15.11.2010

Kampf um das Altpapier

Öffentliche Entsorgung contra private Sammlung

Kampf um das Altpapier

Öffentliche Entsorgung contra private Sammlung

Goldgrube Altpapier? | © calamus - Fotolia
Goldgrube Altpapier? | © calamus - Fotolia

15,4 Mio. Tonnen Altpapier wurden in Deutschland im Jahr 2009 vom Altpapierhandel und den privaten und kommunalen Entsorgern erfasst und der Papierindustrie zugeführt oder exportiert. Zwar waren die Preise pro Tonne Altpapier im Herbst 2008 auf durchschnittlich etwa fünf bis 15 Euro gesunken, jedoch hat sich der Altpapiermarkt inzwischen wieder erholt. Entsprechend werden heute pro Tonne Altpapier – je nach Qualität und Sorte – etwa 70 bis 115 Euro bezahlt (vgl. EUWID Recycling und Entsorgung Nr. 43 vom 26.10.2010, S.18 und allgemein FTD vom 13.04.2010 sowie Hamburger Abendblatt vom 24.08.2010).

Die besondere Attraktivität des Altpapiermarktes hat dazu geführt, dass neben den öffentlich-rechtlichen auch private Entsorgungsunternehmen verstärkt eigene Erfassungs- und Transportsysteme aufgebaut haben, um Altpapier in großen Mengen regelmäßig bei privaten Haushalten zu erfassen. Nicht selten wurden Privathaushalte mit einem Parallelangebot mehrerer Anbieter konfrontiert, es entwickelte sich ein regelrechter „Kampf um das Altpapier“.

Um ihre Marktposition zu festigen bzw. auszubauen, gingen private Entsorgungsunternehmen teilweise auch dazu über, mit Hausverwaltungen und Wohnungsbaugesellschaften Verträge über die Übernahme von Altpapier abzuschließen. Mit diesen Verträgen ging oftmals die Aufforderung der privaten Haushaltungen an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsunternehmen einher, ihre Altpapiersammelbehälter abzuziehen. Um dieser Entwicklung beizukommen erließen mehrere Kommunen Verbotsverfügungen auf Grundlage des § 21 KrW-/AbfG. Begründet wurden diese Verbotsverfügungen damit, dass die Altpapiererfassung durch private Entsorgungsunternehmen gegen § 13 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG verstoße (vgl. z. B. OVG-Hamburg, Beschl. v. 08.07.2008, AZ 1 Bs 91/08 = OVG Hamburg Nord 2008, 390 ff.). Dieser Ansicht ist nur teilweise von den zuständigen Gerichten gefolgt worden (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 22.04.2008, Az. 4 LB 7/06 = OVG Schleswig, NVwZ 2008, 922ff.).


§ 13 KrW-/AbfG

§ 13 Abs. 1 S. 1 KrW-/AbfG verpflichtet die Erzeuger oder Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen, diese den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen, soweit sie zu einer Verwertung nicht in der Lage sind oder diese nicht beabsichtigen.

Die Überlassungspflicht gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Sie findet ihre Grenzen in den Regelungen des § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 – 3 KrW-/AbfG. Problematisch ist insbesondere die Frage, ob die Verbotsverfügungen mit § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG vereinbar sind.

Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG besteht die Überlassungspflicht nicht für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwendung zugeführt werden, soweit dies den öffentlich-recht­lichen Entsorgungsträgern nachgewiesen wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

Problematisch ist nicht nur der Begriff der „Sammlung“, sondern auch die Frage, in welchen Fällen überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Altpapiererfassung durch ein privates Entsorgungsunternehmen eine gewerbliche Sammlung im Sinne des §13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG darstellt und zumindest bezüglich Altpapier auch keine öffentlich-recht­lichen Interessen entgegenstehen (so auch das OVG Schleswig, Urt. v. 22.04.2008, Az. 4 LB 7/06 = OVG Schleswig, NVwZ 2008, 922ff.).

Das Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in seinem Urteil vom 18.06.2009 für den zu beurteilenden Fall schon das Vorliegen einer gewerb­lichen Sammlung i.S.d. § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG verneint (Urteil v. 18.06.2009, Az. 7 C 16/08 = BVerwG, NVwZ 2009, 1292ff.). Dieser Begriff schließe Tätigkeiten aus, die nach Art eines Entsorgungsträgers auf der Grund­lage vertraglicher Bindungen zwischen dem sammelnden Unternehmen und den privaten Haushaltungen in dauerhaften Strukturen abgewickelt werden.

Weiterhin stünden überwiegende öffentliche Interessen einer gewerblichen Sammlung nicht erst bei einer Existenzgefährdung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungssystems, sondern schon dann entgegen, wenn die Sammlungstätigkeit nach ihrer konkreten Ausgestaltung mehr als nur geringfü­gige Auswirkungen auf die Organisation und die Planungs­sicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nach sich zieht.

Folgt man der Linie des BVerwG, sind die von den Kommunen erlassenen Verbotsverfügungen insoweit als rechtmäßig zu betrachten (vgl. z.B. VG Oldenburg, Beschl. v. 09.02.2010, Az. 5 B 3188/09 = VG Oldenburg, AbfallR 2010, 108).

Der vom BVerwG angesetzte enge Maßstab für § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG wird teilweise allerdings sehr kritisch gesehen, weil nahezu in jedem Fall, in dem neben dem kommunalen Entsorgungsträger ein „gewerblicher Sammler“ tritt, eine Überlassungspflicht zugunsten des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers bejaht werden kann.

Die Kritik an der Entscheidung des BVerwG stützt sich weiterhin auf unionsrechtliche Gesichtspunkte. Insbesondere die Vereinbarkeit mit der Warenverkehrsfreiheit wird bestritten. Die bezüglich der Überlassungspflichten erhobenen Beschwerden der EU-Kommission in den Jahren 2000 und 2003 konnten nur durch die Zusage der Bundesregierung abgewendet werden, die Tatbestände der gemeinnützigen und der gewerblichen Sammlung weit zu interpretieren. Dies ist mit Blick auf die Entscheidung des BVerwG kaum mehr möglich. Möglicherweise erfolgt jedoch eine „korrigierende“ Entscheidung des EuGH aufgrund einer Vorlage des OVG Schleswig.

Der Referentenentwurf

Um diese Problematik zukünftig zu umgehen wird gefordert, im neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz eine Verpflichtung zur Ausschreibung für den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zumindest bei getrennt gesammelten Wertstoffen aus privaten Haushalten vorzusehen.

Im Referentenentwurf für das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz ist der § 13 KrW-/AbfG in modifizierter Form als § 17 aufgenommen worden. In § 17 Abs. 3 RefE-KrWG wird konkretisiert, wann überwiegende öffentliche Interessen einer gewerblichen Sammlung entgegenstehen. Dies sei hiernach insbesondere der Fall, wenn die Sammlung in ihrer konkreten Ausgestaltung die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers beeinträchtigt. Besonders seien Auswirkungen auf die Planungssicherheit und die Organisation des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers zu berücksichtigen. Damit wurde der vom BVerwG angesetzte enge Maßstab in den Referentenentwurf übernommen. Der Begriff „gewerbliche Sammlung“ soll auch künftig nicht konkretisiert werden. Ob damit der jahrelange Streit um das häusliche Altpapier beendet werden kann, bleibt zwar abzuwarten, erscheint aber eher fraglich.

 

Kersten Wagner-Cardenal

Rechtsanwalt, Partner, White & Case LLP, Hamburg
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