04.06.2021

Die Whistleblowing-Richtlinie der EU (2)

Auswirkungen für den öffentlichen Sektor – Teil 2

Die Whistleblowing-Richtlinie der EU (2)

Auswirkungen für den öffentlichen Sektor – Teil 2

Bisher existieren in Deutschland zum Whistleblowing im öffentlichen Sektor nur fragmentarische Regelungen. © filograph - Fotolia.com
Bisher existieren in Deutschland zum Whistleblowing im öffentlichen Sektor nur fragmentarische Regelungen. © filograph - Fotolia.com

Der Erlass eines Umsetzungsgesetzes vor der Bundestagswahl wird immer unwahrscheinlicher. Und doch ist die EU-Richtlinie zum Whistleblowing bis 17. Dezember in nationales Recht umzusetzen. Wir stellen die wesentlichen Inhalte vor: Im zweiten Teil der Reihe wird in das Thema Whistleblowing weiter ausgeführt.

Ausgestaltung interner Whistleblowing-Systeme

Die WBRL enthält eine Reihe von Vorgaben für die Ausgestaltung der im öffentlichen Sektor einzurichtenden internen Whistleblowing-Systeme. Eine wichtige Vorkehrung für den Schutz der Whistleblower und die Akzeptanz der Meldekanäle ist die Pflicht, die Vertraulichkeit ihrer Identität zu wahren (Art. 9 Abs. 1 lit. a, Art. 16 WBRL). Diese gilt aber freilich nicht ausnahmslos, etwa im Hinblick auf die Verteidigungsrechte der betroffenen Person (Art. 16 Abs. 2 WBRL). Eine Verletzung der Vertraulichkeitspflicht muss im nationalen Recht einen Sanktionstatbestand bilden (Art. 23 Abs. 1 lit. d WBRL).


Zur Wahrnehmung der Aufgaben in dem Meldeverfahren ist eine unparteiische Person oder Abteilung zu benennen, wobei für die Folgemaßnahmen eine gesonderte Zuständigkeit gegeben sein kann (Art. 9 Abs. 1 lit. c WBRL). Neben der Entgegennahme von Meldungen und der Ergreifung ordnungsgemäßer Folgemaßnahmen bedarf es der Erteilung einer Empfangsbestätigung innerhalb von sieben Tagen, der Aufrechterhaltung des Kontakts mit dem Whistleblower und gegebenenfalls Nachfragen bei diesem, einer Rückmeldung über die geplanten oder bereits ergriffenen Folgemaßnahmen innerhalb von höchstens drei Monaten (Art. 9 Abs. 1 lit. b – d u. f WBRL) sowie der Dokumentation aller eingehenden Meldungen (Art. 18 WBRL). Darüber hinaus ist klar und leicht zugänglich über die Verfahren für externe Meldungen an die von den Mitgliedstaaten zu benennenden zuständigen Behörden zu informieren (Art. 9 Abs. 1 lit. g WBRL).

„Hinreichender Grund für die Annahme“

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EU Whistleblowing-Richtlinie

Der Anspruch der Whistleblower auf Schutz nach der WBRL erfordert im Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung „hinreichenden Grund zu der Annahme“ („reasonable grounds to believe“), dass die betreffenden Informationen über Verstöße (1) der Wahrheit entsprachen und (2) in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen (Art. 6 Abs. 1 lit. a WBRL). Dies stellt einen objektiv-subjektiven Maßstab dar.[1] Der Unionsgesetzgeber hat damit im Kern einen in der internationalen Whistleblowing-Gesetzgebung weit verbreiteten Test aufgegriffen. Danach muss sich eine tatsachengestützte Behauptung eines Verstoßes oder entsprechenden Verdachts (vgl. Art. 5 Nr. 2 WBRL) nicht notwendigerweise bestätigen. Andererseits besteht jedenfalls kein Schutz, wenn wissentlich und willentlich falsche oder irreführende Informationen enthüllt wurden (ErwGr. 32 S. 2; vgl. Art. 23 Abs. 2 S. 1 WBRL). Die Motivation des Whistleblowers ist zutreffend ohne Belang (ErwGr. 32 a. E. WBRL).

