Verweigerung einer befohlenen Impfung als Dienstvergehen bei Soldaten?
BVerwG, Beschluss vom 22.12.2020, 2 WNB 8.20
Verweigerung einer befohlenen Impfung als Dienstvergehen bei Soldaten?
BVerwG, Beschluss vom 22.12.2020, 2 WNB 8.20
Da Soldaten gesetzlich eine weitergehende Impfpflicht auferlegt ist als anderen Staatsbürgern, kann die Verweigerung einer befohlenen Impfung als Dienstvergehen geahndet werden.
Ausgangsfall
Das Verfahren betrifft die Verhängung eines Disziplinararrests wegen der Verweigerung einer befohlenen Impfung. Im Dezember 2017 und Frühjahr 2018 fanden in der Einheit des Beschwerdeführers Sammeltermine für die Durchführung der militärischen Basisimpfungen statt. Der Beschwerdeführer weigerte sich, an den Terminen teilzunehmen. Er vertrat die Ansicht, seine Neurodermitis und sein Asthma gingen auf eine frühere Impfung zurück. Durch weitere Impfungen werde sich sein Gesundheitszustand verschlechtern. Nach Einschätzung der behandelnden Truppenärzte war diese Befürchtung unbegründet.
Der Disziplinarvorgesetzte befahl daraufhin dem Beschwerdeführer im Dezember 2017 mündlich und im März 2018 zu Protokoll, die notwendigen Basisimpfungen durchführen zu lassen. Der Beschwerdeführer weigerte sich weiterhin, wurde von diversen Fachärzten untersucht und legte im Juni 2018 eine erste seine Auffassung stützende privatärztliche Stellungnahme vor. Nachdem diese Stellungnahme von truppenärztlicher Seite als nicht überzeugend angesehen und der Beschwerdeführer darüber aufgeklärt wurde, dass er impftauglich sei, befahl der Disziplinarvorgesetzte erneut die Impfung. Diesem Befehl widersetzte sich der Beschwerdeführer erneut.
Wegen der Impfverweigerungen verhängte der Disziplinarvorgesetzte gegen ihn am 6. Juli 2018 einen bislang nicht vollstreckten Disziplinararrest von acht Tagen. Im Beschwerdeverfahren legte der Beschwerdeführer ein zweites für seine Auffassung sprechendes privatärztliches Schreiben vor. Das Truppendienstgericht legte es mit den übrigen medizinischen Unterlagen dem Klinischen Direktor für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Bundeswehrkrankenhaus B zur Begutachtung vor. Nachdem dieser Sachverständige dem Beschwerdeführer eine generelle Impffähigkeit bescheinigt hatte, wies das Truppendienstgericht die Beschwerde des Soldaten mit Beschluss vom 7. November 2019 zurück und ließ die Rechtsbeschwerde nicht zu. Seiner Nichtzulassungsbeschwerde half es mit Beschluss vom 17. Februar 2020 nicht ab.
Begründung des Urteils
Die fristgerecht eingegangene und begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Die vorgetragenen Zulassungsgründe sind nicht im Sinn des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO hinreichend dargelegt und liegen nicht vor.
Auch bei einer ordnungsgemäßen Begründung der zentralen Punkte der Beschwerde wäre eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht möglich. Insbesondere ist die primär gestellte Frage, ob sich ein Soldat eines Dienstvergehens (§ 23 Abs. 1 SG) schuldig macht, wenn er aus gesundheitlichen Gründen die Durchführung von Impfungen bei sich verweigert, nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Sie lässt sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und bei Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten (vgl. BVerwG, B.v. 19.07.2016 – 2 WNB 1.16 – juris Rn. 6).
