Amtspflichtverletzungen von Bürgermeistern sind keine Lappalie
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2021 – 4 S 2078/20
Amtspflichtverletzungen von Bürgermeistern sind keine Lappalie
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2021 – 4 S 2078/20

Der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch kann auch bei Amtspflichtverletzungen von Bürgermeistern Anwendung finden
Das Verwaltungsgericht (VG) hatte die frühere hauptamtliche Bürgermeisterin sowie den Kämmerer der Gemeinde als Gesamtschuldner verurteilt, an die Gemeinde 223.167,96 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, somit seit dem 28.12.2017, zu zahlen. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs war § 48 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), der im Hinblick auf die ehemalige hauptamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde gem. § 92 Satz 1 Hs.1 Landesbeamtengesetz (LBG) Anwendung findet. Danach haben Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Dienstpflichtverletzungen der ehemaligen Bürgermeisterin liegen hier nach den nicht angegriffenen Feststellungen des VG in der fehlenden Aufstellung und Vorlage der Jahresabschlüsse ab dem Haushaltsjahr 2006, einer mangelhaften Buchführung sowie in der unterlassenen Aufarbeitung der über mehr als ein Jahrzehnt angelaufenen Rückstände, beginnend mit dem Haushaltsjahr 2003. Der Antrag der früheren Bürgermeisterin auf Zulassung der Berufung blieb beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) ohne Erfolg. Bei der Beurteilung des zu ersetzenden Schadens finden im Rahmen des § 48 Satz 1 BeamtStG die zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze der §§ 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechende Anwendung. Ausgehend hiervon ist das VG zutreffend von einem ersatzfähigen Schaden in Gestalt der aufgewandten Kosten für die externen Beratungsleistungen in Höhe von 223.167,96 € ausgegangen, welche aufgrund der aufzuarbeitenden Missstände in exorbitantem Umfang und mit einer Vielschichtigkeit in der Sache als erforderlich anzusehen sind.
Frühere hauptamtliche Bürgermeisterin sah die notwendigen Aufwendungen als „Sowieso-Kosten“ an
Denn das bei der Gemeinde hierfür zuständige Personal wäre bei zeitgleicher Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts zu einer ordnungsgemäßen Fehlerbehebung nicht mehr in der Lage gewesen. Soweit die ehemalige Bürgermeisterin dem Urteil des VG entgegen gehalten hatte, dieses habe es versäumt, die schadensrechtliche Differenzhypothese zutreffend in Anwendung zu bringen, und übersehen, „dass der vermeintliche Vermögensschaden in jedem Fall eingetreten wäre und damit von vornherein unvermeidbar (Stichwort: „Sowieso-Kosten“) gewesen sei, weil die Inanspruchnahme externer Beratungsleistungen nicht nur im Jahr 2015, sondern auch im Zeitpunkt ihrer Übernahme des Bürgermeisteramts im Jahr 2006 erforderlich gewesen sei, vermochte dies die Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht hinreichend in Frage zu stellen. Zunächst war hier nach den Feststellungen des VGH festzuhalten, dass die frühere Bürgermeisterin sich mit dem Begriff der „Sowieso-Kosten“ der Sache nach auf eine fehlende Zurechenbarkeit des Schadens aufgrund einer sog. Reserveursache berufe und nicht auf die nach dem herkömmlichen Begriffsverständnis anerkannte Konstellation des zivilrechtlichen Werkvertragsrechts. Die frühere Bürgermeisterin meinte nämlich, die Gemeinde hätte die hier streitbefangenen Kosten für externe Beratungsleistungen in jedem Fall erbringen müssen, weil bereits bei Übernahme des Bürgermeisteramts durch sie im Jahr 2006 erhebliche Versäumnisse der Vorjahre vorgelegen hätten, die nur mit Hilfe externer Dienstleister hätten nachgeholt werden können.
