26.06.2023

„Die Frage des Funktionierens des Rechtsstaates ist eine originäre Aufgabe einer Linken“

Interview mit Frau Prof. Dr. Lena Kreck, Professorin für Recht und Gesellschaft

„Die Frage des Funktionierens des Rechtsstaates ist eine originäre Aufgabe einer Linken“

Interview mit Frau Prof. Dr. Lena Kreck, Professorin für Recht und Gesellschaft

Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Professorin und ehemalige Justizsenatorin von Berlin, Prof. Dr. Lena Kreck, stellt sich aktuellen Fragen zur Justizpolitik, dem Asyl- und Verwaltungsrecht in Bund und Ländern sowie der Geschlechtergleichheit.

Anmerkung der Redaktion: Prof. Dr. Lena Kreck war bis zu den Wahlen des Berliner Abgeordnetenhauses im April 2023 Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung.

Sie haben angekündigt, eine „linke Justizpolitik“ verfolgen zu wollen. Was bedeutet das bezogen auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit?


Prof. Dr. Lena Kreck: Ich werde häufig gefragt, was eine linke Justizpolitik bedeutet. Für mich sind vor allem zwei Aspekte wichtig. Zum einen die Frage, ob der Laden läuft. Denn die Frage des Funktionierens des Rechtsstaates ist auch die originäre Aufgabe einer Linken. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Aufgaben sich konkret für die Verwaltungsgerichtsbarkeit stellen. In dieser Legislaturperiode wird zum Beispiel die Frage der Räumlichkeiten des Verwaltungsgerichts, das heißt der Umzug in das Kathreiner-Haus im Vordergrund stehen. Ich habe natürlich ein massives Interesse daran, dass ich einen Beitrag dazu leisten kann, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit Berlin räumlich und hinsichtlich seiner Ausstattung ein modernes Verwaltungsgericht darstellt. Der Zustand jetzt ist unbefriedigend, und das möchte ich ändern. Da kann man vielleicht sagen, dass das Parteibuch insoweit keine große Rolle spielt. Aber es gibt Aspekte, worauf ich als Linke einen besonderen Blick habe. Das ist zum einen die Vielzahl der Fälle aus dem Aufenthaltsrecht.

Es ist kein Geheimnis, dass ich aus der Beratung mit Flüchtenden stamme und hier eine besondere Sensibilität habe. Ich habe großes Vertrauen in die Fähigkeiten der RichterInnen, aber ich denke, dass man die Bedingungen für die RichterInnen und die betroffenen Personen noch verbessern kann. Viele Menschen sind schwer traumatisiert, und es ist eine große Herausforderung für die RichterInnen, hiermit adäquat umzugehen. Da müssen sie entsprechend begleitet und die Rahmenbedingungen verbessert werden. Das Selbstverständnis der RichterInnen ist grundsätzlich ein sehr hartes, aber es ist offensichtlich, dass die richterliche Tätigkeit in vielen Bereichen auch belastend ist. Man muss sich also ein besonderes Handwerkszeug aneignen, um das nicht abends mit nach Hause zu nehmen. Psychische Gesundheit ist ganz wichtig, um den Job lange und glücklich zu machen. Für diesen Punkt bin ich besonders sensibilisiert. Hierzu will ich in die Kommunikation mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit eintreten und insbesondere auch nicht von oben herab Lösungen vorgeben.

Der sogenannte „Pakt für den Rechtsstaat“ soll verlängert und ggf. erweitert werden. Inwiefern hat Berlin hiervon bislang profitiert und wie planen Sie, zukünftige Mittel einzusetzen?

Kreck: Um diese Frage zu beantworten, ist es tatsächlich noch zu früh. Die Diskussionen laufen noch. Durch den Doppelhaushalt 2022/2023 wird die Justiz insgesamt mit neuen Stellen verstärkt, aber der Schwerpunkt wird wohl in anderen Bereichen liegen, nicht in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Trotzdem muss man im Blick haben, dass im Zuge des Krieges in der Ukraine über 60.000 Personen neu in die Stadt gezogen sind und aufenthaltsrechtlich nicht alles geklärt ist. Es ist zu erwarten, dass die Fallzahlen nochmal steigen, ganz besonders weil die Asylzahlen parallel dazu auch gestiegen sind.

Wie wollen Sie langfristig eine ausgewogene Struktur bei den Beförderungsämtern erreichen? Inwiefern stellen Teilzeitmodelle, die überwiegend von Frauen gewählt werden und die möglicherweise zu weniger guten Beurteilungen führen können, aus Ihrer Sicht ggf. ein Hindernis bei der Beförderung dar?

