22.07.2020

Whistleblowing durch Beamte

Himmel oder Hölle: Wohin gehört der Whistleblower?

Whistleblowing durch Beamte

Himmel oder Hölle: Wohin gehört der Whistleblower?

Falsche Anschuldigung: Das Opfer kann sich auch gegen den Whistle blower wehren | © Kletr - stock.adobe.com
Falsche Anschuldigung: Das Opfer kann sich auch gegen den Whistle blower wehren | © Kletr - stock.adobe.com

Auch im öffentlichen Dienst gibt es Whistleblower, die auf gravierende Missstände und Straftaten innerhalb einer Behörde hinweisen. Beamte geraten mit solchen externen Hinweisen schnell in Konflikt mit ihren dienstlichen Verschwiegenheitspflichten und dem Strafrecht (§ 353b StGB). Der Beitrag stellt die rechtlichen Rahmenbedingungen für beamtete Whistleblower dar. Gleichzeitig wendet er sich vor dem Hintergrund der Whistleblower-Richtlinie der EU gegen deren „traditionelles“ Negativ-Image.[1]

Behördliche Auskünfte an die Öffentlichkeit

Im öffentlichen Dienst hat das Whistleblowing für Selbstreinigungsprozesse der Verwaltung eine große Bedeutung.[2] Hinweisgeber- bzw. Whistleblowing-Systeme sind auch in Behörden wichtig. In diesem Sektor finden sich aber viele Rechtsvorschriften, die es Beamten dienstrechtlich verbieten, sich wegen Missständen in ihren Behörden an die Öffentlichkeit zu wenden. Zur Öffentlichkeitsunterrichtung wird z. B. in § 70 BBG und § 43 LBG NRW ausdrücklich festgelegt, dass die Behördenleitung entscheidet, wer Auskünfte erteilt.[3]

Es ist also eine Autorisierung erforderlich, wenn ein Beamter eigenständig über dienstliche Vorgänge die Öffentlichkeit informieren will. Dies folgt aus der Verschwiegenheitspflicht von Beamten über dienstliche Angelegenheiten (§ 37 BeamtStG). Unautorisierte Auskünfte eines Beamten über dienstliche Sachverhalte aus seiner Behörde an die Presse und andere Medien sind grundsätzlich eine Dienstpflichtverletzung und können auch strafbar sein.


Es ist deshalb immer eine schwierige Entscheidung für einen potentiellen Hinweisgeber, ob er den Schritt wagt oder lieber vor dem Hintergrund drohender persönlicher Risiken und Nachteile davon Abstand nimmt. Die neue Whistleblower-Richtlinie der EU bringt einen neuen Drive in die Diskussionen rund um behördliche Whistleblower.

Flucht eines Beamten in die Öffentlichkeit

Dante weist in seiner Göttlichen Komödie dem Verräter den schrecklichsten Kreis in der Hölle zu. Das wird seiner Rolle beim Whistleblowing nicht wirklich gerecht. Das verantwortungsvolle Whistleblowing eines Beamten, also das Aufdecken von erheblichen behördeninternen Missständen als ultima ratio, sollte wegen des Beitrags zum Gemeinwohl eher in den Himmel führen.[4] Schließlich geht es oft um behördeninterne Straftaten und Rechtsverstöße unterschiedlichster Art, die sonst vielleicht nie bekannt geworden wären.

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EU Whistleblowing-Richtlinie

Trotzdem hat gerade der behördliche Whistleblower immer noch ein weitverbreitetes „Schmuddelimage“, da ein Konflikt zwischen dem Wahrheits- und Gerechtigkeitsbestreben eines aufrechten Beamten und der gebotenen Loyalität zum Dienstherrn besteht. Die Treuepflicht eines Beamten und die Beachtung geltenden Rechts sind sehr hohe Güter, die sorgfältig mit dem ebenfalls wichtigen Ziel der Aufdeckung von Missständen und Skandalen in Behörden abzuwägen sind. Die EU stärkt durch die neue Whistleblower- Richtlinie mit Recht das Gewicht von solchen Hinweisen und die Position des Hinweisgebers. In der Literatur werden allerdings noch zum Teil sehr negativ-polemische „Typisierungen“ der Motivationsgründe für Whistleblowing vorgenommen[5]:

– Typ I – der Weltverbesserer aus Gewissensgründen

– Typ II – der neutrale Beobachter

– Typ III – der Gierige

– Typ IV – der Rächer der Enterbten.

