15.11.2010

Deutsche Glücksspielmonopole gekippt

Hat das Staatsmonopol auf Dauer ausgespielt?

Deutsche Glücksspielmonopole gekippt

Hat das Staatsmonopol auf Dauer ausgespielt?

Monopol für alle oder keinen: ungerechtfertigter Vorsprung für Pferdewetten. | © Sean Gladwell - Fotolia
Monopol für alle oder keinen: ungerechtfertigter Vorsprung für Pferdewetten. | © Sean Gladwell - Fotolia

Ein Zustand der Rechtsunsicherheit herrschte seit längerem hinsichtlich der Gültigkeit von staatsvertraglichen und landesrechtlichen Rechtsnormen in Deutschland über das staatliche Glücksspielmonopol. Dieser wurde durch mehrere Entscheidungen des EuGH vom 08.09.2010 (Az. C-316-07 u.a., C-409/06) von einem neuen Zustand der Rechtsunsicherheit nahtlos abgelöst. Es handelt sich bei den neuen Entscheidungen um Vorabentscheidungen nach Art. 234 EG. Laufende Verfahren privater Glücksspielanbieter gegen deutsche Verwaltungsbehörden vor den Verwaltungsgerichten Gießen, Stuttgart und Köln wurden ausgesetzt. Diese innerstaatlichen Gerichte legten Inzidentfragen zur vorgreiflichen Klärung der richtigen Auslegung des Europarechts dem EuGH vor. In allen Verfahren ging es auch um die Frage, ob die in Art. 43 und 49 EG verankerten Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs so auszulegen sind, dass sie innerstaatlichem Recht zum Glückspielverbot und -staatsmonopol entgegenstehen.

Ausgangsverfahren

Kläger der Ausgangsverfahren waren teils deutsche Wettanbieter, teils solche mit ausländischen Genehmigungen. Sie wehrten sich u.a. gegen Verbotsverfügungen. Die deutschen Behörden verwiesen auf Durchführungsgesetze zu § 5 Abs. 2 des LottStV, der nur staatlichen Stellen oder privatrechtlichen Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts maßgeblich beteiligt sind, erlaubt, Sportwetten anzubieten.

Präzedenzfall

Es gab zu dieser Fragestellung bereits eine Leitentscheidung des EuGH („Gambelli“, Urteil vom 06.11.2003, Az.: C-101/01) in einem italienischen Strafverfahren. Darin wurde ein doppelter Grundsatz aufgestellt: Beschränkungen der Spieltätigkeiten können durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein. Aber Beschränkungen zum Schutz der sozialen Ordnung vor den Gefahren des Glücksspiels müssen auch geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, und dafür „kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen“. Wenn aber die Behörden eines Mitgliedsstaats die Verbraucher dazu ermunterten, an Glücksspielen teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, dann könnten sich die Behörden dieses Staates nicht mehr mit dem Kampf gegen die Spielsucht rechtfertigen. Letztlich handelt es sich um ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Der EuGH hatte sich nur zur Vorlagefrage geäußert und blieb im Übrigen bei seinem Mantra: „Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die nationale Regelung angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich den Zielen Rechnung trägt, die sie rechtfertigen könnten, und ob die mit ihr auferlegten Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.“


Vorlagebeschlüsse

Auf die Grundsätze aus dieser Entscheidung stützten die vorlegenden Verwaltungsgerichte ihre Zweifel an der europarechtlichen Haltbarkeit der deutschen Rechtslage. Die vielfältigen Werbemaßnahmen für das staatliche Glücksspiel auch in Deutschland und auch nach Inkrafttreten des Lotteriestaatsvertrages ließen einen Mangel an Kohärenz und Systematik in der Begrenzung der Wetttätigkeiten und in der Bekämpfung der sozialen Risiken der Spielsucht erkennen. Eine vorab-„Scheinheiligkeitsprüfung“ der gesetzlichen Rechtfertigungen für das Monopol am Maßstab der EU-Grundfreiheiten sei nötig, um in der Sache zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichte fügten hinzu, dass die in Deutschland innerstaatlich konzessionierten Glücksspielveranstalter zur Teilnahme an Sportwetten und Lotterien ermuntern und dass der Staat andere Spiele mit Suchtpotenzial wie Pferdewetten, Automatenspiele und Casinobetriebe durchaus in private Hände gibt. Außerdem fragten sie, ob eine Genehmigung aus einem Mitgliedsstaat von einem anderen anerkannt werden müsse.

