender hat lediglich die Qual, sich an eine neue Nummerierung zu gewöhnen. Doch gibt es auch Erfreuliches zu berichten. Bleiben wir bei der VOB/A: Es sind Schwellenwerte für beschränkte Ausschreibungen und freihändige Vergaben eingeführt, bis zu denen ohne weitere Begründung von einer öffentlichen Ausschreibung abgesehen werden darf (§ 3 Abs. 3 und Abs. 5 VOB/A). Das erleichtert den Vergabeaufwand, wenngleich die Neuregelung deutlich hinter den z. B. in Bayern weiterhin geltenden Grenzwerten zurückbleibt.

Auftraggeber und Auftragnehmer profitieren

Wichtig ist nach neuem Recht: Eine einzelne fehlende Preisangabe führt nicht mehr zwangsläufig zum Angebotsausschluss, wenn der Wettbewerb nicht beeinträchtigt wird und die Bieterreihenfolge gleich bleibt.


Die neue Regelung des § 9 Abs. 7 VOB/A dient sowohl Auftraggebern als auch Auftragnehmern, wonach bei Auftragssummen unterhalb 250.000 € auf Sicherheitsleistungen für Vertragserfüllung und Mängelansprüche zu verzichten ist. Bei einer Sicherheit von 5 % handelt es sich um einen Betrag von 12.500 €, der in der Praxis selten ausreichte, eingetretene Schäden auszugleichen, der aber angesichts vieler Verträge die Kreditlinie kleiner und mittlerer Unternehmen einschränkte.

Hier lohnt sich ein Rückblick auf den zeitlich ersten Schritt des Gesetzgebers, das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009. Das Gesetz hat die mittelständischen Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gestärkt, indem nunmehr regelmäßig Losvergaben stattzufinden haben. Es hebt bisherige Regelungen in der Vergabeverordnung in den „Gesetzesstand“ und verändert ihre Bedeutung und inhaltliche Effizienz wesentlich. Gemeint sind § 101a und § 101b des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).

Informations- und Wartepflichten wurden verkürzt

Bisher regelte § 13 der Vergabeverordnung eine Informations- und Wartepflicht. Die Bieter, die den Zuschlag nicht erhalten sollten, mussten über die Gründe informiert, der Zuschlag durfte erst nach einer Frist von 14 Tagen erteilt werden. Damit sollten Rechtsschutz ermöglicht und vollendete Tatsachen verhindert werden. Informierte der Auftraggeber nicht, war der dennoch geschlossene Vertrag nichtig. Die Wartefrist ist jetzt nach § 101a GWB für den Regelfall auf 15 Kalendertage festgelegt, sie verkürzt sich auf 10 Kalendertage bei Information per Fax oder auf elektronischem Weg. Zweckmäßig ist es, den Bietern bei der Unterrichtung ihre Platzierung anzugeben. Das kann zugunsten beider Vertragsparteien ein Nachprüfungsverfahren vermeiden helfen.

§ 101b GWB regelt jetzt, dass die Verletzung der Informationspflicht und die Nichtdurchführung eines gebotenen Vergabeverfahrens zur Unwirksamkeit (nicht wie früher zur Nichtigkeit) des geschlossenen Vertrages führen. Für die Praxis erfreulich ist, dass der Vertrag rückwirkend von Anfang an wirksam wird, wenn seine Unwirksamkeit nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis der Pflichtverletzung der Vergabestelle geltend gemacht wird. Unabhängig von Kenntnis kann die Unwirksamkeit nicht mehr festgestellt werden, wenn seit dem Vertragsschluss sechs Monate vergangen sind. Das bringt im Interesse aller Beteiligten Rechtssicherheit.

Loslösung der Sektorenverordnung von der Vergabeverordnung

Eine uneingeschränkt zu begrüßende Klarstellung ist dem Verordnungsgeber mit der Trennung der Sektorenverordnung von der Vergabeverordnung gelungen. Die Sektorenverordnung ist eine eigenständige Regelung. Sie enthält alle Vorschriften, die von den Vergabestellen im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung anzuwenden sind. Die Vergabeverordnungen VOL/A, VOB/A und VOF spielen im Sektorenbereich oberhalb der Schwellenwerte keine Rolle mehr. Für den Verkehrsbereich, für die Trinkwasser- und für die Energieversorgung gilt neben dem Vierten Teil des GWB mit dem Ziel eines verstärkten Wettbewerbs und mit der Konsequenz, dass alle Vorschriften in einem Werk gebündelt sind, nur mehr die neue Sektorenverordnung.

Vergabeverordnung gilt für die „klassischen“ öffentlichen Auftraggeber

Klar abgegrenzt von der Sektorenverordnung ist die für die klassischen öffentlichen Auftraggeber (Bund, Länder, Gemeinden, Zweckverbände etc.) geltende Vergabeverordnung vom 07.06.2010, die seit 11.06.2010 in Kraft ist. Mit ihr hat die Vergaberechtsreform 2009/2010 (vorerst) ihren Abschluss gefunden. Die Vergabeverordnung hat allen 2009 vom Vergabe- und Vertragsausschuss beschlossenen Regelungen (VOL/A, VOB/A, VOF) oberhalb der Schwellenwerte Leben eingehaucht.

Die Vergabeverordnung spielt innerhalb des Vergaberechts eine wesentliche Rolle

Die neue Vergabeverordnung installiert kein neues System. Nachdem das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts und die Sektorenverordnung eine Vielzahl der in der früheren Vergabeverordnung enthaltenen Regelungen an sich gezogen haben, hat die Vergabeverordnung nur mehr einen knappen Umfang. Ihr kommt innerhalb des Vergaberechts allerdings eine wichtige Funktion zu, auf die sie sich im Wesentlichen beschränkt. Sie ist im Kaskadensystem des deutschen Vergaberechts (Gesetz, Verordnung, Vergabeordnungen) das Scharnier zwischen GWB und den EU-weit harmonisierten Vergaberegeln.

Die Vergabeverordnung nennt die Schwellenwerte (für Bauaufträge 4.845.000 €, für alle Liefer- und Dienstleistungsaufträge außerhalb des Sektorenbereichs 193.000 €) und enthält die Regelungen zur Schätzung der Auftragswerte. Zu den von der Vergabeverordnung in Bezug genommenen Vergabeordnungen ist auf die Vereinfachung des Eignungsnachweises durch Präqualifikationsverfahren zu erinnern, s. z. B. § 6 Abs. 3 Nr. 2 VOB/A. Gibt der Bieter Referenzen an, ist der Auftraggeber aber nicht gehindert, auch bei ihm bekannten anderen Vertragspartnern des Bieters Erkundigungen einzuholen.

Hinweis der Redaktion: Zur Vertiefung des Themas siehe auch Stemmer, „Vergaberecht 2016 – Was ist neu?“, erschienen im Richard Boorberg Verlag. Zum selben Thema siehe auch: Christoph Just in AnwaltSpiegel 12/2010 (www.deutscher-anwaltspiegel.de).

 

Michael Stemmer

Direktor a.D. beim Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband, München
n/a