Dem Staat sind aber bei wichtigen Hinweisen von Whistleblowern die Motivationsgründe relativ egal und sollten es auch sein. Er hat ein sehr hohes Interesse an Whistleblowern, um z. B. Korruptionsstraftaten, bei denen es deliktstypisch an anzeigebereiten Opfern mangelt, zu erkennen, aufzuklären und zu verfolgen.[6] Gerade hier liegen ohnehin regelmäßig ehrenwerte Motive eines Hinweisgebers vor (Gerechtigkeitsstreben).

Dem bisherigen undifferenzierten Negativimage des Whistleblowers wird durch die neue Whistleblower- Richtlinie der EU erfreulicherweise eine erfahrungsbasierte viel positivere Sichtweise entgegengestellt. Es erschien schon vorher falsch, sich – wie manche Autoren – um das Ansehen des öffentlichen Dienstes durch Whistleblowing zu sorgen.[7] Verantwortungsvolle Whistleblower in Behörden mehren in der Öffentlichkeit eher das Ansehen des öffentlichen Dienstes, wenn sie sich z. B. als ultima ratio öffentlich gegen eine gezielte Vertuschung von gravierendem Fehlverhalten und eklatanten Missständen in Behörden wenden. Insofern trägt auch das einschlägige neue EU-Recht viel zur Imageverbesserung seriöser Hinweisgeber und zu deren Ermutigung zur Zivilcourage bei.

Dienstpflichten contra Whistleblowing

Wenn Beamte sich wegen erheblicher Missstände in ihrer Dienststelle ungenehmigt an die Öffentlichkeit wenden (sog. Flucht in die Öffentlichkeit), kollidiert dies mit den Dienstpflichten aus § 34 BeamtStG. Ferner dürfte dann regelmäßig eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG vorliegen, die zu den dienstlichen Grund- und Hauptpflichten zählt. Das Recht der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG und Art. 10 EMRK) in Form der Tatsachenverbreitung bezüglich dienstlicher Vorgänge muss vor dem Hintergrund der speziellen beamtenrechtlichen Regelung insoweit zurücktreten bzw. wird durch das Dienstrecht wirksam eingeschränkt.[8]

Ein Verstoß gegen § 37 BeamtStG ist für den Beamten disziplinarrechtlich von Bedeutung. Beim Whistleblowing kommen ferner strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht (§ 353b StGB) in Betracht. Der Gesetzgeber kommt aber bei Korruptionsstraftaten mit § 37 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BeamtStG hinweisbereiten Beamten aus Eigeninteresse besonders entgegen (Anzeigerecht bei Korruptionsstraftaten).[9] Hier ist natürlich der Dienstweg nicht einzuhalten, wenn entsprechende gravierende Verdachtsmomente ausgerechnet gegen eigene Vorgesetzte bestehen. Dies ist in Korruptionsfällen nicht selten der Fall. Manchmal ist auch der Dienstweg mit den damit verbundenen Zeitverzögerungen nicht unbedingt angezeigt, wenn dadurch wichtige Beweismittel untergehen oder sich ein Missstand weiter verfestigt.[10]

Allgemein muss ein Whistleblower vor der Flucht in die Öffentlichkeit anerkanntermaßen zunächst regelmäßig z. B. interne Möglichkeiten nutzen, um auf Missstände und strafbares Verhalten in einer Behörde hinzuweisen (Stufentheorie). Er kann – ggf. anonym – die Innenrevision informieren und z. B. remonstrieren (§ 36 Abs. 2 BeamtStG) oder Gerichte einschalten, um seine dienstlichen und persönlichen Belange bzw. sein Whistleblower- Anliegen zu verfolgen.

