26.05.2021

Die Whistleblowing-Richtlinie der EU (1)

Auswirkungen für den öffentlichen Sektor – Teil 1

Die Whistleblowing-Richtlinie der EU (1)

Auswirkungen für den öffentlichen Sektor – Teil 1

Bisher existieren in Deutschland zum Whistleblowing im öffentlichen Sektor nur fragmentarische Regelungen. © filograph - Fotolia.com
Bisher existieren in Deutschland zum Whistleblowing im öffentlichen Sektor nur fragmentarische Regelungen. © filograph - Fotolia.com

Der Erlass eines Umsetzungsgesetzes vor der Bundestagswahl wird immer unwahrscheinlicher. Und doch ist die EU-Richtlinie zum Whistleblowing bis 17. Dezember in nationales Recht umzusetzen. Wir stellen die wesentlichen Inhalte vor: Im ersten Teil der Reihe wird in das Thema Whistleblowing eingeführt.

Die Whistleblowing-Richtlinie der EU vom 23.10.2019 (RL (EU) 2019/1937 – „WBRL“) gibt den Mitgliedstaaten eine breit angelegte Regulierung sowohl für den privaten Sektor als auch für den öffentlichen Sektor vor. Sie zielt hauptsächlich darauf ab, die Durchsetzung des EU-Rechts in bestimmten Bereichen durch ein hohes Schutzniveau für sog. Hinweisgeber zu verbessern. Die Umsetzung muss bis zum 17.12.2021 erfolgt sein.[1] Bisher existieren in Deutschland zum Whistleblowing im öffentlichen Sektor nur fragmentarische Regelungen (z. B. § 125 BBG, § 67 BBG, § 8 Abs. 1 PKGrG). Ein Referentenentwurf des SPD-geführten Bundesminsteriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vom 26.11.2020[2] („HinSchG-E“) ist vorerst gescheitert.[3] Der Erlass eines Umsetzungsgesetzes ist in dieser Legislaturperiode kaum noch zu erwarten. Im Folgenden wird auf Auswirkungen der WBRL für den öffentlichen Sektor eingegangen.

Sachlicher Anwendungsbereich

Die WBRL hat innerhalb des Rahmens der Begrenzung auf Unionsrecht einen weiten sachlichen Anwendungsbereich. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a wird eine Meldung oder Offenlegung von Verstößen in zehn Bereichen, die durch in dem Anhang der WBRL aufgeführte Unionsrechtsakte konkretisiert werden, erfasst. Dazu zählen z. B. die öffentliche Auftragsvergabe (lit. a), der Umweltschutz (lit. v), die öffentliche Gesundheit (lit. viii) und der Datenschutz (lit. x). Außerdem einbezogen sind Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union und gegen die Binnenmarktvorschriften i. S. v. Art. 26 Abs. 2 AEUV, insofern u. a. gegen Vorschriften über staatliche Beihilfen (Art. 2 Abs. 1 lit b u. c WBRL). Nach Art. 2 Abs. 2 WBRL ist den Mitgliedstaaten unbenommen, den Schutz nach nationalem Recht auch auf andere Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen. Während der Referentenentwurf überzeugend Verstöße gegen korrespondierendes rein nationales Recht sowie Straf- und Bußgeldtatbestände miteinbezieht (§ 2 Abs. 1 HinSchG-E), beharren CDU und CSU auf einer „1:1 Umsetzung“.


