20.05.2021

Sind ehrenamtliche Bürgermeister und Ortsvorsteher sozialversicherungspflichtig?

Bundessozialgericht, Urteile vom 27.04.2021 – B 12 KR 25/19 R und B 12 R 8/20 R

Sind ehrenamtliche Bürgermeister und Ortsvorsteher sozialversicherungspflichtig?

Bundessozialgericht, Urteile vom 27.04.2021 – B 12 KR 25/19 R und B 12 R 8/20 R

Bürgermeister oder Ortsvorsteher können der Sozialversicherungspflicht unterliegen, auch wenn sie als Ehrenbeamte auf Zeit tätig sind. ©Butch - stock.adobe.com
Bürgermeister oder Ortsvorsteher können der Sozialversicherungspflicht unterliegen, auch wenn sie als Ehrenbeamte auf Zeit tätig sind. ©Butch - stock.adobe.com

Ehrenamt und Sozialversicherungspflicht schließen sich nicht grundsätzlich gegenseitig aus

Vor dem Bundessozialgericht (BSG) ging es in zwei Revisionsverfahren um die Sozialversicherungspflicht von ehrenamtlichen Ortsvorstehern bzw. Bürgermeistern. Nach den grundsätzlichen Darlegungen des BSG schließen sich Ehrenamt und Sozialversicherungspflicht nicht grundsätzlich gegenseitig aus. Vielmehr kommt es auch bei diesen Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts darauf an, inwieweit sie in ihrer Tätigkeit Weisungen unterliegen und konkret in Verwaltungsabläufe eingegliedert sind – zum Beispiel als Dienstvorgesetzte. Ein weiteres Kriterium ist, ob die Betroffenen eine Gegenleistung erhalten, die sich als Arbeitsentgelt und nicht als Aufwandsentschädigung für eine von ideellen Zwecken geprägte Tätigkeit darstellt. Dies ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Die Gegenleistung darf unter Berücksichtigung bestimmter Merkmale, wie Höhe, Bemessung sowie steuerrechtliche Ehrenamts- und kommunalrechtliche Entschädigungspauschalen, nicht evident über den Ausgleich für den tatsächlichen Aufwand des Ehrenamts hinausgehen. Dies hat der 12. Senat des BSG am 27.04.2021 in zwei Revisionsverfahren entschieden.

Ortsvorsteher waren weder weisungsgebunden, noch in die Verwaltungsabläufe der Stadt eingegliedert und damit nicht beschäftigt

Im Revisionsverfahren B 12 KR 25/19 ging es um die Sozialversicherungspflicht der Ortsvorsteher zweier Ortschaften einer Stadt in Sachsen. Sie waren in dieser Funktion Verbindungsglied zwischen Ortsbürgern und Stadtverwaltung sowie Vorsitzende des jeweiligen Ortschaftsrats. Sie erhielten ein Viertel der einem ehrenamtlichen Bürgermeister einer Gemeinde mit vergleichbarer Einwohnerzahl zustehenden Aufwandsentschädigung, monatlich waren dies zwischen 221,25 € und 249,25 €. Die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV Mitteldeutschland) forderte von der Stadt wegen geringfügiger Beschäftigungen dieser Ortsvorsteher nach einer Betriebsprüfung Pauschalbeiträge von rund 1.380,00 €. Dabei ließ sie monatlich 154,00 € je Ortsvorsteher beitragsfrei. Den von der Stadt angefochtenen Betriebsprüfungs- und Widerspruchsbescheid hatte das Sozialgericht Chemnitz aufgehoben, die Berufung der DRV Mitteldeutschland beim Sächsischen Landessozialgericht war erfolglos geblieben. Die Revision der DRV Mitteldeutschland hat das BSG als unbegründet abgewiesen. Die klageführende Stadt ist nicht verpflichtet, Pauschalbeiträge für die Tätigkeit der Ortsvorsteher zu zahlen. Zur Begründung seines Urteils hat das BSG darauf verwiesen, die Ortsvorsteher seien weder weisungsgebunden, noch in die Verwaltungsabläufe der Stadt eingegliedert und damit nicht beschäftigt. Bei der Statuszuordnung komme der Ausgestaltung der Organstellung als Ortsvorsteher durch das Landeskommunalrecht, das Satzungsrecht der Gemeinde und die Vereinbarungen zur Eingemeindung der Ortsteile maßgebende Bedeutung zu.

