25.06.2021

Kurz: „Wichtiges Signal, dass der Rechtsstaat Angriffe nicht selbst bagatellisiert“

Interview mit Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zum Netzwerk gegen Gewalt und Hass

Kurz: „Wichtiges Signal, dass der Rechtsstaat Angriffe nicht selbst bagatellisiert“

Interview mit Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zum Netzwerk gegen Gewalt und Hass

Jeder zwölfte Deutsche war schon einmal persönlich von Hasskommentaren betroffen, bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren war es schon fast jeder Fünfte. ©asiandelight - stock.adobe.com
Jeder zwölfte Deutsche war schon einmal persönlich von Hasskommentaren betroffen, bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren war es schon fast jeder Fünfte. ©asiandelight - stock.adobe.com

Am 29. April 2021 wurde durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Portal „Stark im Amt“ freigeschaltet. Die Initiatoren des Portals reagieren damit auf die bedauerliche Tatsache, dass in Deutschland immer mehr Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker beleidigt, bedroht oder sogar attackiert werden. Durch das Portal soll sich ein bundesweites Netzwerk gegen Gewalt und Hass bilden und die Betroffenen besser gegen einschlägige Angriffe gewappnet werden.

PUBLICUS sprach über die Situation mit dem Präsidenten des baden-württembergischen Städtetages und Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz. Die Fragen stellte PUBLICUS-Autor Dr. Herbert O. Zinell.

Herr Präsident, der Deutsche Städtetag beteiligt sich als einer der Kooperationspartner am Portal „Stark im Amt“. Welche positiven Auswirkungen und Ansätze im Hinblick auf die Rückenstärkung von durch verbalen oder tätlichen Angriffe betroffenen Kommunalpolitiker*innen verspricht man sich insbesondere­ auch durch die angestrebte Netzwerkbildung unterschiedlichster Einrichtungen durch das Portal?


Kurz: Das Portal kann Angriffe nicht verhindern, aber Amtsträgern Präventionsmaßnahmen darlegen, ihnen im Falle eines Angriffs Kontakte vermitteln und Handlungsoptionen aufzeigen. Es vermittelt ihnen damit, dass sie in der Not nicht alleine sind, sondern Solidarität und Unterstützung erfahren. Auf Basis dieser gesammelten Erfahrungen können Strategien weiterentwickelt und die Öffentlichkeit weiter sensibilisiert werden.

In diesem Zusammenhang: Tauschen Sie sich regelmäßig mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zu dem Themenkomplex aus und würden Sie die Bildung eines regionalen kommunalen Netzwerkes begrüßen?

Kurz: Unter dem Dach des Städtetags tauschen sich Oberbürgermeister*innen und Bürgermeister*innen regelmäßig aus, landesweit und regional. Regional bestehen zudem oft gemeinsame Gremien. Weiterhin gibt es den Verband baden-württembergischer Bürgermeister, in dem sich die Kollegen ebenfalls austauschen. Ein weiteres Netzwerk brauchen wir nicht grundsätzlich. Zumindest sehe ich keinen Bedarf in unserer Region, hier gab es einen prominenten Fall, der aber überhaupt nicht gesellschaftlich bzw. politisch eingeordnet werden konnte, ansonsten wenig direkte Betroffenheit. Bei dem Thema kann es aber auch durchaus regionale Unterschiede geben.

Welche Rolle spielen nach Ihren Erkenntnissen die sogenannten sozialen Medien bei der zunehmenden Verrohung der Kommunikation?

Kurz: Eine zentrale, negative Rolle. Die Wirkung von gezielten Kampagnen und eines sich dann auch selbst verstärkenden Prozesses gesellschaftlicher Veränderung durch das Netz ist dreierlei: Die Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität und Meinungslagen wird verzerrt, die Grenzen des Sagbaren werden absichtsvoll verschoben, die Mitte wird zum Schweigen gebracht und fühlt sich als Minderheit. Nach dem Mord an Walter Lübcke hat das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft eine Studie zum Thema Hass im Netz durchgeführt und kam zu der Erkenntnis, dass aus Angst vor Hasskommentaren sich immer mehr Menschen aus politischen Diskussionen im Internet raushalten und dass auch so die freie Meinungsäußerung zunehmend eingeschränkt wird.

