14.06.2021

Beherbergungsverbot zur Eindämmung des Corona-Virus (2)

NdsOVG, Beschl. v. 15.10.2020 – 13 MN 371/20 – Teil 2

Beherbergungsverbot zur Eindämmung des Corona-Virus (2)

NdsOVG, Beschl. v. 15.10.2020 – 13 MN 371/20 – Teil 2

Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Der Antragsteller begehrte die vorläufige Außervollzugsetzung einer infektionsschutzrechtlichen Verordnung, die ihm die Beherbergung von Personen aus Corona-Risikogebieten zu touristischen Zwecken untersagt. In Teil 2 der Reihe wird das Urteil näher ausgeführt.

Von dem bloßen Beherbergungsverbot gar nicht betroffen sind schließlich bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in Risikogebieten. Eine Eignung des streitgegenständlichen Verbots, zur Erreichung des legitimen Ziels der Verhinderung der weiteren Ausbreitung von COVID-19 überhaupt beizutragen, kann danach von vorneherein nur für einen eng begrenzten und allenfalls geringen Teil des tatsächlichen Infektionsgeschehens im Bundesgebiet und im Land Niedersachsen gegeben sein. Diese Eignung, jedenfalls aber die Erforderlichkeit des Verbots erscheint zweifelhaft. Denn das Beherbergungsverbot bezieht sich auf Sachverhalte, die jedenfalls nicht offensichtlich mit einer erhöhten Gefahr der weiteren Ausbreitung von COVID-19 verbunden sind.

(αα) Dies gilt zunächst für die mit dem Verbot unmittelbar nur untersagte Beherbergung zu touristischen Zwecken. Denn die Beherbergung als solche, also die Gewährung einer Übernachtungsmöglichkeit, dürfte bei lebensnaher Betrachtung kaum mit erhöhten Infektionsgefahren verbunden sein. Der Antragsgegner selbst hat die mit Reisen verbundenen Infektionsgefahren in anderen Normenkontrolleilverfahren betreffend Quarantäneregelungen für Auslandsreisende dann auch maßgeblich in den Reisewegen und den dort eintretenden Kumulationen von Reisenden gesehen, nicht aber in dem Aufenthalt am Reiseort oder gar im Beherbergungsbetrieb (vgl. etwa Senatsbeschl. v. 05.06.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 26; v. 11.05.2020 – 13 MN 143/20 – juris Rn. 31).


(ββ) Dies gilt darüber hinaus aber auch für die Reisetätigkeit als solche. Der Antragsgegner hat auch auf Nachfrage des Senats keine nachvollziehbaren tatsächlichen Erkenntnisse dazu präsentieren können, welche Zahl von infizierten Personen in den letzten Wochen im Bundesgebiet und in Niedersachsen auf Reisen innerhalb des Bundesgebiets zurückzuführen sind. Seine Erkenntnisse zu Differenzen zwischen dem Wohnort und Expositionsort eines Infizierten sind insoweit unergiebig, denn sie lassen nicht erkennen, worauf diese Differenz beruht, etwa einer touristischen Reise oder Fahrten als Berufspendler oder zu anderen nicht touristischen Zwecken. Im Übrigen kann auch nach den Angaben des Antragsgegners allenfalls ein sehr geringer Anteil der Infizierten überhaupt auf Reisen innerhalb des Bundesgebiets zurückzuführen sein, und zwar die 2,3 % der Infektionen in einem anderen Bundesland und die 2,1 % der Infektionen in einem niedersächsischen Ort außerhalb der Meldekommune. Weitergehende Erkenntnisse ergeben sich auch nicht aus der vom Antragsgegner in Bezug genommenen Publikation des RKI, die sich maßgeblich mit der infektiologischen Bedeutung von Auslandsreisen beschäftigt, die schon mit Blick auf die Reisewege und mit diesen verbundene Kumulationen von Reisenden nicht mit Reisen innerhalb des Bundesgebiets vergleichbar sind.

(γγ) Dies gilt weiter auch für die in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung vorgenommene Anknüpfung des Verbots an „Personen aus einem … Gebiet oder einer Einrichtung, in dem oder in der die Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung 50 oder mehr Fälle je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen beträgt“. Diese Inzidenz soll die Grenze markieren, bis zu der die öffentliche Gesundheitsverwaltung in Deutschland zu einer Rückverfolgung der Infektionsketten maximal in der Lage ist und so das wichtige und legitime Ziel der Verhinderung der weiteren Ausbreitung durch Fallfindung mit, Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko noch erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschl. v 05.06.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 33).