Schädiger trägt die Feststellungslast
Für die Frage einer Reserveursache trägt jedoch auch im öffentlichen Dienstrecht der Schädiger, hier also die frühere Bürgermeisterin, die Feststellungslast. Denn bei der sog. hypothetischen Kausalität, wozu die Reserveursache als Fallgruppe zu zählen ist, geht es um die Frage, ob sich der Schädiger darauf berufen kann, dass der von ihm verursachte Schaden auf Grund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten wäre. Ausgehend hiervon ist das Vorbringen der früheren Bürgermeisterin zum einen nicht hinreichend substantiiert, zum anderen geht es auch in der Sache fehl, weil es die diesbezüglichen entgegenstehenden Ausführungen des VG nicht berücksichtigt. Die frühere Bürgermeisterin hat nämlich nicht näher ausgeführt, welche Kosten sie als durch ihren Amtsvorgänger verursacht und damit, bei einem hypothetischen Kausalverlauf, schon als bei ihrer Amtsübernahme im Jahr 2006 erforderlich gewesen, ansieht. Dies wäre aber vor dem Hintergrund ihrer Darlegungsobliegenheit gem. § 124a Abs. 3 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlich gewesen. Eine bloße Behauptung dahingehend, sämtliche Kosten wären auch im Jahr 2006 angefallen, weil bereits zu diesem Zeitpunkt eine externe Beratungsleistung hätte in Anspruch genommen werden müssen, genügte jedenfalls nicht. Insbesondere war der VGH auch nicht von Rechts wegen gehalten, die Rechnungen im Einzelnen daraufhin durchzusehen, ob die angefallenen Beratungskosten ggf. abgrenzbar auf einen Zeitraum vor der Amtsübernahme der früheren Bürgermeisterin im Jahr 2006 zurückzuführen sein könnten. Dergleichen war hier auch keineswegs evident. Im Gegenteil hat das VG im angegriffenen Urteil aufgeführt, die zu bereinigenden Rückstände hätten zwar bereits im Haushaltsjahr 2003 ihren Anfang genommen, sich jedoch in der Folgezeit und insbesondere während der Amtszeit der früheren Bürgermeisterin von 2006 bis 2014 kontinuierlich fortgesetzt und perpetuiert, ohne dass zwischenzeitlich adäquate Maßnahmen zu einer entsprechenden Eindämmung der Schadensvertiefung ergriffen worden wären.
Nach eigener achtjähriger Amtszeit konnte sich die Bürgermeisterin nicht pauschal auf ein Verschulden des Amtsvorgängers berufen
Hiermit hat sich aber der Zulassungsantrag nicht hinreichend auseinandergesetzt. Vielmehr steht die Einschätzung der früheren Bürgermeisterin, die Beraterkosten wären in jedem Fall angefallen, im Widerspruch zu dem bislang dargelegten und sonst ersichtlichen Sachverhalt. Denn der seitens der externen Berater erbrachte Arbeitsaufwand war gerade aufgrund der von ihr selbst verursachten Vertiefung und Perpetuierung der Missstände über viele Jahre hinweg ungleich größer, als er im Jahr 2006 gewesen wäre. Die frühere Bürgermeisterin kann sich daher nach ihrer achtjährigen Amtszeit nicht pauschal auf ein Verschulden ihres Amtsvorgängers berufen, wenn es um die Aufarbeitung von eklatanten Missständen in den Bereichen Haushalts-, Kassen- und Rechnungsführung geht, und sie keine hinreichenden pflichtgemäßen Anstrengungen unternommen hat, um die bei Amtsübernahme bereits bestandenen Missstände zu beheben, sondern mit einer evident nachlässigen und mangelhaften Buchführung und unter Verletzung ihrer Kernpflichten dazu beigetragen hat, dass sich die Missstände vertiefen und einen exorbitanten Umfang erreichen konnten. Die Berufung war auch nicht wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt nämlich voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeit zukommt. Da dieser Zulassungsgrund auch die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall gewährleisten soll, muss zugleich im Zulassungsvorbringen deutlich gemacht werden, dass wegen der in Anspruch genommenen besonderen Schwierigkeiten der Ausgang eines künftigen Berufungsverfahrens jedenfalls ergebnisoffen ist.
VGH hat Zulassung der Berufung abgelehnt
Diesen Anforderungen genügte jedoch das Vorbringen der früheren Bürgermeisterin nicht. Auch soweit sie ihren Zulassungsantrag auf eine Divergenz gestützt hatte, blieb diese ohne Erfolg, weil sie eine Abweichung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht genügend dargetan hat. Eine Divergenz würde nämlich erst dann vorliegen, wenn das VG in der angegriffenen Entscheidung einen Rechtssatz aufgestellt hätte, der einem abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in dem von ihr zitierten Beschluss vom 27.10.2016 (5 C 55/15) ausdrücklich oder konkludent widersprechen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die frühere Bürgermeisterin versteht das BVerwG in der genannten Entscheidung nämlich dahingehend, dass der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte grundsätzlich keinen Anspruch darauf habe, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte. Hierzu stehen aber die Feststellungen im angegriffenen Urteil des VG nicht im Widerspruch. Die frühere Bürgermeisterin verkennt vielmehr in ihrer Annahme, die Gemeinde würde Schadensersatz für Aufwendungen erhalten, die in jedem Fall von der Gemeinde zu tragen gewesen wären, dass in Wirklichkeit diese Kosten, jedenfalls in der hier relevanten Höhe, erst durch die jahrelange Perpetuierung und drastische Vertiefung der Missstände sowie mangels pflichtgemäßer Aufarbeitung der Rückstände während ihrer Amtszeit entstanden sind. Zu den von der früheren Bürgermeisterin ebenfalls benannten Zulassungsgründen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie eines Verfahrensmangels hat sie keine Ausführungen gemacht und damit insoweit den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht im Ansatz genügt.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.03.2021 – 4 S 2078/20.