28.06.2021

Sonntagsöffnungen bieten keine Lösungen – auch nicht in der Corona-Krise!

Hilfe für den Einzelhandel in der Pandemie

Sonntagsöffnungen bieten keine Lösungen – auch nicht in der Corona-Krise!

Hilfe für den Einzelhandel in der Pandemie

Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie bedeuten für Niedersachsen, seine Wirtschaft und die Beschäftigten eine enorme Herausforderung. Die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben Folgen, die – ohne Zweifel – auch den Einzelhandel betreffen, auch wenn sich dies je nach Bereich und Segment sehr unterschiedlich darstellt. Vor diesem Hintergrund hat der Niedersächsische Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann Verbände, Kammern, Gewerkschaften und Kirchen zu einem runden Tisch eingeladen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderten dabei eine stärkere Unterstützung des örtlichen Handels. Diese kann allerdings nicht in einer Ausweitung der anlasslosen Sonntagsöffnungen bestehen. Für diese eindeutige Position gibt es gute Gründe.

1. Die Sonntagsruhe hat Vorrang vor Umsatzinteressen

Der Sonntag hat als Wochentag eine besondere gesellschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung. An Sonntagen soll die Geschäftigkeit in Form der Erwerbstätigkeiten ruhen, damit der Einzelne diese Tage ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Der arbeitsfreie Sonntag ist eine zentrale soziale Errungenschaft, und unsere Verfassung schützt zu Recht die Sonntagsruhe und die Beschäftigten vor belastender Sonntagsarbeit (Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV). Die Rechtsprechung ist eindeutig, dass hinter dem arbeitsfreien Sonntag wirtschaftliche Interessen grundsätzlich zurückstehen müssen. Dies gilt für das Umsatzinteresse der LadeninhaberInnen ebenso wie für das Kaufinteresse der potenziellen Kundschaft. Es ist wesentlich, dass solche zentralen gesellschaftlichen Schutzstandards nicht unter dem Deckmantel der Corona-Krise zur Disposition gestellt werden. Mittlerweile hat auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht nochmals klargestellt (Beschl. v. 10.09.2020 – 7 ME 89/20), dass Sonntagsöffnungen allein mit der Begründung der Corona-Folgen nicht zulässig sind.

2. Sonntagsöffnungen setzen zwingend einen Anlass voraus

Ausnahmen von der Sonntagsruhe sind nur bei einem dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrund zuzulassen. Deshalb dürfen verkaufsoffene Sonntage in der Regel nur als Anhang für besondere Anlässe wie bspw. ein Fest, eine Feier oder eine Messe genehmigt werden. Auch wenn nun viele dieser Anlässe durch die Corona-Pandemie entfallen, muss dieser Grundsatz weiter gelten, da andernfalls an jedem beliebigen Sonntag die Läden geöffnet werden könnten. In diesem Zusammenhang muss zudem bedacht werden, dass eine Konzentration von Kundenströmen an einem Sonntag in Zeiten steigender Infektionszahlen womöglich wenig sinnvoll sein könnte.


Unabhängig davon stellen die Ausnahmen von der Sonntagsruhe für die Beschäftigten und ihre Familien eine große, zusätzliche Belastung dar, weshalb eine enge Begrenzung der Sonntagsarbeit im Rahmen klar definierter Ausnahmen absolut notwendig ist. Schon allein deshalb muss vorher regional eine Verständigung mit gewerkschaftlicher Beteiligung erzielt werden. Es wäre fatal, wenn die Corona-Krise nun dazu führen sollte, dass geltendes Recht aufgrund ökonomischer Erwägungen schlicht ignoriert würde. Vor diesem Hintergrund ist es eine traurige Tatsache, dass ver.di immer wieder Gerichte einschalten musste, damit der Sonntagsschutz bzw. das Grundgesetz in vielen Kommunen rechtskonform beachtet wird.

