16.06.2023

Stipendium für mehr Chancengleichheit

Aus Sicht einer Stipendiatin (Teil 2)

Stipendium für mehr Chancengleichheit

Aus Sicht einer Stipendiatin (Teil 2)

Über das Prinzip der Chancengleichheit besteht weitgehend gesellschaftlicher Konsens. Die Realität an deutschen Universitäten ist jedoch weit davon entfernt. | © melita - stock.adobe.com
Über das Prinzip der Chancengleichheit besteht weitgehend gesellschaftlicher Konsens. Die Realität an deutschen Universitäten ist jedoch weit davon entfernt. | © melita - stock.adobe.com

Nicht jedem jungen Menschen stehen die gleichen Türen in eine Karriere im Bereich des Rechts offen. Dennoch ist Gleichberechtigung beim Zugang zum Rechtsstudium ein selten beachtetes Thema. Das stellt eine große Herausforderung für Praktizierende sowie Studierende gleichermaßen dar – für die einen bei der Suche nach talentierten Nachfolgern, für die anderen bei der Frage nach dem beruflichen Werdegang. Ein Weg, die bestehende Ungleichheit zu verringern, ist das neu geschaffene Stipendium für Chancengleichheit der internationalen Anwaltskanzlei Baker McKenzie. Den ersten Teil der Serie finden Sie hier.

Ich sitze an meinem Schreibtisch und blicke auf das bunte Mosaik meiner Post-It-Zettel, das als To-Do-Liste meine Wand schmückt. Eine Flut an farbenfrohen Gedankenfetzen, vollgekritzelt, beschmiert und mit Zeichnungen übersät, leuchten mich an. Ich habe sie wie Collagen zu räumlich begehbaren Mindmaps zusammengeführt. Auf meinem Tisch liegen vereinzelt Zeichnungen, die ich mit einer kontinuierlichen Linie gezeichnet habe, ohne den Stift abzusetzen. Sie zeigen meine bunt gefleckte Katze und mich in verschiedenen Posen. Der Tag ist eng getaktet. Meine gestrigen Lernvorsätze habe ich heute schon verworfen. Ein neuer Plan muss her, um meine Lernambitionen mit meinem Arbeitsalltag zu vereinbaren.

Vernetzte Bahnen statt Einbahnstraßen

Ich studiere Jura, habe Jura studiert und lerne Tag für Tag, dass dieses Studium ein mühevolles Austarieren der universitären Anforderungen mit meinen persönlichen Ausgangsbedingungen und privaten Bedürfnissen darstellt. Mein Studium ist nicht linear verlaufen, eher kreuz und quer, wie meine bunten Mindmaps. Und wer meinen Lebenslauf kennt, weiß, dass man mich nicht in eine Schublade stecken kann. Denn die Vielfalt meiner Neigungen und Wirkbereiche hat mich über die letzten Jahre zu unterschiedlichen Aktivitäten getrieben.


Meine Affinität für Kunst, Kreation und meine Anziehungskraft für Probleme haben mich mein Leben lang davor bewahrt, ein ,langweiliges‘ Leben zu führen. Als mein Entschluss feststand, Jura statt freie Kunst zu studieren, wollte ich mir selbst beweisen, dass ich Kunst, Jura, Spaß und Freizeit trotz einer langen Kette von Zugangsbarrieren und Einstiegshürden vereinbaren kann. Ich breitete mich über Jahre hinweg in alle möglichen Themenbereiche aus: von Law Clinics, Legal Tech, Legal Design hin zu Künstlicher Intelligenz und Kunst.

Das Ergebnis: Ein Sammelsurium an Erkenntnissen, eine verdichtete Transformation und ein wohliges Gefühl für das Scheitern an der Normanpassung. Ich bin hybrid und in meiner Lebensgestaltung eröffnete mir das In-between-Sein neue Bahnen statt Einbahnstraßen.

Vielfalt durch Beschränkung

Die Vielfalt-Dimensionen meiner Persönlichkeit entstanden durch die Beschränktheit meiner Ressourcen. Viele meiner Erfolgsmomente habe ich auf den Zustand knapper Ressourcen zurückzuführen. Für manche ist die Aussicht auf wenig Besitz, Bildungskapital, finanzielle Möglichkeiten und Netzwerk eine Einbahnstraße und das aus gutem Grund. Leider sind die Herkunft und die sozioökonomische Ausgangssituation in Deutschland nach wie vor entscheidend für den Erfolgsgrad einer Person. Aus dem Mangel an Möglichkeiten entstehen Einschnitte, die das Bildungspotenzial hemmen, die Karriereperspektiven schmälern und die Möglichkeiten an gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe massiv einschränken. Dabei sind viele Formen der Benachteiligungen nicht ausgeschlossen.