Wird diese Grenze in einem bestimmten Gebiet überschritten, bestehen auch nach dem Dafürhalten des Senats durchaus tatsächliche Anhaltspunkte für ein dynamisches Infektionsgeschehen und eine erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit. Dies allein rechtfertigt es aber nicht ohne Weiteres, für alle Personen in einem solchen Gebiet eine einheitliche Gefahrenlage anzunehmen und diesen gegenüber unterschiedslos generalisierende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zu treffen. Vielmehr können vorhandene oder zumutbar zu ermittelnde tatsächliche Erkenntnisse zum Infektionsgeschehen in dem betroffenen Gebiet zu einer differenzierten Betrachtung und zu unterschiedlichen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zwingen, etwa bei zu lokalisierenden und klar eingrenzbaren Infektionsvorkommen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 28.07.2020 – 20 NE 20.1609 – juris Rn. 45; OVG NRW, Beschl. v. 06.07.2020 – 13 B 940/20.NE – juris Rn. 54 ff.).

Handlungskonzept zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens

Von diesem Ansatz geht auch das von der Niedersächsischen Landesregierung erstellte „Handlungskonzept zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens in der COVID-19-Pandemie“ (veröffentlicht unter: www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/vorsorglicheshandlungskonzept-zur-bekampfung-eines-gegebenenfalls-weiteransteigenden-infektionsgeschehens-in-der-covid-19-pandemie-193263.html, Stand: 05.10.2020) aus, wenn es ein nicht nur an den Infiziertenzahlen orientiertes Einschreiten vorsieht, sondern eine Einbeziehung weiterer Aspekte (bspw. Inzidenz-Dauer, Alter der Infizierten, Hospitalisierung, externe Effekte, Krankenhauskapazitäten) fordert. Selbst für das streitgegenständliche Beherbergungsverbot scheint das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung bei der Festlegung und Veröffentlichung von Risikogebieten diesen Ansatz zunächst auch praktisch verfolgt zu haben, als es in Niedersachsen belegene Gebiete trotz Überschreitens der Inzidenz ausdrücklich nicht als Risikogebiete ausgewiesen hat (vgl. dahin auch: Nds. Landesregierung, Reisen & Tourismus – Antworten auf häufig gestellte Fragen, veröffentlicht unter: https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/antworten_auf_haufig_gestellte_fragen_faq/reisen-und-tourismus-antworten-aufhaufig-gestellte-fragen-186671.html, Stand: 14.10.2020: „Wenn in einem Kreis oder in einer kreisfreien Stadt diese 7-Tages-Inzidenz höher liegt als 50, wird vom Gesundheitsministerium geprüft, ob es Hinweise dafür gibt, dass es sich um ein eng eingrenzbares Infektionsgeschehen handelt.  Für Menschen aus Gebieten, in denen das der Fall ist, wird dann voraussichtlich kein Beherbergungsverbot verhängt.“).

Nur das Beherbergungsverbot, wie es in § 1 Abs. 1 Satz 1 (i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1) der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung angeordnet ist, verfolgt diesen Ansatz nicht. Denn normativ ist für die Festlegung von Gebieten, sei es auch unterhalb der Kreisebene, eine bloße Anknüpfung an die genannte Inzidenz vorgesehen und dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung keinerlei Spielraum (und auch keine objektiv nachvollziehbaren und damit hinreichend bestimmbaren Kriterien) für die in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung vorgesehene Festlegung von Risikogebieten gegeben. Die darüber hinaus vorgesehene Festlegung und Veröffentlichung einzelner Einrichtungen scheint zwar eine kleinräumige Betrachtung zu ermöglichen. Unklar bleibt aber, wie insoweit die Inzidenz zu ermitteln ist und wie der Betreiber eines Beherbergungsbetriebs die Zuordnung eines Reisenden zu einer konkreten Einrichtung überprüfen können soll.

Eignung und Erforderlichkeit des Beherbergungsverbots

(δδ) Schließlich erscheinen die Eignung und Erforderlichkeit des Beherbergungsverbots auch deshalb zweifelhaft, weil hinsichtlich seines Vollzugs gegenüber Personen aus Risikogebieten, die nicht in Niedersachsen belegen sind, ein strukturelles Vollzugsdefizit naheliegt (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen und sich daraus ergebenden Folgen: BVerwG, Urt. v. 16.12.2016 – BVerwG 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126, 145 – juris Rn. 47 m. w. N.).

Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung gilt „die Untersagung nach Absatz 1, auch in Verbindung mit Absatz 2, … nur für Personen, die nach dem Zeitpunkt der Veröffentlichung nach Absatz 1 Satz 1 nach Niedersachsen eingereist sind“. Personen aus Risikogebieten, die nicht in Niedersachsen belegen sind, unterliegen also nur dann einem Beherbergungsverbot, wenn spätestens im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Niedersachsen das Gebiet, aus dem sie einreisen, vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als Risikogebiet veröffentlicht worden ist.

Um feststellen zu können, ob eine solche Person einem Beherbergungsverbot unterliegt, müssen die Betreiber von Beherbergungsbetrieben Kenntnis davon haben oder zumindest erlangen können, seit wann das Gebiet, aus dem die Person eingereist ist, als Risikogebiet veröffentlicht ist und wann die Person nach Niedersachsen eingereist ist. Schon die erstgenannte Kenntnis ist derzeit nicht zu erlangen. Denn das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung veröffentlicht unter https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/hinweise-furreisende-185450.html (Stand: 14.10.2020) nur eine werktäglich aktualisierte Liste von Risikogebieten. Aus dieser Liste ergibt sich nur, welches Gebiet derzeit als Risikogebiet gilt, nicht aber seit wann dies der Fall ist. Mit Blick auf zurückliegende Einreisezeitpunkte bedürfte es insoweit für jedes festgelegte Risikogebiet der konkreten zeitlichen Angabe, seit wann dieses ein Risikogebiet ist.

Neben diesem – durchaus behebbaren – Mangel vermag der rechtsunterworfene Betreiber eines Beherbergungsbetriebes aber in keinem Fall eine verlässliche Kenntnis davon zu erlangen, wann eine Person in das Land Niedersachsen eingereist ist. Dieser Einreisezeitpunkt wird in keiner Weise dokumentiert und dürfte selbst den einreisenden Personen mangels erkennbarer Grenzziehungen regelmäßig nicht bekannt sein, ist angesichts stunden- und minutengenauer Angaben in der Veröffentlichung des Ministeriums (Beispiel: „Stand: 14.10.2020 – 13:00 Uhr“) aber durchaus relevant. Für Personen aus Risikogebieten, die nicht in Niedersachsen belegen sind, hängt die Durchsetzung des Beherbergungsverbots danach maßgeblich von deren nicht überprüfbaren Angaben zur Einreise nach Niedersachsen ab. Dieses normativ angelegte und strukturelle Vollzugsdefizit führt zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Personen, die aus einem in Niedersachsen belegenen Risikogebiet anreisen, für die nach § 1 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung der objektiv ohne Weiteres zu ermittelnde „Zeitpunkt des Beginns der Beherbergung“ maßgeblich ist.

(β) Ungeachtet der danach bestehenden erheblichen Zweifel an der Eignung und Erforderlichkeit des Beherbergungsverbots ist dieses in seiner konkreten Ausgestaltung durch § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung zur Erreichung des legitimen Ziels der Verhinderung der weiteren Ausbreitung von COVID-19 jedenfalls nicht angemessen (so auch zu einer ähnlichen bayerischen Verordnungsregelung: BayVGH, Beschl. v. 28.07.2020 – 20 NE 20.1609 –juris Rn. 45; a. A. OVG MV, Beschl. v. 11.05.2020 – 2 KM 389/20 OVG – juris).

Gravierende negative Auswirkungen für die Berufsausübung

Das angeordnete Beherbergungsverbot hat ersichtlich gravierende negative Auswirkungen für die Berufsausübung der betroffenen Betreiber von Hotels, Pensionen, Jugendherbergen und ähnlichen Beherbergungsbetrieben sowie Ferienwohnungen, Ferienhäusern und Campingplätzen. Diese sind einerseits gehalten, auf äußerst kurzfristige Änderungen der Verordnungslage zu reagieren, die nicht nur bei Einführung der Verordnung am 09.10.2020 gegeben waren, sondern durch die fortlaufende Aktualisierung der Veröffentlichung von Risikogebieten mindestens werktäglich zu erwarten sind. Sie haben die Herkunft und ggf. Einreisezeitpunkte der Reisenden zu kontrollieren sowie durch Stornierungen gebuchter Aufenthalte und durch Abweisung Reisewilliger aus Risikogebieten das Verbot umzusetzen, um einen mit einer Geldbuße von bis zu 25 000 € bewehrten Rechtsverstoß zu vermeiden. Die sich aus diesem erheblichen Organisationsaufwand ergebenden Belastungen werden noch erhöht durch finanzielle Einbußen, die sich aus Stornierungen und mangelnden Wiederbelegungen ergeben können.

