27.07.2020

Pressefreiheit und kommunale Amtsblätter

Konflikte nicht ausgeschlossen

Pressefreiheit und kommunale Amtsblätter

Konflikte nicht ausgeschlossen

Die konkrete Beurteilung kommunaler Veröffentlichungen erfolgt anhand deren Art und Inhalt sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung. | © sasha1806 - stock.adobe.com
Die konkrete Beurteilung kommunaler Veröffentlichungen erfolgt anhand deren Art und Inhalt sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung. | © sasha1806 - stock.adobe.com

Eine deutsche Stadt verletzt die Pressefreiheit? Die Strategie mancher „Provinzfürsten“, das Amtsblatt als Staatsorgan zu nutzen, welches es – kostenlos verteilt – mit der Lokalpresse aufnehmen kann, dürfte angesichts eines BGH-Urteils nicht mehr aufgehen. Städte und Gemeinden haben in Ausübung ihrer Selbstverwaltungsrechte bei Herausgabe eines Amtsblattes das Gebot der Staatsferne der Presse zu wahren.

Einführung

Die Medien sind weltweit unter Beschuss – so jedenfalls der Befund am 3. Mai 2019, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, an dem der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, Dietmar Wolff, erklärte, dass über das Thema Pressefreiheit derzeit weltweit so intensiv diskutiert werde wie schon lange nicht mehr.

Grund für diese von Dietmar Wolff genannten Diskussionen gibt es genug. Man muss den Blick gar nicht erst auf Länder wie z. B. Eritrea, Nordkorea oder Turkmenistan richten, die in der aktuellen von „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichten Rangliste für Pressefreiheit die unteren Plätze einnehmen. Vielmehr genügt bereits ein Blick in europäische Nachbarländer. Dies zeigen die Ermordung des slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak oder der Mord an der Journalistin Caruana Galizia auf Malta genauso wie die zahlreichen Verhaftungen türkischer Journalisten oder allgemein die Hetze gegen Journalisten in Ländern mit nationalistisch-populistischen Regierungen.


Deutschland, so Dietmar Wolff weiter, sei eines der wenigen Länder, in denen das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit nicht nur im Grundgesetz verankert sei, sondern auch täglich gelebt werde. Doch auch hier müsse dieses Grundrecht immer wieder verteidigt werden. Ein kürzlich ergangenes BGH-Urteil zur Staatsferne der Presse (Az. I ZR 112/17) sei hier als Beispiel beleuchtet.

Gebot der Staatsferne der Presse

Die sogenannte Staatsferne der Presse stellt ein Gebot dar, welches aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgt: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Der BGH hatte jüngst Gelegenheit, sich zu diesem Gebot der Staatsferne in folgender Konstellation zu äußern: Ein privates Verlagsunternehmen, die Südwestpresse, gibt u. a. eine kostenpflichtige Tageszeitung sowie ein kostenloses Anzeigenblatt heraus. Beide Publikationen erschienen auch im Gebiet der Stadt Crailsheim. Diese verteilte ihr „Stadtblatt“, ein Amtsblatt, seit 2016 wöchentlich gratis an rund 17.000 Haushalte. Dieses Amtsblatt bestand aus einem amtlichen, einem redaktionellen und einem Anzeigenteil.

In diesem Stadtblatt wurde auch über Themen aus Wirtschaft, Parteipolitik oder Sport berichtet. Dies hielt die Südwestpresse für wettbewerbswidrig. Die Stadt Crailsheim war bereits in zwei Instanzen, vor dem Landgericht Ellwangen und dem Oberlandesgericht Stuttgart, gescheitert. Auch die gegen das Urteil des OLG Stuttgart eingelegte Revision wurde jetzt vom BGH zurückgewiesen. Der BGH sprach der Südwestpresse den von ihr auf der Basis des § 3a UWG wegen Rechtsbruchs geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu und bekräftigte seine u. a. bereits in seinem Urteil zur „Tagesschau-App“ geäußerte Ansicht, das Gebot der Staatsferne der Presse stelle eine sog. Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG dar. Die kostenlose Verteilung des Stadtblatts verstoße gegen diesen Grundsatz und begründe Unterlassungsansprüche von Mitbewerbern, in diesem Fall der Südwestpresse.