Verhältnis zwischen interner und externer Meldung

Das Verhältnis von interner und externer Meldung bildete die am meisten umstrittene Frage in dem EU-Gesetzgebungsverfahren. Gleichsam „in letzter Minute“ während der Legislaturperiode wurde auf Druck des Europäischen Parlaments und vieler Interessenträger das von Kommission und Rat befürwortete grundsätzliche Stufenverhältnis aufgegeben: Der Anspruch der Whistleblower auf Schutz ist generell unabhängig davon, ob sie zuerst interne Meldekanäle nutzen oder sich direkt an die zuständigen Behörden wenden (Art. 6 Abs. 1 lit. b, Art. 7 Abs. 1 u. Art. 10). Allerdings haben die Mitgliedstaaten dazu zu ermutigen, zuerst eine Meldung über interne Meldekanäle vorzunehmen, wenn intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Whistleblower keine Repressalien befürchtet (Art. 7 Abs. 2 WBRL). Im Anschluss an eine interne Meldung ist jederzeit eine externe Meldung zulässig (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b u. Art. 10 WBRL). Letzteres wird hingegen in dem vorerst gescheiterten Referentenentwurf des BMJV vom 26.11.2020 anders gesehen.[2]

Offenlegung

Einschränkende Voraussetzungen gelten freilich für einen Anspruch auf Schutz bei einer Offenlegung, d. h. dem öffentlichen Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße, z. B. über die sozialen Medien oder gegenüber der Presse oder gewählten Amtsträgern (Art. 5 Nr. 6, ErwGr. 45 WBRL). Entweder muss der Whistleblower nach einer internen Meldung eine externe Meldung vorgenommen haben und auf keine dieser Meldungen darf innerhalb der Rückmeldefristen von höchstens drei bzw. sechs Monaten (Art. 9 Abs. 1 lit. f bzw. Art. 11 Abs. 2 lit. d WBRL) eine Reaktion in Form geeigneter Maßnahmen erfolgt sein. Oder im Anschluss an eine externe Erstmeldung muss es an solchen fristgemäßen Maßnahmen fehlen (Art. 15 Abs. 1 lit. a 2. Fall WBRL). Ein direkter Gang an die Öffentlichkeit ist zulässig, wenn der Whistleblower hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass (1) der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens, oder (2) im Falle einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Fallumstände geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird (Art. 15 lit. b WBRL).

Schutzmaßnahmen

Die WBRL enthält breit angelegte Schutzmaßnahmen für anspruchsberechtige Whistleblower und partiell für mit solchen Whistleblowern verbundene Personen i. S. v. Art. 4 Abs. 4 WBRL. Dazu zählen ein Verbot von Repressalien (Art. 19 WBRL), Abhilfemaßnahmen einschließlich einstweiligem Rechtsschutz (Art. 21 Abs. 6 WBRL) und materieller sowie immaterieller Schadensersatz gemäß dem nationalen Recht (Art. 21 Abs. 8 WBRL), eine flankierende Beweislastumkehr in gerichtlichen und behördlichen Verfahren (Art. 21 Abs. 5 WBRL), ein genereller außergerichtlicher Haftungsausschluss in Bezug auf eine Verletzung einer gesetzlichen oder vertraglichen Verschwiegenheitspflicht (z. B. § 67 BBG u. § 3 Abs. 1 TvöD; Art. 21 Abs. 2 WBRL) und ein Klageabweisungsrecht in Gerichtsverfahren u. a. wegen Verletzung der Geheimhaltungspflicht oder Schadensersatz (Art. 21 Abs. 7 Unterabs. 1 WBRL). Die beiden letztgenannten Schutzmaßnahmen erfordern als besondere Voraussetzung hinreichenden Grund für die Annahme, nicht mehr Informationen weiterzugeben als zur Aufdeckung eines Verstoßes notwendig war (s. auch ErwGr. 91 S. 3 u. 4, 97 S. 3 WBRL).