Ein Ergebnis der Studie war, dass jeder zwölfte Deutsche schon einmal persönlich von Hasskommentaren betroffen war, bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren war es schon fast jeder Fünfte. Die Verrohung der Kommunikation im Netz führt dazu, dass sich Menschen nicht mehr trauen, mitzudiskutieren oder bestimmten Aussagen zu widersprechen. So schaffte es dann die „laute“ Minderheit, sich als Meinungsführer zu präsentieren. Im Extremfall können ihre Anhänger die gesellschaftlich andere Realität nicht mehr als solche anerkennen – bis hin zur Wahrnehmung von Wahlergebnissen als manipuliert.

Wie gehen Sie mit der sog. Online-Hetze, d.h. Anfeindungen und Beleidigungen oder einem sog. Shitstorm z.B. in den sozialen Medien, um? Blockieren Sie Nachrichten des Senders oder werden diese gelöscht? Haben Sie für den Online-Auftritt Ihrer Stadt eine Nettiquette festgelegt?  Kam es schon einmal zu einer Strafanzeige?

Kurz: Im Online Büro der Stadt Mannheim werden alle zentralen digitalen Medien betreut und weiterentwickelt – darunter fällt auch Social Media. Das Online Büro kommuniziert in den Sozialen Medien auf Basis eines umfassenden Social-Media-Konzepts – hierzu zählt auch das Community-Management.

Die Mitarbeiter*innen des Online Büros moderieren auf Grundlage einer ausführlichen Netiquette jeden einzelnen Kommentar. In diesen Kommentarregeln ist transparent festgelegt, welchen Ton wir uns als Stadt auf unserer Seite wünschen und in welchen Fällen wir eingreifen.

Leider verlaufen Diskussionen in den Sozialen Medien oft nicht sachlich und respektvoll. Kommentare, die Beleidigungen – gegen Mitarbeiter*innen unserer Verwaltung, aber auch gegen andere User*innen – enthalten, werden von unserem Team entfernt. Unsere Mitarbeiter*innen versuchen allerdings, so sparsam wie möglich mit solchen Maßnahmen umzugehen. Da wir als Verwaltung Ansprechpartner für unsere Bürger*innen sind, blockieren wir keine Accounts, außer es handelt sich sichtlich um Spam-Accounts.

Man darf aber bei anhaltender Unsachlichkeit nicht erwarten, eine Antwort von uns zu bekommen. Gleichzeitig ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Wenn es strafrechtlich relevant wird, dann nimmt das Team Kontakt mit den Kolleg*innen des Rechtsamts auf und informiert gegebenenfalls die zuständigen Polizeibehörden. Das ist aber glücklicherweise die absolute Ausnahme, der überwiegende Teil lässt sich mit Community-Management lösen.

Ich selbst habe schon Strafanzeigen gestellt, die auch weiter verfolgt wurden. Das halte ich für ein ganz wichtiges Signal, dass der Rechtsstaat solche Angriffe nicht selbst bagatellisiert. Heribert Prantl sprach bei der Reaktion der Berliner Justiz zu den Beleidigungen gegen Renate Künast zurecht „von Beihilfe zur Beleidigung“.

Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom April dieses Jahres wurden u.a. den Anbietern sozialer Netzwerke im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) künftig bestimmte Meldepflichten bei strafbaren Postings auferlegt und der besondere Schutz des § 188 StGB vor Verleumdungen und übler Nachrede auch auf Kommunalpolitiker*innen ausgedehnt. Gehen Sie beziehungsweise der Städtetag davon aus, dass sich dadurch verbale Angriffe und Drohungen gegenüber Politiker*innen deutlich eindämmen lassen?

Kurz: Es war ein sehr guter und wichtiger Schritt, Kommunalpolitiker*innen in den § 188 StGB einzubeziehen. Sie sind es, die innerhalb der öffentlichen Verwaltung in direktem Kontakt zur Bürgerschaft stehen, daher innerhalb des Verwaltungsgefüges mit Verleumdungen, Bedrohungen und Gewalt wohl am häufigsten konfrontiert werden. Dieses Übel wird sich durch die Gesetzesänderung vermutlich nicht beseitigen lassen. Aber ich hoffe, dass es eingedämmt wird.

Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl gaben rund 68 Prozent der befragten Bürgermeister*innen in Südbaden an, bereits Opfer von Gewalt und Anfeindungen geworden zu sein. Rund 64 Prozent berichteten von verbalen Angriffen, etwas weniger als sechs Prozent von körperlichen Angriffen. Entspricht diese Tendenz nach Erkenntnissen des Städtetages auch den Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen im Land Baden-Württemberg?

