30.05.2023

Personenidentität wird durch tatsächliche und rechtliche Daten bestimmt

Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg

Personenidentität wird durch tatsächliche und rechtliche Daten bestimmt

Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

Das Verwaltungsgericht Cottbus (VG) hatte den Eilantrag eines Kameruners auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgewiesen. In der Sache ging es dabei um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Ausübung der Personensorge für seine Tochter, die über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt.

Zur Begründung seiner Entscheidung hatte das VG ausgeführt, dass dem Ansinnen des Ausländers das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung einer geklärten Identität gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG entgegensteht.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) hat seine gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde abgewiesen und grundsätzlich ausgeführt, dass die Identität einer Person im rechtlichen Sinne durch tatsächliche und rechtliche Daten, wie Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort usw., bestimmt wird, die der betreffenden Person zuzuordnen sind. „Identität“ bedeutet dabei die Übereinstimmung dieser personenbezogenen Daten mit einer natürlichen Person.


Die Klärung der Identität setzt die Gewissheit voraus, dass der das Visum Begehrende die Person ist, für die er sich ausgibt, mithin eine Verwechselungsgefahr nicht besteht. Diese Gewissheit sei im Fall des klageführenden Ausländers nicht gegeben, weil die zu den vorrangigen Zuordnungskriterien zählenden Daten Vor- und Familienname sowie Tag und Ort der Geburt nicht hinreichend sicher belegt sind. Insbesondere sind sie nicht bereits mit dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten, bis 28.10.2016 gültigen kamerunischen Reisepass nachgewiesen.

In Kamerun können Dokumente auch bei offiziellen Stellen gekauft werden

Zwar kann mit einem Reisepass des Herkunftsstaats i. d. R. der Nachweis erbracht werden, dass der Inhaber die in dem Pass genannte, beschriebene und abgebildete Person ist und die dort enthaltenen Angaben mit deren tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen übereinstimmen.

Angesichts der im vorliegenden Fall bestehenden konkreten Anhaltspunkte für unzuverlässige Angaben zu Namen, Geburtsdatum und Geburtsort erweist sich dieser Reisepass vor dem Hintergrund der grundlegenden Mängel des Urkundenwesens in Kamerun, bei dem es praktisch für jede Urkunde und jedes Dokument professionelle Fälschungen gibt und selbst bei echten Dokumenten nicht von deren inhaltlicher Richtigkeit ausgegangen werden kann, da Dokumente auch bei offiziellen Stellen gekauft werden können, jedoch als ungeeignet, den sicheren Nachweis über die Identität zu führen.

Die Richtigkeit der in diesem Pass angegebenen Identitätsdaten wird maßgeblich dadurch in Frage gestellt, dass sie mit Informationen über den Ausländer, die sich aus seinem Aufenthalt im Bundesgebiet in der Vergangenheit ergeben, nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.

Er wäre – das nunmehr angegebene Geburtsdatum 20.11.1989 unterstellt – bei der Asylantragstellung im August 1999 jünger als zehn Jahre gewesen und hätte bei einer Verurteilung durch ein Amtsgericht (AmtsG) vom 02.08.2002 das 13. Lebensjahr und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Asylklageverfahren beim VG Frankfurt (Oder) am 21.02.2003 das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Dass dies durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das AmtsG oder das VG Frankfurt (Oder) nicht bemerkt und berücksichtigt worden sein soll, ist nicht nachvollziehbar.

Keine nachvollziehbare Erklärung abgegeben

Zudem befand er sich ausweislich der Aufnahme- und Entlassungsmitteilungen der Justizvollzugsanstalt zwischen März und August 2002 in Haft, obwohl dies bei einem strafunmündigen Kind unzulässig gewesen wäre. Aus dem Verwaltungsvorgang ist ferner zu entnehmen, dass er sowohl im Asylklageverfahren beim VG Frankfurt (Oder) als auch im Strafverfahren beim AmtsG anwaltlich vertreten bzw. verteidigt wurde. Bislang hat er jedoch keine nachvollziehbare Erklärung gegeben, warum in diesem Zusammenhang, v. a. angesichts der Strafunmündigkeit und des daraus folgenden Prozesshindernisses im Strafverfahren das angeblich zutreffende Alter nicht geltend gemacht worden war. Die bei der Stellung des Asylantrags gefertigten Fotoaufnahmen des Ausländers lassen auch nicht einen gut zehnjährigen Jungen erkennen.

