17.01.2024

Urheberrecht im Spannungsverhältnis zwischen geistigem Eigentum des Architekten und Nutzungsrecht des Bauherrn

Urteil des Landgerichts Potsdam

Urheberrecht im Spannungsverhältnis zwischen geistigem Eigentum des Architekten und Nutzungsrecht des Bauherrn

Urteil des Landgerichts Potsdam

Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse Bayern« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse Bayern« | © emmi - Fotolia / RBV

Im unten vermerkten, rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Potsdam (LG) vom 1.6.2022 ging es um den Abriss eines Gebäudes, den die planenden Architekten aus Urheberrechtsgründen verhindern wollten. Dem Urteil lässt sich Folgendes entnehmen:

Das Urheberrecht schützt die enge persönliche Bindung des Urhebers zu seinem Werk

Dazu heißt es im Urteil:

„Unstreitig sind die Beklagten als entwerfende und planende Architekten (Mit-) Urheber des streitgegenständlichen Gebäudes … sowie der übrigen Wohnanlage (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 7, 8 UrhG). Soweit die Klägerin vorbringt, die Gestaltung habe ohne die aktive Mitwirkung von … und der Direktion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg nicht gelingen können, steht das dem Urheberpersönlichkeitsrecht nicht entgegen. Ob insoweit eine Miturheberschaft besteht, ist hier ohne Relevanz. Eine solche hat auf das Urheberpersönlichkeitsrecht der Beklagten gem. §§ 12 ff. UrhG keinen Einfluss.


Das Urheberpersönlichkeitsrecht ist aus einer Anzahl einzelner urheberpersönlichkeitsrechtlicher Befugnisse gebildet. Zum Urheberpersönlichkeitsrecht im engeren Sinn gehört das Recht auf Schutz gegen Entstellung und Beeinträchtigung des Werkes gem. § 14 UrhG. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt als besonderes Persönlichkeitsrecht die enge Beziehung zwischen dem Urheber und seinem Werk. Das künstlerische Werk bringt das Wesen, die Wahrnehmung und Gefühle sowie die Einsichten seines Schöpfers in einer individuellen Form zum Ausdruck.

Das Urheberpersönlichkeitsrecht bildet die Brücke zwischen dem Urheber und dem Werk, wenn dieses durch den Urheber aus seiner Sphäre entlassen wird und in den Verkehr gebracht wird, oder – wie hier bei einem Bauwerk – in die Außenwelt entlassen wird. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt den Urheber dabei als Person in seinen persönlichen ideellen Interessen am Werk und dient nicht dem Schutz des Werkes um seiner selbst willen. Dies ergibt sich bereits aus § 11 Satz 1 UrhG, nach dem das Urheberrecht den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk schützt.“

Entstellung als Fall der Beeinträchtigung eines Werkes

Dazu führt das Gericht aus: „Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes stellt die Werkvernichtung, hier in Gestalt des Abrisses des Gebäudes, eine gravierende andere Beeinträchtigung im Sinne von § 14 UrhG dar. Danach handelt es sich bei der Entstellung nur um einen besonderen Fall der in § 14 UrhG weiter genannten Beeinträchtigung des Werks. Die in § 14 UrhG genannte andere Beeinträchtigung ist danach der tatbestandliche Oberbegriff und die gleichfalls genannte Entstellung lediglich ein Anwendungsfall dieses Oberbegriffs [BGH, Urteil vom 21.2.2019, I ZR 98/172) HHole (for Mannheim) Rn 31].“

Ob eine Urheberrechtsverletzung tatsächlich vorliegt, ist durch eine umfassende Abwägung der Interessen des Bauherrn einerseits und des Architekten an der Integrität seines Urheberpersönlichkeitsrechts andererseits zu ermitteln

Folgendes hebt das Gericht hervor:

„Auf Seiten des Urhebers ist dabei zu berücksichtigen, ob es sich bei dem betroffenen Werk um das einzige Vervielfältigungsstück handelt; ferner fällt ins Gewicht, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es sich um einen Gegenstand der zweckfreien Kunst handelt oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient.

