21.08.2020

Anwaltsschriftsätze und Urheberrecht

Auch anwaltliche Schriftsätze können Urheberrechtschutz genießen

Anwaltsschriftsätze und Urheberrecht

Auch anwaltliche Schriftsätze können Urheberrechtschutz genießen

Nach einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1986 genießen anwaltliche
Schriftsätze Urheberrechtsschutz. | © Marco2811 - stock.adobe.com
Nach einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1986 genießen anwaltliche Schriftsätze Urheberrechtsschutz. | © Marco2811 - stock.adobe.com

Jeder Anwalt kennt das: In einfach gelagerten Fällen greift man zum Mikrofon, und die Klage, die Replik, die notwendige Ergänzung wird einfach diktiert. Oder es wird gleich ein Textverarbeitungssystem bemüht und an Hand von Vorlagen, Mustern, Bausteinen ein Schriftsatz gestrickt, der dann nur noch ausgedruckt werden muss.

Anders, wenn der Sachverhalt schwierig ist und/oder die Rechtslage kompliziert: Da bedarf es des Nachdenkens, der sorgfältigen Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des Falles, des geschickten, prozessual abgesicherten Vortrags. Das geht nicht auf die Schnelle. Wie in alten Zeiten ist vielmehr die mühevolle, manchmal quälende Ausarbeitung eines gut strukturierten, überzeugend formulierten Entwurfs, vor allem aber eine gründliche Recherche und die sorgfältige Auseinandersetzung mit Literatur und Präjudizien gefragt – im Einzelfall eine hohe Kunst, sowohl in der Darstellung des Sachverhalts wie in der Argumentation zu den Rechtsfragen. Und schon kommt das Urheberrecht ins Spiel.

In einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1986 hat der BGH[1] in der Tat einem anwaltlichen Schriftsatz die urheberrechtliche Schutzfähigkeit zugesprochen und damit eine Diskussion ausgelöst; denn wie steht es mit dem Recht der Verbreitung, der Vervielfältigung, der Bearbeitung? Ist der Gegner oder ein Dritter, der Akteneinsicht hat, gehindert, die Gedanken, die ihm offenbar werden, in einem anderen Verfahren zu verwenden, die maßgeblichen Passagen zu nutzen oder sie gar zu veröffentlichen? Wird damit das Persönlichkeitsrecht des Verfassers verletzt? Welche Möglichkeiten gibt es sonst, das zu verhindern?


Fragen, die alle darauf hinauslaufen: Was macht einen guten Schriftsatz aus, bedarf er des urheberrechtlichen Schutzes und welche Rechtsgebiete sind darüber hinaus berührt? Und wie steht es mit anderen Erzeugnissen aus der Werkstatt des Anwalts, z. B. geschickt formulierten Verträgen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Urheberrechtlicher Schutz

Ein anwaltlicher Schriftsatz ist ein Sprachwerk und als solches dem urheberrechtlichen Schutz zugänglich (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG). Voraussetzung ist nur – wie auch bei anderen Werken – eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG).

Bei Schriftsätzen liegt das (urheberrechtliche) Problem darin, dass sie eher dem (rechts)wissenschaftlichen Bereich zuzuordnen sind als dem literarischen. In Folge davon findet der schöpferische und damit schutzfähige Gehalt „seinen Niederschlag und Ausdruck in erster Linie in der Form und der Art der Sammlung, der Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes und nicht ohne weiteres auch – wie meist bei literarischen Werken – in der Gedankenformung und -führung des dargebotenen Inhalts“[2]. Urheberrechtlicher Schutz kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn „ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanischtechnischen Aneinanderreihung des Materials“ zu bejahen ist[3]. Das kann auch und gerade bei einem Schriftsatz der Fall sein. In dem konkreten, vom BGH entschiedenen Fall umfasste der Schriftsatz 122 Seiten und es waren ca. 8.000 bis 10.000 Blatt Ermittlungsakten durchzuarbeiten; zudem hatte der Anwalt eigene Ermittlungen angestellt und weitere Schriftstücke ausgewertet. Das ist, wie nicht zu leugnen, ein hoher Arbeitsaufwand. Der macht zwar – wie auch sonst – ein Werk noch nicht zur Kunst; der BGH stellt aber zusätzlich auf die „tiefe Durchdringung des Tatsachenund Rechtsstoffes sowie eine souveräne Beherrschung der Sprach- und Stilmittel“ ab.