3. Die Beschäftigten brauchen – gerade in der Pandemie – arbeitsfreie Sonntage

Unsere Gesellschaft braucht synchronisierte freie Zeit. Der arbeitsfreie Sonntag als gemeinsamer freier Tag für Familie, Freunde und Bekannte, für das Vereinsleben sowie für kulturelle und religiöse Zusammenkünfte ist ein zentraler gesellschaftlicher Ankerpunkt. Der wöchentliche gemeinsame Tag steigt in seiner Bedeutung umso mehr, als die werktäglichen ausgedehnten Arbeitszeiten diese Gemeinsamkeit verhindern. Deshalb setzt sich in Niedersachsen ein breites gesellschaftliches Bündnis aus kirchlichen und sozial engagierten Verbänden, dem Landessportbund und der Gewerkschaften in Form einer Landesallianz für den Erhalt des freien Sonntags ein. Die Corona-Pandemie versetzt viele Menschen in Unruhe, in Ängste und in Nöte und führt zu starken Belastungen. Der arbeitsfreie Sonntag muss vor diesem Hintergrund ein wichtiges Stück Normalität bleiben. Statt die Arbeitszeiten weiter zu entgrenzen, muss den Beschäftigten freie Zeit mit ihrer Familie und zur Erholung ermöglicht werden. Dies gilt für die Beschäftigten im Einzelhandel im besonderen Maße. Das Arbeiten im Verkauf ist per se mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Viele Beschäftigte sind über lange Zeit durch fortbestehende Hygienekonzepte erheblichen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Im Verlauf der Corona-Pandemie haben viele Beschäftigten – etwa im Lebensmitteleinzelhandel – bereits am Limit gearbeitet. Eine Ausweitung ihrer Arbeitszeit auf den Sonntag würde diese Belastungen – völlig ohne Not – weiter erhöhen.

4. Sonntagsöffnungen verhindern gute Arbeit

Die Ausweitungen der Sonntagsöffnungsmöglichkeiten über die bestehende Anzahl hinaus zusätzlich zu den werktäglichen Öffnungsmöglichkeiten von 24 Stunden montags bis samstags ist ein weiterer Schritt zur Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ca. 231 000 sozialversicherungspflichtigen und ca. 95 000 geringfügig Beschäftigten im Einzelhandel in Niedersachsen. Insbesondere zu den Zeiten, in denen früher nicht im Einzelhandel gearbeitet wurde, werden derzeit vornehmlich geringfügig Beschäftigte eingesetzt. Insgesamt hat nach Angaben des Statistischen Landesamts die Zahl der Teilzeitkräfte in den letzten Jahren deutlich zugenommen, während weiterhin Vollzeitarbeitsplätze abgebaut wurden. Auch andere Formen der prekären Beschäftigung, wie Leiharbeit oder Werkverträge, nehmen in der Branche weiter zu. Diese Beschäftigungsformen, die nicht unter den Geltungsbereich der Flächentarifverträge des Einzelhandels Niedersachsen fallen, und der Wegfall der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge im Einzelhandel im Jahr 2001 befördern die abnehmende Tarifbindung der Branche. Das Unterlaufen von tariflichen Standards (durch Tarifverweigerung oder tarifwidrige Bezahlung) insbesondere für die Arbeit am Abend, in der Nacht und an Sonntagen, führt zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmen, die sich noch an die Tarifverträge halten, und denen, die sich der Tarifbindung entledigt haben. Dieser bedenklichen Entwicklung darf gerade in der Corona-Krise kein weiterer Vorschub geleistet werden.

Eine Stärkung des Einzelhandels wird erreicht, wenn prekäre Beschäftigung zurückgedrängt und die tariflichen Einkommen der Beschäftigten stabilisiert werden. Hinzu kommt, dass fast drei Viertel der Beschäftigten im Einzelhandel Frauen sind. Eine weitere Ausweitung der Arbeitszeit geht folglich insbesondere zu ihren Lasten, zumal sie in unserer Gesellschaft immer noch vornehmlich und zusätzlich die Familien- und Sorgearbeit übernehmen. Die zur Verfügung stehende Zeit für gemeinsame familiäre Aktivitäten, zur Erfüllung des erzieherischen Auftrags oder auch von häuslicher Pflegearbeit hat bereits mit der Erweiterung der werktäglichen Ladenöffnungszeiten stark abgenommen. Der dadurch entstehende Druck wird durch weitere Sonntagsöffnungen noch verstärkt. Eine aktuelle Studie des DIW (Schmieder/Wrohlich 2020) zeigt, dass Frauen von der Corona- Krise generell wesentlich stärker betroffen sind als Männer. Dies ist ein herber Rückschlag für die Geschlechtergerechtigkeit in unserem Land. Ein Blick auf die aktuelle Debatte um die Sonntagsöffnungen gibt exemplarische Hinweise darauf, warum das so ist.