Auf Seiten des Eigentümers fällt dabei, wenn wie hier ein Bauwerk betroffen ist, ins Gewicht, ob bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung vorliegen. Bei Werken der Baukunst gehen die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstückes oder Gebäudes den Interessen des Urhebers in der Regel vor, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nichts anderes ergibt. Dabei kann sich im Rahmen der Abwägung auch auswirken, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen, oder wenn dies nicht möglich ist, Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen. Ist ein Bauwerk betroffen, so kommt im Rahmen der Interessenabwägung den Interessen des Eigentümers erhebliches Gewicht zu.“

Würdigung des konkreten Falles

Auf Folgendes stellt das Gericht ab:

„Das …-Haus, das Bestandteil der Wohnanlage … ist, hat entgegen der Auffassung der Klägerin eine erhebliche Gestaltungshöhe. Es weist ein hohes Maß an individueller schöpferischer Eigenart auf. Es ist als ,…-Architektur‘ erkennbar und auch als solche bekannt. Die von den Beklagten verwandten Gestaltungselemente sind als solche einzigartig und entstammen der individuellen architektonisch- künstlerischen Formensprache der Beklagten … Auch wenn das …-Haus, so wie aus den von den Parteien jeweils zu den Akten gereichten Abbildungen ersichtlich, sich gestalterisch von den …- und …-Häusern abhebt, ist doch erkennbar, dass sich die Gestaltungselemente und die architektonische Formgebung als fließende und eine gewisse Leichtigkeit vermittelnde Bauweise sowohl bei dem …-Haus als auch bei den übrigen Gebäuden der Wohnanlage wiederfinden. Dass die Wohnanlage … nicht unter Denkmalschutz gestellt werden konnte, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen, hat dabei auf die individuelle Gestaltungshöhe keinen entscheidenden Einfluss.

Nach der Rechtsprechung ist darauf abzustellen, ob ein solcher Grad an ästhetischem Gehalt erreicht wird, dass nach der im Leben herrschenden Anschauung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Werk der Beklagten ist kein Alltags-bau, der lediglich das bekannte architektonische Formenrepertoire wiederholt; es hebt sich vielmehr aus der Masse des alltäglichen Bauschaffens heraus. Eine eventuelle Verantwortlichkeit der Beklagten für Baumängel des …-Hauses hätte allerdings, anders als die Klägerin meint, keinen Einfluss auf die Gestaltungshöhe.

Diese ergibt sich allein aus den vorstehend aufgeführten Kriterien.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes, auf dem das …-Haus errichtet ist. Sie hat als kommunales Wohnungsbauunternehmen die kommunale Aufgabe zu erfüllen, den sozialen Wohnungsbau zu fördern. Gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BbgKVerf, hat die Gemeinde – hier die Stadt … – in ihrem Gebiet alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung wahrzunehmen; hierzu gehört die Verbesserung der Wohnungen der Einwohner durch den sozialen Wohnungsbau und die Förderung des privaten und genossenschaftlichen Bauens. Diese Verpflichtung der Klägerin zur Erfüllung ihrer kommunalen Aufgabe ist hier gegen das Interesse der Beklagten abzuwägen.

Das Interesse der Klägerin, das streitbefangene Grundstück anderweitig zu nutzen, in dem sie das …-Haus, ein Werk der Baukunst, das dem einen Gebrauchszweck sozialer Wohnungsbau dient, abreißt und einen Neubau errichtet, der den heutigen Anforderungen an einen sozialen Wohnungsbau und den Bedürfnissen des Wohnungsmarktes entspricht, geht hier den Interessen der Beklagten vor. Dabei fällt in erheblichem Maße ins Gewicht, dass das …-Haus in seinem derzeitigen Zustand … unstreitig nicht nutzbar ist und für die Aufgabenerfüllung der Klägerin aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BbgKVerf derzeit nicht zur Verfügung steht.

