28.06.2021

Das verordnungsvertretende Landesgesetz als parlamentarischer Rettungsanker in der Corona-Krise? (1)

Reichweite und Grenzen der Ermächtigung des Art. 80 Abs. 4 GG – Teil 1

Das verordnungsvertretende Landesgesetz als parlamentarischer Rettungsanker in der Corona-Krise? (1)

Reichweite und Grenzen der Ermächtigung des Art. 80 Abs. 4 GG – Teil 1

Ein Beitrag aus »Sächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Mit dem Aufkommen der COVID-19-Pandemie und ihrer Bekämpfung im Bund-Länder-Verhältnis – d. h. vor allem durch die für den Verwaltungsvollzug zuständigen Länder – ist vor dem Hintergrund der Geltung der Wesentlichkeitstheorie und dem damit verbundenen Parlamentsvorbehalt die Frage bedeutsam geworden, wie vor allem die Landesparlamente angesichts der nach Zahl und Intensität weitreichenden Grundrechtseingriffe in verfassungsrechtlich gebotener Weise in die bislang nahezu ausschließlich auf Rechtsverordnungen der Landesregierungen beruhende Infektionsabwehr einbezogen werden können.

Dabei ist mit dem sog. verordnungsvertretenden Landesgesetz nach Art. 80 Abs. 4 GG bereits bundesverfassungsrechtlich eine Option eröffnet, deren Reichweite und Grenzen – und damit letztlich ihre Tauglichkeit in der Staatspraxis der Länder – näher beleuchtet werden soll. Es steht somit die Frage im Raum, ob die Ermächtigung des Art. 80 Abs. 4 GG gleichsam ein Rettungsanker für die Landesparlamente sein kann, wie Beispiele und Vorstöße aus den Ländern zeigen. Teil 1 der Reihe beschäftigt sich mit den Grundlagen und dem Parlamentsvorbehalt in der Corona-Krise.

I. Einleitung

Mit dem weltweiten Auftreten des COVID-19-Virus und der dadurch ausgelösten Corona-Pandemie sind die rechtlichen Instrumente und Verfahren zu deren Bekämpfung auch in Deutschland in den Fokus geraten. Im Mittelpunkt der Pandemie- Bekämpfung bzw. nationalen Bewältigung der Corona- Krise steht zwar vor allem das Infektionsschutzgesetz des Bundes (IfSG); die eigentlichen Maßnahmen zur Infektionsabwehr – nämlich die Vorsehung von Schutzmaßnahmen gegen das Virus – liegen jedoch bei den Ländern, denen neben dem Erlass von Einzelmaßnahmen in Gestalt von personenbezogenen Allgemeinverfügungen nach § 28 Abs. 1 IfSG auch und gerade das Instrument der Rechtsverordnung nach Maßgabe von § 32 i. V. m. §§ 28 ff. IfSG zur Seite steht. Im Kern zielen die Infektionsschutzmaßnahmen vor allem darauf, die Verbreitung des COVID-19-Virus einzudämmen und damit einer Überlastung des Gesundheitssystems – insbesondere der Intensivmedizin – entgegenzuwirken.1 Da die Infektionsabwehr mit den ergriffenen Schutz- und Abwehrmaßnahmen in Deutschland bislang nahezu ausschließlich auf dem Verordnungsweg – nämlich in Gestalt der Corona-Schutzverordnungen der Länder auf der Grundlage von § 32 IfSG i. V. m. §§ 28 ff. IfSG – erfolgt, durch die massive Grundrechtseingriffe ausgelöst sind, stellt sich ganz zentral auch die Frage nach der verfassungsrechtlich gebotenen Einbindung der Parlamente und der Geltung des Parlamentsvorbehalts.2


