21.06.2021

Besserer Zugang zu Covid-19-Impfstoffen

Ist die Diskussion um die Aussetzung des Patentschutzes "Fluch oder Segen"?

Besserer Zugang zu Covid-19-Impfstoffen

Ist die Diskussion um die Aussetzung des Patentschutzes "Fluch oder Segen"?

Der Patentschutz stellt einen erheblichen Anreiz für Unternehmen dar, innovativ tätig zu werden. © Oliver Boehmer – fotolia.com
Der Patentschutz stellt einen erheblichen Anreiz für Unternehmen dar, innovativ tätig zu werden. © Oliver Boehmer – fotolia.com

Anfang Mai 2021 gab die US-Regierung bekannt, die von Indien und Südafrika angeführte WTO-Initiative für eine befristete Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe zu unterstützen. Dieser Vorstoß sorgte dafür, dass die EU-Kommission von ihrer zunächst ablehnenden Haltung abrückte und Diskussionsbereitschaft signalisierte. Die deutsche Bundesregierung lehnt eine Aussetzung des Patentschutzes ab. Für diese ablehnende Haltung streiten wichtige Gründe. Während durch den geforderten sogenannten Patent Waiver künftige Innovationen für die Bewältigung der Pandemie erheblich gehemmt würden, führt dieser allein gerade nicht zu erhöhter Impfstoffproduktion und damit besserer Impfstoffversorgung auch ärmerer Länder.

Hemmt der Patentschutz tatsächlich die Impfstoffproduktion?

Es lässt sich bezweifeln, dass der derzeitige Mangel an Impfstoffen gegen Covid-19 tatsächlich im Patentschutz begründet liegt. Moderna hat beispielsweise bereits im Herbst 2020 bekannt gegeben, für die Dauer der Pandemie von einer Durchsetzung der in Bezug auf ihren mRNA-Impfstoff bestehende Patente abzusehen. Dennoch hat dies nicht zu einer umfangreichen Kopie des mRNA-Impfstoffes von Moderna geführt.

Für die Herstellung von Impfstoffen und anderen Pharmazeutika bedarf es mehr als lediglich die Umsetzung der in den entsprechenden Patenten offengelegten und durch sie geschützten Verfahren und Stoffe. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Unternehmen nur einen Bruchteil der für die Herstellung innovativer Produkte notwendigen Informationen in ihren Patenten offenlegen. Für die Herstellung eines Präparates, das den zulassungsrelevanten Sicherheits-, Effektivitäts- und Qualitätsstandards entspricht, muss zusätzlich umfangreich auf geheimes Know-how und Erfahrungswissen zurückgegriffen werden. Dies kann nicht einfach kopiert werden, sondern erfordert für seine Verwendung entsprechend qualifiziertes Personal und ein umfangreiches Training.


Nur wenige Unternehmen in der Pharmaindustrie haben überhaupt die Erfahrung und Qualifikation, die biologischen Herstellungsverfahren für die neuartigen Impfstoffe durchzuführen. BioNTech gibt beispielsweise an, dass die Entwicklung des Verfahrens für die Herstellung seiner mRNA-Präparate fast zehn Jahre gedauert hat und die Validierung und Zulassung von Produktionsstätten für ihren mRNA-basierten Covid-19-Impfstoff bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen könnte. Vor diesem Hintergrund stellt es eine absolute Ausnahme in der Pharmaindustrie dar, dass die neue Produktionsstätte für den Covid-19-Impfstoff von BioNTech/ Pfizer in Marburg in nur etwa fünf Monaten betriebsbereit war. Die betroffenen Pharmaunternehmen versuchen den sicheren Know-how-Transfer und die Trainings daher durch umfassende Kooperationen bei der Impfstoffproduktion mit verschiedenen Partnern zu beschleunigen. BioNTech arbeitet beispielsweise weltweit mit vielen Unternehmen beim Aufbau lokaler Produktionsstätten zusammen. CureVac hat bereits mit Bayer eine globale Kooperation für die Produktion seines mRNA-Impfstoffes abgeschlossen.

Die kurzfristige Erhöhung der Impfstoffproduktion stellt aber auch die entsprechend qualifizierten Unternehmen aus einem anderen Grund vor eine erhebliche Herausforderung. Die Herstellungsverfahren umfassen nicht nur hunderte von Verfahrensschritten, welche nach GMP-Maßstäben validiert werden müssen. Zu ihrer Durchführung bedarf es besonderen Equipments und neuartiger Rohstoffe, die wiederum teilweise ebenfalls patentiert sind und behördlich zugelassen sein müssen. Sie sind prinzipiell global verfügbar, werden allerdings u.a. von denjenigen Staaten, die nun den sogenannten Patent Waiver fordern oder unterstützen, mit Exportbeschränkungen belegt.