Kreck: Wenn man sich den Geschäftsbereich insgesamt anschaut, sieht man, dass sich das Verhältnis von Frauen zu Männern geändert hat und auf R 1-Stellen inzwischen mehr Frauen als Männer sind. Bei R 3 stellt sich das dann jedoch deutlich anders dar. In der Vergangenheit wurde bereits viel getan, um auch bei R 3-Stellen den Ausgleich zwischen den Geschlechtern zu schaffen. Es ist aber noch Luft nach oben. Ein wichtiger Punkt sind die Teilzeitbeurteilungen. RichterInnen, die in Teilzeit sind, werden nach unseren Erkenntnissen deutlich schlechter beurteilt als RichterInnen in Vollzeit.

Das ist ein statistischer Befund und zugleich eine Einladung, sich das näher anzuschauen. Ziel sollte sein, dass Menschen, die exzellente JuristInnen sind, gleichzeitig ausreichend Zeit für ihre Kinder haben. Da muss man sich genau anschauen, welche Faktoren mit hineinspielen. Es entspricht insgesamt meinem Handeln, dass ich bestimmte Vorstellungen davon habe, wie ich den Geschäftsbereich leiten will. Ich will das aber auch nicht unseriös machen und nach vorne preschen, um eine gute Schlagzeile zu produzieren, sondern erst sorgfältig analysieren.

Welche Personalentwicklungskonzepte gibt es schon oder planen Sie für die Berliner Justiz?

Kreck: Ich glaube, dass es bei vielen Richterinnen eine Selbstbeschreibung dahingehend gibt, dass sie sich gewisse Dinge nicht zutrauen und sich ein Stück weit selbst limitieren. An diesem Punkt sollten wir ansetzen. Wer fachlich gut ist, soll die Möglichkeiten haben, weiterzukommen. Um dies zu fördern, haben wir bestimmte Fortbildungsprogramme geschaffen. Die Abteilung IV hat entsprechende Fortbildungsmaßnahmen etabliert, die junge Richterinnen zu einem frühen Zeitpunkt ermutigen sollen, auch zwei Schritte im Voraus zu planen. Das Fortbildungsprogramm spricht explizit junge Richterinnen an und soll sie ermutigen, sich für Beförderungsämter zu bewerben. Das muss nicht jede machen, aber wer die Entscheidung trifft, sollte Unterstützungsangebote bekommen, diesen Weg weiterzugehen. Insgesamt hat diese konkrete Ansprache von Frauen gefruchtet, insbesondere seit 2018. Man sieht, dass die Zahlen im Hinblick auf die R2 und R 3-Stellen sukzessive gesteigert wurden.

Sehen Sie noch andere Probleme im Hinblick auf das Thema „Diversity in der Berliner Justiz“? Wie könnten diese gelöst werden? Kann es hier Probleme mit dem vom Grundgesetz vorgegebenen Grundsatz der Bestenauslese geben?

Kreck: Ich will voranstellen, dass wir Bestenauslese betreiben, und das werde und kann ich auch nicht antasten. Die Frage einer ausgewogenen -Struktur möchte ich nicht nur auf die Kategorie Geschlecht beschränken. So ist etwa die Frage von RichterInnen mit Ostbiografie bisher nicht im Detail erfasst, aber ein Blick darauf lohnt sich. Man kann natürlich sagen, das ist schon so lange her, aber ich bin der Auffassung, dass diese Trennung in der Wahrnehmung nach wie vor leider besteht. Dies betrifft zum Beispiel diejenigen mit Eltern mit einer Ostbiografie, die bestimmte Wenderfahrungen gemacht haben, die das Aufwachsen geprägt haben. Daher finde ich es auch nicht überholt, auch darauf zu schauen. Andere Gruppen, die ich im Blick habe, sind die LSBTI, die Personen mit Migrationsgeschichte und Menschen mit einer Behinderung.

Es ist mir wichtig, dass sich die Stadt insgesamt in der Gruppe der RichterInnen abbildet. Wir haben hier schon viel geleistet, die Bemühungen haben sich aber vornehmlich auf den nichtrichterlichen Dienst konzentriert. In dieser Legislaturperiode lohnt es sich, den richterlichen Dienst in den Blick nehmen. Dabei sollte man insbesondere analysieren, aus welchen Gründen Personen sich dafür entscheiden, in der Justiz Karriere zu machen. Die Maßnahmen in der Frauenförderung haben gefruchtet, aber ob die getroffenen Maßnahmen zum Beispiel auf Personen mit Migrationsgeschichte übertragbar sind, ist noch nicht klar. Da müssen Sie etwas Geduld mit mir haben. Ich habe bereits eine neue Abteilung V gegründet namens „Vielfalt in Justiz und Gesellschaft“ mit einem neuen Grundsatzreferat „Vielfalt in der Justiz“. Dieses Referat wird in der zweiten Jahreshälfte 2022 personell besetzt werden.