Das hört man als Anwalt gern, nur wird damit das Dilemma deutlich: Je sachgerechter, prägnanter ein Schriftsatz ist, desto mehr dient er dem Recht und dessen Verwirklichung, kann also schwer monopolisiert werden, sondern unterliegt dem Freihaltebedürfnis derer, die daran anknüpfen, sich damit auseinandersetzen, ihn im Interesse der Rechtsfindung nutzen. Gisela Wild bringt es in der Anmerkung zu der genannten Entscheidung des BGH auf den Punkt und sagt überspitzt: „Nur ein schlechter Anwaltsschriftsatz kann vielleicht Urheberrechtsschutz genießen, wenn er originell, phantastisch, dichterisch ist, ein guter Anwaltsschriftsatz niemals“ [4].

So weit geht die Rechtsprechung in den wenigen Entscheidungen zu dem Problem nicht, sondern ist durchaus bereit, im Grundsatz urheberrechtlichen Schutz zu gewähren, tut es dann aber in concreto meist nicht[5]. Auch der BGH hat bei der zitierten Grundsatzentscheidung „nur“ zurückverwiesen.

Was für Schriftsätze gilt, gilt auch für Allgemeine Geschäftsbedingungen und Verträge oder Vertragsentwürfe[6]; denn auch hier besteht ein hohes Freihaltebedürfnis, und es können nicht die rechtlichen Regelungen als solche und die von Rechts wegen notwendigen Gestaltungselemente geschützt werden.

Auch ist zu beachten, dass die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig ist (§ 50 UrhG). Das gilt auch für Schreiben eines Anwalts.[7]

Sonstiger Schutz

Im Wettbewerbsrecht ist es eine alte Streitfrage, ob neben den Sonderregelungen in § 4 Nr. 3 und Nr. 4 UWG zur Nachahmung von Dienstleistungen (und Waren) sowie zur gezielten Behinderung von Mitbewerbern noch ein unmittelbarer Leistungsschutz nach der allgemeinen Regel in § 3 Abs. 1 UWG zur Unlauterkeit in Betracht kommt[8]. Steht – wie hier – Schutz nach Urheberrecht im Raum und scheidet dieser in concreto aus, dann kann grundsätzlich nicht auf einen unmittelbaren Leistungsschutz ausgewichen und unter diesem Gesichtspunkt ein über das Urheberrecht hinausgehender Schutz beansprucht werden. Das ist nicht Sinn des Wettbewerbsrechts. Nach Köhler/ Bornkamm/Feddersen[9] ist ohnehin ein Bedürfnis für einen unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 UWG nicht erkennbar. Damit hilft das Wettbewerbsrecht nicht weiter, und es ist auch keine Entscheidung ersichtlich, die einem anwaltlichen Schriftsatz Schutz nach Wettbewerbsrecht zugesprochen hätte.

Zu denken ist noch an das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist und verfassungsrechtlich seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 und Art 2 Abs. 1 GG hat. Hier bedarf es aber der Abwägung im Einzelfall, da auf Seiten des Verletzers meist ebenfalls Grundrechte betroffen sind, vor allem die Meinungs- und Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG[10]. Deshalb hilft die Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht meist nicht.