Eine signifikante Milderung dieser gravierenden negativen Auswirkungen durch die in der Verordnung durchaus vorgesehenen Ausnahmen vom Beherbergungsverbot vermag der Senat derzeit nicht festzustellen. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung für Reisende vorgesehene Möglichkeit, durch ein auf eine höchstens 48 Stunden vor der Anreise vorgenommene molekularbiologische Testung gestütztes ärztliches Zeugnis die Infektionsfreiheit nachzuweisen und so eine Ausnahme von dem Verbot zu erlangen, dürfte angesichts nur begrenzter theoretischer und bereits heute tatsächlich weitgehend ausgenutzter Testkapazitäten praktisch kaum zum Tragen kommen und auch der erstrebten Priorisierung von Testungen nach der Infektionswahrscheinlichkeit widersprechen (vgl. hierzu Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) v. 14.10.2020, dort S. 10 ff.: „Das RKI erreichen in den letzten Wochen zunehmend Berichte von Laboren, die sich stark an den Grenzen ihrer Auslastung befinden.

Dies hat zur Folge, dass Abstrichproben, die nicht zeitnah bearbeitet werden können, aus überlasteten Laboren weiterverschickt werden müssen, was zu verlängerten Bearbeitungszeiten und Verzögerungen bei der Ergebnisübermittlung an die Gesundheitsämter führen kann.“). Die darüber hinaus vorgesehenen Ausnahmen für Personen, „die zwingend notwendig und unaufschiebbar beruflich oder medizinisch veranlasst anreisen,“ (§ 1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 der Verordnung) und „die einen sonstigen triftigen Reisegrund haben, insbesondere einen Besuch einer oder eines Familienangehörigen, einer Lebenspartnerin, eines Lebenspartners oder einer Partnerin oder eines Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die Wahrnehmung eines Sorge- oder Umgangsrechts oder den Beistand oder die Pflege schutzbedürftiger Personen,“ (§ 1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 der Verordnung) dürften eher Einzelfälle betreffen. Sie erhöhen zudem für den Betreiber eines Beherbergungsbetriebs den Organisationsaufwand, da anders als bei der Ausnahme nach § 1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 der Verordnung betreffend Personen „für die das für den Beherbergungsbetrieb zuständige Gesundheitsamt in begründeten Einzelfällen auf Antrag eine Ausnahme zugelassen hat“ er festzustellen und zu verantworten hat, ob die Voraussetzungen der Ausnahme erfüllt sind, was angesichts der vom Verordnungsgeber verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe häufig nicht zweifelsfrei möglich sein wird. Die Ausnahme des § 1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 der Verordnung dürfte angesichts der aktuellen Belastung der örtlichen Gesundheitsämter und auch wegen fehlender materieller Kriterien für die Bejahung einer Ausnahme praktisch leerlaufen.

Diese gravierenden negativen Auswirkungen für die Berufsausübung der betroffenen Betreiber von Beherbergungsbetrieben stehen in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu der von vornherein nur für einen eng begrenzten und allenfalls geringen Teil des tatsächlichen Infektionsgeschehens im Bundesgebiet und im Land Niedersachsen gegebenen Eignung des streitgegenständlichen Verbots, zur Erreichung des legitimen Ziels der Verhinderung der weiteren Ausbreitung von COVID-19 überhaupt beizutragen, die ebenso wie die Erforderlichkeit zudem erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist.

b) Gewichtige Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und der Allgemeinheit überwiegen auch die für den weiteren Vollzug der Verordnung bis zu einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren sprechenden Gründe. Dabei erlangen die erörterten Erfolgsaussichten des in der Hauptsache gestellten oder zu stellenden Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Normenkontrolleilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag in der Hauptsache noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn die angegriffene Norm erhebliche Grundrechtseingriffe bewirkt, sodass sich das Normenkontrolleilverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweist (vgl. Senatsbeschl. v. 11.05.2020 – 13 MN 143/20 – juris Rn. 36; BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632 – juris Rn. 31).

Gültigkeitsdauer der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung

Auch wenn die Gültigkeitsdauer der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung nach deren § 3 nicht begrenzt ist, wiegt schon danach das Interesse des Antragstellers an einer einstweiligen Außervollzugsetzung der ihn betreffenden Regelungen der Verordnung schwer. Dieses Gewicht findet Bestätigung in den dargestellten ersichtlich gravierenden Auswirkungen des verordneten Beherbergungsverbots für die betroffenen Betreiber von Beherbergungsbetrieben. Der Senat sieht auch keinen Anlass, die wirtschaftliche Existenz der Betreiber und auch Angestellten von Beherbergungsbetrieben und deren Bedeutung für die Volkswirtschaft geringer zu gewichten als andere unternehmerische Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen.