Die WBRL erstreckt sich jedoch nicht auf den Bereich der nationalen Sicherheit. Dies gilt auch für Verstöße gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte i. S. v. Art. 346 AEUV betreffen, sofern diese nicht den einschlägigen EU-Rechtsakten unterfallen (Art. 3 Abs. 2, ErwGr. 24 S. 1 WBRL). Zum Teil wird in der Umsetzungsdebatte gefordert, Whistleblower auch bei der Enthüllung von die nationale Sicherheit betreffenden Verstößen angemessen zu schützen.[4] Hierbei handelt es sich um eine Sonderproblematik des Whistleblowing-Rechts. Hilfestellung bei der nationalen Regulierung könnten die Global Principles on National Security and the Right to Information vom 12.06.2013 („Tshwane Principles“) geben. Nach dem BMJV-Entwurf soll jedoch die Enthüllung von Informationen, die die nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates betreffen, generell ausgenommen sein (§ 5 Abs. 1 HinSchG-E). Dabei dürfte es letztlich bei der deutschen Umsetzung bleiben.[5] Weiterhin lässt die WBRL den Schutz von Verschlusssachen gemäß dem Unionsrecht und dem mitgliedstaatlichen Recht unberührt (Art. 3 Abs. 3 lit. a WBRL). Auch der Referentenentwurf nimmt eine Enthüllung von Informationen, die als Verschlusssachen eingestuft sind, aus (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 HinSchG-E). Eine entsprechende Regelung wird zu Recht als zu pauschal kritisiert.[6] Weiterhin werden das richterliche Beratungsgeheimnis und das Strafprozessrecht nicht berührt (Art. 3 Abs. 3 lit. c u. d WBRL).

Persönlicher Anwendungsbereich

Auch wenn die Richtlinie – anders als einige nationale Whistleblowing-Gesetze[7] – nicht jeden Bürger einbezieht, ist ihr persönlicher Anwendungsbereich weit. Nach Art. 4 Abs. 1 1. Hs. WBRL gilt sie für „Hinweisgeber, die im privaten oder öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben“. Der Begriff des Hinweisgebers umfasst eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung von Informationen über tatsächliche oder potenzielle Verstöße (Art. 5 Nr. 7 i. V. m. Nr. 2 WBRL). Der Whistleblower muss der betroffenen Organisation nicht selbst angehören; ein Kontakt beruflicher Art genügt.

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EU Whistleblowing-Richtlinie

Nach der nicht abschließenden Aufzählung in Art. 4 Abs. 1 2. Hs. unterfallen der WBRL potenziell Arbeitnehmer i. S. v. Art. 45 Abs. 1 AEUV einschließlich Beamte (lit. a). Die Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 4 AEUV für die „Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung“ schränkt den Arbeitnehmerbegriff nicht ein. Somit werden z. B. auch Richter, Staatsanwälte, Soldaten und Polizisten von dieser Kategorie erfasst. Deutschland hatte hingegen gefordert, Beamte nicht in den persönlichen Anwendungsbereich aufzunehmen. Darüber hinaus gilt die WBRL potenziell für Freiwillige und Praktikanten, für Selbständige i. S. v. Art. 49 AEUV (z. B. Erbringer von Dienstleistungen), Anteilseigner und Organmitglieder eines Unternehmens sowie für Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten (Art. 4 Abs. 1 lit. b – c WBRL). Weiterhin sind „Hinweisgeber“, deren Arbeitsbeziehung bereits beendet ist oder noch nicht begonnen hat, erfasst (Art. 4 Abs. 2 u. 3 WBRL). Die wörtliche Bezugnahme auf ein Arbeitsverhältnis stellt einen Übersetzungsfehler dar.

Eine wichtige Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs im Hinblick auf einige Schutzmaßnahmen der WBRL sieht Art. 4 Abs. 4 i. V. m. Kapitel VI für mit dem Whistleblower verbundene Personen vor, wie sog. Mittler („facilitators“) (lit. a), Dritte, die in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten, z. B. Kollegen oder Verwandte (lit. b), und juristische Personen, die im Eigentum des Whistleblowers stehen oder mit denen er anderweitig in einem beruflichen Kontext verbunden ist (lit. c).