Meine Mutter ist, ohne die Landessprache zu sprechen, aus dem Iran nach Deutschland gewandert und hat nach einer gescheiterten Ehe als alleinerziehende Mutter und Taxifahrerin täglich darum gekämpft, mir ein Leben in Freiheit und Gleichheit zu ermöglichen, das sie nicht hatte. Kriegserfahrungen, ein patriarchal geprägtes Herrschaftssystem und die Unterdrückung von Frauen haben ihr kaum Perspektive geboten. In Deutschland angekommen, verflüchtigten sich ihre Träume einer besser gestellten Situation, nachdem sie auf sich selbst gestellt war. Als alleinstehende Mutter ohne anerkanntem Abschluss war sie auch in Deutschland von mehrdimensionaler Benachteiligung betroffen.

Diese Umstände haben mich seit Beginn meiner Kindheit begleitet und Hindernisse gesetzt, die ich mit viel Eigeninitiative und Tatendrang umgehen musste. Erst in den vergangenen Jahren habe ich gelernt, Vulnerabilität zuzulassen, diese Umstände weder zu unterdrücken noch zu negieren und sie trotz allem Alltagsverdruss als Katalysator meines Schaffens zu begreifen.

Mehr Chancengleichheit in der Rechtspraxis

Eine elitäre Rechtspraxis kann auf den juristischen Nachwuchs, der entlang der Ausbildung mit Zugangshürden diverser Art konfrontiert wird, als abschreckend empfunden werden, ihn ausgrenzen, ihm unnahbar erscheinen oder unerreichbar wirken.

Professionalität braucht einen Rahmen und einen Raum des Wachstums – ein Hineinwachsen in die Rolle. Ich bin froh, dass immer mehr Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass nicht alle mit denselben Ausgangsvoraussetzungen und derselben Tempo-Geschwindigkeit wachsen.

Es beruhigt mich, dass es mittlerweile viele offene Plattformen und Initiativen gibt, die das Bild der juristischen Karrierelandschaft auflockern und diversifizieren wollen und den juristischen Markt mit vielfaltsfördernden Maßnahmen besetzen. Wo mir die Fläche geboten wird, möchte ich Impulse setzen, mitdiskutieren und vor allem eins: die Rechtsbranche optimierend mitgestalten.

Seit diesem Jahr kann ich mich als Stipendiatin und ,Verbündete‘ zu Baker McKenzies Bestreben zählen, mehr Chancengleichheit in der Rechtspraxis zu fördern. Seit ich Teil dieses Netzwerks bin, habe ich das Gefühl, auf eine Gruppe von Akteuren gestoßen zu sein, die mir eine Fläche zur Identifikation, Sinnstiftung und Repräsentation gibt.

In unseren regelmäßig stattfindenden Mentoring Circles und durch die hingebungsvolle Betreuung unserer Mentorin Dr. Janet Butler fühle ich mich durchweg in der Ganzheitlichkeit meiner Person bestätigt und wertgeschätzt. In kleinen Focus-Sessions wird uns Stipendiaten Mut zugesprochen, Tipps gegeben, um mit unseren Alltagsherausforderungen klarzukommen und Fehler zu vermeiden. Es wird uns jener Habitus nahegelegt, der uns nicht von vornherein naheliegend war und mich stets inspiriert hat: Das unaufhaltsame Selbstbewusstsein der Anwältinnen und Anwälte.

Durch die Gespräche werde ich darin bestärkt, trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten, die die Examensvorbereitung mit sich bringt, mit Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und einem tiefen Bewusstsein für Zuversicht weiterzukommen. Schritt für Schritt, wie mein langjähriges Vorbild Anahita Thoms, Partnerin bei Baker McKenzie, uns nahelegt hat – und das jeden Tag.

Ich freue mich, Teil eines Netzwerkes zu sein, das unterrepräsentierte Talente sichtbar macht und in ihrem Potenzial auf Augenhöhe fördert. Dies ist dringend notwendig, aber leider noch immer nicht selbstverständlich, wie ich aus meiner Praxis weiß.

Zur Person: Dalia Moniat

Dalia Moniat ist Stipendiatin des Stipendiums für mehr Chancengleichheit. Sie studierte Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg und beschäftigt sich seit mehr als sieben Jahren mit interdisziplinären Bezügen. Seit Beginn ihres Studiums arbeitet sie in der Rechtsbranche und Kreativwirtschaft gleichzeitig, stets mit Fokus auf Innovation. Mit 23 Jahren wurde sie mit ihren Aktivitäten im Bereich Legal Tech von Hogan Lovells und Bryter als jüngste Woman of Legal Tech gekürt. 2021 gründete sie ihre eigene experimentelle Forschungsplattform kaeur studio mit dem Ziel, co-kreatives Arbeiten an der Schnittstelle von Recht, Kunst, Design und Technology umzusetzen und auszustellen. Sie ist Speakerin, Mentorin der Creative Future Academy und Kreativschaffende. Ihr Forschungsprojekt “Humanizing AI” zum Themenspektrum Künstliche Intelligenz, Kreation und Recht wurde 2022 im Rahmen der Exzellenzförderung der Universität Hamburg mit Mitteln aus der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert.

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Die Serie: Stipendium für mehr Chancengleichheit

 

 

 

 

Dalia Moniat

Stipendiatin des Stipendiums für mehr Chancengleichheit bei Baker McKenzie, Speakerin, Mentorin, Kreativschaffende
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