In diesem Kontext ist eine Verfassungsnorm in den Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion gerückt, die bislang eher ein Schattendasein geführt hat. Die Rede ist von der mit Art. 80 Abs. 4 GG im Rahmen der Verfassungsänderung im Jahr 1994 eingeführten Grundgesetzbestimmung. Mit ihr – so die Hoffnung – könnte der bislang defizitären Parlamentsbeteiligung bei der Corona-Bekämpfung, die sich, wie dargestellt, bislang fast ausschließlich auf die exekutive Normsetzung beschränkt, im Sinne des rechtsstaatlichen Parlamentsvorbehalts (dazu näher unter II.) wirksam begegnet werden.3 Art. 80 Abs. 4 GG kommt damit möglicherweise ein aktueller Bedeutungsgewinn zu, wie die jüngste juristische Befassung mit der Verfassungsnorm belegt.4 Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Ermächtigung bislang keine maßgebliche Rolle gespielt hat. So ist im juristischen Schrifttum zwar aufgeführt, dass dem Zugriff des Landesgesetzgebers im Rahmen von Art. 80 Abs. 4 GG bei überschlägiger Betrachtung potenziell rund 150 bundesrechtliche Verordnungsermächtigungen zur Verfügung stehen, bei denen eine Regelung auch durch Landesgesetz möglich wäre.5

Die bisherige Staatspraxis zeigt demgegenüber jedoch, dass hiervon bislang so gut wie nie Gebrauch gemacht wurde, was sich auch aus dem Umstand heraus erklären lässt, dass es sich zumeist um Verordnungsmaterien von untergeordneter Bedeutung bzw. eher „(rechts-)technischer“ Art – etwa Zuständigkeitsregelungen oder technische Detailregelungen – handelt. Dies ist, wie im Weiteren noch zu zeigen sein wird, bei den auf § 32 IfSG gestützten Corona-Schutzverordnungen schon angesichts der weitgehenden Grundrechtseingriffe gerade nicht der Fall. Eher liegt das Gegenteil nahe, dass es mit diesen Verordnungen zu einer exekutiven Normsetzung gekommen ist, die eigentlich durch Parlamentsgesetz zu erfolgen hätte. Mit der Corona-Krise avanciert Art. 80 Abs. 4 GG jedenfalls zu einer Option, die vor dem Hintergrund der Geltung von Wesentlichkeitstheorie und Parlamentsvorbehalt geforderte hinreichende Parlamentsbeteiligung – nämlich der Landtage – sicherzustellen. Hierzu bedarf es zunächst einer Betrachtung, welche Bedeutung dem Parlamentsvorbehalt in der Corona-Krise im Zusammenhang mit der zugehörigen Corona-Verordnungsgebung zukommt (II.), um sodann Reichweite und Grenzen des verordnungsvertretenden Landesgesetzes näher zu beleuchten (III.) und auch in der Staatspraxis gangbare Lösungswege aufzuzeigen (IV.).

II. Der Parlamentsvorbehalt in der Corona-Krise

Die Bekämpfung des Covid-19-Virus vollzieht sich seit Anbeginn der sog. Corona-Krise, d. h. seit etwa Mitte März 2020, auch mit Blick auf das Bund-Länder-Verhältnis auf dem Verordnungsweg. Die Länder – so auch Sachsen6 – haben seither gleichsam in einer Art „Kettenverordnungsgebung“7 jeweils zeitlich befristete Corona-Schutzverordnungen erlassen, mit denen nach Zahl und Intensität sehr weitreichende Grundrechtseingriffe allein auf der Basis von Rechtsverordnungen verbunden sind. Die Corona-Verordnungsgebung gerät dabei in offensichtlichen Konflikt mit dem aus dem rechtsstaatlichen Rechtsbindungsgebot aller staatlichen Gewalten und als Ausprägung des Vorbehalts des Gesetzes abgeleiteten8 allgemeinen Parlamentsvorbehalt.9 Dabei handelt es sich nicht nur um einen allgemeinen Rechtssatzvorbehalt, der eine nur materiell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe der Exekutive in die Rechtssphäre der Bürger verlangt,10 sondern – in Verbindung mit dem Demokratieprinzip – um einen Parlamentsvorbehalt umfassenden Charakters.11 Denn nach der in diesem Zusammenhang vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitstheorie müssen die wesentlichen Entscheidungen vom Parlament selbst getroffen werden.12 Angesichts seiner Unbestimmtheit hat das BVerfG den Wesentlichkeitsbegriff schon früh auf die Grundrechtsverwirklichung fokussiert.13

