26.06.2023

Obdachlosenunterkunftsgebühren für Selbstzahler

Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

Obdachlosenunterkunftsgebühren für Selbstzahler

Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

In dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) vom 08.07.2022 werden interessante Aussagen zum Außerkrafttreten einer Norm während des Normenkontrollverfahrens zu Obdachlosenunterkunftsgebühren für Selbstzahler und zur Ermäßigung der Gebühr für Personen ohne Transferleistungsbezug getroffen.

Leitsätze

  1. Tritt eine Norm während des Normenkontrollverfahrens außer Kraft, weil sie durch eine inhaltsgleiche Neuregelung ersetzt wurde, besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der außer Kraft getretenen Norm jedenfalls dann nicht, wenn diese keine Rechtswirkungen mehr entfaltet und die Neuregelung bereits im Wege der Antragserweiterung nach § 91 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog in das Normenkontrollverfahren einbezogen worden ist.
  2. Das Sozialstaatsprinzip verlangt nicht, dass die Gebührenhöhe im Bereich der existenzsichernden Daseinsvorsorge, wie der Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen in öffentlichen Einrichtungen, stärker begrenzt wird, als sich dies aus den allgemeinen gebührenrechtlichen Grundsätzen (insbesondere dem Kostendeckungsgrundsatz und dem Äquivalenzprinzip) ergibt. Dazu besteht kein Anlass, da die Unterkunftsgebühren im Fall der Bedürftigkeit durch Sozialleistungen gedeckt werden (Fortführung der Senatsrechtsprechung, vgl. VGH BW, Urt. v. 18.06.2021 – 2 S 2100/20 – juris Rn. 110 ff.).
  3. Verfolgt die Gemeinde mit der satzungsrechtlichen Regelung einer Ermäßigung der Unterkunftsgebühr für Selbstzahler, die nachweisen, dass sie keine laufenden Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende, dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII – Sozialhilfe) oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten, den sozialen Zweck, einen Anreiz für eine Erwerbstätigkeit und die Unabhängigkeit von Sozialleistungen zu bieten, ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden und verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.
  4. Es bedarf keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage für die satzungsmäßige Regelung einer Ermäßigung der Gebühr für die Benutzung einer Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkunft.

Tenor

Die Anträge werden abgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.


Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1 Die Antragsteller – das Land Baden-Württemberg (Antragsteller zu 1) und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (Antragsteller zu 2) – wenden sich im Wege des Normenkontrollantrags gegen Regelungen über die Höhe der Benutzungsgebühr in der Satzung der Stadt Heitersheim (Antragsgegnerin) über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung).

2 Die Antragsgegnerin betreibt nach § 1 Abs. 1 der Obdachlosensatzung vom 17.12.2013 Unterkünfte zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen als eine gemeinsame öffentliche Einrichtung in der Form einer unselbstständigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Unterkünfte dienen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 der Satzung „der Aufnahme und i. d. R. der vorübergehenden Unterbringung von Personen, die obdachlos sind oder sich in einer außergewöhnlichen Wohnungsnotlage befinden und/oder die erkennbar nicht fähig sind, sich selbst eine geordnete Unterkunft zu beschaffen oder eine Wohnung zu erhalten, sowie den nach § 13 Abs. 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) – jetzt § 18 Abs. 1 FlüAG (vom 19.12.2013) – der Stadt Heitersheim zugeteilten Personen, die sich selbst keine eigene Unterkunft beschaffen können“. Das Benutzungsverhältnis ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Obdachlosensatzung). Für die Nutzung der in den Obdachlosenunterkünften in Anspruch genommenen Räume erhebt die Antragsgegnerin nach § 16 Abs. 1 der Satzung Gebühren. Gebührenschuldner sind die Personen, die in der Unterkunft untergebracht sind (§ 16 Abs. 2 Obdachlosensatzung). Den „Gebührenmaßstab und die Gebührenhöhe“ regelt § 17 der Obdachlosensatzung. Diese Vorschrift hatte i. d. F. vom 13.11.2018 folgenden Wortlaut:

3 (1) Die Benutzungsgebühr beträgt für die in § 1 genannten Einrichtungen der Obdachlosenunterkunft je Person und Monat 330 €.

4 (2) Mit den festgesetzten Benutzungsgebühren sind abgegolten:

5 a) die Benutzung des zugewiesenen Raumes

6 b) die Kosten der Heizung

7 c) die allgemeinen Verwaltungskosten

8 d) die Versicherungen und Steuern

9 e) die Kosten für Strom

10 f) die Kosten für Kanalisation und Wasserverbrauch

11 g) die Müllabfuhr

12 (3) Bei der Errechnung der Benutzungsgebühren nach Kalendertagen wird für jeden Tag der Benutzung 1/30 der monatlichen Gebühr zugrunde gelegt.

13 (4) Die ausgewiesenen Gebühren umfassen die Aufwendungen für die Bereitstellung der Unterkünfte. Es besteht kein Anspruch auf Möblierung der Unterkünfte.

14 (5) Die Benutzungsgebühren, einschließlich der Betriebskosten, für bei Dritten beschlagnahmte(n) Unterkünfte/Wohnraum richten sich nach der zu erstattenden Entschädigung (einschl. der Nebenkosten), gemäß den Vorschriften des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg (PolG) in der jeweils gültigen Fassung.

15 Am 03.12.2019 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin die Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 17.12.2013. Diese Änderungssatzung lautet:

16–28 (nicht abgedruckt)

29 Am 09.12.2020 hat das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald (LRA) beim VGH einen Normenkontrollantrag gestellt und beantragt,

30 § 17 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013, zuletzt geändert durch die Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 03.12.2019, für unwirksam zu erklären.

31 Am 28.01.2021 hat das LRA diesen Antrag erweitert und zusätzlich beantragt,

32 § 17 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013, zuletzt geändert durch die Satzung zur Änderung der Satzung über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen vom 17.11.2020 für unwirksam zu erklären.

33–59 (nicht abgedruckt)

60 Die Antragsteller beantragen zuletzt,

61 1. festzustellen, dass § 17 Abs. 1 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013 i. d. F. der Änderungssatzung vom 03.12.2019 unwirksam gewesen ist,

62 2. § 17 Abs. 1 der Satzung der Stadt Heitersheim über die Benutzung von Unterkünften zur Unterbringung von Obdachlosen und zur Anschlussunterbringung von Flüchtlingen (Obdachlosensatzung) vom 17.12.2013 i. d. F. der Änderungssatzung vom 17.11.2020 für unwirksam zu erklären.

63 Die Antragsgegnerin beantragt, 64 die Anträge abzuweisen.

65–82 (nicht abgedruckt)

83 Der Senat nimmt wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Akte der Antragsgegnerin, die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug.

 

Den vollständigen Beitrag lesen sie in der Gemeindekasse Baden-Württemberg 12/2022, Rn. 48.

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