Kurz: Es ist an dieser Stelle wichtig festzustellen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Amtsträger und deren Arbeit für die Gemeinschaft respektiert. Bei der Minderheit derer, bei denen dies nicht der Fall ist, hat aber eine Enthemmung eingesetzt. Wir haben kein Zahlenmaterial dazu. Bei dem engen Bereich strafrechtlich relevanter Äußerungen in der direkten Begegnung oder gar Gewalt wäre eine Zeitreihenbetrachtung am ehesten möglich. Hier liegt aber nicht der Schwerpunkt der Veränderungen, die wir wahrnehmen.

Über welche persönlichen Erfahrungen oder Erfahrungen der Beigeordneten beziehungsweise der Beschäftigten der Stadt Mannheim mit solchen bedauerlichen Ereignissen können Sie berichten?

Kurz: Meine Erfahrungen beschränken sich bisher auf das Thema verbale Attacken, vor allem in den sozialen Medien. Ich habe eine Erfahrung mit Gewaltandrohungen, die aufgeklärt werden konnte. Auch hier handelte es sich – wie so oft – um eine psychisch labile Person, die sich vom allgemeinen Klima im Netz beeinflussen lässt. Glücklicherweise habe ich keine physische Gewalt erlebt.

Die Entwicklung besorgt mich unter dem Aspekt, was das mit Menschen, mit der Bereitschaft macht, solche Ämter und Funktionen zu übernehmen. Den Satz „ich beneide Sie nicht“ kannte ich in dieser Häufigkeit früher nicht und er ist ein schlechtes Zeichen für unsere Demokratie. Wir wollen für diese gesellschaftlich wichtigen Funktionen ja Menschen mit Haltung und Anstand motivieren.

Wie gehen Sie mit populistischen Äußerungen in den kommunalen Gremien, konkret im Gemeinderat oder in den Ausschüssen, um? 

Kurz: Darauf reagiere ich immer, wenn nicht im Gemeinderat eine ausreichende Reaktion erfolgt ist. Es ist wie überall, es geht auch um gemeinsames Handeln. In der Regel versuche ich tatsächlich argumentativ oder mit Klarstellungen zu den Werten, die verletzt wurden, zu reagieren. Für alles weitergehende haben wir klare Regelungen in der Geschäftsordnung für den Gemeinderat. Wir haben einmal eine Rüge erteilt und ein Ordnungsgeld verhängt.

In der erwähnten Bachelorarbeit wird die Empfehlung ausgesprochen, mit einer Art „Imagekampagne“ durch die Kommunalen Landesverbände die Bevölkerung über die Thematik aufzuklären und dafür zu sensibilisieren. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Kurz: Wer sich in der Kommunalpolitik engagiert und damit seine Stadt oder Gemeinde voranbringen will, eckt dabei unvermeidlich an. Jede Weiterentwicklung und jede Veränderung hat ihre Gegner, die oft zunächst sogar in der Mehrheit sind. Es ist die Handwerkskunst der Stadtverwaltungen, Skepsis in Offenheit und Gegnerschaft in Akzeptanz zu verwandeln. Durch Vertrauen und überzeugende Argumente.

Eine Imagekampagne ist endlich und eher abstrakt, verliert dadurch letztlich ihre Wirkung. Wir müssen allen in der Stadt permanent bewusst machen, dass es in der Kommunalverwaltung einer Demokratie stets um das Ringen um die beste Lösung für die örtliche Gemeinschaft geht, mit Argumenten und Überzeugungen – und dem Ziel einer Mehrheit für eine Maßnahme, die von der Minderheit zu respektieren ist. Entscheidungsprozesse noch transparenter zu machen und noch verständlicher darzustellen ist ein Schlüssel. Die Vielfalt heutiger Medien bietet dafür viele neue Gelegenheiten und Chancen. Wir müssen sie noch mehr nutzen.

Im Koalitionsvertrag „Jetzt für Morgen“ der grün-schwarzen Landesregierung, der dieser Tage vereinbart wurde, ist an verschiedenen Stellen erfreulicherweise von einem entschlossenen Eintreten „gegen Hass und Hetze“ die Rede. Es findet sich dort jedoch kein Hinweis auf die Absicht, ein umfassendes „Schutzkonzept für Kommunalpolitiker“ entsprechend dem bayerischen Vorbild, wie es vom Bayerischen Justizminister im PUBLICUS vorgestellt wurde, beschließen zu wollen. Hätte Sie sich dies für Baden-Württemberg gewünscht?