Regelmäßig wird solchen Hinweisen in einer funktionierenden Behörde intensiv nachgegangen. Es gibt aber auch Fälle, wo gerade Vorgesetzte trotz konkreter Hinweise auf Fehlverhalten z. B. keine Strafanzeige erstatten und pflichtwidrig untätig bleiben, was gerade einen subjektiven „Whistleblowing- Bedarf“ beim meldenden Beamten auslöst, aber nicht zwingend in jedem Fall auslösen darf.[11] Ferner gibt es für Beamte die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde (vgl. z. B. § 103 Abs. 2 LBG NRW) oder der Petition.

Dem Beamten ist insoweit in aller Regel zuzumuten, zunächst die innerhalb des Rechtssystems und internen Behördenapparates liegenden Abhilfemöglichkeiten auszuschöpfen. Bestimmte Sondersituationen, in denen ein Beamter wegen übergeordneter öffentlicher Interessen bei gravierenden behördlichen Missständen zum sog. Whistleblower werden „darf“ und disziplinarrechtlich und strafrechtlich nicht zu belangen ist, sind nicht ausgeschlossen.[12] Hieran muss ausdrücklich erinnert werden.

Die nach wie vor verbreitete große Skepsis in der Literatur gegenüber behördlichen Whistleblowern wird vom Autor ausdrücklich nicht geteilt.[13] Die dienstlichen Erfahrungen zeigen, dass der Rechtsstaat und die Demokratie interne Hinweise auf Missstände mehr denn je brauchen. Bei nicht wenigen Fallkonstellationen verdienen Whistleblower beamtenrechtlichen Schutz statt Strafe.[14] Wenn ein pflichtbewusster und werteorientierter Beamter in strikter Befolgung seines „Gerechtigkeitsauftrags“ die viel (theoretisch) beschworene und für eine funktionierende Demokratie wichtige persönliche Zivilcourage als Beamter zeigt, kann ein verwaltungsexternes Whistleblowing akzeptabel und rechtmäßig sein.

Trotz der neuen Richtlinie der EU zum Schutz von Whistleblowern wird es aber bei persönlichen Risiken für den Beamten bleiben. Eine Einordnung eines komplexen Whistleblower- Falls durch Verwaltungsgerichte, Disziplinargerichte oder Strafgerichte wird weiterhin schwer prognostizierbar sein. Die Bewertungen eines Verhaltens eines behördlichen Hinweisgebers können sehr unterschiedlich ausfallen.[15]

Das rechtliche Risiko (Dienstrecht/Disziplinarrecht/Strafrecht) liegt letztlich beim beamteten Whistleblower, dürfte aber künftig etwas reduzierter sein, weil Dienstherren und die Strafjustiz die Wertungen des europäischen Richtliniengebers in ihre Einschätzungen einzubeziehen haben. Soweit – was leider vorkommt – Missstände in der Behörde extern meldende Beamte trotz wahrer und wichtiger Angaben in der Folge gemobbt werden bzw. dienstliche Nachteile erleiden, ist dem sehr entschieden entgegenzutreten. Die Whistleblower-Richtlinie der EU hat nicht ohne Grund gerade den Schutz von verantwortungsvollen Hinweisgebern vor häufiger in der Praxis vorkommenden „Vergeltungsmaßnahmen“ zum Gegenstand.

Nicht unerwähnt bleiben soll auch der erfahrungsgemäß eher seltene Fall, wo es zu unberechtigten rufschädigenden Vorwürfen durch leichtfertige oder böswillige behördliche Whistleblower kommt. Wenn ein Informant unzutreffende Angaben und Beschuldigungen leichtfertig (Anzeige ins Blaue hinein) oder sogar wider besseres Wissen gemacht hat, kann von einem in seiner Ehre betroffenen Beamten gegen den (ggf. gemeinsamen) Dienstherrn ein Rechtsanspruch auf Bekanntgabe des fragwürdigen Denunzianten bestehen.[16] Das Opfer einer falschen Anschuldigung kann dann gegen diesen Whistleblower zivilrechtlich und strafrechtlich vorgehen.

Diese Fälle des böswilligen und falschen Denunzierens dürfen aber nicht den Blick darauf verstellen, dass verantwortungsvolles Whistleblowing im öffentlichen Dienst die Regel und wichtiger denn je ist.

