26.08.2020

Viele Fragen offen

Die Rückgabe von NS-Raubkunst in der anwaltlichen Praxis

Viele Fragen offen

Die Rückgabe von NS-Raubkunst in der anwaltlichen Praxis

Bibliotheken, Museen und Archive sind aufgefordert, NS-Raubkunst zu identifizieren und den Vorkriegseigentümern oder Erben zurückzugeben. | © Ruslan - stock.adobe.com
Bibliotheken, Museen und Archive sind aufgefordert, NS-Raubkunst zu identifizieren und den Vorkriegseigentümern oder Erben zurückzugeben. | © Ruslan - stock.adobe.com

Mit dem sog. „Schwabinger Kunstfund“ im Jahr 2012 ist das Thema der NS-Raubkunst erneut und verstärkt in den Blickwinkel einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Denn viele dieser aus dem Nachlass von Hildebrand Gurlitt stammenden Kunstwerke sind wegen dessen Verstrickungen in den NS-Kunsthandel in den Verdacht geraten, NS-Raubkunst zu sein. Doch was ist eigentlich unter diesem Begriff zu verstehen und welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit solche Kunstwerke an ihre früheren Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben werden?

Die alliierten Rückerstattungsgesetze

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches erließen die westlichen Alliierten in ihren Besatzungszonen Gesetze, deren Zweck es war, die Rückerstattung „feststellbarer“ Vermögensgegenstände an Personen, denen sie in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 „aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Weltanschauung oder politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus entzogen worden sind“, in größtmöglichem Umfang beschleunigt zu bewirken.[1] Dabei bedeutete „feststellbar“ auch identifizierbar in dem Sinne, dass der damalige Besitzer des entzogenen Kunstwerks bekannt sein musste. Denn nur gegen ihn richtete sich der normierte Rückgabeanspruch. Genau darin liegt der Grund dafür, weshalb das Ziel der Gesetze, jedenfalls was die Rückgabe von Kunstwerken angeht, nicht erreicht wurde. Es ist potentiellen Anspruchstellern nur sehr selten gelungen, innerhalb der kurzen, in den Gesetzen normierten Anmeldefristen zu ermitteln, in wessen Besitz sich ihr Kunstwerk nunmehr befindet.[2]

Die Washingtoner Prinzipien


Dies wiederum war einer der Gründe, weshalb sich die 44 Teilnehmerstaaten der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust neben anderen Komplexen, wie etwa dem Gold und offenen Versicherungsansprüchen von NS-Verfolgten, auch mit der Frage der NS-Raubkunst befasst und dazu elf, wie es explizit heißt, „nicht bindende“ Leitsätze verabschiedet haben.

Deren zentrales Anliegen ist es, dass „Kunstwerke, die beschlagnahmt“ und in der Folge nicht zurückerstattet wurden, identifiziert und veröffentlicht werden, um so die Vorkriegseigentümer oder ihre Erben ausfindig zu machen. Ist dies gelungen, sollen „rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine gerechte und faire Lösung zu finden“.[3] Dass diese moralischen Verpflichtungen jedoch nicht nur dann bestehen, wenn ein Kunstwerk „von den Nationalsozialisten beschlagnahmt“ worden ist, sondern auch dann, wenn es seinem früheren jüdischen Eigentümer während der NS-Zeit durch „Diebstahl, Nötigung und Entzug sowie durch Preisgabe, Zwangsverkauf und Verkauf in einer Zwangslage“ verloren gegangen ist, wird durch die im Rahmen der 2009 in Prag und Theresienstadt ausgerichteten Konferenz verabschiedete Erklärung klargestellt.[4]

Die Gemeinsame Erklärung

In Deutschland wurde zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien die sog. „Gemeinsame Erklärung“ vom 14. Dezember 1999 abgegeben, bei der es sich ebenfalls „nur“ um eine politische Willenserklärung im Sinne einer moralischen Selbstverpflichtung handelt, der keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt.[5] Darin werden die „öffentlichen Einrichtungen“ wie etwa Museen, Archive und Bibliotheken aufgefordert, ihre Bestände zu durchsuchen und „Kulturgüter, die als NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert“ werden können, nach individueller Prüfung den früheren Eigentümern bzw. deren Erben zurückzugeben.

Um die Museen bei ihren Recherchen und der Prüfung des verfolgungsbedingten Entzugs zu unterstützen, wurde eine sog. „Handreichung“ erarbeitet.[6] Bei dieser Prüfung kommt den eingangs angesprochenen alliierten Rückerstattungsgesetzen ganz maßgebliche Bedeutung zu. Insofern erläutert die Handreichung, dass schon die deutsche Rückerstattungsgesetzgebung darauf verzichtet hat, „den die Restitution begründenden Entziehungstatbestand selbst zu definieren“ und stattdessen „auf die Definitionen und Vermutungsregelungen (Beweislastverteilung) in den Rückerstattungsvorschriften der westlichen Alliierten“ verweist.[7] Diese greift sie dann selbst auf, wenn sie in ihrer „Orientierungshilfe“ drei Fragen formuliert, die die „leitenden Überlegungen“ zur Prüfung des verfolgungsbedingten Entzugs darstellen sollen.[8] Die erste Frage gilt der Feststellung, ob der frühere Eigentümer des Kunstwerks, dessen Rückgabe begehrt wird, in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jüdische Verfolgte, um die es in der Praxis zumeist geht, der Notwendigkeit enthoben sind, die unmittelbare Verfolgung ihrer Person nachzuweisen. Denn für sie spricht „bereits seit dem 30. 01. 1933 die Vermutung der Kollektivverfolgung“.[9]