Weitere Bemühungen um eine Eingrenzung des Wesentlichkeitsbegriffs stellen auf die Intensität der Betroffenheit der Grundrechte, die Größe des Adressatenkreises und die Dauer der Festlegung ab.14 Vor diesem Hintergrund kann kein ernster Zweifel daran bestehen, dass an Intensität und Umfang beispiellose Grundrechtseingriffe, wie sie in der Corona-Krise notwendig geworden sind,15 als wesentlich anzusehen sind.16 Damit kontrastiert § 32 IfSG, der sehenden Auges die Regelung auch kumulierter Grundrechtseingriffe mit hoher Intensität ohne nähere Vorgaben dem Verordnungsgeber überantwortet und damit eine besonders augenfällige Missachtung des Vorbehalts des Gesetzes darstellt, obwohl dieser gerade auch bei Verordnungsermächtigungen zu beachten ist.17 Dies stellt deshalb zugleich eine Überforderung des Verordnungsinstruments dar. Denn dieses ist als abgeleitete Rechtsetzung gerade vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie und des Gewaltenteilungsprinzips auf die bloße Umsetzung und Konkretisierung von Details eines vom parlamentarischen Gesetzgeber vorgegebenen Regelungsprogramms beschränkt.18

Die Corona-Verordnungen der Länder dagegen erfassen, regeln und gestalten zahlreiche Lebensbereiche mit unterschiedlicher Reichweite neu, wodurch letztlich – zumindest temporär – ein eigenständiges Sonderrechtsgebiet geschaffen wird. Dieses Vorgehen kann allenfalls dann als vorbehaltskonform angesehen werden, wenn die Länder von der in Art. 80 Abs. 4 GG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, anstelle der Rechtsverordnung ein verordnungsvertretendes Gesetz zu erlassen. Soweit demgegenüber vorgebracht wird, es sei eine Sicherung des Parlamentsvorbehalts dergestalt herbeizuführen, dass der auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zuständige Bundesgesetzgeber die bislang nur generalklauselartige Verordnungsermächtigung an die Landesregierungen aus § 32 IfSG (i. V. m. §§ 28 ff. IfSG) schärfe, trägt dies allein nicht, um den Parlamentsvorbehalt zu wahren.19 Dies gilt auch im Hinblick auf die nunmehr durch Einfügung des neuen § 28 a IfSG durch Art. 1 Nr. 17 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.202020 erfolgte Neuregelung im IfSG, mit der im Hinblick auf die Vorgabe des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG konkrete Schutzmaßnahmen (freilich in § 28 a Abs. 1 IfSG n. F. nur formal als Regelbeispiele aufgezählt) genannt und diese partiell an Abwägungsdirektiven21 geknüpft werden. Richtig daran ist, dass eine solche Präzisierung dazu beiträgt, die rechtsstaatlichen Defizite der in der Bewältigung der Corona-Krise bislang herangezogenen generalklauselartigen Ermächtigung aus § 32 IfSG i. V. m. § 28 IfSG abzubauen. Den zuvor dargelegten Erfordernissen des allgemeinen Parlamentsvorbehalts ist bei Lichte besehen aber mit einer bloßen Schärfung der Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß – d. h. entsprechend der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG – noch nicht entsprochen. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG stellt sich nämlich nur als spezieller Fall des rechtsstaatlichen Parlamentsvorbehalts dar,22 der dessen allgemeine Geltung jedenfalls insoweit nicht vollständig zu substituieren vermag, als die im Sinne der Wesentlichkeitstheorie im Kontext der Corona-Verordnungsgebung relevanten (weitreichenden und intensiven) Grundrechtseinschränkungen erst durch die schließlich erlassenen Rechtsverordnungen zutage treten, für die den Landesregierungen als Erstdelegataren Ermessen eingeräumt ist.

Die eigentliche Grundrechtswesentlichkeit manifestiert sich also stets erst in der jeweiligen Rechtsverordnung zur Abwehr des COVID-19-Virus als unterparlamentsgesetzlichem Rechtsetzungsakt. Auch eine präzisierte Verordnungsermächtigung – hier durch Hinzutreten des neuen § 28 a IfSG – beseitigt dieses rechtsstaatliche Manko gerade nicht bzw. nicht allein. Denn es gilt insoweit, dass der oben dargestellte allgemeine Parlamentsvorbehalt auch als Delegationssperre wirkt.23 Der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes erschöpft sich gerade nicht in der Forderung nach einer (hinreichenden) gesetzlichen Grundlage für den Verordnungsgeber, sondern verlangt im Zusammenspiel mit dem Demokratieprinzip darüber hinaus auch, dass das Parlament alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu entscheiden hat und dies nicht anderen Normgebern überlassen werden darf.24 Vieles spricht daher auch unter Berücksichtigung der Änderungen, die aktuell das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zur Schärfung der Verordnungsermächtigung aus § 32 i. V. m. §§ 28 ff. IfSG gebracht hat, dafür, dass es für die Wahrung des Parlamentsvorbehalts auf Art. 80 Abs. 4 GG ankommt.25