Tätigkeit der Ortsvorsteher ist nicht objektiv von einer Erwerbsabsicht, sondern von ideellen und unentgeltlichen Zwecken geprägt

Die Ortsvorsteher übten im Wesentlichen Aufgaben als Vorsitzende des Ortschaftsrats aus und seien damit Bindeglied zwischen den Bürgern und dem Ortschaftsrat bzw. der Stadtverwaltung. Die gesetzlich vorgesehene Weisungsbefugnis der Bürgermeister bei rechtswidrigen Beschlüssen des Ortschaftsrats und Eilentscheidungen ist Ausfluss der organschaftlichen Stellung als Ehrenbeamte und deren Bindung an Recht und Gesetz, ohne das Gesamtbild der Tätigkeit zu prägen. Auch ihre Stellung als Vertreter des Bürgermeisters nimmt keinen die Tätigkeit der Ortsvorsteher prägenden Raum ein. Eine Eingliederung in die Verwaltungsstruktur der Stadt lag damit nicht vor. Zudem sei die Tätigkeit der Ortsvorsteher nicht objektiv von einer Erwerbsabsicht, sondern von ideellen und unentgeltlichen Zwecken geprägt. Die gezahlte Aufwandsentschädigung decke den gesamten mit der Tätigkeit verbundenen Aufwand ab. Ihr Umfang legt damit eine Vergütung nicht nahe. Sie orientierte sich nämlich, reduziert auf ein Viertel, an den für ehrenamtliche Bürgermeister gezahlten Pauschalen und blieb damit unter dem steuerrechtlich als Ersatz tatsächlich entstandener Kosten ohne Nachweis zu berücksichtigenden Drittel der Einkünfte aus vergleichbaren Tätigkeiten. Über den steuerfreien Mindestbetrag von 154,00 € gingen sie zudem in nur so geringem Umfang hinaus, dass nach den Feststellungen des BSG an einer auch sozialversicherungsrechtlich ehrenamtlichen Tätigkeit keine Zweifel bestehen.


Bei ehrenamtlichem Bürgermeister bestand Sozialversicherungspflicht

Anders verhielt sich der Fall im Revisionsverfahren B 12 R 8/20 R. Hier ging es um die Sozialversicherungspflicht des ehrenamtlichen Bürgermeisters einer Stadt in Sachsen-Anhalt, die im streitigen Zeitraum in eine Verwaltungsgemeinschaft einbezogen war. Die Verwaltungsgemeinschaft nahm dabei die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden wahr. Der Bürgermeister war zum Ehrenbeamten auf Zeit ernannt worden. Für seine Tätigkeit als Bürgermeister erhielt er eine monatliche Aufwandsentschädigung von 1.200,00 €. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) forderte nach einer Betriebsprüfung bei der Stadt auf zwei Drittel dieses Betrags Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie zur sozialen Pflegeversicherung und Umlagen. Die dagegen gerichtete Klage der Stadt hatte das Sozialgericht Dessau-Roßlau abgewiesen. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hatte den Betriebsprüfungs- und den Widerspruchsbescheid der DRV Bund aufgehoben und dies damit begründet, der Bürgermeister sei Organ der Stadt gewesen und habe diese repräsentiert. Die Tätigkeit sei nicht für jedermann zugänglich und durch ideelle Zwecke und Unentgeltlichkeit geprägt gewesen. Die Aufwandsentschädigung habe zudem die Erstattung von Selbstkosten bezweckt und sei deshalb kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Mit ihrer Revision beim BSG rügte die DRV Bund die Verletzung von § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Ehrenbeamte stünden in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Das zeige schon die Sonderregelung in § 27 Abs 3 Nr. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), die nicht erforderlich wäre, wenn ehrenamtliche Bürgermeister ohnehin keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen würden. Die Revision hatte Erfolg.

Bürgermeister war in die Verwaltungsabläufe eingegliedert, Chef der Verwaltung und Dienstvorgesetzter

Wie das BSG in seinem Urteil festgestellt hat, unterlag der ehrenamtliche Bürgermeister in seiner Tätigkeit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung. Er war in funktionsgerecht dienender Weise in die Verwaltungsabläufe der Stadt eingegliedert. Seine Tätigkeit war nicht nur durch seine Stellung als Vorsitzender des Stadtrats, sondern in maßgebender Weise auch durch seine Funktion als Spitze der Verwaltung geprägt. Der Bürgermeister war Dienstvorgesetzter und nahm in arbeitsteiliger Weise die Verwaltungsstrukturen der Stadt in Anspruch. Durch die Übertragung von Aufgaben an die Verwaltungsgemeinschaft war er zusätzlich in deren Abläufe, insbesondere in den Gemeinschaftsausschuss, eingebunden. Auch wenn die Tätigkeit des Bürgermeisters nach dem Kommunal- und Satzungsrecht als ehrenamtlich bezeichnet ist, war sie nicht durch ihre ideellen Zwecke und eine Unentgeltlichkeit geprägt. Ehrenamt und Sozialversicherungspflicht schließen sich nämlich nicht gegenseitig aus, wie § 27 Abs 3 Nr. 4 SGB III deutlich mache. Das Regelungsgefüge der dem Bürgermeister gewährten Aufwandsentschädigung, ihre Höhe und Bemessung nach der Größe der Gemeinde sowie ein Vergleich mit den einem stellvertretenden Bürgermeister gewährten Beträgen schließen die Anerkennung als sozialversicherungsrechtlich unentgeltliche Tätigkeit aus. Die Entschädigung orientierte sich zudem weder an steuerrechtlichen Ehrenamtspauschalen noch an den im kommunalen Entschädigungsrecht vorgesehenen Aufwandsentschädigungen für hauptamtliche Bürgermeister.

Bundessozialgericht, Urteile vom 27.04.2021 – B 12 KR 25/19 R und B 12 R 8/20 R

 
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