10.08.2020

Annegret Falter: „Bisher sind Whistleblower in Deutschland kaum geschützt.“

Interview zur Situation von Whistleblowern in Deutschland

Annegret Falter: „Bisher sind Whistleblower in Deutschland kaum geschützt.“

Interview zur Situation von Whistleblowern in Deutschland

Der Whistleblower riskiert Ausgrenzung, Mobbing und Schikanen. | © G3D Studio - stock.adobe.com
Der Whistleblower riskiert Ausgrenzung, Mobbing und Schikanen. | © G3D Studio - stock.adobe.com

Der Verein „Whistleblowing-Netzwerk e.V.“ mit Sitz in Berlin widmet sich dem Schutz von Whistleblowern und bietet ihnen Beratung und Hilfe an. Wir haben mit der Vorsitzenden Annegret Falter gesprochen.

Edward Snowden und Julian Assange gelten gemeinhin als die Gesichter des Whistleblowing – aber sind sie wirklich gute Beispiele, um den Whistleblower zu charakterisieren?

Annegret Falter: Nein. Beide, Edward Snowden und Julian Assange, haben etwas getan, wozu den meisten Menschen aus gutem Grund der Mut fehlt: Sie haben sich mit der Regierung der USA angelegt. Und beide zahlen dafür einen ungeheuerlichen Preis. Snowden lebt in Russland im Exil und es sieht nicht so aus, als würde sich daran auf absehbare Zeit etwas ändern. Assange muss in London unter folterähnlichen Bedingungen in Isolationshaft die gerichtliche Entscheidung über den Auslieferungsantrag der USA abwarten. Er selbst ist übrigens kein Whistleblower, sondern hat eine Plattform für Whistleblower bereitgestellt, wie sie von vielen Medien betrieben wird. Die dort veröffentlichten Dokumente stammten von Chelsea Manning, die neuerdings von den USA in Beugehaft genommen wurde, weil sie nicht gegen Assange aussagen will. In westeuropäischen Ländern erhalten all diese Menschen gleichwohl kein Asyl. Im Sinne eines menschenrechtlich begründeten Whistleblower-Schutzes könnte man da ansetzen und ein weltweites Recht auf Asyl zum Beispiel bei Aufdeckung von Kriegsverbrechen in völkerrechtlichen Abkommen verankern So schlimm wie in diesen Fällen von Abschreckung und Einschüchterung ergeht es den meisten Whistleblowern zum Glück aber nicht. Allgemein sind Whistleblower Menschen, die als Insider einer Organisation Rechtsverstöße, Missstände oder Gefahren in ihrem Arbeitsumfeld aufdecken. Sie tun dies in der Regel zuerst „intern“ gegenüber ihrem Arbeitgeber, denn der hat ja am ehesten die Möglichkeit, die kritisierten Zustände zu beseitigen. Aber auch dieser vergleichsweise kleine Schritt erfordert große Zivilcourage und führt häufig ins berufliche Abseits. Der Whistleblower muss mit Repressalien bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes rechnen. Er oder sie riskiert jedenfalls Ausgrenzung, Mobbing und Schikanen, die krank machen. Denn bisher sind Whistleblower in Deutschland kaum geschützt.


Anders als in den USA ist der Begriff Whistleblower hierzulande eher negativ besetzt – wir sprechen zuweilen von Nestbeschmutzer oder gar Verräter. Warum ist das so?

Annegret Falter: Nun ja, was der einen ihr Held ist, ist dem andern sein Verräter. Wenn Missstände oder gar Verbrechen aufgedeckt werden, haben die Betroffenen das in der Regel nicht gern – weder die Regierungen noch die Arbeitgeber. Deutschland trägt da außerdem an einem schlimmen historischen Erbe. Die Informanten der Gestapo und der Stasi waren Denunzianten, jedenfalls nach unserem demokratischen und menschenrechtlich begründeten Wertesystem. Der seinerzeitige CDU-Fraktionsvorsitzende Kauder hat noch 2012 im Bundestag Whistleblower als „Blockwarte“ bezeichnet. Solche Ausfälle sind inzwischen allerdings einer differenzierteren Sichtweise gewichen. Und natürlich hoffe ich, dass dazu auch unsere Arbeit ein wenig beigetragen hat.