Die zweite Frage dient der Ermittlung der konkreten Umstände des Verlusts des Kunstwerks, wobei auch geklärt werden soll, wie „die Beweislastverteilung hinsichtlich der Verfolgungsbedingtheit des Verlustes“ ist. Was dies angeht, muss danach unterschieden werden, ob der Verlust durch ein Rechtsgeschäft des jüdischen Eigentümers oder durch einen Staatsakt eingetreten ist. In letzterem Fall, wenn etwa der Kunstbesitz eines jüdischen Sammlers nach dessen Auswanderung eingezogen worden oder dem Reich verfallen ist, liegt allemal eine Entziehung vor.[10]

Ein Rechtsgeschäft gilt hingegen nur dann als Entziehung, wenn es seine Ursache in der Verfolgung des Veräußerers hatte, was herkömmlicherweise von diesem bewiesen werden müsste. Davon abgesehen, dass ein solcher innerer Beweggrund für den Abschluss des Rechtsgeschäfts ohnehin schon kaum zu beweisen ist, kommt in dieser Art von Fällen noch erschwerend hinzu, dass Personen oder Dokumente, die darüber Auskunft geben könnten, nicht mehr am Leben, existent oder nicht zu ermitteln sind. Diesem Beweisnotstand trägt Art. 3 Abs. 1 (b) USREG Rechnung, indem er insbesondere zugunsten jüdischer Veräußerer eine Vermutung dafür aufstellt, dass ein von ihnen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945 abgeschlossenes Rechtsgeschäft eine Entziehung iSd Art. 2 USREG darstellt.

Für den Fall, dass das restituiert begehrte Kunstwerk seinem jüdischen Eigentümer durch ein Rechtsgeschäft verloren gegangen ist und somit die soeben erläuterte Entziehungsvermutung Anwendung findet, stellt die Orientierungshilfe als drittes die Frage, ob diese Vermutung widerlegt werden kann. Dabei greift sie wiederum auf die Regelungen der alliierten Rückerstattungsgesetze zurück und unterscheidet dementsprechend zwischen Rechtsgeschäften, die vor, und solchen, die ab dem 15. September 1935, als die ersten Nürnberger Gesetze in Kraft traten, abgeschlossen wurden.

Während im ersten Fall für die Widerlegung der Vermutung der Nachweis genügt, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und frei darüber verfügen konnte, muss im zweiten Fall darüber hinaus nachgewiesen werden, dass das Rechtsgeschäft als solches und mit seinem wesentlichen Inhalt auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre oder dass der damalige Erwerber die Vermögensinteressen des Veräußerers in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg wahrgenommen hat, etwa durch eine Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland.

Der dingliche Herausgabeanspruch des § 985 BGB[11]

Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, weshalb sich die Frage stellt, ob sich die Rückgabe eines NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerks nicht auch durch die Geltendmachung und Durchsetzung des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB erreichen lässt, der nicht etwa durch die besonderen Regelungen der alliierten Rückerstattungsgesetze verdrängt wird.[12]

Beide Gründe haben direkt mit der Gemeinsame Erklärung zu tun, und zwar mit ihrer fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit und mit ihrem beschränkten Wirkungsbereich – sie gilt nämlich von vornherein nur für öffentliche Einrichtungen, nicht aber für private Museen und Sammler. Zwar werden diese in der Gemeinsamen Erklärung aufgefordert, sich den darin niedergelegten Grundsätzen und Verfahrensweisen gleichfalls anzuschließen. Jedoch zeigt die Praxis, dass dies in den allerwenigsten Fällen tatsächlich geschieht.

Allerdings wird der dingliche Herausgabeanspruch nach § 985 BGB heutzutage zumeist nicht mehr erfolgreich geltend gemacht und durchgesetzt werden können – zumindest nicht nach der derzeitigen Rechtslage. Dies hat ebenfalls vor allem zwei Gründe, und die heißen: Ersitzung und Verjährung.