Beschwerdebegründung konnte keinen Ansatz aufzeigen, die greifbare Diskrepanz aufzulösen

Auch mit seiner Beschwerdebegründung konnte er keinen Ansatz aufzeigen, diese greifbare Diskrepanz aufzulösen. Die im Verwaltungsverfahren vorgelegten amtlichen Dokumente sind, ohne dass es einer weiteren Urkundenüberprüfung bedürfte, ebenso wenig geeignet, die notwendige Gewissheit über seine Identität zu vermitteln. Dagegen spricht zum einen der Umstand, dass diese Unterlagen nahezu durchgehend nicht aus der Zeit des in ihnen vorgeblich dokumentierten Geschehens stammen, sondern vielmehr nachträgliche Beurkundungen darstellen. Dies gilt insbesondere für das Urteil des „Tribunal de premier degré d’Edéa“ vom 15.02.2013, das nicht erkennen lässt, auf welche Tatsachen sich die darin verfügte Wiederherstellung einer auf den Ausländer lautenden Geburtsurkunde mit dem Geburtsdatum 20.11.1989 stützt.

Ebenso wenig tragen die Bescheinigungen über den Schulbesuch sowie über die Taufe, selbst bei unterstellter inhaltlicher Richtigkeit, den hinreichend sicheren Schluss, dass die darin als Schüler bzw. Täufling benannte Person jeweils identisch mit ihm ist. Zum anderen können auch diese Unterlagen den Widerspruch zwischen einer angeblichen Geburt im Jahr 1989 und den Informationen zum Ausländer nach dessen Einreise in das Bundesgebiet 1999 nicht erklären. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist voraussichtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Ausländerbehörde keine Ausnahme von der genannten Regelerteilungsvoraussetzung anerkennt.

Ein atypischer Fall, der ausnahmsweise einen Verzicht auf die Klärung der Identität zulässt, liegt nicht vor

Ein atypischer Fall, der ausnahmsweise einen Verzicht auf die Klärung der Identität geboten erscheinen ließe, ist nicht ersichtlich. Ein solcher setzt voraus, dass entweder besondere Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 Grundgesetz (GG) oder im Hinblick auf Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geboten ist, z. B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist. Abgesehen davon, dass die Ausübung der Personensorge des Betroffenen für seine Tochter auch trotz des Verweises auf die ausstehende Klärung der Identität nicht gefährdet ist, weil die Behörde ihn duldet, kann hier aus dem durch Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz der Familieneinheit auch aus anderem Grund nichts hergeleitet werden. Dem höherrangigen Recht lässt sich nichts dafür entnehmen, dass das einfache Gesetzesrecht auch dann zurückzustehen hat, wenn die Nichterfüllung von Vorschriften auf unzureichend ausgeübten Mitwirkungspflichten Nachzugswilliger beruht.

Der Nachweis der Identität i. S. v. § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG obliegt gem. § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dem Kameruner. Hier war die ausstehende Klärung seiner Identität maßgeblich auf dessen eigene unzureichende Mitwirkung zurückzuführen. Dies gilt umso mehr als er selbst nach seinen jetzigen Angaben jahrelang unter falscher Identität in Deutschland gelebt hat und dies zudem mehrfach, wenn man zugrunde legt, dass die von ihm zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis- EG vorgelegte „Carte nationale d’identité“ vom 27.05.2003 jedenfalls inhaltlich falsch war.

Angesichts dieser bewussten Täuschung über seine Identität in der Vergangenheit bedarf es in besonderem Maße nachvollziehbarer und schlüssiger Angaben, um die Überzeugung zu vermitteln, dass die nunmehr genannten Identitätsmerkmale richtig sind. Dem entsprechen seine Erklärungen und Unterlagen nicht.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.01.2022 – 3 M 131/20.

 

Entnommen aus der Fundstelle Baden-Württemberg 2/2023, Rn. 18.

 
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