15.11.2010

Verwaltungsinternum mit Zündstoff

Das gemeindliche Einvernehmen: Neues zur Haftung

Verwaltungsinternum mit Zündstoff

Das gemeindliche Einvernehmen: Neues zur Haftung

Das gemeindliche Einvernehmen: Form ohne Inhalt? | © Christian Jung - Fotolia
Das gemeindliche Einvernehmen: Form ohne Inhalt? | © Christian Jung - Fotolia

Die Erteilung einer Baugenehmigung bedarf bei Gemeinden, die nicht selbst Genehmigungsbehörde sind, grundsätzlich des gemeindlichen Einvernehmens. Ohne dieses Einvernehmen, so die gesetzliche Ausgangssituation in § 36 Abs. 1 BauGB, wird eine Baugenehmigung unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nicht erteilt. Insbesondere Gemeinderäte nutzen diese scheinbare Bastion kommunaler Selbstverwaltung gerne, um Bauvorhaben mehr aus politischen denn aus rechtlichen Betrachtungen heraus zu verhindern.

In ständiger Rechtsprechung sahen die Zivilgerichte es als eine Amtspflichtverletzung der Gemeinde gegenüber dem Bauherrn an, wenn eine solche rechtswidrige Verweigerung des Einvernehmens zur Ablehnung des Bauantrags führte und der Bauherr erst mühsam seinen Rechtsanspruch auf Erteilung vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen musste. Die Gemeinde hatte in diesen Fällen teilweise erhebliche Schadensersatzzahlungen für die dadurch bedingten Verzögerungen des Bauvorhabens und daraus folgenden Ausfälle zu leisten. Zur Begründung wurde insbesondere darauf verwiesen, dass der Verweigerung des Einvernehmens dann rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bauherrn zukommt, wenn sie sich in der darauf gestützten Ablehnung des Bauantrags manifestiert. Dagegen wurden die Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörden in der Regel selbst dann nicht belangt, wenn für diese die Rechtswidrigkeit der Verweigerung des Einvernehmens offenkundig war.

Der Gesetzgeber hat im Zuge des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 (vom 18.08.1997, BGBl. 1997 I S. 2081) durch Ergänzung des bisherigen § 36 Abs. 2 BauGB eine Befugnis der Bauaufsichtsbehörden zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens geschaffen. Seither wurde in der Literatur darüber diskutiert, ob durch diese Ersetzungsbefugnis die (eine Haftung begründende) Außenwirkung des Einvernehmens fortbesteht oder ob es sich um ein bloßes, die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde vorbereitendes Verwaltungsinternum handelt.


Der Bundesgerichtshof hat aktuell in einem Urteil (BGH, Urteil v. 16.09.2010, Az.: III ZR 29/10) diese Diskussion vorläufig beendet und klargestellt, dass es sich beim gemeindlichen Einvernehmen lediglich um ein Verwaltungsinternum handelt. Eine Haftung der Gemeinde wurde im konkreten Fall trotz eindeutiger Rechtswidrigkeit der Verweigerung abgelehnt. Es lohnt, die Entscheidungsgründe genauer Lektüre zu unterziehen, da sich der Bundesgerichtshof nicht allein auf diese Problematik beschränkt, sondern auch Stellung zu weiteren bisher ungeklärten oder neu aufkommenden Fragestellungen nimmt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2010

Der Entscheidung lag zusammengefasst der beinahe lehrbuchartige Sachverhalt zugrunde:

Ein Landwirt beabsichtigte die Errichtung eines Schweinestalls mit 1.489 Mastschweinen. Das zuständige Landratsamt lehnte die Erteilung der beantragten Baugenehmigung unter Hinweis auf das Fehlen des gemeindlichen Einvernehmens ab, eine Ersetzung des verweigerten Einvernehmens der Gemeinde erfolgte nicht. Nach einem zweijährigen Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht erteilte die Bauaufsichtsbehörde bei gleichzeitiger Ersetzung des Einvernehmens entsprechend der Vorgaben des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB in Verbindung mit der maßgeblichen landesrechtlichen Norm (hier Art. 74 BayBO 1998) die Baugenehmigung. Der Landwirt wollte die Gemeinde nun zum Schadensersatz in Höhe von 144.789,25 Euro verpflichten, womit er schließlich vor dem Bundesgerichtshof scheiterte.

Die Ablehnung eines solchen Anspruchs begründet der Bundesgerichtshof wie folgt: Die im Jahre 1998 eingeführte Ersetzungsbefugnis des gemeindlichen Einvernehmens in § 36 Abs. 2 BauGB erweitert die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Baugenehmigungsbehörde soweit, dass die (bisherige) Bindungswirkung einer negativen Entscheidung der Gemeinde gegenüber der Baugenehmigungsbehörde nicht mehr anzunehmen ist. Der von der Rechtsprechung vorausgesetzte Grund für die Annahme einer drittgerichteten Amtspflicht der Gemeinde ist damit ebenfalls entfallen.