III. Reichweite und Grenzen des verordnungsvertretenden Landesgesetzes

Aus Art. 80 Abs. 4 GG folgt – wie bereits mehrfach dargelegt – die Befugnis der Länder zu einer Regelung auch durch Gesetz, soweit durch Bundesgesetz oder aufgrund von Bundesgesetzen die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Aus diesem Recht zur parlamentarischen Gesetzgebung anstelle des bundesgesetzlich ermächtigten Verordnungsgebers sind nachfolgend Reichweite und Grenzen des verordnungsersetzenden Landesgesetzes zu bestimmen und im Anschluss zu ermitteln, ob auch unter rechtspraktischen Erwägungen das verordnungsvertretende Landesgesetz eine taugliche Perspektive eröffnet, um dem oben unter II. beschriebenen Parlamentsvorbehalt hinreichend Rechnung zu tragen.

  1. Wesen des verordnungsvertretenden Landesgesetzes

Art. 80 Abs. 4 GG eröffnet ein unmittelbares Zugriffsrecht der Landesparlamente auf eine die Landesregierung ermächtigende bundesgesetzliche Befugnis zur Verordnungsgebung. So liegt es auch im hier als Referenz herausgegriffenen Fall des § 32 IfSG. Das Zugriffsrecht aus Art. 80 Abs. 4 GG erweitert nicht den Kreis der Delegatare nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern aus der Verfassungsbestimmung folgt lediglich die Befugnis, dass anstelle des Erstdelegatars („Landesregierung“) oder eines eventuellen Subdelegatars nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG die in Art. 80 Abs. 4 GG adressierten Länder auch durch das jeweilige Landesparlament die Regelungsinhalte einer Landesrechtsverordnung mittels Landesgesetzes treffen können. Es handelt sich damit gegenständlich um einen Austausch der Regelungsform. 26 Das Landesparlament selbst wird dabei keinesfalls zum Erstdelegatar – dies bleiben stets die durch Bundesgesetz adressierten Landesregierungen – noch zum Subdelegatar.27 Sie treten freilich an deren Stelle, soweit sie auf die Ermächtigung des Art. 80 Abs. 4 GG zugreifen bzw. von ihr Gebrauch machen. Insoweit ist es zutreffend, bei den Landesparlamenten von „Alternativdelegataren“ zu sprechen.28 Das durch Art. 80 Abs. 4 GG statuierte Recht der Länder, von einer bundesrechtlichen Verordnungsermächtigung auch in Gesetzesform Gebrauch zu machen, begründet trotz des ersten Zugriffsrechts der Landesregierung als Erstdelegatar auf die maßgebliche Materie ein jederzeitiges Recht der Landesparlamente zu einer eigenständigen Vollregelung sowie dazu, Verordnungen der Regierung aufzuheben, zu ersetzen oder zu modifizieren.29