Abwägung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinde und der Pressefreiheit

In einer sorgfältigen Abwägung hielt der BGH fest: Im Falle von gemeindlichen Publikationen, wie z. B. Amtsblättern, sei das Gebot der Staatsferne der Presse unter Berücksichtigung einerseits der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und der daraus folgenden gemeindlichen Kompetenzen sowie andererseits der Garantie des Instituts der freien Presse gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu bestimmen. Danach habe die Gemeinde zwar durchaus das Recht, sich zu äußern und ihre Bürger zu informieren. Diese Ermächtigung zur Information ihrer Bürger erlaube den Gemeinden allerdings nicht jegliche pressemäßige Äußerung mit Bezug zur örtlichen Gemeinschaft.

Hier setze die institutionelle Garantie der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG eine klare Grenze. Diese Bestimmung garantiere als objektive Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt. Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse bedeutet nicht nur Freiheit von staatlicher Einflussnahme oder Lenkung, vielmehr wird dieser Grundsatz auch dann verletzt, wenn sich die öffentliche Hand durch unmittelbar oder mittelbar staatlich verantwortete Publikationen selbst pressemäßig betätigt. Eine solche staatliche Pressetätigkeit ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, steht aber unter erhöhtem Rechtfertigungszwang, weil die Pressefreiheit insoweit enge Schranken zieht.

Bereits das OLG Stuttgart stellte unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht fest, dass Druckwerke grundsätzlich nur herausgegeben werden dürften, soweit öffentlich-rechtliche Körperschaften damit entweder ihre öffentlichen Aufgaben erfüllen (z. B. Bekanntgabe von Rechtsvorschriften) oder in zulässigem Umfang Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Denn nach dem BVerfG steht eine staatliche Präsenz im Bereich der Presse grundsätzlich immer in Widerspruch zur Meinungs- und Wettbewerbsneutralität staatlichen Handelns. Für ein Amtsblatt bedeutet dies, dass jedenfalls über die Tätigkeit des Gemeinderats, die Aktivitäten des Bürgermeisters und der Gemeindebehörden berichtet werden darf, soweit die Angelegenheiten der Gemeinde betroffen sind. Darüber hinaus ist Enthaltsamkeit zu üben – ein Umstand, der nicht jeder Stadtverwaltung oder Gemeinde und erst recht nicht manchen Bürgermeistern Freude bereiten wird.

Gesamtcharakter der Publikation im Einzelfall entscheidend

Die konkrete Beurteilung kommunaler Veröffentlichungen erfolge, so der BGH, anhand deren Art und Inhalt sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung: Danach müssen staatliche Publikationen eindeutig – auch hinsichtlich Illustration und Layout – als solche erkennbar bleiben und sich auf Sachinformationen beschränken. Ohne Zweifel zulässig seien folglich die Unterrichtung über Vorhaben der Kommunalverwaltung oder des Gemeinderats sowie die Veröffentlichung amtlicher Mitteilungen. Dagegen sei es klar unzulässig, wenn eine pressemäßige Berichterstattung über das gesellschaftliche Leben in der Gemeinde stattfindet, da dieser Bereich gerade nicht Staatsaufgabe sondern originäre Aufgabe der Lokalpresse sei.

Ein Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung des Gebots der Staatsferne der Presse liege bereits dann vor, wenn einzelne Artikel den Bereich der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit eindeutig verlassen und die fragliche Publikation insgesamt im Rahmen einer Gesamtwürdigung einen die Presse ersetzenden Gesamtcharakter aufweise. Je stärker die kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zulässigen Berichterstattung verlasse und bei den angesprochenen Verkehrskreisen – auch optisch – als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirken will, desto eher sei das Gebot der Staatsferne der Presse verletzt. Indem auf den Gesamtcharakter abgestellt wird, dürften einzelne „Ausrutscher“ allerdings noch unschädlich sein.

Prüfung des Einzelfalls

Das Stadtblatt Crailsheim ging auch nach Ansicht des BGH mit seinen redaktionellen Beiträgen über ein nach diesen Maßstäben zulässiges staatliches Informationshandeln hinaus. Die Publikation hatte nicht nur ein presseähnliches Layout, vielmehr überschritt eine Vielzahl von Artikeln auch den gemeindlichen Zuständigkeitsbereich, sei es in sachlicher oder in örtlicher Hinsicht.

