26.06.2023

Schnellere Energiewende durch schnellere Gerichte?

Für und Wider zum Gesetzesentwurf zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren

Schnellere Energiewende durch schnellere Gerichte?

Für und Wider zum Gesetzesentwurf zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren

Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © emmi - Fotolia / RBV

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat einen Gesetzesvorschlag gemacht, um verwaltungsgerichtliche Verfahren bei Großvorhaben zu beschleunigen. Liegt hier der Schlüssel zur Planungsbeschleunigung? 

Pro

Am 24. Februar hat sich die Welt fundamental verändert. Die Notwendigkeit sowohl die bereits begonnenen grundlegenden Veränderungen in der Energieversorgung als auch die Beseitigung des Investitionsstaus und die Veränderungen in der Mobilitätsinfrastruktur deutlich zu beschleunigen, stellt uns vor zahlreiche Herausforderungen. Die rechtsstaatliche Prüfung und Genehmigung dieser Vorhaben dauert bis zu deren Realisierung viel zu lange. Explizite Untersuchungen gibt es dazu nicht; verfügbare Daten aus Befragungen deuten aber darauf hin, dass die Dauer von Genehmigungsverfahren eher zu- als abnimmt.

Bereits vor Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat sich die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag eine umfassende Modernisierung des Staates hin zu einer unkomplizierten, schnellen und digitalen Verwaltung, die das Leben der Menschen einfacher macht, vorgenommen. Deshalb sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren modernisiert, entbürokratisiert und digitalisiert sowie die Personalkapazitäten verbessert werden. Das gilt explizit für alle entsprechenden Verfahren – aber eben in besonderem Maße für die Energieversorgung und die Mobilitätsinfrastruktur.


Die Überlegungen der Koalition beziehen sich sowohl auf das Verwaltungs- als auch auf das Verwaltungsgerichtsverfahren. Für Letzteres hat das Bundesministerium der Justiz inzwischen einen Referentenentwurf für ein Planungsbeschleunigungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf sieht insbesondere in einem neuen § 87 c die Einführung eines frühen ersten Termins im Verwaltungsgerichtsverfahren vor. Im Erörterungstermin sollen Streitigkeiten frühzeitig andiskutiert und beigelegt werden. Bei Erfolg bleibt ein aufwändiger langwieriger Gerichtsprozess erspart. Hierin liegt ein vielversprechender Beschleunigungseffekt.

Ebenfalls vorgeschlagen ist in einem neuen § 80 c Abs. 4, dass im Rahmen einer Vollzugsfolgenabwägung die Bedeutung von Infrastrukturmaßnahmen besonders zu berücksichtigen ist, wenn ein Bundesgesetz feststellt, dass diese im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Das ist bislang auch im Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG), im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) und um im LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) vorgesehen.

Dies unterstreicht das Bewusstsein der Gesellschaft, dass insbesondere nachhaltige und umweltfreundliche Projekte eine besondere Relevanz einnehmen. Die Bundesregierung nimmt ihre Aufgabe ernst, den Umstieg auf erneuerbare Energien voranzutreiben. Weitere Überlegungen auch zu einer umfassenden Zuweisung der Planfeststellungsverfahren zu den Oberverwaltungsgerichten und einem beschleunigten Verfahren dort sind ebenfalls in die Betrachtungen einzubeziehen.

Bei allen Überlegungen zu Veränderungen in verwaltungsrechtlichen Verfahren: Es darf nicht am Rechtsstaat gespart werden. Es muss darum gehen, die Verfahren flexibler, zielgerichteter und effizienter unter sinnvollem Einsatz digitaler Elemente zu führen, ohne die Qualität der Verfahren zu gefährden oder berechtigte Rechtsschutzinteressen einzuschränken. So gewinnen alle: der moderne Rechtsstaat, die sichere Energieversorgung und die Mobilitätsinfrastruktur.