Hinzu kommen die offensichtlichen Auswirkungen für betroffene Reisewillige und die Allgemeinheit. Das bloße Verbot der Beherbergung bewirkt, anders als ein Verbot der Einreise in ein Bundesland (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 16.09.2020 – 1 BvR 1977/20 – juris Rn. 6), zwar keinen Eingriff in die in Art. 11 Abs. 1 GG garantierte Freizügigkeit. Freizügigkeit bedeutet das Recht, unbehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen und auch zu diesem Zweck in das Bundesgebiet einzureisen (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.03.2004 – 1 BvR 1266/00 – BVerfGE 110, 177, 190 f. – juris Rn. 33 m. w. N.). Die geschützte Aufenthaltnahme umfasst dabei nur solche Verhaltensweisen, die eine Bedeutung für die räumlich gebundene Gestaltung des alltäglichen Lebenskreises haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 – 1 BvR 1548/02 – juris Rn. 25). Hieran fehlt es bei dem in der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung angeordneten Verbot, in niedersächsischen Hotels, Pensionen, Jugendherbergen und ähnlichen Beherbergungsbetrieben sowie Ferienwohnungen, Ferienhäusern und Campingplätzen zu touristischen Zwecken beherbergt zu werden. Das Beherbergungsverbot greift aber in die allgemeine Handlungsfreiheit der Reisenden und Reisewilligen nach Art. 2 Abs. 1 GG ein.

Das Gewicht dieses Eingriffs ist mit Blick auf die Einführung des Verbots sehr kurz vor den Herbstferien in Niedersachsen und tagesaktuelle Änderungen des Verbotsumfangs während der Geltungsdauer nicht zu vernachlässigen. Eine signifikante Milderung des Eingriffs ist angesichts nur begrenzter Testkapazitäten und mit einem Test verbundener Kosten auch nicht in der in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung vorgesehenen Möglichkeit zu sehen, durch ein auf eine höchstens 48 Stunden vor der Anreise vorgenommene molekularbiologische Testung gestütztes ärztliches Zeugnis die Infektionsfreiheit nachzuweisen und so eine Ausnahme von dem Verbot zu erlangen. Im Übrigen widerspricht diese Ausnahme der im gerichtlichen Verfahren geäußerten Zielsetzung des Verordnungsgebers. Den so beschriebenen und gewichteten Aussetzungsinteressen stehen keine derart schwerwiegenden öffentlichen Interessen gegenüber, dass eine Außervollzugsetzung der voraussichtlich rechtswidrigen Regelungen im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes unterbleiben müsste. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass das Beherbergungsverbot ein wesentlicher Baustein in der Strategie der Pandemiebekämpfung des Antragsgegners ist.

Dagegen sprechen schon die dargestellte begrenzte Wirkung des Beherbergungsverbots, dessen mangelnde Orientierung am von der Niedersächsischen Landesregierung erstellten „Handlungskonzept zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens in der COVID 19 Pandemie“ und auch die mangelnde Aufnahme des Verbots in die kurz zuvor am 07.10.2020 erlassene (allgemeine) Niedersächsische Corona-Verordnung (Nds. GVBl. S. 346). Zudem bestehen angesichts teilweise fehlender und im Übrigen in verschiedenster Art und Weise geregelter Beherbergungsverbote in anderen Bundesländern auch unter Berücksichtigung der gerichtsbekannt sehr attraktiven und vielfältigen niedersächsischen Reiseziele keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Außervollzugsetzung zu einer übermäßigen Inanspruchnahme ausschließlich niedersächsischer Beherbergungsbetriebe durch Personen aus Risikogebieten führen würde.

Die vorläufige Außervollzugsetzung der § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Beherbergungs-Verordnung schließt es auch nicht aus, dass Maßnahmen zur Verhinderung einer durch Reisen innerhalb des Bundesgebiets bedingten Verbreitung von COVID-19 getroffen werden dürfen. Dem Antragsgegner bleibt es unbenommen, sinnvolle und angemessene Reisebeschränkungen zu verordnen, wenn hierfür aufgrund nachvollziehbarer tatsächlicher Erkenntnisse eine objektive Notwendigkeit besteht.

VBlNds 1/2021

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