Die Klägerin hat nachvollziehbar und im Einzelnen vorgetragen, dass sie das …-Haus durch einen modernen Neubau mit ca. 90 zum Teil mietpreisgebundenen Wohnungen ersetzen möchte. Aus der jedenfalls als solche nicht streitigen Mangelhaftigkeit und Unbewohnbarkeit des …-Hauses ergibt sich für die Klägerin bereits die grundsätzliche Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, soll das Gebäude und das dazugehörige Grundstück nicht auf Dauer der Nutzung für den sozialen Wohnungsbau entzogen werden.

Welche Maßnahmen die Klägerin für erforderlich hält, um ihre Aufgabe der Förderung des sozialen Wohnungsbaus nach der brandenburgischen Kommunalverfassung zu erfüllen und das in ihrem Eigentum stehende Grundstück für diese Aufgaben weiter zur Verfügung zu haben, fällt dabei in ihren Verantwortungsbereich. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass die Klägerin mit der Abriss- und Neubaumaßnahme mehr Wohnungen schaffen möchte als mit der Sanierung des Gebäudes. Sie trägt dazu weiter vor, dass der Zuschnitt der Wohnungen an die Bedürfnisse der Einwohner … (mehr Singlewohnungen) angepasst werden soll … Weiter hat die Klägerin umfassende und aktualisierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen angestellt, aus denen nachvollziehbar hervorgeht, dass ein Neubau für die Klägerin wirtschaftlicher ist als eine Sanierung des …-Hauses … Hat sich der Eigentümer für eine bestimmte Planung oder Maßnahme entschieden, so ist im Rahmen der Interessenabwägung nur noch zu ermitteln, ob dem betroffenen Urheber diese Maßnahme zuzumuten ist … Dies ist hier der Fall.

Die Beklagten können nicht einwenden, dass eine Sanierung des Gebäudes nach ihrer Auffassung wirtschaftlicher wäre und einen geringeren Eingriff in ihr Urheberrecht darstelle. Das Risiko, dass die Maßnahme, für die sich die Klägerin hier entschieden hat, nämlich Abriss und Neubau, unwirtschaftlicher ist als die von den Beklagten bevorzugte Sanierung, trägt hier dabei allein die Klägerin. Eine mögliche Unwirtschaftlichkeit dieser Maßnahme berührt das Urheberrecht der Beklagten nicht.

Soweit die Beklagten hiergegen weiter einwenden, die Klägerin habe ihr Plansoll längst erreicht und die Zahl der neu zu schaffenden Wohnungen falle nicht ins Gewicht, mit der Sanierung würden immerhin 38 Wohnungen geschaffen, die zurzeit dem sozialen Wohnungsbau nicht zur Verfügung stünden, können sie damit nicht gehört werden. In welcher Weise die Klägerin ihre kommunalen Aufgaben erfüllt, liegt auch insoweit in ihrer Entscheidung. Gerichtsbekannt ist, dass sich die Bedürfnisse des Wohnungsmarktes und die Anforderungen an einen sozialen und nachhaltigen Wohnungsbau seit der Errichtung der Wohnanlage an der …-Straße verändert haben … Die Beklagten müssen daher auch damit rechnen, dass sich aus den geänderten Bedürfnissen der Gesellschaft auch ein Bedürfnis nach Veränderung des Zuschnitts des sozialen Wohnungsbaus ergeben kann.

Bei einem Werk der Baukunst ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere der Gebrauchszweck des Bauwerks zu berücksichtigen. Der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte. Er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderung des Bauwerkes ergeben kann. Danach sind öffentliche Interessen an der Veränderung eines öffentlichen Zwecken dienenden Bauwerks in die Interessenabwägung einzubeziehen, wenn diese öffentlichen Interessen zugleich eigene Interessen des Eigentümers sind (BGH, Beschluss vom 9.11.2021, I ZR 216/10 – Stuttgart 21). Soweit die Beklagten die Umweltunverträglichkeit eines Abrisses vorbringen, ist dies hier nicht erheblich. Hierbei handelt es sich um Allgemeininteressen, die bei der vorzunehmenden Abwägung hier keine Berücksichtigung finden.“

Landgericht Potsdam, Urteil vom 1.6.2022 – 2 O 133/20 –.

Entnommen aus GKBay 22/2023 Rn.210.

Die Gemeindekasse Bayern

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