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EU Whistleblowing-Richtlinie

Sie sind Vorsitzende von Whistleblower-Netzwerk e.V. Wie sind Sie dazu gekommen und was ist Ihre Motivation, sich hier zu engagieren?

Annegret Falter: Einerseits wohl ein Widerwille gegen die ungerechte Behandlung von Menschen, die Kopf und Kragen riskieren, indem sie uns wichtige Hinweise geben. Genau das tun Arbeitnehmer nämlich in Behörden und Unternehmen, wenn sie dem Chef mitteilen, dass und wo es im eigenen Haus nicht rundläuft. Im Zweifelsfall bewahrt er oder sie ein Unternehmen vor Reputationsverlust, Schadensersatzansprüchen oder gar Strafen. Natürlich nur, wenn die Informationen ernst genommen werden, wenn ihnen nachgegangen und der Missstand beseitigt wird. Das ist doch hilfreich wie ein eingebauter Feuermelder! Ebenso wichtig können Insider-Informationen für die Gesellschaft als ganze sein. Sie müssen natürlich im öffentlichen Interesse liegen. Da darf es nicht um Kleinigkeiten gehen. Nehmen wir den naheliegenden Fall VW als Beispiel: Es gab ja interne Hinweise von Mitarbeitern auf die Abgas-Manipulationen. Hätte man rechtzeitig darauf reagiert, wäre genau das nicht aufgetreten: Milliarden-Einbußen, Strafprozesse, Glaubwürdigkeitsverlust. Und was wäre uns Bürgerinnen und Bürgern erspart geblieben, hätten wir rechtzeitig davon gewusst? Krankheit und womöglich Tod v.a. von Kindern, Alten oder Immungeschwächten, verursacht durch die Einatmung von Stickoxiden. Hat die Gesellschaft tatsächlich kein Recht auf öffentliches Whistleblowing? Das ist leider immer noch vorherrschende Meinung in der deutschen Rechtsprechung. Sie merken, neben dem „Bauchgefühl“ war auch intellektuelle Einsicht ursächlich dafür, dass ich das Thema Whistleblowing beruflich und ehrenamtlich aufgegriffen habe.

Im Wesentlichen bietet Whistleblower-Netzwerk Hilfestellung für Whistleblower. Können sich beispielsweise auch Behörden, wissenschaftliche Einrichtungen und Unternehmen an Sie wenden? Wenn ja, mit welcher Erwartung?

Annegret Falter: Sie können von uns mindestens zweierlei erwarten: Dass wir ihnen mit unserem Erfahrungswissen in einem konkreten Fall oder ganz allgemein Hinweise für einen angemessenen und beiden Seiten zuträglichen Umgang mit Whistleblowern geben. Darüber hinaus können wir sie beraten, welches Hinweisgebersystem am besten zur eigenen Behörde, NGO oder auch zum Unternehmen passt. Ein sogenanntes Hinweisgebersystem reicht ja vom Beschwerdebriefkasten im Flur bis zu einem hochkomplizierten digitalen System mit Rückkanal, das Fragen an anonyme Whistleblower zulässt.

Wie kommt in der Regel der Erstkontakt zwischen dem Hilfesuchenden und Ihrem Netzwerk zustande und prüfen Sie die Aussagen zunächst auf ihre Glaubwürdigkeit?