Patentschutz als Anreiz und Motor von Innovation

Auf der anderen Seite gilt es zu beachten, dass der Patentschutz einen erheblichen Anreiz für Unternehmen darstellt, innovativ tätig zu werden. Nur weil die Patente den Unternehmen ein meist auf zwanzig Jahre befristetes Monopolrecht für die von ihnen erfundene technische Lehre geben, sind sie bereit, die in der Pharmaindustrie besonders hohen Entwicklungskosen, die meist mehrere hundert Millionen Euro betragen, auf sich zu nehmen. Es lässt sich zu Recht fragen, ob eine derart hohe Zahl von Covid-19-Impfstoffen in einer so überraschend kurzen Zeit entwickelt worden wäre, wenn die Unternehmen für ihre Entwicklungen nicht den effektiven Patentschutz hätten erwarten können. Der Patentschutz vermittelt maßgeblich den Investitionsschutz für die innovativen Unternehmen. Kein Unternehmen wird künftig die teure und langjährige Entwicklung eines Arzneimittels oder Impfstoffes auf sich nehmen, wenn es bei Erfolg damit rechnen muss, um die Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden.

Der Patentschutz ist auch Motor für künftige Innovationen. Durch die Patentschriften legen die Erfinder bzw. Unternehmen ihre erfinderische technische Lehre offen und reichern dadurch das Wissen bzw. den Stand der Technik an. Auf der Basis dieser offengelegten Erkenntnisse und technischen Lösungen können dann Wissenschaftler und Unternehmen für ihre künftigen Innovationen aufsetzen – sei es auch nur, um die patentierte technische Lösung zu umgehen. Der Patentschutz fördert damit den Wettbewerb um die beste technische Lösung in der aktuellen Pandemie und kann gleichzeitig auch einen maßgeblichen Wissens- und Lösungsstand als Ausgangspunkt für die Bewältigung künftiger Pandemien schaffen.

Nutzen und Schaden der Diskussion um einen Patent Waiver

Bei der Bewertung der WTO-Initiative für eine befristete Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe ist weiterhin zu beachten, dass diese kurzfristig keinesfalls zur Aussetzung des Patentschutzes führen wird – und schon gar nicht die Impfstoffherstellung erhöhen wird. Die Diskussion auf WTO-Ebene wird sicher noch Monate dauern und der Vorschlag müsste letztlich von allen Mitgliedsstaaten angenommen und nachfolgend ins nationale Recht umgesetzt werden. Es lässt sich bezweifeln, dass die im deutschen Patentgesetz vorgesehenen Möglichkeiten für eine Benutzungsanordnung oder Zwangslizenz für eine Umsetzung eines solchen WTO-Beschlusses geeignet sind.

Der Einbruch der Aktienkurse nach dem Vorstoß der US-Regierung hat gezeigt, dass die Kapitalmärkte bereits durch diese Diskussion verunsichert werden. Damit wird den biotechnologischen Unternehmen das Einsammeln von Finanzmitteln für ihre hochriskanten Entwicklungen erheblich erschwert. Dieses Kapital ist aber nicht nur für die fortlaufende Prüfung der entwickelten neuartigen Covid-19-Impfstoffe im Hinblick auf Mutationen und Varianten des Virus‘ und gegebenenfalls vorzunehmen Anpassungen oder Entwicklung von Impfstoffen der zweiten Generation erforderlich. Die Diskussion um den sogenannten Patent Waiver wirkt sich auch negativ auf die Entwicklung von dringend benötigten Covid-19-Therapeutika aus. Biotech- und Pharmaunternehmen werden genau überlegen, ob sie die Kosten für eine teure klinische Phase III-Studie auf sich nehmen, wenn sie eine Aussetzung des Patentschutzes auch für ihr Therapeutikum befürchten müssen.

Schließlich stellt sich jenseits der Aspekte des Innovations- und Investitionsschutzes im Zusammenhang mit den neuartigen biotechnisch erzeugten mRNA-Impfstoffen möglicherweise noch eine ganz andere Frage. Es wird derzeit diskutiert, dass die mRNA-Technologie auch zur Herstellung biologischer Kriegswaffen verwendet werden könnte. Es lässt sich daher auch mit Blick hierauf hinterfragen, ob man die innovativen Biotech-Unternehmen wirklich dazu zwingen will, ihr Wissen und ihre Erfahrungen im Hinblick auf die mRNA-Technologie umfassend mit Unternehmen in unsicheren Konfliktstaaten zu teilen. Eine erzwungene Offenlegung des Know-hows wäre nicht nur beispiellos, sondern auch irreversibel.

Fazit

Überspitzt formuliert könnte man bei der Forderung für eine befristete Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe von einer populistischen Symbolpolitik sprechen. Der Schlüssel für eine Bewältigung der Covid-19-Pandemie liegt in dem Abbau der tatsächlichen Hindernisse für eine erhöhte Impfstoffproduktion. Dies setzt eine bessere Unterstützung von Kooperationen bei der Impfstoffherstellung, einschließlich beschleunigter behördlicher Genehmigungen für biotechnologische Verfahren, Produkte und Anlagen, sowie den Abbau nationaler Exportbeschränkungen für Covid-19-Impfstoffe und für Rohstoffe für ihre Herstellung voraus.

 

Dr. Thomas Hirse

Rechtsanwalt und Partner bei CMS Hasche Sigle
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