15.07.2021

Verlängerung der Einsetzung von Ferienausschüssen in Bayern?

Entscheidung des BayVerfGH vom 10.06.2021, 25-VII-21

Verlängerung der Einsetzung von Ferienausschüssen in Bayern?

Entscheidung des BayVerfGH vom 10.06.2021, 25-VII-21

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Die Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses in 2021 auf bis zu drei Monate zu verlängern sowie in den sonstigen Zeiträumen des Jahres 2021 beschließende Ausschüsse mit entsprechenden Befugnissen einzusetzen, verstößt nach Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit und ist nichtig.

Verlängerung auf bis zu drei Monate

Durch das Gesetz vom 09.03.2021 wurde anlässlich der Corona- Pandemie die Vorschrift des Art. 120b Abs. 3 BayGO in die Gemeindeordnung eingefügt. Die Regelung erlaubt dem Gemeinderat den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses, der grundsätzlich alle Aufgaben erledigt, für die sonst der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss zuständig ist: Für das Jahr 2021, abweichend von Art. 32 Abs. 4 Satz 1 GO, der eine bestimmbare Ferienzeit bis zu sechs Wochen vorsieht, kann der Einsetzungszeitraum durch Beschluss auf drei Monate erhöht werden. Für die Zeiträume, in denen er keinen Ferienausschuss einsetzt, kann er für die Dauer von bis zu drei Monaten einen beschließenden Ausschuss einsetzen, der die Befugnisse eines Ferienausschusses hat. Der Gemeinderat kann dessen Einsetzungszeitraum um jeweils bis zu weitere drei Monate, längstens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021, verlängern.

Beschlüsse nach den Sätzen 1 bis 3 bedürfen einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats. Endet die vom Deutschen Bundestag auf Grund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 festgestellte epidemische Lage von nationaler Tragweite nach den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, treten Beschlüsse nach den Sätzen 2 und 3 eine Woche nach dem Ende der epidemischen Lage mit Wirkung für die Zukunft außer Kraft.


Geltendmachung der Ungleichbehandlung im Rahmen einer Popularklage

Der bayerische Landesverband einer politischen Partei und 29 weitere Antragsteller wandten sich im Rahmen einer Popularklage gegen die rückwirkend zum 12.02.2021 in Kraft getretene Vorschrift. Die Antragsteller rügen, dass Art. 120b Abs. 3 GO gegen den Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 BV verstoße. Die Regelung führe dazu, dass einzelne Gemeinderatsmitglieder oder kleine Fraktionen bei einer Beschlussfassung in den neu vorgesehenen beschließenden Ausschüssen gänzlich von der Teilnahme an Sitzungen ausgeschlossen seien. Darin liege eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Gemeinderatsmitgliedern, die in den beschließenden Ausschüssen mitarbeiteten. Art. 47a GO ermögliche es, Hybridsitzungen durchzuführen, welche im Vergleich zu beschließenden Ausschüssen gemäß Art. 120b Abs. 3 GO ein milderes Mittel darstellen würden. Darüber hinaus sei es durch die inzwischen vorgesehenen und überall ergriffenen Hygienemaßnahmen auch möglich und zumutbar, Präsenzsitzungen abzuhalten. Das Ziel, den Schutz der Gesundheit zu gewährleisten und Neuinfektionen zu verhindern, stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Grundrechtseingriff, da neben der Möglichkeit von Hybridsitzungen oder Videokonferenzen auch Schnelltests zur Verfügung stünden.

Durchbrechung des Grundsatzes der Wahlgleichheit

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Klage für begründet erklärt. In einer repräsentativen Demokratie folgt aus dem Gebot der Wahlgleichheit, dass die gewählten Abgeordneten in Statusfragen sowie bei der Ausübung ihrer Rechte gleich zu behandeln sind. Das Gebot der Gleichbehandlung komme gemäß Art. 12 Abs. 1 BV auch mit Blick auf die Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder zum Tragen. Obwohl der Gemeinderat kein Parlament, sondern ein Verwaltungsorgan sei, verkörpere er auf der kommunalen Ebene in gleicher Weise das System der repräsentativen Demokratie wie der Bayerische Landtag auf Landesebene.