Annegret Falter: Auf Glaubwürdigkeit prüfen? Das täten wir gern, wenn wir denn nur annähernd die Mittel und das Personal dafür hätten. Solange wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen wie die unsere chronisch unterfinanziert sind, können wir nur wenig von dem leisten, was eigentlich nottäte und im ureigensten Interesse auch der Unternehmen läge. Nein, wir können nur absurde Unterstellungen und Kleinkram aussortieren und auf plausible Vorwürfe mit Gesprächsangeboten reagieren. Dafür haben wir eine Beratungsgruppe, zu der u.a. ein pensionierter Staatsanwalt gehört. Wenn potentielle Whistleblower zur Veröffentlichung entschlossen sind, dann haben wir hinreichend Kontakte zu Journalisten und seriösen Medien, die zur investigativen Recherche in der Lage sind und von denen wir wissen, dass sie ihr Recht zum Informanten- und Quellenschutz ernst nehmen. Mit dem Erstkontakt ist es allerdings so eine Sache. Die neueren Sicherheitsgesetze, von der Vorratsdatenspeicherung bis hin zum Datenhehlerei-Paragraphen, machen Kontakte leichter rückverfolgbar. Von journalistischer Seite wird gerade zu Recht vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das BND-Gesetz geklagt. Darum bemühen wir uns derzeit um einen elektronischen Briefkasten, der die sichere Kontaktaufnahme garantiert. Natürlich kann man uns immer schon verschlüsselte Nachrichten schicken, aber davon wird relativ selten Gebrauch gemacht. Häufig rufen Ratsuchende an oder schreiben einfach eine Mail. Wenn jemand aber begründete Angst vor Entdeckung hat, sollte er oder sie uns momentan noch einen Brief mit der Post schicken.

Sie waren seit 1999 Mitglied in einer Jury, die alle zwei Jahre einen Whistleblower-Preis vergeben hat. Welche Intention wurde damit verfolgt?

Annegret Falter: Die Initiative dazu ging von dem Juristen und späteren Bundesverwaltungsrichter Dr. Dieter Deiseroth aus. Er war einer der ersten Juristen, der die arbeits- und dienstrechtliche Schutzlücke auf diesem Gebiet in ihrer Tragweite erkannt hatte. Er war sich auch der Vorurteile und der Widerstände von Seiten der Arbeitgeber gegen einen gesetzlichen Whistleblower-Schutz in Deutschland bewusst. Darum war ihm klar, dass man zuvörderst einen Einstellungswandel in der breiteren Öffentlichkeit herbeiführen musste, wollte man politisch besseren Schutz für Whistleblower erreichen. Dazu diente die Preisverleihung, verbunden mit einer Dokumentation der Fälle in einer Buchreihe. Denn wir konnten anhand konkreter Fälle die herausragende Bedeutung des Whistleblowing für die Gesellschaft aufzeigen. Die von uns ausgezeichneten Persönlichkeiten haben sich ausnahmslos um das Gemeinwohl verdient gemacht. Und die Skandale, die sie aufdeckten, führten jedermann vor Augen, dass sie nur durch Insider-Wissen ans Licht kommen konnten. Diese Whistleblower waren aus uneigennützigen Motiven ein großes berufliches und persönliches Risiko eingegangen und hatten schwere Nachteile in Kauf genommen. Das hat die Menschen beeindruckt und den Unterschied zwischen Whistleblowern und Denunzianten deutlich gemacht.

Hinweis der Redaktion: Das Interview wird in einem Teil II fortgesetzt.

 

Zur Person:

Die Politologin Annegret Falter ist Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins „Whistleblower-Netzwerk e.V.“. Die Vereinigung mit Sitz in Berlin engagiert sich für den Schutz von Whistleblowern (und solchen, die es werden könnten) und bietet ihnen Beratung und Hilfe. Daneben werden z.B. Initiativen gefördert, um das Klima für den offenen Dialog und die Rahmenbedingungen für Whistleblower in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu verbessern und gesetzliche Regelungen für einen effektiven Whistleblowerschutz zu erreichen.

Annegret Falter ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Veröffentlichungen zu Whistleblower-Fällen sowie zu Fragen der gesellschaftlichen Bedeutung des Whistleblowing. Für sie steht Whistleblowing im Dienst des öffentlichen Interesses, der Meinungsfreiheit, des demokratischen Diskurses und der politischen Partizipation.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.
Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

Stefanie Assmann

Rechtsanwältin, Lektorin im Richard Boorberg Verlag, Stuttgart
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