Daran ändern auch die Ausgestaltung des § 36 Abs.2 Satz 3 BauGB sowie des Art. 74 BayBO 1998 als „Kann“-Vorschriften nichts. Der Bundesgerichtshof stellt bereits in Frage, ob es sich hierbei überhaupt um echte Ermessensvorschriften handelt, was er im Ergebnis jedoch offen lässt. Ein Anspruch des Bauwilligen auf Erteilung der Baugenehmigung ergebe sich nämlich auf jeden Fall aus seiner durch Art. 14 GG vermittelten Rechtsposition, sobald das Vorhaben mit den materiellen Vorschriften des Baurechts in Einklang stehe. Es handele sich dann jedenfalls um eine gebundene Entscheidung. Wenn die Baugenehmigungsbehörde dennoch die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ablehnt, so handelt sie ermessensfehlerhaft und somit ihrerseits amtspflichtwidrig.

Auch Verzögerungsschäden, welche dem Bürger durch die rechtswidrige Verweigerung des Einvernehmens entstehen könnten, sind nicht von der Gemeinde zu ersetzen. Der Gesetzgeber hat mit der Zwei-Monats-Frist in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB über eine Erklärung zum Einvernehmen einen angemessenen Zeitrahmen vorgegeben. Damit kann die Entscheidung über eine Ersetzung des eventuell verweigerten Einvernehmens bereits zeitnah nach Stellung des Bauantrags von der Bauaufsichtsbehörde getroffen werden.

Geht die Gemeinde jedoch durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die ihr Einvernehmen ersetzende Baugenehmigung vor, so verlässt sie den Bereich des Verwaltungsinternums. Dann gilt der bisherige Grundsatz weiter, dass der Gebrauch von Rechtsmitteln zur Durchsetzung rechtswidriger oder zur Verhinderung rechtmäßiger behördlicher oder gerichtlicher Beschlüsse eine selbständige Amtspflichtverletzung der das Rechtsmittel einlegenden Körperschaft zum Nachteil des von dem Rechtsmittel betroffenen Bürgers darstellen kann. Deshalb haftet die Gemeinde weiterhin für etwa eintretende Verzögerungsschäden.

Kein Ausschluss der Haftung durch Landesrecht möglich

Der bayerische Gesetzgeber hatte die Gefahr gesehen, die im Zusammenhang mit der Ersetzungsbefugnis und der dadurch nun auch vom Bundesgerichtshof bestätigten Haftung des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde besteht. Er versuchte deshalb im Zuge der Baurechtsnovellierung 2008 durch eine gesetzliche Formulierung die Haftung des Freistaates auszuschließen. Der nunmehr die Ersetzung des Einvernehmens regelnde Art. 67 Abs. 1 BayBO 2008 wurde um die Formulierung ergänzt, dass ein Anspruch des Bauwerbers auf eine Ersetzung des Einvernehmens nicht bestehe. Der Bundesgerichtshof tritt diesem Versuch in der aufgeführten Entscheidung entgegen. Er hält die mit der Ergänzung verbundene Intention bereits wegen der im Bauaufsichtsverfahren zu wahrenden Grundrechtsposi-
tionen des Bauantragstellers für fragwürdig. Jedenfalls enthalte aber bereits die Norm des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB eine originäre bauplanungsrechtliche Regelung mit daran anknüpfenden Haftungsfolgen, welche ein Landesgesetzgeber aus Kompetenzgründen allenfalls noch ausgestalten, nicht jedoch abändern dürfe. Der Versuch des bayerischen Gesetzgebers dürfte damit als gescheitert anzusehen sein.

Konsequenzen aus der Entscheidung des BGH

Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lassen sich die folgenden Schlüsse ziehen:

Die Einvernehmensversagung hat keine Außenwirkung und kann nicht zu Amtshaftungsansprüchen gegenüber der Gemeinde führen.

Die Bauaufsichtsbehörde ist zur Ersetzung des Einvernehmens im Falle der Rechtswidrigkeit der Verweigerung verpflichtet. Dies stellt eine Amtspflicht dar, deren Verletzung zur Haftung des Rechtsträgers der Behörde führt.

Eine Haftung der Gemeinde kommt aber dann wiederum in Betracht, wenn sie sich eines Rechtsmittels gegen die Ersetzungsentscheidung bedient.

Der Regelungsgehalt des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann nicht durch Landesrecht ins Gegenteil verkehrt werden.

Es bleibt nun abzuwarten, wie sich aufgrund dieser Neubewertung das Verhältnis zwischen Bauaufsichtsbehörde und Gemeinden gestalten wird, sahen die Gemeindevertreter doch schon bisher den bloßen Hinweis der Bauaufsicht auf die Rechtswidrigkeit der Einvernehmensversagung als Bevormundung und Verstoß gegen die Kommunalhoheit an. Auch die Landesgesetzgeber sind nun gehalten, etwa bestehende Regelungen in Einklang mit der als grundlegend zu bezeichnenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu setzen.

 

Prof. Dr. Sven Müller-Grune

Fachhochschule Schmalkalden, Fakultät Wirtschaftsrecht, Schmalkalden
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