Nach § 17 Abs. 4 Satz 3 SG 2017 (jetzt § 17a Abs. 2 Satz 1 SG 2019) muss der Soldat ärztliche Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit gegen seinen Willen dulden, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten oder der Feststellung seiner Dienst- oder Verwendungsfähigkeit dienen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu bereits mit Beschluss vom 24. September 1969 (1 WDB 11.68 – BVerwGE 33, 339/343) entschieden, dass Soldaten nach § 17 Abs. 4 Satz 3 SG der damals geltenden Fassung eine weitergehende Impfpflicht auferlegt ist als anderen Staatsbürgern und dass sie insbesondere die – auch hier verweigerte – Impfung gegen Wundstarrkrampf zu dulden haben.
Ebenfalls seit Langem geklärt ist, dass ein Soldat, der gegen die Pflicht zur Erhaltung seiner Gesundheit verstößt, ein Dienstvergehen begeht (BVerwG, B.v. 23.10.1979 – 1 WB 149.78 – BVerwGE 63, 278/283). Nicht zumutbar ist eine ärztliche Behandlung nach § 17 Abs. 4 Satz 6 SG 2017 (jetzt § 17a Abs. 4 Satz 2 SG) nur dann, wenn sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Soldaten verbunden ist. Damit ergibt sich bereits aus § 17 Abs. 4 Satz 3 und 6 SG 2017 (jetzt § 17a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 SG), dass der Soldat sich keines Dienstvergehens schuldig macht, wenn er den Befehl zur Teilnahme an einer Impfung aufgrund einer erheblichen Gefahr für seine Gesundheit verweigert. Dem entspricht auch die Regelung in Nr. 106 der Zentralvorschrift A1-840/8-4000. Danach unterbleibt die Impfung, wenn eine medizinische Kontraindikation gegen eine der angeordneten Impfungen vorliegt. Dabei kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 4 Satz 6 SG 2017 auf das objektive Bestehen einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit bei Durchführung der ärztlichen Maßnahme an.
Ob dies der Fall ist und ob die Impfverweigerung bei objektiv fehlender Gesundheitsgefahr ein Dienstvergehen ist, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung im Einzelfall. Diese Frage erlangt auch nicht durch den Hinweis grundsätzliche Bedeutung, dass im vorliegenden Fall zwei privat eingeholte ärztliche Stellungnahmen die Annahme einer erheblichen Gesundheitsgefahr gestützt haben. Denn es bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren, ob ein Dienstvergehen vorliegt, wenn ein objektiv impftauglicher Soldat bei seiner Weigerung subjektiv von einer erheblichen Gesundheitsgefahr und damit von einem Rechtfertigungsgrund ausgeht. Bereits aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 SG folgt, dass ein Dienstvergehen neben der objektiven Pflichtverletzung ein subjektives Verschulden (Fahrlässigkeit oder Vorsatz) erfordert. Dabei ist es wiederum eine Frage des Einzelfalls, ob privatärztliche Stellungnahmen mit Warnungen vor Impfgefahren den Vorsatz bei einer Verweigerung von Impfbefehlen wegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums (§ 16 Abs. 1 StGB analog) entfallen lassen. Dies kann insbesondere nicht der Fall sein, wenn diese Stellungnahmen erst nach der Verweigerung zur nachträglichen Rechtfertigung eingeholt werden oder wenn ein genereller Verweigerungsvorsatz unabhängig von den Ergebnissen einer fachlichen Überprüfung der eingereichten Stellungnahmen besteht.
Disziplinararrest ist rechtmäßig
Darüber hinaus hat auch die Frage keine grundsätzliche Bedeutung, ob ein Disziplinararrest auch bei der Motivation eines Soldaten, seine Gesundheit und Dienstfähigkeit zu erhalten, zulässig ist. Denn welches Gewicht die Beweggründe bei der Bemessung einer Disziplinarmaßnahme haben, ist eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall. Die Maßnahmebemessung anhand der in § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO vorgegebenen Richtlinien ist grundsätzlich Sache der Tatgerichte, denen dabei ein erheblicher Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht (vgl. BVerwG, B.v. 08.11.2018 – 2 WRB 1.18 – BVerwGE 163, 345 Rn. 22).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine wiederholte Befehlsverweigerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG eine Wehrstraftat darstellt, die – je nach Schwere des Verstoßes – im Regelfall mit einer Gehaltskürzung, einem Beförderungsverbot oder einer Dienstgradherabsetzung geahndet wird (vgl. BVerwG, U.v. 22.08.2007 – 2 WD 27.06 – BVerwGE 129, 181 Rn. 85 und v. 28.09.2018 – 2 WD 14.17 – Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 97). Daher trägt die Verhängung eines Disziplinararrestes als weniger einschneidende Maßnahme im vorliegenden Fall im Ergebnis auch den aus der subjektiven Belastungssituation resultierenden weiteren Milderungsgründen durchaus Rechnung.