Künftige Rahmenbedingungen für behördliche Hinweisgeber

Die Mitgliedstaaten müssen die Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Wie dies hinsichtlich des öffentlichen Dienstes im Einzelnen geschehen wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Ob ein Anpassungsbedarf besteht und wie er ggf. auszusehen hätte, ist aktuell unklar. In jedem Fall wird die Diskussion rund um das Whistleblowing im öffentlichen Dienst weiter durch die EU-Regelung an Fahrt gewinnen.

Vor dem Hintergrund des geltenden ultima-ratio-Prinzips wird es aber dabei bleiben müssen, dass im Regelfall erst alle internen Meldewege von einem Beamten beschritten werden müssen, bevor er sich als Whistleblower z. B. an die Öffentlichkeit bzw. externe Stellen wenden darf. Von diesem Grundsatz abzuweichen, bietet die Whistleblower- Richtlinie keinen Anlass. Sicher ist aber, dass sich künftig die Rahmenbedingungen für behördliche Whistleblower im Verhältnis zum Status quo signifikant verbessern werden. Dies war überfällig, da bisherige parlamentarische Vorstöße, Beamte als Whistleblower in Deutschland besser zu schützen, ohne Erfolg geblieben sind.[17] Verstöße gegen Recht und Gesetz in Behörden, die ungeahndet bleiben, weil Beamte aus Furcht vor den Konsequenzen ihr Wissen darüber nicht weitergeben, schwächen unseren Rechtsstaat. Dem muss entgegengewirkt und verantwortungsvolles Whistleblowing durch Beamte gestärkt werden.[18]

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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[1] EU-Richtlinie 2018/0106; vgl. dazu Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241.

[2] Niermann, Der Whistleblower im Beamtenrecht, Diss. 2019, Gerdemann, ZBR 2020, 12.

[3] Schrapper/Günther, LBG NRW, 2. Aufl. 2017, § 43 LBG Rn. 3.

[4] Vgl. zum Whistleblowing Günther, NVwZ 2018, 1109; Laura Schmitt, RdA 2017, 365; Hans, Whistleblowing durch Beamte, Hamburg 2017.

[5] Vgl. Nöhle, ZLR 2017, 256.

[6] Keller, Disziplinarrecht, 3. Aufl., S. 308.

[7] Lopacki, ZBR 2016, 329; vgl. dazu krit. Günther, NVwZ 2018, 1109.

[8] BVerfGE 28, 191.

[9] Keller (Fn. 6); Kiraly, Der Beamte als Whistleblower, DöD 2010, 894.

[10] Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Stand 12/2019, § 37 BeamtStG Rn. 33.

[11] Schütz/Maiwald (Fn. 10).

[12] BGH, NJW 2003, 979; Bäcker, Whistleblower im Amt, Die Verwaltung 2015, 499, 503, 515 ff.; Wickler, Widerstand von Staatsdienern gegen Rechtsbruch in Verwaltung und Justiz, ThürVBl. 2016, 29 ff. u. 61 ff.

[13] Günther, NVwZ 2018, 1109.

[14] Herold, ZBR 2013, 8, 13; EGMR, NJW 2011, 3503.

[15] Carsten Bäcker, Die Verwaltung 2015, 499, 503; BVerfGE 28, 191, 205.

[16] Hermanns/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht – Beamtenstrafrecht, 2014, Rn. 581–582; BVerwG, NJW 2003, 3217; vgl. zum gutgläubigen Anzeigenerstatter BVerfG, NJW 1987, 1229 und NJW 2001, 3474.

[17] Vgl. die BT-Drucks. 17/9782; s. auch die Antwort der BR auf die Kleine Anfrage „Whistleblowing als Beitrag zur Rechtsdurchsetzung“, BT-Drucks. 19/5226.

[18] BT-Drucks. 19/5226; Gerdemann, ZBR 2020, 12.

 

Dr. Jörg-Michael Günther

Ministerialrat, Referat für öffentliches Dienstrecht, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW, Düsseldorf
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