Die einzelnen Artikel können im Übrigen in dem auf der Homepage des BGH veröffentlichten Urteil nachgelesen werden[1]. Daraus wird ersichtlich, dass zutreffend das Layout der Artikel als offensichtlich pressemäßig gewürdigt wurde. Es werden im Beitrag pressemäßige Merkmale wie Überschrift, Unterüberschrift, fettgedruckte Einleitung und Foto verwendet. Inhaltlich wird z. B. im Artikel „Mobilität steigern“ über eine private Bürgerinitiative berichtet. Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass selbst wenn die Gemeinde die Arbeit der Bürgerinitiative begleitet, dies gleichwohl noch keine Aktivität der Kommunalverwaltung oder des Gemeinderats darstelle. Vielmehr handle es sich um ein gesellschaftliches Engagement auf kommunaler Ebene, über das gerade typischerweise Lokalzeitungen berichten. Neben den zulässigen Berichten aus dem Gemeinderat enthielt das streitgegenständliche Exemplar des Stadtblatts zudem beispielsweise unter der Überschrift „Ausbildung Handwerk“ einen Bericht über die lokale Wirtschaft, so das OLG Stuttgart und nicht etwa über die kommunale Förderung des Handwerks, wie die Stadtverwaltung argumentierte.

Der BGH hielt die Wertung des OLG Stuttgart für zutreffend, da über eine private Veranstaltung berichtet wurde. Die Stadt Crailsheim hatte hier geltend gemacht, sie könne diese Aktivität aufgrund ihrer gemeindlichen Allzuständigkeit an sich ziehen. Diese Argumentation weist der BGH zurück und stellt klar, dass die Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 GG eine Kompetenzzuweisung im Staatsgefüge darstelle und nicht etwa eine Grundlage dafür biete, privates Engagement sozusagen zu „verstaatlichen“, um darüber im Amtsblatt berichten zu können.

Im Artikel „Störche wurden beringt“ wurde in der gleichen Ausgabe des Stadtblatts über eine Aktion des NABU Ellwangen berichtet. Begleitet wird der pressemäßig gestaltete Artikel von einem „Storchengedicht“. Der Bericht betrifft keine Angelegenheit der Gemeinde, so der BGH. Dafür genüge es nicht, dass der Horst der Störche auf dem Rathausdach von der Gemeinde eingerichtet und der Einsatz des NABU durch die Feuerwehr unterstützt worden sei. Vielmehr handle es sich um ein Ereignis, das typischerweise Gegenstand lokaler Presseberichterstattung sei. Gerade solche Veröffentlichungen würden die Gefahr bergen, vom Leser als private Presse und nicht als Amtsblatt wahrgenommen zu werden.

Weitreichende Bedeutung über Crailsheim hinaus

Die Stadt Crailsheim war mit diesem Verteilen eines kostenlosen Stadtblatts in Konkurrenz zur Lokalpresse nicht allein. Das BGH-Urteil hat somit weit über Crailsheim hinaus Auswirkungen, denn auch zahlreiche andere Kommunen haben solche Amtsblätter mit pressemäßiger Berichterstattung kostenlos verteilt. Die vom BGH erläuterten Prinzipien gelten einheitlich für alle.[2]

Der Deutsche Städtetag übte denn auch am Urteil Kritik. Schließlich seien die Kommunen aufgerufen, ihre Bürger zu beteiligen und ihr eigenes kommunales Handeln zu erläutern. Der Gemeindetag Baden-Württemberg äußerte auf Twitter am 20. 12. 2018: „‚Das BGH-Urteil gegen #Crailsheim ist ein herber Schlag gegen alle Kommunen, die in ihren #Amtsblättern dem #Ehrenamt und den Ereignissen des örtlichen gesellschaftlichen Lebens Bedeutung verleihen‘, erklärte Gemeindetagspräsident Roger Kehle.“ Die Gemeinden verstünden sich selbst nicht etwa als Konkurrenten der Presse, sondern wollten lediglich die Bürger in ihrem alltäglichen Leben abholen. Zudem seien die Amtsblätter für Kirchengemeinden und Vereine oftmals die einzige Möglichkeit, um über ihre Angelegenheiten zu informieren.

Letzteres Argument überzeugt in Zeiten des Internet nicht mehr – dürften doch sämtliche Vereine und Kirchengemeinden über entsprechende Internetauftritte verfügen. Weiter überwiegt letztlich, dass die Presse als „die vierte Gewalt“ im Staat bezeichnet wird, wenn und weil sie ihrem Auftrag als „Wachhund der Demokratie“ gerecht werden muss. Daneben ist kein Platz mehr für eine Art „Selbsterklärung“ staatlichen Handelns, und sei es „nur“ auf Gemeindeebene durch redaktionelle Beiträge in pressemäßigem Gewand.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

[1] www.bundesgerichtshof.de; s. a. Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 2019, S. 285 ff.

[2] Vgl. insgesamt auch Schoch, Information der lokalen Öffentlichkeit durch kommunale Amtsblätter und Telemedienangebote, 2019, Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht Band 54.

 

 

Dr. Bettina Linder

Dr. Bettina Linder, Rechtsanwältin, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
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