  1. Derivative parlamentarische Normgebung und begrenzte Einschätzungsprärogative

Verordnungsgebung auf der Grundlage von Art. 80 GG bzw. entsprechender landesverfassungsrechtlicher Ermächtigungen ist stets derivative Rechtsetzung der hierzu durch Parlamentsgesetz ermächtigten Exekutive.30 Sie beruht auf Ableitung aus der parlamentsgesetzlichen Verordnungsermächtigung. Mit der Möglichkeit des Erlasses eines verordnungsvertretenden Landesgesetzes bleibt der derivative Charakter weiter erhalten. Denn durch das Gebrauchmachen von der Option des Art. 80 Abs. 4 GG bleibt der Landesgesetzgeber an den Regelungsumfang und die Regelungsgrenzen der den Landesregierungen im jeweiligen Bundesgesetz erteilten Ermächtigung gebunden, wie die Formulierung „soweit“ zum Ausdruck bringt.31 Dies führt auch im hiesigen Kontext eines die Corona-Schutzverordnungen der Landesregierungen ersetzenden Landesgesetzes dazu, dass die Einschätzungsprärogative, die der Legislative bei originärer Gesetzgebung als weit gefasster Handlungsspielraum stets eingeräumt ist, auf dasjenige reduziert wird, was der Verordnungsgeber auch durch Rechtsverordnung im Rahmen der bundesgesetzlichen Ermächtigung regeln könnte. Die solcherart reduzierte Einschätzungsprärogative bedeutet somit, dass dem Landesgesetzgeber bei einem Gebrauchmachen von der Ermächtigung des Art. 80 Abs. 4 GG keine weitergehenden Regelungsbefugnisse zustehen als durch den Bundesgesetzgeber – im Falle des Infektionsschutzrechts im Rahmen des wohl nunmehr mit Blick auf Art. 72 Abs. 1 GG ausgeschöpften Kompetenztitels aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – als „Regelungsprogramm“ nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben ist. Trotz geäußerter Kritik32 bezüglich dieser Begrenztheit des verordnungsvertretenden Landesgesetzes darf freilich nicht übersehen werden, dass die Verengung des Regulierungsprogramms auf die bundesgesetzlichen Vorgaben nicht den Charakter dieses – zwar derivativen, aber immerhin formal-parlamentarischen – Rechtsetzungsakts als formelles Gesetz verändert.33 Es ist das landesverfassungsrechtlich vorgesehene Gesetzgebungsverfahren einzuhalten und damit eine hinreichende parlamentarische Beteiligung gewährleistet.34 Das verordnungsersetzende Landesgesetz nach Art. 80 Abs. 4 GG ist damit „echtes“ Parlamentsgesetz.35

Anmerkung:

Der Beitrag geht in Teilen zurück auf eine Stellungnahme des Verfassers im Rahmen eines Expertengesprächs des Rechtsausschusses des Landtags Mecklenburg-Vorpommern zur Rolle der Landtage bei Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie am 02.12.2020.

Der Beitrag wird fortgesetzt.

SächsVBl. 2/21

 

1 Dies zeigt etwa auch die mit dem „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 18.11.2020 (BGBl. I S. 2397) durch Änderung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes (IfSG) eingeführte Neuregelung des § 28 a IfSG.

2 Grundlegend hierzu Pautsch/Haug, NJ 2020, 281 ff. Die Forderungen nach einer stärkeren bzw. hinreichenden Einbeziehung der (Landes-)Parlamente ist auch in Sachsen immer wieder erhoben worden, vgl. etwa Leipziger Internet Zeitung: Parlamentsbeteiligung bei Corona-Schutz-Verordnung: Es fehlt weiterhin an einem klaren Verfahren – L-IZ.de (https://www.l-iz.de/ – letzter Abruf am 27.11.2020).

3 Vgl. wiederum Pautsch/Haug (Fn. 2), S. 281, 282; Volkmann, NJW 2020, 3153, 3158 f.

4 Etwa Birkner, ZRP 2020, 157 ff.

5 Mann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 56; siehe bereits früher Wagner/Brocker, NVwZ 1997, 759, 760.

6 Siehe aktuell etwa die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung vom 27.11.2020, SächsGVBl. S. 666.

7 Zum Begriff Pautsch, JSE 2020, 1, 7.

8 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, § 101 Rn. 36.

9 Deutlich Volkmann (Fn. 3), S. 3153, 3159; zum Folgenden – z. T. wörtlich – auch bereits Pautsch/Haug (Fn. 2), S. 281, 282.

10 Vgl. Ossenbühl (Fn. 8), § 101 Rn. 16; näher Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 20 GG VI, Rn. 77 f.

11 Ossenbühl (Fn. 8), § 101 Rn. 42 ff.

12 BVerfGE 33, 125, 158 f.; 33, 303, 346; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, § 12 Rn. 43.

13 Vgl. BVerfGE 47, 46, 79; Zippelius/Würtenberger (Fn. 12), § 12 Rn. 44.

14 Grzeszick (Fn. 10), Art. 20 GG, VI, Rn. 107; Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, 523, 525.

15 Vgl. Pautsch (Fn. 7), S. 1, 4 ff.

16 Volkmann (Fn. 3), S. 3153, 3159.

17 Remmert, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, Art. 80 Rn. 70.

18 Zum Verordnungsbegriff Katz/Sander, Staatsrecht, 19. Aufl. 2019, Rn. 470; Zippelius/Würtenberger (Fn. 12), § 45 Rn. 116.