Die Digitalisierung schreitet auch in der Berliner Justiz voran, ist aber längst nicht abgeschlossen und unterscheidet sich an den einzelnen Gerichten. Wo sehen Sie die größten Hürden? Sollten die Bundesländer in diesem Themenfeld stärker miteinander kooperieren?

Kreck: Hürden sehe ich leider eine Menge. Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich mir den Stand der Dinge berichten lassen. Mein Fazit daraus ist, dass es noch viel zu tun gibt. Der Flickenteppich von Software und Anwendungen in der Berliner Justiz resultiert meiner Auffassung nach daraus, dass in der Vergangenheit weitreichende Entscheidungen getroffen wurden und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die Frage der Schnittstellen noch nicht zu Ende gedacht worden war. Zudem gab es einige Ungleichzeitigkeiten, da Pilotprojekte gestartet wurden. Genau das müssen wir aber jetzt in den Blick nehmen und keine weiteren Inseln schaffen, sondern Brücken bauen. Wir haben es dem Grunde nach mit drei Schwierigkeiten zu tun. Das eine ist die Frage der Ausstattung, das heißt: Haben wir moderne und zeitgemäße Technik?

Das Zweite ist die Frage der Software. Das Dritte sind die Richterinnen und Richter, die bestimmte Präferenzen und Erfahrungswerte haben. Da stellen sich Fragen von Akzeptanz und Fertigkeiten. Wünschenswert wäre es, wenn technikaffinere Kolleginnen und Kollegen voranschreiten. In allen drei Feldern stellt sich natürlich die Ressourcenfrage. Die Mammutaufgabe wird sein, die elektronische Akte bis 2026 einzuführen. Da gibt es keine Zeit mehr, Dinge auszuprobieren, sondern da müssen wir jetzt loslegen. Das wird sportlich. Aber ich habe die IT zur ministeriellen Aufgabe erklärt und bin da sehr optimistisch.

Zum Schluss noch eine inhaltliche Frage: In einem Artikel des Berliner „Tagesspiegels“ bringen Sie im Zusammenhang mit der Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne in Berlin aufgrund des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ Ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelung des Art. 15 GG nicht „totmache“. Sofern diese Formulierung von Ihnen stammt – was genau ist damit gemeint?

Kreck: Der „Tagesspiegel“ hat das offenbar etwas verkürzt zitiert. Aber es geht um Folgendes: Die Diskussion um Art. 15 GG ist jenseits der politischen Frage juristisch sehr spannend. Ist Art. 15 GG, den wir bisher immer überblättert haben, anwendbar für den Fall des Volksentscheids? Bisher spielt Art. 15 GG in der Rechtswirklichkeit keine Rolle. Die Koalition in Berlin hat sich darauf geeinigt – was ich sehr gut finde –, eine Expertenkommission einzusetzen. Es gibt den politischen Willen, unter anderem meiner Partei, dass dem Volksentscheid entsprochen wird. Es soll in dieser Legislaturperiode ein Vergesellschaftungsgesetz verabschiedet werden, wie auch immer das aussieht.

Was ich sicher sagen kann, ist, dass das Gesetz nach Karlsruhe wandern wird, und das ist auch in Ordnung so. Aber da habe ich dann natürlich ein großes Interesse daran, dass in Karlsruhe eine Entscheidung ergeht, die das Vergesellschaftungsgesetz durchgehen lässt, und dass Art. 15 GG so zum Leben erweckt wird. Sehr misslich wäre es aus meiner Sicht, wenn wir nach dem Prozess feststellen müssten, dass Art. 15 GG in diesem konkreten Fall keine Anwendung findet. Das meint die Formulierung „totmachen“. Ich muss kein Geheimnis daraus machen, dass ich politisch die Vergesellschaftung sehr sinnvoll finde – nicht als einzige, aber als eine der zu treffenden Maßnahmen. Darüber hinaus finde ich es einfach juristisch sehr spannend.

Das Interview führten Karoline Bülow, Richterin am Verwaltungsgericht und Britta Schiebel, Richterin, Berlin.

 

Entnommen aus dem BDVR-Rundschreiben 3/2022, S. 39.

 

Dr. Karoline Bülow

Richterin am Verwaltungsgericht, Berlin
 

Britta Schiebel

Richterin, Berlin
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