12.08.2020

Niemand kann sein eigener Schuldner sein

Zur Heranziehung des Erbbauberechtigten eines Gemeindegrundstücks

Niemand kann sein eigener Schuldner sein

Zur Heranziehung des Erbbauberechtigten eines Gemeindegrundstücks

Wer wird hier zu einem Erschließungsbeitrag veranlagt werden? | © bannafarsai - stock.adobe.com
Wer wird hier zu einem Erschließungsbeitrag veranlagt werden? | © bannafarsai - stock.adobe.com

Schon die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage ist geeignet, eine abstrakte Beitragspflicht entstehen zu lassen. Dieser Beitragspflicht unterliegen indes nur Grundstücke, die Gegenstand einer solchen Beitragspflicht sein können. Das trifft für gemeindeeigene Grundstücke erst zu, sobald sie mit einem Erbbaurecht belastet worden sind.

I. Ausgangsfall

Eine Gemeinde stellt die durch ein beplantes Wohngebiet verlaufende A-Straße der Merkmalsregelung ihrer wirksamen Erschließungsbeitragssatzung und dem einschlägigen Bauprogramm entsprechend erstmals endgültig her; die letzte Unternehmerrechnung geht am 20.3.2014 bei ihr ein. Sie zieht die Eigentümer der an die A-Straße angrenzenden Grundstücke mit Ausnahme des in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks X im Jahr 2017 zu Erschließungsbeiträgen heran. Nachdem auf diesem Grundstück im Jahr 2019 zugunsten des Herrn E ein Erbbaurecht bestellt worden ist, veranlagt die Gemeinde mit Bescheid vom 15.2.2020 Herrn E ebenfalls zu einem Erschließungsbeitrag.

Herr E wendet sich gegen den Heranziehungsbescheid und macht geltend, im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Bescheides sei die Beitragsforderung der Gemeinde bereits festsetzungsverjährt gewesen: Alle an die A-Straße angrenzenden Grundstücke und damit auch das Grundstück X seien durch die A-Straße erschlossen i.S. des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB; da sie kraft ihrer Lage im beplanten Wohngebiet bebaubar seien, seien sie gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB Gegenstand der Beitragspflicht. Mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung am 20.3.2014 sei diese Beitragspflicht gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entstanden, so dass nach Ablauf der Festsetzungsfrist von 4 Jahren die Beitragsforderung der Gemeinde am 15.2.2020 bereits festsetzungsverjährt gewesen sei.


II. Festsetzungsverjährung

Die Festsetzungsverjährung im Erschließungsbeitragsrecht richtet sich nach (der einschlägigen Vorschrift des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes in Verbindung mit) den §§ 169 ff. AO. Gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf eine Beitragsfestsetzung nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr zulässig ist, 4 Jahre. Sie beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitragsanspruch entstanden ist. Damit hängt der Beginn des Laufs der Festsetzungsfrist im Erschließungsbeitragsrecht ab vom Entstehen der (mangels Bestimmung eines konkreten Beitragsschuldners durch Bekanntgabe eines Beitragsbescheids zunächst nur) abstrakten Beitragspflicht gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift entstehen die abstrakten Beitragspflichten für die durch eine erstmalig endgültig hergestellte Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke – alle sonstigen dafür erforderlichen Voraussetzungen hier vernachlässigt – mit der endgültigen Herstellung dieser Anlage einschließlich des Eingangs der letzten Unternehmerrechnung.[1] Sie entstehen also in einem früheren Zeitpunkt als dem, in dem nach der Berechnung der auf die einzelnen beitragspflichtigen Grundstücke entfallenden Beitragsbeträge die Beitragsbescheide bekannt gemacht werden können, d.h. bevor die persönlichen Schuldner gemäß § 134 Abs. 1 BauGB bestimmt worden sind. Schon die endgültige Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage ist daher grundsätzlich geeignet, kraft Gesetzes ein abstraktes Beitragsschuldverhältnis und damit eine abstrakte Beitragspflicht in Bezug auf jedes i.S. des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossene Grundstück entstehen zu lassen.[2]

Da im Ausgangsfall die abstrakten Erschließungsbeitragspflichten mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung am 20.3.2014 entstanden sind, hat der Lauf der vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2014 begonnen, so dass diese Frist Ende 2018 abgelaufen und danach eine Beitragsfestsetzung nicht mehr zulässig war, also bereits vor Beginn des Jahres 2019 die Festsetzungsverjährung eingetreten war. Das führt auf die Frage, ob das auch für das i.S. des § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB bebaubare, im Eigentum der Gemeinde stehende, seit 2019 mit einem Erbbaurecht zugunsten des Herrn E belastete Grundstück X gilt. Für die Beantwortung dieser Frage ist – wie sogleich darzulegen ist – auszugehen vom Verhältnis zwischen § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB und § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB.