EuGH-Tenor

Eine Pflicht zur Anerkennung ausländischer Erlaubnisse lehnte der Gerichtshof im Hinblick auf die fehlende Harmonisierung des Glücksspielrechts in Europa ab. Der EuGH stellte allerdings fest, dass ein Monopol einer ganz besonderen Rechtfertigung bedürfe. Er stellte erneut klar, dass das vorlegende Gericht selbst über die Vereinbarkeit entscheiden müsse. Allerdings gab er eine sehr deutliche Entscheidungshilfe mit der Formulierung, das vorlegende nationale Gericht könne angesichts der Faktenlage in Deutschland „berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, (…) in kohärenter und systematischer Weise“ begrenzend auf die Gefahren durch Glücksspiele zu wirken.

Das BVerfG hatte am 28.03.2006 aus denselben Gründen eine bayerische parallele Regelung für verfassungswidrig erklärt und eine Gesetzesänderung bis 01.01.2008 eingefordert. Das VG Köln wollte nun wissen, ob das Europarecht eine Übergangsfrist dulde, um einem rechtsfreien Zeitraum vorzubeugen, bis der GlüStV den LottStV abgelöst habe. Dies lehnte der EuGH (C-409/06) klar ab und berief sich auf die ständige „Simmenthal“-Rechtsprechung (Urteil v. 09.03.1978, Rs. 106/77), die einzelstaatliche Einschränkungen der Geltung des Unionsrechts verbietet. Die angeführten Urteile erklären also § 5 Abs. 2 des LottStV (Monopole) bei leicht interpretierender Lektüre für unvereinbar mit Art. 43 und 49 EU (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) und verbieten auch die übergangsweise Anordnung der Weitergeltung des LottStV und der Landesgesetze zur Durchsetzung der staatlichen Glücksspielmonopole.

Zitatverschiebungen oder neue Rechtslage?

Inzwischen ist aufgrund des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon eine Zitatverschiebung eingetreten. Die Niederlassungsfreiheit ist jetzt in Art. 49 und der freie Dienstleistungsverkehr in Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt und Vorabentscheidungen stützen sich nun auf dessen Art. 264 Abs. 2. Inhaltlich hat sich aber daran nichts geändert, sodass man auf diese neuen Zitate verweisen kann.

Lässt sich aus diesen Urteilen aber ableiten, dass auch die „neuen“ Monopole in § 10 Absätze 2 und 5 GlüStV (dem Wortlaut nach in Kraft seit 01.01.2008) unwirksam sind und dass das absolute Verbot aus § 4 Abs. 4 ungültig ist, welches „das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet“ untersagen will? Sind Verbotsverfügungen aufgrund der landesrechtlichen Durchführungsgesetze zum GlüStV nicht vollstreckbar? – Vieles spricht dafür. Einer der „Simmenthal“-Leitsätze verfügt z. B., dass ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären. Der Wortlautvergleich zwischen § 5 LottStV und § 10 GlüStV ergibt, dass das Monopol in Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und Abs. 5 wortgleich fortbesteht. Es kommt ein Fachbeirat und eine vage Zweckbindung dazu und die Zahl der Annahmestellen ist zu begrenzen.

Ergebnisvermutungen

Trotz der erwähnten „Feigenblatt-Regelungen“ muss der Befund lauten, dass die §§ 4 und 10 GlüStV als wesentlich inhaltsgleiche Nachfolgevorschriften zum LottStV wegen Unvereinbarkeit mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht (Art. 49 und 56 AEUV) ab sofort unanwendbar sind. Das Staatmonopol muss aber nicht auf Dauer entfallen: Sofern sich der Umgang der Toto-Lotto-Konzessionäre mit Werbung und Suchtprävention ändert und sobald der Staat ähnlich gefährliche Tatbestände (Pferdewetten, Casinos) auch vergleichbar regelt, kann gemäß den EuGH-Grundsätzen aus „Gambelli“ die Rechtfertigung wieder aufleben. Der auf das Internet zurückzuführende faktische Angleichungsdruck an Nachbar-Rechtsordnungen ist aber nicht zu unterschätzen und kann solche juristischen Spitzfindigkeiten rasch ad absurdum führen.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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