Auch die Frage, ob ein Disziplinararrest im Falle einer Impfverweigerung aus generalpräventiven Gründen verhängt werden darf, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, sondern kann anhand der gesetzlichen Regelungen und der bestehenden Rechtsprechung beantwortet werden. Nach § 38 Abs. 3 Alt. 2 WDO kann der Aspekt der „Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung“ auch bei Ersttätern und Vorliegen von Schuldmilderungsgründen eine disziplinare Freiheitsentziehung rechtfertigen. Es bedarf jedoch einer tragfähigen Begründung dafür, dass die mit der sichtbaren Maßnahme eines Disziplinararrestes verbundene abschreckende Wirkung geboten ist, um andere von vergleichbaren Entgleisungen abzuhalten oder Nachahmungseffekte zu verhindern (vgl. BVerwG, B.v. 08.11.2018 – 2 WRB 1.18 – BVerwGE 163, 345 Rn. 25).
Medizinische Stellungnahmen von Ärzten der Bundeswehr
Keine grundsätzliche Bedeutung hat die in verschiedenen Varianten gestellte Frage, ob ein Gericht seine Entscheidung im Falle einer Impfverweigerung ausschließlich auf medizinische Stellungnahmen von Ärzten der Bundeswehr stützen dürfe. Dies sei zweifelhaft, weil sie einer Prozesspartei angehörten und Loyalitätskonflikten ausgesetzt seien. Diese Rechtsfrage ist bereits höchstrichterlich geklärt. Ebenso wie im Verwaltungsprozess allein die Zugehörigkeit eines Gutachters zu einer Verwaltungsbehörde nicht die Annahme der Parteilichkeit rechtfertigt (vgl. BVerwG, B.v. 26.06.2020 – 7 BN 3.19 – NVwZ-RR 2020, 1093 Rn. 5), kann auch ein Wehrdienstverhältnis zwischen einem Arzt und dem Bund nicht schon die Besorgnis der Befangenheit begründen.
Die Verpflichtung eines Truppenarztes, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG), beinhaltet, dass der Soldat im Dienst und außerhalb des Dienstes zur Funktionsfähigkeit der Bundeswehr beizutragen und alles zu unterlassen hat, was die Bundeswehr in ihrem durch das Grundgesetz festgelegten Aufgabenbereich schwächt. Aus dieser durch Diensteid beziehungsweise Gelöbnis zu bekräftigenden Pflicht (§ 9 SG) können vernünftigerweise keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des in einem Rechtsstreit beigezogenen Sachverständigen hergeleitet werden (BVerwG, U.v. 29.11.1991 – 8 C 11.90 – Buchholz 310 § 98Nr. 40 S. 13 [15]). Die zutreffende Beurteilung der Impftauglichkeit und die Vermeidung von Gesundheitsgefahren bei einem Soldaten liegt vielmehr im Interesse der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr. Außerdem unterliegen auch die Ärzte der Bundeswehr den berufsständischen Regelungen, die sie auf die Einhaltung der Gebote der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit verpflichten. Ärztliche Gutachten und Zeugnisse haben sie – wie andere Ärzte – mit der notwendigen Sorgfalt zu erstellen und darin ihre ärztliche Überzeugung nach bestem Wissen auszusprechen (vgl. Quaas in Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 4. Aufl. 2018, § 13 Rn. 10).
BVerwG, Beschluss vom 22.12.2020, 2 WNB 8.20