Kurz: Wir stehen am Anfang der fünfjährigen Wahlperiode unserer neuen Landesregierung, haben Gespräche zum Portfolio für diese Zeit mit ihr aufgenommen. Der Regierung ist der Schutz von Politiker*innen so wichtig wie uns und dies auf allen Ebenen der Verwaltung, auch der Kommunalen. Wir werden uns sicher für weitere Schritte zusammenfinden.

Angesichts eines bislang fehlenden landesweiten Schutzkonzeptes ist es umso wichtiger, die eigenen Mitarbeiter zu sensibilisieren und interne Schutzmechanismen zu implementieren. Welche Sicherungsmaßnahmen haben Sie in Ihrer eigenen Stadtverwaltung ergriffen? Gibt es einen „Masterplan“ für den Fall der Fälle? Werden den Kollegen regelmäßig stattfindende Schulungen angeboten? Sind eventuell bereits aufgetretene Bedrohungsszenarien dokumentiert?

Kurz: Wenn das Social-Media-Team unserer Stadt Angriffe in den Sozialen Medien entdeckt, handelt es gemäß unserer Netiquette. Beleidigungen, Ehrverletzungen, Rufschädigungen oder andere Äußerungen, die gegen die Kommentarregeln verstoßen, werden auf unseren Kanälen entfernt – unabhängig davon, ob sich der Kommentar gegen andere User*innen, Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung oder Vertreter*innen der Kommunalpolitik richtet. Bei juristisch relevanten Kommentaren auf unseren Kanälen und außerhalb arbeitet das Team mit unseren Jurist*innen und den zuständigen Behörden zusammen.

Für besonders betroffene Dienststellen, wie zum Beispiel die Bürgerdienste mit direktem Bürgerkontakt, wurden eine Reihe von Schutzmaßnahmen entwickelt. So werden alle neuen Mitarbeiter*innen der Bürgerservices – und alle Mitarbeiter*innen bei Bedarf – im Rahmen eines vom Personalamt entwickelten speziellen Programms geschult. Dazu gehört zum Beispiel das Thema Deeskalation in konfliktbehafteten Situationen.

Da vor allem unangemessenes verbales Verhalten, Beleidigungen und Nötigung die wiederkehrenden negativen Begleiterscheinungen im Arbeitsalltag der Bürgerservice-Mitarbeiter*innen sind, wird ein solches Verhalten konsequent verfolgt. Gegebenenfalls werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und / oder Hausverbote ausgesprochen. Die Bürgerservices kooperieren mit der Polizei und stehen im regelmäßigen Dialog mit der nächsten Polizeiwache. Eine schnelle Unterstützung im Notfall wurde vereinbart. Die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle hat zudem eine Begehung des Dienstgebäudes unseres zentralen Bürgerservices durchgeführt.

In anderen Fachbereichen der Stadt, die ebenfalls Bürgerkontakte haben, wie zum Beispiel im Fachbereich Soziales, wird ähnlich verfahren. Generell können alle Mitarbeitenden der Stadt Mannheim im Rahmen unseres Gesundheitsmanagements Hilfe durch die Psychosoziale Beratung für Beschäftigte in Anspruch nehmen. Eine Psychologin und eine Sozialpädagogin stehen für Gespräche und Beratung zur Verfügung.

Der Beamtenbund Baden-Württemberg empfiehlt in seinen Wahlprüfsteinen zur Landtagswahl 2021, dass alle im öffentlichen Bereich vorkommenden Gewaltvorfälle dokumentiert und ressortspezifische Lagebilder erstellt werden. Wie stehen Sie bzw. der Städtetag zu diesem Vorschlag?

Kurz: Es ist ein interessanter Ansatz, der weiterverfolgt werden sollte, um sich nicht allein an subjektiven Wahrnehmungen zu orientieren.

 

Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz ©MVV GmbH

Zur Person:

Dr. Peter Kurz, Jahrgang 1962, ist seit 2007 Oberbürgermeister von Mannheim. Der SPD-Politiker hat in Mannheim und Heidelberg Jura studiert und absolvierte 1992 das 2. Staatsexamen. Ab 1994 war Kurz Richter am Verwaltungsgericht Karlsruhe.

Seit 2018 amtiert Kurz als Präsident des Städtetags Baden-Württemberg.

 

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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