Geradezu lapidar sagt das OLG München: „Aus dem sowohl für die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) als auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geltende Gebot der Einzelfallabwägung ergibt sich, dass ein generelles Verbot, aus Schriftsätzen von Rechtsanwälten zu zitieren, nicht in Betracht kommt“[11]. In dieselbe Richtung geht ein Urteil des OLG Hamburg aus dem Jahr 1999 in einem spektakulären Fall zu dem DDR-Regimekritiker Robert Havemann. In einem Buch über ihn war die Berufungsschrift abgedruckt worden, die der damalige Verteidiger, Gregor Gysi, in dem Strafverfahren vor dem Kreisgericht Fürstenwalde nach der Verurteilung von Havemann gefertigt hatte. Hier stehe einem etwaigen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch das grundgesetzlich geschützte Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit entgegen[12]. Im Übrigen ist auch ist hier wieder an § 50 UrhG zu denken (s. o.).

Fazit

Schutzfähig ist nicht die zündende Idee, das gute Argument, der Fleiß bei der Recherche, die Aufarbeitung des Sachverhalts, sondern nur die Verkörperung in der konkreten Form, in dem sprachlichen Niederschlag. Hier sind Schriftsätzen Grenzen gesetzt; denn die Darstellung des Stoffs und die Argumentation zu den Rechtsfragen sind in ihrer Art vorgegeben, ergeben sich aus der Natur der Sache, den Anforderungen nach Prozessrecht.

Es ist deshalb grundsätzlich zulässig, auf fremde Schriftsätze zuzugreifen, sie zu nutzen. Und das ist auch gut so; denn das Recht lebt davon, dass es sich weiterentwickelt[13]. Der wissenschaftliche Diskurs wie auch der Kampf ums Recht verwirklichen sich in dem Austausch des Vortrags und dem Wettstreit der Argumente. Das Freihaltebedürfnis ist groß, und die Gedanken sind frei, nicht nur im Volkslied, sondern auch und gerade im Urheberrecht.

Anders kann es sein, wenn blind abgeschrieben, die fremde Leistung einfach übernommen, gar als eigene ausgegeben wird. Das ist aber eher ein Problem des Wettbewerbsrechts und in der Praxis kaum fassbar.

Auch kann im Einzelfall die Allgemeinheit ein überragendes und nach Art. 5 Abs. 1 GG geschütztes Interesse an der Veröffentlichung eines anwaltlichen Schriftsatzes haben. Nach § 50 UrhG sind die Verbreitung, Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe von Werken zur Berichterstattung über Tagesereignisse in einem durch den Zweck gebotenen Umfang ohnehin zulässig.

Wer sich auf einen Prozess einlässt, muss immer damit rechnen, dass Dinge in die Öffentlichkeit gelangen, von denen er das nicht möchte. Das ist, jedenfalls mit Hilfe des Urheberrechts oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht zu verhindern. Die Öffentlichkeit ist die Errungenschaft wie auch der Nachteil, mit denen die Überwindung von Kabinettsjustiz und Geheimprozessen erkauft ist.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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[1] GRUR 1986, 739 ff.

[2] So BGH (Fn. 1), S. 740.

[3] So BGH (Fn. 1), S. 741.

[4] GRUR 1986, 742.

[5] S. OLG Hamburg, GRUR 2000, 146, 147; OLG München, GRUR 2008, 337; LG Hamburg vom 8. 12. 2106, Az.: 316 O 124/16.

[6] S. die Übersicht bei Schricker/Löwenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 2 Rdn. 109 und 137, jeweils m. w. N.

[7] So LG Hamburg vom 8. 12. 2016, Az.: 310 O 124/16.

[8] S. jüngst Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 3 Rdn. 2.28 m. w. N.

[9] (Fn. 8), § 4 Rdn. 3.5c m. w. N.

[10] S. Hager in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, 6. Auflage 2018, Abschnitt S Rdn. 301 m. w. N.

[11] GRUR 2008, 337.

[12] OLG Hamburg, GRUR 2000, 146, 147.

[13] So die Präsidentin des BGH Bettina Limperg in der kleinen Festschrift zur 75. Auflage des Palandt, 2016, S. 13.

 

Dr. Wieland Horn

Rechtsanwalt, München
n/a