Das Repressalienverbot ist sehr weit gefasst. Es untersagt „direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann“ (Art. 5 Nr. 11 WBRL). Nach der nicht abschließenden Konkretisierung in Art. 19 lit. a – o WBRL kann es dabei etwa um disziplinarische oder sonstige beamtenrechtliche Maßnahmen (z. B. Versetzung oder negative Leistungsbeurteilung), die Versagung einer Beförderung, eine arbeitsrechtliche Kündigung, Mobbing oder – praktisch auch nicht bedeutungslos – um psychiatrische oder ärztliche Überweisungen handeln. Einbezogen sind auch die Androhung und der Versuch solcher Repressalien. Die Ergreifung von Repressalien ist nach nationalem Recht zu sanktionieren (Art. 23 Abs. 1 lit. b WBRL). Der Referentenentwurf des BMJV ist in Bezug auf die Schutzmaßnahmen nur knapp gefasst (§§ 32 ff. HinSchG-E).

Fazit und Ausblick

Die WBRL wird in Deutschland erhebliche Auswirkungen für den öffentlichen Sektor haben.[3] Dies betrifft insbesondere die Pflicht, interne Whistleblowing-Systeme mit bestimmten Elementen zu etablieren und das Wahlrecht zwischen einer internen und einer externen Meldung.[4] An dem grundsätzlichen Vorrang einer internen Meldung von Beamten und Arbeitnehmern nach der Rechtsprechung und dem Gesetzesrecht (z. B. § 125 Abs. 1 BBG)[5] kann im Anwendungsbereich der WBRL nicht festgehalten werden.[6] Darüber hinaus wird der materielle Schutz von Whistleblowern im öffentlichen Sektor verbessert werden.[7] Infolge der spezifischen, zusammenhängenden Regulierung wird die Rechtssicherheit für (potenzielle) Whistleblower wie auch für Dienstherren und Arbeitgeber erhöht werden. Neue Rechtsunsicherheit durch eine fehlende oder unzureichende (explizite) Harmonisierung vorhandener einschlägiger Vorschriften mit dem künftigen Umsetzungsgesetz sollte unbedingt vermieden werden. Der BMJV-Entwurf erscheint insofern rudimentär.[8] Der Gesetzgeber sollte den Auftrag, die EU-Rechtsdurchsetzung auch im öffentlichen Sektor durch einen wirksamen Whistleblower-Schutz zu stärken, engagiert erfüllen.

Mehr dazu finden Sie im neu erschienenen Werk der Autorin Die Whistleblowing-Richtlinie der EU – Perspektiven für die Rechtsdurchsetzung.

 

[1] Siemes, Die Whistleblowing-Richtlinie der EU: Perspektiven für die Rechtsdurchsetzung, 2021, S. 72 m. w. N.; a. A. Gerdemann, ZBR 2020, 12, 16: subjektiv.

[2] § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG-E, https://t1p.de/zh2n (zuletzt abgerufen am 29.04.2021; wie hier Gerdemann, ZRP 2021, 37, 38).

[3] Ebenso Gerdemann, ZBR 2020, 12, 18; Rottenwallner, VR 2020, 217, 219.

[4] Gerdemann, ZBR 2020, 12, 18.

[5] Näher dazu Herold, ZBR 20213, 8, 9 ff.; Redder, Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern, 2020, S. 166 ff.

[6] Ebenso § 7 Abs. 1 S. 1 HinSchG-E; Gerdemann, ZBR 2020, 12, 16; Schmolke, NZG 2020, 5, 9; a. A. Günther, PUBLICUS v. 22.07.2020: https://publicus.boorberg.de/whistleblowing-durch-beamte/

[7] Ebenso Günther: https://publicus.boorberg.de/whistleblowing-durch-beamte/; offenbar auch Gerdemann, ZBR 2020, 12, 16 f.

[8] Siehe Begr., S. 29, Artikel 1 § 6 Abs. 2 u. Begr., S. 50, Art. 3 HinSchG-E.

 

Prof. Dr. Christiane Siemes

Professorin für Wirtschaftsprivatrecht und Arbeitsrecht Studiengangsleiterin Wirtschaftsrecht (LL.B.) am Fachbereich Wirtschaft und Recht der University of Applied Sciences in Frankfurt am Main
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