III. Verhältnis zwischen § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB und § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB

Entgegen dem Eindruck, den die vom Gesetzgeber gewählte Reihenfolge der Regelungen des § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB einerseits und § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB andererseits vermittelt, knüpft der Sache nach nicht § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB an § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB, sondern umgekehrt § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB an § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB an.[3] Das ergibt sich aus folgender Überlegung:

§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB verhält sich zum Entstehen der abstrakten Erschließungsbeitragspflicht, sie entsteht nach dieser Vorschrift mit der endgültigen Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage. An diese abstrakte Beitragspflicht knüpft § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB seinem Wortlaut nach an, indem er bestimmt, welche Grundstücke Gegenstand einer solchen Beitragspflicht sind. Dadurch stellt er klar, dass sich die Wirkung der Regelung des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht auf Grundstücke bezieht, die im Zeitpunkt der endgültigen Herstellung der beitragsfähigen Erschließungsanlage aus dem einen oder anderen Grunde (noch) nicht Gegenstand einer solchen abstrakten Beitragspflicht sein können. Mit Blick auf Grundstücke, die zwar nicht schlechthin ungeeignet sind, Gegenstand einer abstrakten Beitragspflicht zu sein, diese Eignung jedoch im Zeitpunkt der endgültigen Herstellung (noch) nicht erreicht haben, wirkt folglich die Regelung des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB (noch) nicht; für diese Grundstücke können deshalb solche Beitragspflichten (noch) nicht entstehen Das trifft beispielsweise zu auf Grundstücke, die im Zeitpunkt der endgültigen Herstellung infolge einer Veränderungssperre i.S. des § 14 BauGB (noch) nicht bebaubar sind[4]. Ebenfalls nicht Gegenstand einer abstrakten Beitragspflicht können Grundstücke sein, die in diesem Zeitpunkt „im Eigentum der zur Beitragserhebung berechtigten Gemeinde stehen. Denn da `niemand sein eigener Schuldner sein kann`[5], kann in Bezug auf ein gemeindeeigenes Grundstück ein Rechtsverhältnis mit dem Inhalt einer abstrakten Beitragspflicht von vornherein nicht entstehen…. Das Entstehen einer Beitragspflicht wird erst ermöglicht, wenn die Gemeinde das Eigentum an dem Grundstück auf einen anderen überträgt“.[6]

Damit wird deutlich, dass ein im Eigentum der Gemeinde stehendes Grundstück nicht schlechthin  und auf Dauer ungeeignet ist, Gegenstand einer abstrakten Beitragspflicht (§ 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB) zu sein, und es deshalb schon aus dem Kreis der i.S. des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Grundstücke ausscheidet[7], sondern dass eine solche mangelnde Eignung nur so lange anzunehmen ist, wie in Bezug auf dieses Grundstück ein Rechtsverhältnis mit dem Inhalt einer abstrakten Beitragspflicht nicht entstehen kann. Die darin liegende „Sperre“, Gegenstand einer solchen Beitragspflicht zu sein, entfällt insbesondere, wenn – wie gesagt – die Gemeinde das Eigentum am Grundstück einem anderen überträgt und dadurch den Weg zum Entstehen eines abstrakten (später durch die Bekanntgabe eines Heranziehungsbescheids konkretisierten) Beitragsschuldverhältnisses zwischen Gemeinde und diesem anderen eröffnet ist. Sie entfällt darüber hinaus, wenn einem anderen ein Erbbaurecht an einem weiterhin der Gemeinde gehörenden Grundstück bestellt wird. Denn auch dadurch wird – wie § 134 Abs. 1 Satz 2 BauGB belegt – das Entstehen eines abstrakten, durch die Heranziehung des Erbbauberechtigten konkretisierbaren Beitragsschuldverhältnisses ermöglicht. Maßgebend ist insoweit – mit anderen Worten – nicht der Übergang des Eigentums auf einen anderen, sondern das Bestehen einer Möglichkeit, dass als Folge der endgültigen Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage kraft Gesetzes zwischen der Gemeinde und einem nicht mit ihr identischen Schuldner ein Rechtsverhältnis mit dem Inhalt einer abstrakten Beitragspflicht entstehen kann. Das ist der Fall sowohl, sobald die Gemeinde ihr Eigentum an einem i.S. des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Grundstück einem anderen übertragen hat, als auch, sobald einem anderen ein Erbbaurecht an einem solchen weiterhin ihr gehörenden Grundstück bestellt worden ist.[8]

IV. Ergebnis

Im Ausgangsfall konnte in Bezug auf das Grundstück X erst im Zeitpunkt der Bestellung des Erbbaurechts im Jahr 2019 ein Rechtsverhältnis mit dem Inhalt einer abstrakten Erschließungsbeitragspflicht entstehen, erst in diesem Zeitpunkt konnte dieses Grundstück Gegenstand einer solchen Beitragspflicht werden und damit der Lauf der vierjährigen Festsetzungsfrist beginnen. Folglich war im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Heranziehungsbescheids vom 15.2.2020 diese Frist noch nicht abgelaufen. Die Gemeinde war deshalb nicht aus einem mit ihrem Eigentum an dem Grundstück X zusammenhängenden Grunde gehindert, Herrn E als Erbbauberechtigten gemäß § 134 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu einem Erschließungsbeitrag heranzuziehen.

[1] BVerwG, u.a. Urteil v. 22.8.1985 – IV C 11.73 – BVerwGE 49,131 = ZMR 1986,349.

[2] BVerwG, Urteil v. 20.9.1974 – IV C 32.72 – BVerwGE 47,49 = KStZ 1975,10.

[3] BVerwG, Urteil v. 21.10.1983 – 8 C 29.82 – DVBl 1984,188 = KStZ 1984,34.

[4] Vgl. BVerwG, Urteil v. 19.9.1969 – IV C 68.68 – DVBl 1970,82 = ZMR 1970,148.

[5] BGH, Urteil v. 1.6.1967 – II ZR 150/66 – BGHZ 48,214 (218).

[6] BVerwG, Urteil v. 21.10.1983 – 8 C 29.82 – a.a.O.

[7] Vgl. Dazu BVerwG, u.a. Urteil v. 11.5.1973 – IV C 7.72 – BauR 1973,243 = KStZ 1973,196.

[8] BVerwG, Urteil v. 5.7.1985 – 8 C 127.83 – ZMR 1985,352 = KStZ 1986,34.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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