5. Sonntagsöffnungen sind keine wirksame Hilfe für den Einzelhandel in der Corona-Krise

Verkaufsoffene Sonntage sind für die Versorgung der Bevölkerung in der Pandemie nicht notwendig. Auch helfen sie den Segmenten des Einzelhandels nicht, die in der Corona- Krise mit Umsatzrückgängen zu kämpfen haben. Denn verkaufsoffene Sonntage führen nicht dazu, dass die Menschen mehr Geld im Handel ausgeben, da durch die Öffnung nicht die Kaufkraft steigt. Vielmehr kommt es letztlich zu einer Verschiebung des Umsatzes von den Werktagen auf den Sonntag. Nur eine Steigerung der Kaufkraft sorgt verlässlich für höhere Umsätze. Für den inhabergeführten Facheinzelhandel werden die erweiterten Öffnungszeiten sogar zu einem akuten Wettbewerbsnachteil. Denn die Öffnungszeiten sind ein wichtiges Instrument im massiven Verdrängungswettbewerb in der Branche, da die kleinen Fachhändler personell mit den großen Ketten nicht mithalten können. Dieser Effekt wird durch die Ausdehnung der Öffnungsmöglichkeiten an Sonntagen nicht aufgehalten, sondern verstärkt. Die Vielfalt des Einzelhandels leidet in der Folge. Auch die Hoffnung, den stationären Einzelhandel gegenüber dem Onlinehandel durch mehr verkaufsoffene Sonntage stärken zu können, ist ein Trugschluss. Onlineshops sind rund um die Uhr geöffnet, das können einzelne verkaufsoffene Sonntage nicht ausgleichen. Zudem ignoriert dieses Argument, dass quasi alle großen stationären Einzelhändler auch online in Erscheinung treten. Mehr oder weniger Sonntagsöffnungen verändern die Rolle des Onlinehandels also nicht.

6. Was jetzt zu tun ist

Aus gewerkschaftlicher Sicht braucht es ein stärkeres Engagement, damit die Innenstädte weiter vielfältig und belebt bleiben. Die Ausweitung von Sonntagsöffnungen greift hier aber viel zu kurz, zumal es diese – wie gezeigt – nur dann geben kann, wenn es einen angemessenen Anlass gibt und vor Ort mit allen Beteiligten Einigkeit erzielt wurde. Innenstädte leben von Kultur und Diversität. Hier braucht es Konzepte, um die Innenstädte ohne dauerhaften Konsum attraktiv zu halten. Deshalb ist zu wünschen, dass die Intensität und Energie, mit der aktuell um Sonntagsöffnungen debattiert wird, stattdessen für einen Diskurs um die konzeptionell nachhaltige Entwicklung der Innenstädte, Quartiere und Ortskerne genutzt wird und die Städte und Kommunen dabei den Schutz der Beschäftigten nicht aus dem Auge verlieren. Damit verbunden braucht es umfassende Initiativen, die den stationären Einzelhandel nachhaltig stärken und die auf gute Arbeit auf Basis von Mitbestimmung und Tarifverträgen setzen. Einen Aspekt kann dabei bspw. der Auf- und Ausbau von regionalen Vermarktungsnetzen im Internet darstellen, damit die kleinen inhabergeführten Betriebe gegenüber großen Ketten mithalten können.

Auch Maßnahmen zur Steigerung der Kaufkraft sind sinnvoll, um die Umsätze in der Corona-Krise zu stabilisieren. Hier können direkte Nachfrageimpulse für besonders betroffene Branchen, etwa in Form von einkommensabhängigen Konsumchecks, helfen. Insgesamt wird aber dann die Nachfrage belebt, wenn die Einkommen der Menschen, die derzeit etwa durch Kurzarbeit oder Erwerbslosigkeit betroffen sind, gestärkt werden. Der DGB in Niedersachsen hat im Rahmen seines 3-Säulen-Konzepts für eine Konjunktur und Investitionsoffensive zahlreiche konstruktive Vorschläge hierzu gemacht. Diese setzen allerdings voraus, dass das Land selbst mehr Engagement zeigt und entsprechende Ressourcen bereitstellt, statt auf Maßnahmen zulasten Dritter zu setzen.

VBlNds 4/2021

 

Sabine Gatz

Landesfachbereichsleitung Handel, ver.di Landesbezirk Niedersachsen-Bremen
 

Johannes Grabbe

Abteilungsleiter Wirtschaft, Umwelt, Europa, Deutscher Gewerkschaftsbund Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt
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