Pflicht zur Einrichtung von internen Whistleblowing-Systemen

Im öffentlichen Sektor in Deutschland sind interne Whistleblowing-Systeme zwar inzwischen zunehmend vorhanden. Jedoch haben die Mitgliedstaaten alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen, zur Einrichtung interner Meldekanäle und Verfahren zu verpflichten (Art. 8 Abs. 1 u. Abs. 9 Unterabs. 1 WBRL). In dem Kommissionsvorschlag war ursprünglich eine Ausnahme von Gemeinden mit nicht mehr als 10.000 Einwohnern vorgesehen. Einen gewissen Kompromiss bildet die Regelungsoption, Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern oder 50 Arbeitnehmern oder sonstige juristische Personen i. S. v. Art. 8 Abs. 9 Unterabs. 1 WBRL mit weniger als 50 Arbeitnehmern von der Einrichtungspflicht befreien zu können. Außerdem können die Mitgliedstaaten regeln, dass die internen Meldekanäle von Gemeinden geteilt oder gemeinsam betrieben werden können (Art. 8 Abs. 9 Unterabs. 2 u. 3 WBRL). Nach dem Referentenentwurf fällt die Umsetzung der Einrichtungspflicht für Gemeinden und Gemeindeverbände in die Zuständigkeit der Länder. Im Übrigen soll eine Ausnahme für Beschäftigungsgeber und Dienststellen mit weniger als 50 Beschäftigten gelten (§ 12 Abs. 1 u. Abs. 2 HinSchG-E). Die internen Meldekanäle können auch von externen Dritten, z. B. Anbietern webbasierter Systeme oder Ombudspersonen, bereitgestellt werden (Art. 8 Abs. 5 S. 1, ErwGr. 54 S. 1 WBRL). Eine entsprechende Beauftragung wird bereits oftmals praktiziert.

Von der Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle zu unterscheiden ist die Vorgabe, nach der die als zuständig zu benennenden Behörden, externe Meldekanäle einzurichten haben (Art. 11 Abs. 1 u. 2 lit. a WBRL). Die internen Systeme müssen organisatorisch getrennt und unabhängig von den externen Systemen sein (vgl. Art. 9 Abs. 9 Unterabs. 3 WBRL).

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Mehr dazu finden Sie im neu erschienenen Werk der Autorin Die Whistleblowing-Richtlinie der EU – Perspektiven für die Rechtsdurchsetzung.

 

[1] Mit einer Ausnahme betreffenden den privaten Sektor, siehe Art. 26 Abs. 1 u. 2 WBRL.

[2] Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden („HinSchG-E“), https://t1p.de/zh2n (zuletzt abgerufen am 29.04.2021).

[3] Koalition scheitert bei Whistleblower-Gesetz, SZ.de, 28.04.2021, 14:12 Uhr, https://t1p.de/lqvf; Whistleblower-Netzwerk e. V. (Hrsg.), Pressemitteilung: Verbände kritisieren Scheitern von Whistleblowing-Gesetz, 29.04.2021, https://t1p.de/w8ej (Abrufe zuletzt am 01.05.2021).

[4] Whistleblower-Netzwerk e. V./Transparency International Deutschland, Positionspapier: Umsetzung der EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz, 25.01.2021, S. 2 unter Ziff. 2, https://t1p.de/r7rg (zuletzt abgerufen am 01.05.2021).

[5] Anders bereits Section 18 Protected Disclosures Act 2014 i. d. F. v. 24.09.2020, https://t1p.de/z7sh (zuletzt abgerufen am 04.05.2021).

[6] Etwa Brockhaus/Gerdemann/Thönnes, Alles unter Verschluss: Zur Rolle von Verschlusssachen bei der Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie, VerfBlog, 2021/1/07, https://t1p.de/b86c (zuletzt abgerufen am 01.05.2021); Whistleblower-Netzwerk e. V. (Hrsg.) (Fn. 2).

[7] Näher Siemes, Die Whistleblowing-Richtlinie der EU: Perspektiven für die Rechtsdurchsetzung, 2021, S. 69.

 

Prof. Dr. Christiane Siemes

Professorin für Wirtschaftsprivatrecht und Arbeitsrecht Studiengangsleiterin Wirtschaftsrecht (LL.B.) am Fachbereich Wirtschaft und Recht der University of Applied Sciences in Frankfurt am Main
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