19 So aber Brocker, NVwZ 2020, 1485, 1487 f.; ebenso wohl Teile der Rechtsprechung, etwa BayVGH, Beschl. v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360, BeckRS 2020, 28521 Ls. und Rn. 28.

20 BGBl. I S. 2397.

21 So bspw. in § 28 a Abs. 2, 3 IfSG n. F.

22 Vgl. von Coelln, in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2020, Art. 80 Rn. 9.

23 Haratsch, in: Sodan, Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 13.

24 Haratsch (Fn. 23), Art. 80 Rn. 13, unter Verweis auf BVerfGE 34, 165, 192 f.; 49, 89, 126 f.; 98, 218, 251. In diese Richtung im Zusammenhang mit der Corona-Verordnungsgebung auch Kießling, in: dies. (Hrsg.), Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 1. Aufl. 2020, § 32 Rn. 6; mit Blick auf die Unzulässigkeit der Wahl der Regelungsform der Rechtsverordnung bei Maßnahmen, die wie die Absonderung von Infizierten durch richterliche Einzelfallanordnung erfolgen muss, siehe Kießling (a. a. O.), unter Bezugnahme auf Kluckert, in: ders. (Hrsg.), Das neue Infektionsschutzrecht, 1. Aufl. 2020, § 2 Rn. 217.

25 So insbesondere Pautsch/Haug (Fn. 2), S. 281, 285 f.; s. auch Birkner (Fn. 4), S. 157, 158 f. Aus der Rechtsprechung bspw. SaarlVerfGH, Beschl. v. 28.04.2020, NVwZ-RR 2020, 514 (Rn. 53).

26 BVerwG, Urt. v. 12.04.2018, NVwZ 2018, 1799, 1801.

27 Dies gilt schon deshalb nicht, weil eine Subdelegation durch die Landesregierung an die Legislative des Landes nicht in Betracht kommt, sondern eine solche nur gegenüber nachgeordneten Behörden – d. h. innerhalb der vollziehenden Gewalt – möglich ist, vgl. insoweit etwa Nierhaus, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 16, Stand: 87. Lfg. Dez. 1998, Art. 80 Abs. 4 Rn. 834.

28 Nierhaus (Fn. 28), Art. 80 Abs. 4 Rn. 833.

29 Nierhaus (Fn. 28), Art. 80 Abs. 4 Rn. 847.

30 Katz/Sander (Fn. 18), Rn. 470.

31 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 80 Rn. 68; Nierhaus (Fn. 28), Art. 80 Abs. 4 Rn. 836 ff.; Remmert (Fn. 17), Art. 80 Rn. 204.

32 So Brocker (Fn. 19), S. 1485, 1487 f.; s. auch Klafki, NVwZ 2020, 1718, 1720 ff.

33 Ganz h.M., siehe etwa Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 113, 118; Mann (Fn. 5), Art. 80 Rn. 50; Remmert (Fn. 17), Art. 80 Rn. 206; Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2020, Art. 80 Rn. 45; Wallrabenstein, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 80 Rn. 65; a. A. bislang wohl nur Nierhaus (Fn. 28), Art. 80 Abs. 4 Rn. 839 ff.; ders., in: Macke (Hrsg.), Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, 1998, S. 229 ff., 236 ff., der beim verordnungsvertretenden Gesetz von einer Vermischung von formellem und materiellem Gesetz ausgeht; auf eine damit intendierte dritte Kategorie „förmlicher (Landes-)Gesetze sui generis“ ansprechend etwa Bauer (Fn. 32), Art. 80 Rn. 69.

34 Zur Geltung des landesverfassungsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens s. etwa Kment, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 16. Aufl. 2020, Art. 80 Rn. 9; Remmert (Fn. 17), Art. 80 Rn. 204.

35 Vgl. die Nachweise in Fn. 34. Nach h.M. ist damit sogar die Möglichkeit der Volksgesetzgebung eröffnet, s. etwa Bauer (Fn. 32), Art. 80 Rn. 68; Kment (Fn. 35), Art. 80 Rn. 9; a. A. insoweit wiederum Nierhaus (Fn. 28), Art. 80 Abs. 4 Rn. 868 f.

 

Prof. Dr. Arne Pautsch

Professur für Öffentliches Recht und Kommunalwissenschaften, Direktor des Instituts für Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie, Ludwigsburg
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