Contra

Die Diskussion über Planungsbeschleunigung ist fast so alt wie die Planung von Großvorhaben selbst. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden raumbezogene Vorhaben auf der Grundlage einer einzigen Genehmigung realisiert. Der Preis für diese als formelle Konzentration bezeichnete Verfahrensvereinfachung ist die Prüfung aller von dem Vorhaben betroffenen Belange in einem einzigen Verwaltungsverfahren. Dort müssen sie miteinander in Ausgleich gebracht werden. In einem eventuell nachfolgenden Gerichtsverfahren ist zu kontrollieren, ob dies rechtsfehlerfrei gelungen ist. Die Zahl der abwägungsrelevanten Belange ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen.

In der Folge dauern raumbezogene Vorhaben vom Beginn der Planung bis zur Rechtskraft einer sie kontrollierenden gerichtlichen Entscheidung immer länger. Das führt schon während des Verwaltungsverfahrens zu unvertretbaren jahrelangen, mitunter sogar jahrzehntelangen Verfahrenslaufzeiten. Demgegenüber beträgt die durchschnittliche Dauer der gerichtlichen Verfahren gegen solche Vorhaben bei den Oberverwaltungsgerichten im Jahr 2020 etwa 19 Monate und beim Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2021 etwa zwölf Monate.

Damit der für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes grundlegende Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze sowie die Ertüchtigung der verkehrlichen Infrastruktur schnell gelingen können, müssen die hierfür erforderlichen Planfeststellungsverfahren einschließlich ihrer gerichtlichen Kontrolle deutlich schneller als bisher abgeschlossen werden. Der vorgelegte Gesetzesentwurf nimmt nur die Dauer der gerichtlichen Verfahren in den Blick. Diese können allerdings aufgrund der den Parteien einzuräumenden Äußerungsfristen und des gerichtlichen Zeitaufwandes für die Durchdringung des mitunter ausufernden Verfahrensstoffes kaum noch verkürzt werden. Die Regelungen des Gesetzentwurfes werden daher überwiegend keine Verfahrensbeschleunigung bewirken. Einige werden im Gegenteil sogar eher zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens führen.

Die verschärfte prozessuale Präklusion des § 87 b Abs. 4 VwGOE wird kaum Wirkung entfalten können, weil die meisten Fachgesetze solche Präklusionsvorschriften bereits enthalten. Das Beschleunigungsgebot des § 87 c Abs. 1 VwGO-E ist nach den jeweils vorhandenen Ressourcen bereits jetzt gängige Praxis. § 188 b VwGO-E mit seiner zwingenden Forderung nach der Bildung spezialisierter Spruchkörper und der Zuweisung von qualifiziertem Personal gibt die gängige Praxis der Gerichtsorganisation wieder. Der in § 87 c Abs. 2 VwGO-E geregelte frühzeitige Erörterungstermin erscheint angesichts der hohen tatsächlichen und rechtlichen Komplexität der betroffenen Verfahren wenig praxisgerecht. Er zwingt die mit der Kontrolle von Planungsverfahren befassten Spruchkörper zur zeitaufwändigen Vorbereitung dieses Termins und erhöht damit tendenziell den Arbeitsaufwand für solche Verfahren. Es steht zu befürchten, dass dieser nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der erhofften Beschleunigungswirkung stehen wird.

Die in § 80 c Abs. 3 Satz 1 VwGO-E für das Eilverfahren vorgesehene differenzierende Prüfung danach, welche gerichtlichen Maßnahmen zur Wahrung der Rechte des Antragstellers erforderlich sind, führt zu erheblichen und potenziell zeitintensiven Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Möglichkeiten der Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren betreffend Infrastrukturprojekte sind nahezu ausgeschöpft.

Der wesentliche Grund für die überlange Dauer dieser Planungsverfahren liegt in den jahrelangen Verwaltungsverfahren und den komplexen tatsächlichen wie rechtlichen Anforderungen des (Umwelt-)Planungsrechts. In den Behörden fehlt es zudem nach wie vor an Fachleuten und der erforderlichen sachlichen Ausstattung. Daran muss Planungsbeschleunigung ansetzen!

 

Entnommen aus dem BDVR-Rundschreiben 4/2022, S. 15.

 

Dr. Thorsten Lieb

Mitglied des Bundestags und stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses
 

Dr. Robert Seegmüller

Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen
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