Zwar sind entzogene Kunstwerke als abhanden gekommen iSd § 935 Abs. 1 BGB anzusehen, so dass das Eigentum daran weder im Wege eines normalen Kaufs noch in einer öffentlichen Versteigerung gutgläubig erworben werden konnte. Ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 937 Abs. 1 BGB kommt hingegen sehr wohl in Betracht. Doch selbst wenn auch ein solcher ausscheidet und der jüdische Sammler bzw. seine Erben noch Eigentümer des entzogenen Kunstwerks sind, wird sich der Herausgabenspruch in aller Regel nicht mehr durchsetzen lassen, weil der Besitzer die Einrede der Verjährung erheben kann und wird (§§ 214, 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dies ist insbesondere dann, wenn dieser bösgläubig und somit seine Interessen per se weniger schutzwürdig sind als die der NS-Verfolgten, nur schwer erträglich.[13]

Auch insofern hat der „Schwabinger Kunstfund“ die Diskussion neu entfacht und dazu geführt, dass Gesetzentwürfe erarbeitet wurden, die entsprechende, teilweise rückwirkende Änderungen im BGB vorsehen.[14] Seitdem ist leider nichts mehr geschehen. Dem Vernehmen nach wurde die Gesetzesinitiative nicht nur vom Bundesfinanzministerium, sondern sogar von der Staatsministerin für Kultur und Medien blockiert, die unübersehbare finanzielle Folgekosten fürchteten.[15]

Inzwischen hat die Bundesregierung aber immerhin erklärt, dass sie weiterhin prüfen werde, wie „die zivilrechtliche
Rechtsposition der Alteigentümer von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern“ verbessert werden kann.[16] Bleibt zu hoffen, dass dieses Unterfangen nunmehr möglichst bald zu konkreten Ergebnissen führt.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

[1] So die Regelung des Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögenswerte vom 10. 11. 1947 (USREG), Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 18/1947, S. 221.

[2] So konnten z. B. in der amerikanischen Besatzungszone bis zum 31. 12. 1973 zwar 17.186 Grundstücke mit einem Gesamtwert von knapp 400 Mio. DM rückerstattet werden, jedoch nur 4.128 Kunstwerke im Wert von etwas mehr als 7,8 Mio.DM. Vgl. Walter Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, München 1974, S. 171, 362, 390 (Tabelle 6).

[3] Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, vom 03. 12. 1998: www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Grundlagen/ WashingtonerPrinzipien.html;jsessionid=CB5B280 1819F79267E8CEB0B927B3BCE.m1.

[4] Theresienstädter Erklärung über Holocaust-Vermögenswerte und damit verbundene Fragen vom 30. 06. 2009: http://www.lostart.de/Content/ 02_Aktuelles/ 2009/09-11-23%20 Theresien st%C3%A4dter%20Erkl%C3%A4 rung%20 DE.pdf; jsessionid= DBBC9747 6226 B074A765243396CBED61. m1?__blob=publicationFile&v=10).

[5] Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz vom 14. 12. 1999: http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Grundlagen/Gemeinsame Erklaerung.html;jsessionid=A205A47080F36A92DAB18FA6D878D697.m0.

[6] Handreichung zur Umsetzung der „Erklärung der Bundesregierung, Länder und der kommunalenSpitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999 vom Februar 2001 überarbeitet im November 2007: www.lostart.de/Content/ 01_LostArt/DE/Downloads/ Handreichung.pdf?__blob= publicationFile&v=4.

[7] Handreichung, Ziffer V., Buchstabe A., S. 28.

[8] Handreichung, Ziffer V., Buchstabe B., S. 29 f. sowie Anlage V b, S. 91 ff.

[9] Handreichung, Ziffer V., Buchstabe B., Nr. 1, S. 29; Anlage V b, S. 92. Vgl. auch Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 (b) USREG.

[10] Handreichung, Ziffer V., Buchstabe B., Nr. 1, S. 29; Anlage V b, S. 93. Vgl. auch Art. 2 Abs. 3 USREG.

[11] S. hierzu insgesamt und im Verhältnis zum KGSG auch den Beitrag von Finkenauer, S. 24 ff. in dieser Ausgabe.

[12] Hierzu ausführlich Sabine Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz, Berlin 2007, S. 85 ff.; BGH, Urteil vom 16. 03. 2012, V ZR 279/10, S. 5 ff.: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=59992&pos=0&anz=1.

[13] Ausführlich hierzu Rudolph (Fn. 11), S. 189 ff.

[14] Gesetzesantrag des Freistaates Bayern, Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der Verjährung von Herausgabeansprüchen bei abhanden gekommenen Sachen, insbesondere bei in der NS-Zeit entzogenem Kulturgut (Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz – KRG) vom 07. 01. 2014, Bundesrat, Drucksache 2/14; Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von abhandengekommenem Kulturgut, Bearbeitungsstand: 28. 07. 2015.

[15] Thorsten Jungholt, Regierung streitet über Gesetz zu NS-Raubkunst, Welt, 14. 02. 2016: https://www.welt.de/politik/deutschland/article152220519/Regierung-streitet-ueber-Gesetz-zu-NS-Raubkunst.html; Hans-Ulrich Dillmann, Restitutionsgesetz, Mehr Rechtssicherheit, Die FDP fordert die Bundesregierung auf, den Umgang mit NS-Raubkunst endlich wirksam zu regeln, Jüdische Allgemeine, 12. 09. 2018: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/mehr-rechtssicherheit/.

[16] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hartmut Ebbing, Katja Suding, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Deutscher Bundestag, Drucksache 19/4187 vom 07. 09. 2018.

 

 

Dr. Sabine Rudolph

Rechtsanwältin, Dresden
n/a