Auch wenn durch die proportionale Sitzzuteilung und die jeweilige Ausschussgröße kleinere Fraktionen oder fraktionslose Ratsmitglieder bei der Zuteilung der Ausschusssitze leer ausgehen könnten, stehe dies grundsätzlich der Bildung von – auch beschließenden – Ausschüssen unter Wahrung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit nicht entgegen. Die Übertragung von Befugnissen auf Ausschüsse dürfe jedoch nicht dazu führen, dass die dem Gemeinderat – also der Gesamtheit seiner Mitglieder – nach Art. 12 Abs. 1 BV vorbehaltene Rolle als zentrale Führungsinstanz der Gemeinde angetastet werde.

Eine weitgehende und schwerwiegende Durchbrechung des Grundsatzes der Wahlgleichheit, wie sie die Regelungen des Art. 120b Abs. 3 BayGO vorsehen, ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn sie zwingend erforderlich wäre, um die ansonsten vom Gemeinderat wahrgenommenen Aufgaben und Funktionen auch in Zeiten einer Pandemie zu gewährleisten. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen seien auch unter Berücksichtigung des Entscheidungs- und Gestaltungsspielraumes, den der Gesetzgeber grundsätzlich bei der Ausgestaltung rechtlicher Materien habe, nicht ausreichend.

Zweidrittelmehrheit als Voraussetzung für die Verlängerung reicht nicht aus

Die einzige tatbestandliche Voraussetzung, um den Einsetzungszeitraum eines Ferienausschusses in diesem Jahr auf drei Monate zu erhöhen, wäre der Beschluss durch eine Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderates (Art. 120b Abs. 3 Satz 4 GO). Auf den Fortbestand der vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Art. 120b Abs. 3 Satz 5 GO) komme es für die Verlängerung nicht an. Eine solch weitreichende Möglichkeit, den Einsetzungszeitraum des Ferienausschusses ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen erheblich zu verlängern, könne mit Blick auf die Schwere des Eingriffs in das Gebot der Gleichbehandlung der gewählten Gemeinderatsmitglieder keinen Bestand haben. Da die Problematik gerade im Fehlen tatbestandlicher Voraussetzungen bestehe, sei auch kein Raum für eine verfassungskonforme Auslegung.

Beschließende Ausschüsse als ultima ratio

Die Möglichkeit, für bis zu drei Monate einen beschließenden Ausschuss mit den Befugnissen eines Ferienausschusses einzusetzen und diese Einsetzung in späteren Sitzungen um jeweils bis zu drei Monate, längstens bis zum Ablauf des 31.12.2021, zu verlängern (Art. 120b Abs. 3 Sätze 2 und 3 GO), sei im Ergebnis ebenso zu bewerten.

Darüber hinaus gebe es keinerlei Einschränkungen, die berücksichtigen würden, dass die Regelung zur Einsetzung eines beschließenden Ausschusses mit außerordentlichen Befugnissen lediglich als ultima ratio zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Gemeinderats in der Pandemie in Betracht kommt. Insbesondere werde nicht als Voraussetzung gefordert, dass Präsenzsitzungen mit Blick auf die Größe des jeweiligen Gemeinderats und die ihm zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten unter den Bedingungen der Pandemie nicht sicher durchführbar seien. Zudem kämen etwa Hybridsitzungen, bei denen ein Teil der Gemeinderatsmitglieder der Präsenzsitzung per Ton-Bild-Übertragung zugeschaltet ist, als milderes Mittel in Betracht.

Bestandsschutz für bereits gefasste Beschlüsse

Keine Auswirkungen hat die Entscheidung auf bereits gefasste Beschlüsse solcher Ausschüsse. Auch können Gemeinden, die in diesem Jahr bereits einen Ferienausschuss von bis zu sechs Wochen eingesetzt hatten, erneut einen Ausschuss für die eigentliche Ferienzeit bestimmen.

Entscheidung des BayVerfGH vom 10.06.2021, 25-VII-21

 
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